Georg Etscheit / 23.03.2025 / 16:00 / Foto: Montage achgut.com / 7 / Seite ausdrucken

Hamburger Staatsoper als House of Wokeness

Der Intendant Tobias Kratzer steht für ein sinnlich-opulentes Musiktheater – allerdings eher irgendwo zwischen Wagner und Rapper, der kein diesbezügliches Klischee auslassen kann. 

Der aus Hamburg stammende Multimilliardär Klaus-Michael Kühne hatte vor einiger Zeit angekündigt, seiner Heimatstadt ein neues Opernhaus spendieren zu wollen. 330 Millionen Euro wollte der Inhaber des weltweit tätigen Logistikkonzerns Kühne & Nagel für den spektakulären Neubau in der Hafencity lockermachen, zuzüglich möglicher Kostensteigerungen. In den Feuilletons war die Freude über den Blankoscheck für Hamburgs Kultur nur verhalten. Geld von einem Milliardär, dem zudem vorgeworfen wird, er habe nicht genug getan, um die Rolle seines Unternehmens in der Nazizeit aufzuarbeiten? Das kommt in der staatsfixierten deutschen Kultur- und Medienszene nicht gut an.

Bis 2032 könnte die Hafenoper stehen. Solange wird im bisherigen Haus an der Dammtorstraße, einem denkmalgeschützten Bau der Nachkriegszeit, weitergespielt, schon bald unter der Intendanz des 45-jährigen Tobias Kratzer, der mit Basecap, Schlabberpulli und Dreitagebart auf Fotos daherkommt wie ein, so „Die Welt“, „Rüpel-Rapper“. Kratzer ist als Opernregisseur ein Darling der Feuilletons, hat aber bislang noch keine Leitungsfunktion innegehabt. Und dann gleich die Renommieradresse in Deutschlands zweitgrößter Stadt? Mit Option auf einen Umzug in das erste neu gebaute Musiktheater dieser Kategorie in einer deutschen Stadt nach Kriegsende.

Als Opernregisseur steht Kratzer für ein sinnlich-opulentes Musiktheater, das auf Effekt, Drive, zuweilen Klamauk setzt – dabei wird dem gebürtigen Landshuter attestiert, dass er ein begabter Theaterhandwerker sei. Kratzer ist kein Agitprop-Regisseur, der das Publikum mit vordergründigen politischen Botschaften vereinnahmen möchte. Eher ein Egoshooter, der keinen hübschen Einfall, keine coole Anspielung, kein wokes Klischee auslässt, um im Gespräch zu bleiben, sich für Auszeichnungen und Preise zu empfehlen und, wie nun geschehen, mit einem Spitzenposten in einem öffentlich finanzierten Theater bedacht zu werden. Dabei gelingt es ihm auch, mit teilweise historisierenden Bühnenbildern die Zuneigung konservativerer Kreise abzuräumen.

Der splitternackte Alberich

Seine als „Kult“ verklärte Inszenierung von Richard Wagners „Tannhäuser“ in Bayreuth von 2019 bereicherte er mit einer schwarzen Drag Queen namens „Le Gateau Chocolat“, eine Provokation, die erwartungsgemäß Journalisten begeisterte, aber dramaturgisch unerheblich war. Und in seiner jüngsten Inszenierung, Wagners „Rheingold“ in München, ließ er den Unterweltfiesling Alberich splitternackt in Wotans Götterburg urinieren, die wie eine gotische Kathedrale aussieht. Ein Quäntchen Exhibitionismus und Blasphemie macht sich immer gut – und wenn es nur darum geht, den eigenen Marktwert zu steigern.

Vor einigen Tagen hat Kratzer das Programm seiner ersten Hamburger Spielzeit 2025/2026 vorgestellt, die er zusammen mit dem israelischen Dirigenten Omer Meir Wellber, Nachfolger von Kent Nagano, bestreitet. Der passt sich Kratzers Habitus insofern an, als er in der Programmdarstellung im Internet mit bloßen Beinen und gut trainierten Oberarmen posiert. Auf einem prangt, deutlich sichtbar, ein Notenlinien-Tattoo. Im Vergleich zum bisherigen Hamburger Leitungsteam um Intendant Georges Delnon und Nagano, beides ältere Herren, wirken Kratzer und der frisch gebackene Generalmusikdirektor wie gradewegs von der Roten Flora in die Dammtorstraße geplumpst.

