Thilo Schneider / 26.04.2020 / 10:00 / Foto: Timo Raab / 35 / Seite ausdrucken

„Hast Du ein Paket bestellt?“

Wir sind gerade gemütlich am Frühstücken, als es an der Türe klingelt. Einer der beinharten Jungs von der DHL begehrt Einlass, alldieweil er gerne ein Paket zustellen möchte. Ich öffne mit dem Drücker die Haustüre und habe jetzt drei Stockwerke Zeit, festzustellen, warum mich die DHL beim Frühstück stört. „Hast Du ein Paket bestellt?“, will ich vom Schatz wissen. Der strahlt mich an wie ein Kernkraftwerk: „Japp! Da war so eine Sonder…“, und weiter kommt er nicht, da ich aufspringe und mir die Einweg-Gummihandschuhe aus der Box auf dem Schuhschrank im Flur anziehe. „Oh, Dein Ernst?“, höre ich den Schatz aus dem Wohnzimmer leicht verärgert rufen. „Ja! Ich weiß ja nicht, wo der Mann vorher war“, rufe ich zurück und öffne die Wohnungstüre. 

Etwa auf der Hälfte der Treppe zu unserem Stockwerk steht der DHL-Mann und fragt mich, ob ich meine Frau sei. Ich versichere, der Mann meiner Frau zu sein, während der Kopf vom Schatz hinter mir auftaucht. Der DHL-Bote lächelt erleichtert und will die paar Stufen noch bis zur Wohnungstüre laufen. „Stop!“, rufe ich ihm zu, „aber Sie legen jetzt das Paket vorsichtig auf die letzte Stufe und Ihr Quittiergerät legen Sie drauf. Dann gehen Sie zwei Meter zurück!“, weise ich ihn an. „Sind Sie krank?“, will der Paketauslieferer wissen. „Nein, aber Sie vielleicht. Nun machen Sie schon!“, rufe ich ihm zu und er handelt, wie ihm geheißen. Vorsichtig nähere ich mich dem Paket, nehme das Quittiergerät auf, unterschreibe mit diesem Plastikstiftchen für den Empfang, lege das Gerät neben das Paket, nehme jenes auf und ziehe mich rückwärts zur Wohnungstüre zurück. Immer den Paketboten im Auge behaltend. „Er übertreibt immer so“, erläutert der Schatz aus dem Hintergrund. „Sicher ist sicher“, ergänze ich und muss husten, während der irritierte Mann sein Gerätchen aufnimmt, um dann panisch nach unten zu rennen.   

„Schnell, leg eine Plastikfolie auf den freien Platz am Esstisch“, befehle ich der Jüngsten, die kurz verschwindet, um dann mit Backpapier wieder aufzutauchen. „Geht das auch?“ fragt sie und als ich bejahe, legt sie das freie Tischende aus. Vorsichtig deponiere ich das Paket auf der Unterlage. Der Schatz war währenddessen auch nicht faul und hat eine Schere organisiert, mit der er sich der kleinen Pappbox nähert. „Was wird das?“, will ich wissen. „Wonach sieht es aus?“, stellt der Schatz die Gegenfrage. „Du wirst das Paket jedenfalls jetzt noch nicht öffnen!“, stelle ich fest, „wir haben keine Ahnung, wer das Paket schon alles in den Fingern gehabt hat, angefangen bei dem DHL-Fahrer und endend bei dem, der die Ware überhaupt erst hergestellt und verpackt hat. Wir können nicht mit letzter Sicherheit davon ausgehen, dass dieses Paket nur durch gesunde, virenfreie Hände gegangen ist!“ 

Sozusagen ein virenverseuchtes Danaergeschenk!

„Dafür habe ich ja eine Schere“, sagt der Schatz und wedelt mir mit der Schere überflüssigerweise vor dem Gesicht herum, „damit können wir mit Abstand das Paket öffnen und den Inhalt entnehmen.“ Sie hält sich für sehr schlau. „Wir wissen nicht, ob es sich hier um eine Trojanersendung handelt. Sozusagen ein virenverseuchtes Danaergeschenk!“, erläutere ich, „ich möchte hier kein Risiko eingehen!“ „Trojaner? Ich dachte, die gibt’s nur im Computer“, bemerkt die Jüngste, aber ich habe im Moment andere Probleme, als ihr Geschichtsunterricht und humanistische Aufklärung zukommen zu lassen. Für den Moment muss ihr ein „Lernt Ihr heute in der Schule überhaupt noch etwas“ genügen, was sie mit einem grinsenden „Nein, die sind ja alle geschlossen“ kontert. Wie die Mutter, so die Tochter. Ich habe gleich wenigstens zwei große Klappen zu füttern. 

