Die Hanseaten haben sich ein Herz gefasst und und ihrer Herrschaft einen Strich durch die Rechnung gemacht. Die politisch befeuerte Olympiabewerbung Hamburgs ist bei der Mehrheit der Bürger durchgefallen. Umsonst haben der Erste Bürgermeister und seine Mannen Millionen für die Kampagne locker gemacht. Das Volk, der große Lümmel, wie Heinrich Heine einst dichtete, wollte dem faulen Zauber nicht trauen. Vox populi gebot ihm Einhalt; der gesunde Menschenverstand sorgte dafür, dass die Blütenträume der Funktionäre nicht in den Himmel wachsen.
Nüchterner als die Politiker, die es gewohnt sind, kräftig aus dem Steuersäckel zu schöpfen, haben die Bürger Verlust und Gewinn der großen Olympia-Sause abgewogen und ins Kalkül gezogen, was die Herrschenden geflissentlich ausblenden, wenn sie die Chance sehen, sich mit der Ausrichtung großer Spiele in Szene zu setzen. Schließlich hat sich das Verfahren historisch vielfach bewährt. Kaiser Nero verstand sich darauf ebenso wie Hitler und Stalin. Nicht zu reden von Honecker und Konsorten, die die DDR so lange dopten, bis sie sich brüsten durften, eine der größten Sportnationen der Welt anzuführen.
Der Wettkampf der Athleten reinigt die Leidenschaft des Publikums bis heute. Wo die Inszenierung gelingt, verwandelt sich noch jede Misere unversehens in ein „Sommermärchen“ - koste es, was es wolle. Kaum eine Gefahr, die dafür nicht in Kauf genommen würde. Obwohl von Anfang an klar war, dass es nach den Attentaten von Paris auch bei dem vier Tage später angesetzten Fußballspiel in Hannover zu einem Anschlag mit verheerenden Folgen kommen könnte, wollte sich die Bundesregierung die Gelegenheit nicht entgehen lassen, massenwirksam in Fußballbegeisterung zu machen. Dass dieses Spiel mit dem Feuer in letzter Minute doch noch abgesagt wurde, ändert nichts an der gängigen Praxis: der politischen Instrumentalisierung des Sports.
Als „die Modelle der totalitären Massenveranstaltungen“ hat schon Theodor W. Adorno die großen Spektakel sportlicher Wettkämpfe analysiert. Das mag übertrieben anmuten, insofern es auf eine generelle Verdächtigung des Sport hinauslaufen könnte. Andererseits trifft es den Nagel auf den Kopf, wenn sich die Funktionäre der Verbände mit den Politikern einlassen, gar zu Wasserträgern der Macht mutieren, um ihrerseits den Rahm abzuschöpfen.
Und schon allein damit, dass sie dieser unseligen Allianz jetzt einen Riegel vorgeschoben haben, haben sich die Hamburger mit ihrer Ablehnung der Olympiabewerbung um die Demokratie verdient gemacht. Deutlich wurde dabei, wie wenig die Interessen des politischen Betriebs noch mit denen des Volkes übereinstimmen.
Eine herbe Enttäuschung nicht zuletzt für den regierenden Bürgermeister Olaf Scholz. Hatte er doch selbst den Bürgerentscheid auf den Weg gebracht, um seine Olympiabewerbung mit dem Sahnehäubchen des Volkswillens zu versehen. Der Dissens, der dabei aufbrach, war mehr als ein lokales Phänomen, nämlich der Ausdruck eines „grundsätzlichen Misstrauens gegenüber der Politik in Form der repräsentativen Demokratie“, wie die FAZ schrieb.
Was, fragen wir uns deshalb, käme wohl heraus, würden die Bürger auch bei anderen, wichtigeren Entscheidungen per Plebiszit einbezogen, gar auf Bundesebene? Wofür votierten sie in Sachen Euro, Energiewende, Zuwanderung? Dürfte die Regierung noch damit rechnen, die nötigen Mehrheiten hinter sich zu bringen, von Fall zu Fall? Diffamiert sie deshalb ihre Kritiker als „Pack“, weil sie ahnt, was ihr drohte, kämen die Bürger zu Wort?
Hat das Beispiel Hamburg nicht gezeigt, dass die regierenden Funktionäre, gleich welcher Couleur, gar keine Vorstellung mehr haben von dem, was die „Menschen draußen im Lande“ denken, wo ihnen der Schuh drückt? Brauchen wir nicht einen grundsätzlichen Politikwechsel, weg von der parteipolitisch geplünderten hin zu einer sehr viel direkteren Demokratie? Wäre das nicht der gesuchte Ausweg aus der Vertrauenskrise, auch wenn ihn die Herrschenden nicht sehen wollen, weil sie entweder um ihre Pfründe bangen oder nur mehr parteilich beschränkt zu denken vermögen?
Einen Versuch sollte es wert sein, in diese Richtung zu gehen, den Kurswechsel nötigenfalls zu erzwingen. Das Risiko hielte sich in Grenzen angesichts des Niveaus, auf dem das gegenwärtige amtierende Personal politisch vor sich hin stümpert. Weniger sachkundig können auch Lieschen Müller und der Mann auf der Straße nicht entscheiden, wenn sie etwa gefragt würden, ob die Euro-Zone erhalten oder besser aufgelöst werden soll.
Nicht allein die Engländer, die demnächst über den Verbleib in der EU entscheiden werden, sind uns hier schon ein gutes Stück voraus. Auch die Finnen planen unterdessen einen Volksentscheid über den Verbleib in der Europäischen Währungsunion. Die Beispiel könnten Schule machen.
Jedenfalls müssen die Deutschen langsam aufpassen, dass sie den Anschluss nicht verpassen. Der Europadampfer, auf dem wir schlingern, ist leckgeschlagen, da mag Martin Schulz auf der Brücke herumhampeln wie er will. Dieses autoritäre Gebaren wirkt bloß noch peinlich, so anachronistisch wie die quasi absolutistischen Verhältnisse der Merkel-Monarchie hierzulande. Wo es sich frei äußern kann, ohne medial angepöbelt zu werden, zeigt das Volk den Oberen längst schon die kalte Schulter, größerenteils.
Hamburg war ein Menetekel, das vielen zu denken geben sollte, und ein Zeichen zudem, das Hoffnung macht.