In seiner ersten Hamburger Spielzeit lässt der Neo-Intendant programmatisch kaum einen Stein auf dem anderen. Mit Michail Glinkas „Ruslan und Ludmilla“ und Gioachino Rossinis „Il Barbiere di Siviglia“ werden nur zwei Opern im herkömmlichen Sinne präsentiert. Ansonsten gibt es ein Oratorium, (Robert Schumanns „Das Paradies und die Peri“), Kinderprojekte („Stockhausen für Kinder“) sowie jeweils aus mehreren Stücken zusammengesetzte „Collagen“, eine Praxis, die an Sprechtheatern mittlerweile gang und gäbe ist und Regisseuren wie Dramaturgen Gelegenheit gibt, sich wichtig zu machen und Klassiker als gestrig zu desavouieren.

Unschuldiger Konsum ist nicht erwünscht

Woker Höhepunkt der Spielzeit wird die Premiere von „Monster‘s Paradise“, komponiert von der österreichischen Tonschöpferin Olga Neuwirth auf einen Text von Elfriede Jelinek, die Donald Trumps Wirken im Weißen Haus auf satirische Weise reflektieren soll. Die bekennende Kommunistin und nimmermüde Anti-Rechts-Aktivistin Jelinek ist immer für einen wohlfeilen Aufreger gut, auch wenn sie der Schriftsteller Martin Mosebach einmal zu den „dümmsten Menschen der westlichen Hemisphäre“ zählte. Das war anlässlich ihrer Ehrung mit dem Literaturnobelpreis im Jahre 2004. Krawall ist programmiert.

Kratzer hat es auch aufs Repertoire seines Hauses abgesehen. Jede Aufführung solle nunmehr eine „Premiere“ sein. Was darunter zu verstehen ist, vertraute er, reichlich hochtrabend, der FAZ an. „Es geht um den Versuch, ältere Inszenierungen als ,Kunstformen eigener Geschichtlichkeit‘ zu begreifen, jede Repertoire-Serie mit Diskussionsabenden oder künstlerischen Interventionen zu begleiten.“ Soll heißen: unschuldiger Konsum oder, horribile dictu, Genuss einer x-beliebigen Aufführung aus dem Opernfundus ist nicht mehr erwünscht im „House of Wokeness“. Wenn, dann nur „reflektiert“ und „kontextualisiert“ im Sinne des herrschenden Zeitgeistes, der im Zweifelsfall von der Operndirektion oder dem roten Kultursenator formuliert wird.

Bislang hatten sich zumindest die Partituren noch als relativ widerstandsfähig gegenüber allfälligen Interventionen erwiesen. Die Musik einer „Aida“ blieb die einer „Aida“, Beethovens „Fünfte“ blieb Beethovens „Fünfte“, unabhängig von der jeweiligen Interpretation oder Einordnung in einen wie auch immer beschaffenen szenischen oder dramaturgischen Kontext. Doch das Konzertprogramm des Philharmonischen Staatsorchesters Hamburg experimentiert nun durchgehend mit „Überschreibungen“ einzelner Sätze bekannter Werke des barocken sowie des klassisch-romantischen Repertoires durch zeitgenössische Komponisten.

Lieber Frack als nackte Beine

Weder Mozart, noch Bach, Tschaikowsky, Beethoven oder Bruch sind vor den Interventionen diverser Neutöner – bevorzugt Neutönerinnen – sicher, darunter die berühmte Gewitterszene aus Beethovens 6. Symphonie, die eine italienische Komponistin mit dem beziehungsreichen Namen Daniela Terranova („Neuland“) auf Vordermann bringen soll. Vielleicht wird der Sommersturm der „Pastorale“ infolge Klimakrise ja noch heftiger ausfallen als weiland beim ollen Ludwig van in der ausgehenden Kleinen Eiszeit.

Solcherart Eingriffe in kanonisierte Notentexte stellen einen Dammbruch dar und könnten Schule machen. Immer vorausgesetzt, dass sich dafür ein Publikum findet. Möglicherweise haben die Hamburger Opernstürmer die Rechnung ohne den Wirt gemacht. In der Spielzeit 2022/2023 hatte die Heidelberger Gesellschaft für innovative Marktforschung eine Onlinebefragung unter fünfhundert Klassikhörern zwischen 18 und 65 Jahren durchgeführt. Ergebnis: Das Konzert der Zukunft soll „trotz höherer Zugänglichkeit seine traditionelle Form mit Etikette, Fokus, Konzentration und physischer Präsenz bewahren, auch in Bezug auf Inhalte.“

Was, wenn man mit dem woken Allerlei (an der Komischen Oper Berlin soll Ende April der Männersopran Bruno de Sá als „Don Elviro“ in Mozarts „Don Giovanni“ in einer „geschlechterübergreifenden Interpretation“ der Donna Elvira „tradierte Stereotype des Musiktheaters“ in Frage stellen) die bösen, alten, weißen Opern- und Konzertbesucher vergrault und auf der anderen Seite nicht genug „Junge“ gewinnt, die es offenbar ganz gerne sehen, wenn sich am herkömmlichen Ritual eines Opern- und Konzertbesuches nicht allzu viel ändert. Und die vielleicht sogar einen Dirigenten im Frack cooler finden als nackte Beine.