Unschlüssig stehe ich vor der Sendung und kann mich gerade selbst noch daran hindern, mir mit den gummibehandschuhten Fingern nachdenklich übers Kinn zu fahren. „Haben wir Desinfektionsspray?“, frage ich in den Raum. „Ja!“, erwidert der Schatz. „Da in dem Paket, das habe ich nämlich bestellt!“, gibt er mir zusätzlich eine präzise Ortsangabe. „Warum hast Du das Desinfektionsspray nicht einfach in der Drogerie gekauft?“, will ich wissen. „Weil Du Angst hattest, dass ich dann infiziert zurück komme“, erinnert mich der Schatz spöttisch lächelnd.

Okay. Wir haben nun folgendes Problem: In dem Karton befindet sich das Desinfektionsspray, mit dem ich den Karton desinfizieren müsste, bevor ich ihn öffne.  Wenn ich aber nun den Karton öffne, ohne ihn desinfiziert zu haben, könnte es sein, dass wir alle erkranken. Dann wäre der Kauf des Desinfektionssprays sinnlos gewesen. Alternativ könnte ich natürlich entweder selbst zur zweihundert Meter entfernten Drogerie gehen (oder jemanden schicken, dessen Leben mir nicht so wichtig wie meines ist), dort Desinfektionsspray kaufen, den Karton desinfizieren, das darin befindliche Desinfektionsspray entnehmen und die Reste dann auf dem Balkon verbrennen. Allerdings hätte ich dann zwei Desinfektionssprays und dann hätten wir das Desinfektionsspray ja gar nicht bestellen müssen, weil wir es dann ja schon in der Drogerie gekauft hätten, und das wäre dann ja auch sinnlos… Es ist ein echtes Dilemma. Etwas ratlos stehe ich vor dem Paket. 

Um mich nicht zu blamieren und die Zeit zu überbrücken, bis ich eine Lösung habe, weise ich meine Mitbewohner an, den Raum zu verlassen und mir einen Mundschutz sowie aus dem „Werkzeugschrank“ einen der Plastikmalerkittel zu bringen. Und außerdem ein scharfes Messer. Am besten eines von den Steakme… „Gute Güte, das ist keine Bombe! Du bist doch bescheuert!“, bemerkt der Schatz trocken, schiebt mich zur Seite und haut eine Schneide der Schere in den Karton. Bevor ich reagieren kann, hat der Schatz die Kiste zur Gänze aufgeschnitten, greift beherzt hinein und holt mit der rechten Hand erst ein-, dann noch zwei weitere Flaschen Desinfektionsspray heraus und stellt sie triumphierend auf den Esstisch.  „Gesehen? So einfach und schnell geht das“, jubiliert er. 

„So einfach und schnell infizieren wir uns und werden sterben“, stelle ich nüchtern fest. Und das ist dann der Moment, in dem der Schatz die Verschlusskappe von einem der Fläschchen reißt und mir wortlos den Inhalt ins Gesicht sprüht. 

Foto: Timo Raab

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Friedel Fierley / 26.04.2020

Hier in der Gegend wird eher Sicherheit für die Zusteller als für die Kunden geübt. Stufe 1: DHL. Pakete werden nurmehr abgegeben - Unterschrift brauchts nicht Stufe 2: Hermes. Sie bekommen ein Paket aus der Tombula. Wer der richtige Empfänger ist spielt keine Rolle. Hauptsache das Paket ist aus dem Fahrzeug raus. Autogramm braucht´s eh nicht. Sie sielen natürlich mit - könnte ja was edles im Packerl sein - dann behalten Sie es halt als Schmerzensgeld und reklamieren die nicht gelieferte Ware zusätzlich :-) Stufe 3: Gls. Sie bekommen ihr Paket erst einmal garnicht - dafür Online den Hinweis, dass Ihre Adresse abgeglichen werden muß ... weil nicht auffindbar. Nach 1-2 telefonaten wird dann zugesichert das der Fahrer kommt. Sicherheitshalber stehen Sie dann ab etwa 9 bis zur Ankunft Ihres Paketes an der Strasse und warten auf den Boten, damit er Sie auch findet. Der Fahrer braucht somit das Paket garnicht anzulangen, Unterschrift will er auch nicht ... hauptsache wech vom Kunden. Sie könnten ja ansteckend sein. Unabhängig jetzt aber mal von Zustellern: Die Leut drehen durch. Geschätzte gut 50% aller Menschen die Ihnen draussen begegnen sehen in Ihnen nur noch eine potentielle Gefährdung. Uns so begegnen die Ihnen auch. Misstrauen im Blick und weit ausweichen ist das mindeste. Das man noch nicht gefragt wird was man denn überhaupt in der gegend macht überrascht mich ja schon fast positiv. So weit weg vom Mittelalter mit den Hexenverbrennungen scheinen wir also tatsächlich nicht zu sein. Gerade dass uns noch vielleicht ein paar Blatt 2-4-lagiges Papier davon trennt :-)

Alexander Schilling / 26.04.2020

@Hjalmar Kreutzer—Mit Ihrem Beitrag lösen Sie so nebenbei, dafür aber absolut, das Geheimnis um den “Ausreißer” Schweden: Respekt!

