Der lauteste Seufzer der Erleichterung über Harris VP-Auswahl kam im Trump-Lager von Kellyanne Conway, der Chefin seiner Wahlkampagne: „Tim Walz? Was für eine Erleichterung.“
Gerechnet hatte man mit Josh Shapiro, dem Gouverneur von Pennsylvania. Doch die Überraschung hängt mit der Art zusammen, wie Republikaner in solchen Dingen denken. Da spielen Dinge wie Beliebtheit (Shapiro hat eine sehr gute Zustimmungsrate von 61 Prozent in seinem Staat) oder politische Erfolge eine Rolle. Oder die Frage, ob ein Kandidat den eigenen Staat ins eigene politische Lager zieht. So ziemlich jeder Beobachter ist sich sicher, dass Pennsylvania auch 2024 der Staat sein wird, in dem sich Sieg oder Niederlage entscheiden wird. Warum also einen Kandidaten aus dem ohnehin sicher „blauen“ Minnesota nehmen, wenn man mit Pennsylvania dank Shapiro einen Swing State haben kann?
Doch bei dem Demokraten gibt das Lager der sogenannten „Progessiven“, die besser als „Hamas-Caucus“ bezeichnet sind, mittlerweile den Ton an, und diese Kreise hatten schon deutlich gemacht, dass sie bei der Wahl zuhause bleiben werden, sollte Harris Shapiro zu ihrem Vize machen. Mit einer Schmierenkampagne unter der Injurie „Genocide Josh“ hatte man Stimmung gegen ihn gemacht, denn er unterstützt Israel und war nach dem College als Freiwilliger bei der IDF. Kurz: Die Republikaner fürchteten Shapiro, weil er ein fähiger Politiker und talentierter Redner ist (der noch dazu einen Redestil pflegt, der in Ton und Stil sehr an Obama erinnert). Für die Demokraten war er einfach zu jüdisch.
Doch wer ist nun dieser Tim Walz, von dem die meisten Deutschen – und 75 Prozent der Amerikaner auch – bis gestern noch nie etwas gehört haben? Seine politische Karriere klingt wie aus dem Bilderbuch, und man fragt sich beim ersten Hinsehen, woraus sich die Erleichterung im Lager der Republikaner eigentlich speist. Walz ist verheiratet, hat zwei Kinder, ist Lehrer für Geografie und Sozialkunde und Football-Trainer. Er hat 20 Jahre in der Nationalgarde gedient und seinen Dienst dann sogar noch verlängert, war Kongressabgeordneter und schließlich Gouverneur des Bundesstaates Minnesota, wo er in Sachen Beliebtheit mit 51 Prozent nur knapp den Kopf über Wasser hat.
Er redet gut, gibt sich volksnah und vermeidet die heute üblichen Floskeln und Nullaussagen zum Thema „Wir müssen die Demokratie retten“. Der letzte Anstoß für Harris’ Entscheidung, Walz aufs Ticket zu nehmen, war seine Wortprägung „weird people“ als Gruppeninjurie für alle Republikaner und die beiden an der Spitze im Besonderen. Die Reflexe vieler Reps, die immer großen Wert darauf legen, als „normal“ zu gelten, gaben dem rhetorischen Spin einigen Erfolg, denn die Medien nutzen diese Adjektivierung heute ohne Unterlass.
Er ließ Städte wie Polizeistationen einfach brennen
Und hier kommen wir zu den inhaltlichen Tretminen, die sich hinter Walz’ sympathischer „Coach Tim“-Fassade verbergen. Mit „weird“, also seltsam, bezeichnen die Reps nicht nur Kamala Harris’ unpassendes Giggeln und Glucksen, sondern finden in der politischen Praxis von Gouverneur Walz reichlich Gruseliges. In Minneapolis, Minnesota, nahmen die BLM-Aufstände nach dem Tod von George Floyd ihren Anfang, und es war Gouverneur Walz, der die Nationalgarde zurückhielt und Städte wie Polizeistationen einfach brennen ließ.
Es war Minnesota, wo mit über 100 Executive Orders des Gouverneurs zusammen mit Kalifornien und New York das strengste Corona-Regime mit langen Schul- und Geschäftsschließungen herrschte. Walz ließ sogar eine Hotline einrichten, über die man seine Nachbarn und Mitbürger anonym melden konnte, wenn diese gegen Covid-Auflagen verstießen.
