Danke für den anschaulichen Bericht. Gerne wäre ich dabei gewesen. Zum Zeitpunkt der Maueröffnung lag ich bereits im Bett, und das steht in der Provinz, ca. 80 km entfernt von Berlin. Jemand weckte mich gegen 22.45 Uhr, und ich blickte mit verschlafener Miene ungläubig auf das Fernsehgerät. “Morgen wird die Grenze bestimmt wieder zu sein”, war mein Gedanke. Doch sie blieb offen, ich im Osten und mein Leben wurde umgekrempelt. In dreissig Jahren “Westen” lernte ich alle Höhen und Tiefen des realen Kapitalismus kennen, Existenzkampf pur, Jobs, die andere nicht wollten, wie Zeitarbeit, Versicherungsgewerbe und Callcenterjobs, die im Osten wie Pilze aus dem Boden wuchsen. Es hat mir nicht geschadet, sondern mich stärker gemacht. Ich bin heute dankbar, dass alles friedlich gelaufen ist. Dass die DDR von Helmut Kohl freigekauft wurde mit viel Geld und Hilfsgütern an die Sowjetunion. Sonst wäre es genauso gelaufen wie 1957.
Fast genau Ihren Weg habe ich auch genommen, in jener Nacht. Um ca 1:30 war der Übergang Chausseestr. offen. Meine Einreise vollzog sich, ungemäß den geltenden Bestimmungen der Arbeiter- und Bäuerchenmacht, formlos mit dem Fahrrad. Die Organe der TäTärätätä waren nicht ganz auf dem Posten. Der Alex war menschenleer. Heimkehrende Militärs, in vollem Wichs mit ihren schwarzen Köfferchen, zogen es vor, den herumkurvenden Pedé lieber nicht zu bemerken. Also zum Brandenburger Tor. Waren Sie es, der es als erster Westberliner durchschritt? Oder ich, auf meinem Fahrrädchen? Ich durchfuhr es. Auf dem Pariser Platz standen wir dann so rum und hörten die Durchsagen der Krenztruppen: “Bürger der Deutschen Demokratischen ... etc.” Wir haben uns umarmt, wir Bürger einer malträtierten Stadt, DDR-Bürger und gefühlt einziger Westberliner, aber Feierlaune wollte nicht richtig aufkommen, schließlich fuhrwerkten die braven Soldaten mit Wasserwerfern und Lautsprecherwagen störend dazwischen. Freundliche Grenzbewohner hievten mich dann mitsamt Letzen auf die berühmte Mauer. Die NZZ machte sogar ein Foto und mich etwas unsterblicher (wenn das geht). Dann wurde es langweilig. Auf der Mauer stehen und warten erinnert zu sehr an den Job der Krenztruppen. Doch die Nacht der Nächte war noch nicht zu Ende. Grenzüberschreiten macht tierisch Lenz, wenn man die sorgfältig ausgefüllten Reisedokumente mit Reiseziel “Berlin - Hauptstadt der Tätärätätä”, nebst 20 Emmchen zum umgeschwindelten Kurs von 1:1 in Alu-Chips, nicht dabeihat. Die Warteschlange an der Invalidenstr. zur erneuten “Einreise” - man kriegt den Hals nicht voll - würde bald der sozialistischen Vergangenheit angehören. Diese Ahnung hob entschieden die Laune. Und dann der britische Soldat, hoch auf einem Betonsockel, zur Überwachung des Geschehens: Sein Blick, als sich unsere trafen: Freundlich lächelnd, wissend und beglückwünschend… Was für eine Nacht.
@Rogge Sie haben eines vergessen, auf das auch ich nur zufällig stieß: Die Mission evangelikaler Kreise nicht nur im weißen Haus, sondern auch im Kremel…......... Das “Wir sind das Volk” glaube ich Ihnen erst wenn “Wir sind das Volk” die ÖR Gebührenmauer niedergerissen hat oder zu allermindest diese Einnahme in das verwandelt hat was es tatsächlich zu sein hat, nämlich eine Steuer, um so wenigstens jene demokratische Kontrolle zu gewährleisten, die der Gage des Konfetti Moderators den letzten Platz in der Schlange der Bittsteller, hinter Ambulanzen, Schulen Feuerwehr etc etc einräumen würde. Das Einreißen der ÖR Gebührenmauer ist ein Klacks im Vergleich zum Einreisen der DDR Mauer und dennoch klappt es nicht. Könnte das vielleicht an der Einschaltquote der ersten und der zweiten deutschen “Aktuellen Kamera” durch “Wir sind das Volk” liegen? Bitte verstehen Sie mich jetzt nicht falsch, es gab einige tatsächliche Widerstandskämpfer in der DDR denen mein ganzer Respekt gilt. Sie saßen ein, oder starben, ganz genau deshalb weil sie nicht teil des kommunistischen “Wir” waren das dann, als sich der Wind drehte sicherheitshalber zum kapitalistischen “Wir” wurde….. (Man konnte ja da noch nicht wissen, wie es um die Überlebenschancen der SED stehen würde…...)
Als Wessi, der sich Mitte der 70er das Arbeiter- und Bauernparadies mal zwei Wochen von innen anschauen durfte, war damals schon klar, der Laden überlebt keine 20 Jahre mehr. Für meine dahin gehenden Äußerungen wurde ich noch bis 88 öfter verlacht.