Ralf Pöhling / 26.04.2020

Solche Probleme kann man auch ohne Paranoia, aber dafür mit etwas Geduld regeln: Paket mindestens 48 Stunden im Schrank deponieren, bevor man es wieder anfasst und dann öffnet, und nach dem Deponieren kräftig die Hände waschen. Viren sind üblicherweise nach 48 Stunden außerhalb eines tauglichen Wirts, oder einer vergleichbar feuchten Umgebung, vertrocknet. Auf und in einem trockenen Pappkarton wohl mit ziemlicher Sicherheit. Nebenbei: Sie haben das Quittiergerät nebst Plastikstift berührt, Herr Schneider. Da wäre das Händewaschen so oder so Pflicht. Am besten davor und danach.

Helmut Topolski / 26.04.2020

M.gotaut@ na ja dann ist Don ja gar nicht so dumm wie manche behaupten wenn seine Ansprachen an sein Volk nur teilweise falsch oder missverständlich sind

giesemann gerhard / 26.04.2020

Hjalmar Kreutzer: Früher, als ich noch ein Lehrling war, da hatten wir bei Schnupfen mal kurz am Ammoniak geschnüffelt - war wech, sofort. Zum Systemabsturz konnte es nicht kommen, weil du schon vorher im Viereck gesprungen bist ... .

S. Ahlburg / 26.04.2020

Herrlich. Bei uns muß Sohnemann ab morgen wieder in die Schule. Das veranlasste meinen Gatten darüber zu sinnieren, den gut 1.20m langen Teil des Korridors zwischen Wohungstür und Küchentür mit Hilfe restlicher Abdeckfolie von Malerarbeiten als eine Art Schleuse um zubauen. Ein Wandregal diene dabei zum einen um Desinfektionsspray bereit zu stellen. Darunter wollte er Müllsäcke anbringen, in die man dann nach Betreten der Wohnung die gesamte Kleidung reinstopfen konnte, bevor man sich vollständig mit Desinfektionsspray eingesprüht in die eigentliche Wohnung begeben durfte.  Der Blick meines Sohnes zeigte, dass er sich mit seiner Vermutung das wäre nur Spaß, nicht wirklich sicher war (warum das beim bisherigen Einkaufen nicht nötig war, fiel ihm selbst nicht ein). Meinem Gatten wuchs darum das Grinsen bis hinter die Ohren. Beider Mimikspiel änderte sich, als ich meinen Mann daran erinnerte, dass auch er morgen seine bequeme 24h-Rufbereitschaft von zuhaus gegen einen wieder normalen Arbeitstag eintauschen muss, ich hingegen mind. den gesamten halben Tag in Ruhe Zeit hätte, diese Schleuse Wirklichkeit werden zu lassen, ohne dass einer der beiden mich daran hindern könnte.

giesemann gerhard / 26.04.2020

Erinnert mich an den bekannten Willfährigkeitstest beim Militär: Der zu testende Testling erhält ein Schreiben mit der Aufschrift: “Streng geheim. Nur vom Adressaten zu öffnen”. Der Testling prüft noch mal seine Identität, öffnet sodann. Inliegend ein Kuvert mit Rücksendeaufforderung, nach Öffnen schriftlich zu bestätigen, dass er, der Testling das Schreiben NICHT geöffnet hat - wegen der hohen Geheimhaltungsstufe (Irgendeine Sauerei ist da geplant ...). Beschwert sich der bei seinem Vorgesetzten über den Blödsinn, ist er wech vom Fenster. Bestätigt er aber wie geheißen, dann ist er für höhere und höchste Weihen schon mal vorgemerkelt. So schaut’s aus. Wer sich jetzt an diverse Bosse der Automobilindustrie, gar an Joe erinnert fühlt, dem kann ich auch nicht helfen. Denn ohne derartige Tests wären die nie und nimmer in ihren Positionen. Von Politik will ich erst gar nicht reden. Die Schmerzensgelder heilen da so manche Wunde.

Erwin Obermaier / 26.04.2020

Das ist ja fast wie bei uns zu Hause. Lediglich Thilo und Schatz sind vertauscht.

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