Minnesota ging bei der Umsetzung der LGBTQ-Agenda besonders weit und droht Eltern mit dem Entzug der Kinder, sollten sich Eltern der hormonellen Behandlung, Pubertätsblockern oder Operationen zur „Geschlechtsangleichung“ widersetzen.
Außerdem ist Minnesota ein Leistungsparadies für illegale Migranten, die mit kostenloser Gesundheitsversorgung und Führerscheinen versorgt werden. Durch Letzteres erhalten sie praktisch offizielle Dokumente, mit denen man zum Beispiel in die Wählerregister gelangen kann.
Die Administration Walz entspricht in ihrer politischen Radikalität am ehesten der von Kaliforniens Gouverneur Gavin Newsom, nur ohne Haargel und das diabolische Grinsen, dafür mit schlechterem Wetter und viel Schnee im Winter.
„White Dudes for Harris“
Diese politische Agenda nehmen Trumps Republikaner natürlich als Schwäche wahr, schließlich sind die Top-Themen in diesem Wahlkampf Inflation und illegale Einwanderung. Zur Absicherung dieser Erkenntnis muss man nur sehen, wer auf der Seite der Demokraten gerade überschwänglich feiert. Ganz vorn dabei der Sozialist Bernie Sanders und „The Squad“ mit Ilhan Omar, die schon ganz aus dem Häuschen war, als Walz die offizielle Flagge des Staates so änderte, dass sie nun fast wie die von Somalia aussieht. Auch Jamaal Bowman und Cori Bush freuten sich über Walz’ Ernennung und zeigen doch gleichzeitig, dass Wirkmacht und Einfluss der Linksextremisten ihren Zenit in der Biden-Ära wohl schon überschritten haben. Sowohl Bowman als auch Bush haben gerade ihre Vorwahlen verloren und werden nicht im nächsten Kongress vertreten sein.
Apropos „weird people“: Stellen Sie sich vor, es gäbe einen Trump-Unterstützerkreis des Namens „Weiße Männer für Trump“. Stellen Sie sich nun das Hackfleisch vor, was die Medien aus solch einer Truppe machen würden. „Weiße frauenfeindliche Rassisten“ wäre wohl noch das Harmloseste! Und irgendwie „seltsam“ wäre ja wirklich beides, die Beschränkung auf ein Geschlecht wie die auf einen Hauttyp. Doch solch eine Truppe gibt es wirklich, und sie nennt sich „White Dudes for Harris“, und die sind natürlich ganz toll, wenn sie sich bei Zoom treffen, ihre Privilegien checken, Spenden für Kamala sammeln. Und natürlich klopfen sie auch Sprüche. So auch Tim Walz, der seinen Mit-Kumpels und dem Elektorat zeigt, was ihnen winkt und was ihnen blüht, wenn sie das linksextremste Präsidentschafts-Duo aller Zeiten ins Amt bringen:
„Scheut euch niemals vor unseren fortschrittlichen Werten. Was für den einen Sozialismus ist, ist für den anderen Nächstenliebe.“
Nächstenliebe. Also ich für meinen Teil habe bei Sozialismus andere Assoziationen, aber ich führe ja auch kein privilegiertes Leben mit Zugang zu höchsten Staatsämtern in Minnesota. Für den Satz wird Walz in den nächsten Wochen des Wahlkampfes noch jede Menge Prügel bekommen. Man wird seine kleine Jugendsünde (mit Mugshot) ausbuddeln, als er 1995 in Nebraska betrunken statt der erlaubten 90 km/h mit 155 km/h fuhr. Es kam niemand zu Schaden, also Schwamm drüber. Aber „Verurteilter Verbrecher“ ist jetzt ein Prädikat, das die Trump-Kampagne auch nutzen kann. Schwerer wiegen da schon Vorwürfe von Veteranen seiner Einheit, die Walz Feigheit vorwerfen. Der hatte sich nach seinen 20 Jahren bei der Nationalgarde nämlich nicht zu vier, sondern eigentlich zu weiteren sechs Jahren verpflichtet, schied aber vorzeitig aus, kurz bevor seine Einheit 2005 tatsächlich mal ins Feuer und in den Irak geschickt werden sollte.
