Warum Ernesto Rafael Guevara de la Serna (1928-1967), genannt Ché Guevara oder Der Ché, noch immer kultisch verehrt wird (und zwar nicht nur von deutschen Altlinken oder lateinamerikanischen Castro-Jüngern, sondern besonders von unpolitischen jungen Leuten im Westen, die mit seinem Korda-Porträt auf dem T-Shirt oder dem Baseball-Cap rum rennen), weiß ich genau. Weil ich ihn auch mal für einen tollen Hecht hielt, so um ´68, als jeder das tat und kaum einer außer Régis Debray seine Tagebücher gelesen hatte,...
....in der er die Exekution eines gefangenen Gegners durch ihn, den Ché, so ungerührt beschreibt wie einer aus einer Jugendbande den Totschlag eines Burschen von der gegnerischen Straßengang: „Die Situation war für die Männer und für ihn unangenehm, also machte ich dem Ganzen ein Ende und schoss ihm mit einer .32er Pistole in die rechte Gehirnhälfte mit Austrittsloch am rechten Schläfenbein. Er röchelte noch ein wenig, dann war er tot.“
Nein, weder wusste ich von seinen Elogen auf den „Hass, der Menschen in eine kalte Tötungsmaschine verwandelt“, noch von dem Murks, den er als „Wirtschaftsminister“ in Kuba nach der Machtübernahme Castros anrichtete, bis die letzte von den Yankees hinterlassene Zahnpastatube aufgebraucht war (die Autos hielten länger, manche Kubaner fahren immer noch damit). Seine dilettantischen Abenteuer im Kongo, wo er sich aus dem Staub machte, als er begriff, dass es den Einheimischen mitten im Völkermord nicht so sehr nach sozialistischer Umwälzung zumute war, diese Groteske kannte ich auch noch nicht. Und da ich annehme, dass in jeder Generation genügend Doofe nachwachsen, die ungern denken oder sich gar informieren, dafür aber gern einer hübschen Idee nachhängen und die, gleichsam ererbt, die Amis zum Kotzen finden wie es schon ihre Nazi-Großeltern und ihre 68er-Eltern taten, scheint mir klar, wie die Ché-Verehrungsspirale bis auf den heutigen Tag funktioniert.
Ärgern tut´s mich trotzdem, wenn ich sein Bild mal wieder auf Klamotten entdecke, wie kürzlich in der Boutique eines Ferienresorts der Dominikanischen Republik. Warum hält sich gerade sein Mythos so hartnäckig? Andere werden entzaubert, man lese Raddatz´ alte Marx-Bio mal wieder. Ein Genuss! Ja, irgendwann schaut bei so mancher Lichtgestalt ein Historiker genau hin, und der ganze Schwindel fliegt auf. Beim Ché: nie. Ché-Bashing ist unpopulär. Hitler, Stalin, Mao entlarven, das verkauft sich, vielleicht noch Franco oder Pinochet. Der Argentinier bleibt tabu. Die Macht der Bilder – Ché als Christus-Ersatz tot auf dem Tisch in Bolivien, um nur eine Ikone zu nehmen – ist stärker als jede Vernunft.
Und doch gibt es auch für einen wie ihn mitunter eine gerechte Strafe. Beim Rückflug mit der Fluggesellschaft Condor, die auch Kuba anfliegt, fand ich im Bordmagazin eine Anzeige, ganz in rot gefasst. Auf der ein verschlagen grinsender Comic-Ché im Hawaii-Hemd das Telefonzeichen macht, Daumen und kleiner Finger gespreizt. Text: „Handy-Abzocke im Urlaub: Bis zu 5,49 € pro Minute! Schluss damit! Mit Ché mobil schon ab 0,39 € nach Deutschland telefonieren! SIM-Karte an Bord kaufen! Preis Revolucion!“
Da könnte man glatt gläubig werden. Wenn er das von oben – äh, von unten – sehen könnte! Beim nächsten Condor-Flug kaufe ich mir die Ché mobil-Karte. Und lade mir dazu einen coolen Klingelton runter. „Spiel mir das Lied vom Tod“, oder so was.