“Keine Wende, eine Revolution, die eine der reformfeindlichsten poststalinistischen Diktaturen zum Einsturz brachte, ist durchaus Grund, stolz zu sein. ” Sorry, der Fall der Mauer war nicht das Werk einer Revolution. Es war ein “Geschenk” so wie der Marshall Plan auch. Weiterhin, eine Revolution setzt die alten Unterdrücker ab und das war nicht der Fall (Lesen Sie hierzu das Werk von Herrn Knabe, Honeckers Erben). Auch die Entwicklung im geeinten Deutschland hernach deutet eher auf Eroberung eines trägen, denkfaulen Westens durch die DDR, denn auf eine Revolution. Weder der Westen noch der Osten konnten mit dem Geschenk der Freiheit durch die Amerikaner was anfangen. Nicht Stolz sondern grenzenlose Scham erfüllt mich im Hinblick auf die grenzenlose Arroganz und Selbstherrlichkeit jener die sich nach grenzenlosem Versagen das Werk anderer ans Revers heften. Danke Herr Grenell für die tolle Idee einer “Freiheitsstatue” auf dem Gelände der Amerikanischen Botschaft um auf gewisse Erinnerungslücken hinzuweisen…... Aber nicht dass die “Liebeserklärung an Ronald Reagan” der ich mich anschließe, am Ende gar unter “Hate-Speech” fällt, denn in Deutschland, dem AGITPROP Nabel stehen die Begriffe Kopf, auch das ein Ergebnis der “Revolution” auf das es schwer fällt stolz zu sein….....
Es ist schon 30 Jahre her, aber ich renne noch immer freudetrunken durch die Straßen und rufe: Wir sind das Volk! Es wird Zeit für mich zu geh’n. Sicher ist das Demenz.
Die wesentlichste Ursache für den Untergang der DDR war die Aufrechterhaltung und Anwendung von Glaubenssätzen entgegen der offensichtlichen Realität mit allen Mitteln. Die ökonomische Unfähigkeit war auch nur eine Folge davon. Entstandene Ähnlichkeiten zur aktuellen gesamtdeutschen Situation sind nicht zufällig.
Anmerkung für die geschätzte Leserschaft: Natürlich war der Zerfall des Sowjetkommunismus mit dem spektakulären Fall der Mauer ein höchst komplexer Prozess. Nur kurz und sehr unvollständig angerissen: 1.) Globale Triebkräfte – Überspannung der sow. Kräfte in Afghanistan, Hochrüstung des Westens in Kombination mit Entspannungsangeboten. 2.) Antagonistische Widersprüche im sozial. Lager – der dritten industriellen Revolution (nur mit dezentraler Systemsteuerung umsetzbar) steht das staatliche Steuerungsmonopol als hemmendes Relikt stalinistischer Kommandowirtschaft gegenüber. Ergebnis: Versagen des Sozialismus in der Systemkonkurrenz → Perestroika/Glasnost → Abkehr von der Breschnev-Doktrien → Partikularismus → Separatismus → Nationalismus → Zerfall der UdSSR u. des Warschauer Paktes. 3.) Zur DDR: besonders reformfeindliche poststalinistische Diktatur mit schwacher Opposition (bedingt durch hohe Absorptionskraft der SED sowie relativ hohe Leistungsfähigkeit der DDR-Wirtschaft). Massenexodos seit 9/89 delegitimiert DDR-Regime nachhaltig und kompensiert Schwäche der Opposition. Nur möglich, weil Bundesrepublik allen DDR-Abwanderern aufnahmefähig und -willig gegenüber steht (nationaler Zusammenhang). Wirtschaftskraft der Bundesrepublik u. parlamentarische Demokratie wirken auf DDR-Staatsmacht zersetzend. → Aber erst die Transformation von „Wir sind das Volk“ in „Wir sind ein Volk“ verdeutlicht den DDR-Eliten die endgültig Aussichtslosigkeit ihres Widerstandes. Der Mut der DDR-Bürger, ihre Ausreise am Abend des 9. Nov. „unverzüglich“ einzufordern kam daher nicht aus dem Nichts. Gleichwohl bleibt das Grenzüberschreiten in jener Nacht ein essentieller, radikaler und damit revolutionärer Akt auf dem Weg in den Untergang der DDR, denn diese konnte seit 1961 nur noch sein, durch das Einmauern ihrer Bevölkerung. Die Grenzbefestigung als Conditio sine qua non der DDR-Staatlichkeit.
Mit ein Grund für die Erosion der DDR war wohl, dass keiner mehr wirklich, also wirksam etwas getan hat. Man/frau ging gerne mit einer Einkaufstasche spazieren, während der Arbeitszeit, immer in der Hoffnung, dass vielleicht doch irgend jemand was “her"gestellt hat - und flugs rein in die Tasche, kann man immer noch tauschen später, falls selbst nicht benötigt. Solange im Euro-Raum noch genügend Leute gezwungen werden können, etwas zu tun für ihr Geld, so lange kann man auch etwas kaufen dafür. Solange die Invasoren noch was kriegen für das Geld, das man ihnen gibt, einfach so, so lange geht es noch. Erst wenn die AN hier merken, es geht auch ohne was zu tun, dann: DDR. Bedingungslose Einkommen, Mindestrente - super für die, die nix machen wollen. Bis: DDR. Honecker kommt zurück von einer Reise ins klassenfeindliche Ausland, also BRD, die fragen ihn: Nu, Genosse Honecker, wie wor’s denn beim Glassenfeind? Und der: “Eigentlich wie bei uns, für West-Mork gennse alles gaufen”. Also Importware, nur gegen Devisen. Man arbeitet nicht, man lässt. Schelsky: “Die Arbeit tun die Anderen”. Für mich gilt: Ich nicht, solange ich mit den Euros, die ich habe, die Anderen auf Trab bringen kann. Ein echtes Zaubermittel. Mal sehen, wie lange noch, mir jedenfalls reicht es vollends bis in den Friedwald, Alhamdulliläh.
Am 9 November 1989 durchbrach der Sozialismus den Anti-Sozialistischen Schutzwall und eroberte Westdeutschland.
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