 

Georg Etscheit schreibt auch für www.aufgegessen.info, den von ihm mitgegründeten gastrosophischen Blog für freien Genuss.

Foto: Montage achgut.com

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Leserpost

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Holger Kammel / 24.03.2025

Zur Wiederholung.. Miniaturwelt ist Kunst. Philharmonie ist versteinerte Schei0e. Architektonisches Nichts. Gehört zu dem Mist, der dort aufgeführt wird. Von einem Bergbauingenieur und Kunstliebhaber. Ansage in Frankfurt. Um die Ecke gelaufen und fast in eine blauen Pfütze getreten Mädel gefragt, ob das Kunst ist .Wie vermutet, wird das als Kunst bezeichnet. Ephraim Kishon ist leider verstorben, Der hätte das solches bezeichnet. Des Künstlers Scheiße in einer Plastikschachtel. Kunst gesehen. Käthe Kollwitz “Trauernde Mutter” Ernst Barlach; “Schwebender Engel” “Trauernde Kameraden”, Otto Dix “Tryptichon, eigentlich Quadrichon.”.“Mecklenburg-Vorpommern und Gera- Untermhaus. Dort mußte ich mal für meine Stieftochter an einem Sonntagabend eine Überschreitung des Jordans beschreiben. Schönes Bild. Immerhin habe ich eine Eins gekriegt. Immer meine Tochter.

Fritz Gessler / 23.03.2025

glinka war aber ein notorischer antisemit und untertänigster zaren-diener! pfui!! :))

Barbara Strauch / 23.03.2025

Die gesamte Kulturszene ist sowas von öde und abartig, daß man nicht mal mehr Lust hat, auch nur einen Leserbrief zu schreiben (geschweige denn, zu so einem Kasperlequatsch hinzugehen).

Jochen Lindt / 23.03.2025

Die Oper ist per definitionem regierungskonform.  Schon deshalb weil sie ohne Unterstützung der Reichen und Mächtigen nicht existenzfähig ist und nie war. Wenn Wokeness angesagt ist, dann liefert die Oper das eben.  Wobei ich zugeben muss, dass ich in Zeiten von Open Borders und Klimapanik auch nicht wüßte, wie man Wagner und seine gotischen Stämme im Bärenfell angemessen präsentiert.  Zu John Waynes Zeiten im Kalten Krieg hat es noch funktioniert, heute ist Wagner ein Markenname für eine russische Söldnertruppe.

Andy Malinski / 23.03.2025

Wenn aus dem Sinkflug des gesamten Landes ein Sturzflug wird, dann kann auch die “Kunst” nicht abseits stehen ...

Gertie Seri / 23.03.2025

Es ist schon länger her, aber das Regietheater stand bereits in voller Blüte, als ich gelegentlich mit Schulklassen Theateraufführungen besuchte. Die häufigste Frage, welche von den Jugendlichen danach gestellt wurde: “Was war da überhaupt los?”

Thomin Weller / 23.03.2025

Wie dumm, naiv muss man sein das der Packesel Hitlers ohne Gegenleistung ein Opernhaus finanziert? Der Flughafen wurde für die schwersten Flugzeuge der Welt rechtswidrig ausgebaut. Der Fluglärm ist unerträglich, in Wandsbek z.B. so laut das ein Gesprächspartner in 2 Meter Abstand nicht verstanden werden kann. Die politischen Verbrecher, vor allem die unfassbar Nazi-Affine IHK, die übrigens schon vor über 10 Jahren die Entfernung aller Kleingärten forderte, haben eine falsche Umweltverträglichkeitsstudie erstellt. Der absolut feuchte Traum der Hamburger Verbrecher ist in die Luftfracht einzusteigen, little Frankfurt. Dabei sind sie so dämlich und können die Start-Landebahnen nicht einmal effizient betreiben. Der Hamburg neonazi Spezialfaschismus ist auch im Evokationsrecht sichtbar. Der wurde perfide ausgebaut. Ein Beispiel “Im Streit um die Initiative “Hände weg vom Stadtpark Eimsbüttel” schaltete sich der Senat ein und erklärte die geplante Abstimmung für unzulässig. Begründung: Das Begehren würde die Entscheidungskompetenz des Bezirks übersteigen. Stattdessen wurden Bezirksamt und Bezirksversammlung per “kalter Evokation” angewiesen, den dort geplanten Wohnungsbau prioritär zu verfolgen.” Perfekte politische Entmündigung. Shithole Hamburg dank der Sparkassen, Banken, IHK, SPD und grünen Pest. Nix Kultur, eine Unkultur.

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