Kein Programm, keine Idee, nicht mal eine amerikanische Flagge, nur Schweigen
Trumps Fehler sind auserzählt. Nach acht Jahren im medialen Goldfischglas gibt es nichts mehr, was seine Anhänger schocken könnte. Vance ist noch nicht lange genug in der Politik, als dass man mehr finden könnte als „Catlady-Ironie“ bzw. erfinden, wie eine in seinem Roman eben nicht vorkommende erotische Neigung zu Polstermöbeln. Walz ist anders und Harris erst recht. Zur gründlichen Durchleuchtung der persönlichen Keller nach Leichen und verbotenen Substanzen ist eigentlich eine Vorwahl da. Doch die haben Harris und Walz nie durchlaufen. Sicher wird noch einiges gefunden und medial ausgeschlachtet werden bis zum Wahltag.
Der schnelle, inhaltslose Zuckerschub, den die Kampagne Harris erlebte, nachdem man Opa Biden ins Pflegeheim geschoben hat, reichte gerade mal, um mit Trump in den Umfragen gleichzuziehen. Was beide inhaltlich zu bieten haben, ist für den Durchschnittsamerikaner jedoch nur schwer verdaulich, weshalb man es ihnen einfach vorenthält. Die Kampagnenseite ist und bleibt bis heute, drei Wochen nach dem Start, bis auf Tassen und T-Shirts eine inhaltliche Leerstelle. Kein Programm, keine Idee, nicht mal eine amerikanische Flagge, nur Schweigen.
Allerdings ein sehr beredtes Schweigen. Erinnern Sie sich noch an die letzten Wahlkämpfe von Angela Merkel? Natürlich tun Sie das! Sicher auch an ihren Spruch „Sie kennen mich“. Merkel versuchte sich darzustellen, als haben sie mit ihrer eigenen irrlichternden Regierung im Grunde nichts zu tun. Die Strategie von Kamala Harris ist vergleichbar. Doch weil man sie nicht kennt, versucht sie es mit „Sie erkennen mich“. Ihr affektiertes Auftreten, das verstörende Lachen, die Betonung der guten Laune unter dem Motto „Joy“. Sie verkauft ein Gefühl der Vertrautheit. Wie Merkel ist sie bemüht, mit dem Chaos der aktuellen Regierung, der sie als „Bidens rechte Hand“, die stets „als letzte den Raum verlässt“ ja immerhin angehört, möglichst wenig in Verbindung gebracht zu werden. Jede schriftlich formulierte Reform oder politische Idee, jedes Unrecht, das sie bekämpfen will, existiert ja im Jetzt, unter ihrer und Bidens Ägide und stellt, wenn man sie mit der Realität vergleicht, eine Bedrohung für sie dar. Achten Sie bei Harris Auftritten mal darauf: Sie versucht, den Eindruck zu vermitteln, Trump säße immer noch im Weißen Haus und ziehe an sinistren Hebeln. Dabei ist es die eigene erfolglose Politik, gegen die sie gerade Wahlkampf machen muss.
Bleibt nur noch eine Frage zu klären: Warum gerade Walz? Abgesehen natürlich davon, dass Harris und Walz ideologisch zusammenpassen wie Hand und Handschuh. Die Antwort: Mittelmaß umgibt sich eben mit Mittelmaß. Walz überstrahlt Harris nicht, er ist keine Bedrohung für sie, wirkt nicht klüger, schlagfertiger oder gerissener. Trump hat nach dem überstandenen Attentat in erster Linie nach einem glaubwürdigen Nachfolger seiner politischen Bewegung gesucht. Vance, der politisch noch rechts von ihm steht, ist da die passende Wahl. Harris suchte jemanden, der noch unbekannter ist als sie selbst. Und jemanden, dem sie die Schuld geben kann, falls sie scheitert.
Roger Letsch, Jahrgang 1967, aufgewachsen in Sachsen-Anhalt, als dieses noch in der DDR lag und nicht so hieß. Lebt in der Nähe von und arbeitet in Hannover als Webdesigner, Fotograf und Texter. Sortiert seine Gedanken in der Öffentlichkeit auf seinem Blog unbesorgt.de.