Kolumne von Maxeiner & Miersch, erschienen in DIE WELT am 04.07.2008
Utopie kommt aus dem Griechischen und heißt “Nirgendort”. Utopien beschreiben einen Zustand des Friedens, Wohlstands und Glücks (Meyers Lexikon). Utopisten vertreten eine Weltanschauung, die sich von Idealvorstellungen leiten lässt (Wikipedia). Auf dem Internetportal Utopia.de wird Utopist jedoch ganz anders definiert, als einer, der “Produkte, Marken und Unternehmen bewertet”. Dahinter steckt die populäre Vorstellung, dass man durch ausgetüfteltes Konsumverhalten einer Klimakatastrophe entkomme. Und so findet man dort hauptsächlich Tipps, welche Handtasche oder welcher Kaffee das Weltklima stabilisieren. Prominente Unterstützer wie Sandra Maischberger und potente Geldgeber wie die Versandfirma Otto sind mit dabei.
Utopia.de macht “korrekte Ansagen”, wie der Mensch möglichst klimaschonend konsumiert. Das ist meistens etwas teurer, aber verschafft ein gutes Gefühl. Man kann sich mit anderen Utopisten auf den Leserseiten gegenseitig zum Bessersein beglückwünschen - und von Außenstehenden abheben, die als schwer erziehbare Fälle betrachtet werden.
Ihr Vater habe sich zum Sechzigsten einen Porsche gegönnt, berichtet eine Utopistin dem Experten für Fragen der Öko-Etikette. “Ich verachte ihn dafür. Soll ich es ihm sagen, oder ist es in seinem Alter eh zu spät?” Andere quälen sich mit der Frage, welches Haustier am klimafreundlichsten sei. Der Kanarienvogel ist es, erfährt man. Aber nur, wenn man den Käfig mit dem Lappen auswischt, statt ihn in der Dusche zu reinigen. Warum man im regenreichen Deutschland Wasser sparen soll, wird nicht erklärt. Auch nicht die Frage, wie sich die Klimabilanz des Hamsters verbessert, wenn er mit dem Laufrad Ökostrom erzeugt.
Nehmen wir mal an, dass die beiden Prämissen stimmen. Erstens, die Computerprognosen treffen so ein, wie es die Klima-Modellierer voraussagen. Und zweitens, unser heutiges Klima sei das Beste aller Zeiten und sollte unbedingt konserviert werden. Die Ratschläge von Utopia.de hätten keinen messbaren Einfluss auf den Planeten. Sie verstärken lediglich das ängstliche Lebensgefühl einer Generation, die den Zukunftspessimismus schon im Kindergarten verabreicht bekam. Ähnlich manchen religiösen Jugendlichen, die Keuschheit vor der Ehe schwören, schöpft der Utopist sein Selbstbewusstsein aus dem Streben, jede Befleckung des Planeten zu vermeiden: Eine Verzichtsutopie, die allerdings durch ein hohes Wohlstandniveau abgepolstert wird. Der Forschrittsglaube der 60er-Jahre zielte darauf, den Fuß auf den Mond zu setzen. Der heutige Glaube will nicht mal auf der Erde einen Fußabdruck hinterlassen.
Zu Ende gedacht, ist jedes Baby eine kleine Klimakatastrophe, es verbraucht nicht nur 5000 Windeln, sondern wird obendrein lebenslang CO2 ausatmen. Am klimafreundlichsten verhalten sich eigentlich die Toten. Vielleicht wird Herr Kusch demnächst Utopist.