Peter Grimm / 17.12.2018 / 14:30 / Foto: Jacob Levin / 33 / Seite ausdrucken

Haltungsschule für Stehpinklerinnen

Was früher einmal profan Gleichberechtigung hieß und als politisches Programm vor allem durch die Beseitigung von rechtlichen und tradierten Benachteiligungen von Frauen überzeugte, treibt in den Zeiten der aufgehenden Gendersternchen äußerst schillernde Blüten. Jeder nicht mehr ganz junge weiße Mann wird sich noch an den Toiletten-Geschlechterkampf erinnern, der durch die stetigen Versuche ausgelöst wurde, den Mann zum Sitzpinkler zu domestizieren. Inzwischen ist ein Großteil der Männer, die schon länger hier leben, soweit erfolgreich umerzogen, dass sie sich das Stehpinkeln allenfalls in freier Wildbahn oder in den Pinkelrinnen-Refugien der Wirtshaus-, Stadion- oder Baumarkttoiletten erlauben.

Nach diesem Sieg im Geschlechterkampf wollen einige Kämpferinnen für eine bessere Welt nun offenbar einen Angriff auf das im Pissoir noch herrschende Patriarchat starten. Frauen sollen hier die richtige Haltung zeigen und künftig im Stehen urinieren. Die Neue Westfälische Zeitung berichtet, dass eine Studentengruppe jetzt an der Universität Bielefeld einen entsprechenden Workshop anbietet: „Toilet Talks & Practice: Pissen gegen das Patriarchat“. Eine Referentin des Workshops beschäftige sich in ihrer Masterarbeit mit dem Urinieren. Und, wie sie der Zeitung verrät, hat ihr die wissenschaftliche Arbeit zu bahnbrechenden Erkenntnissen verholfen: „Im Laufe meines Lebens fiel auf, dass es als Mensch mit Vulva nicht so einfach ist, dem Bedürfnis nachzugehen“, hatte sie erklärt. In den rückständigen Zeiten, als man „Mensch mit Vulva“ noch umstandslos „Frau“ nannte, war diese Erkenntnis allerdings schon einmal weit verbreitet, obwohl sich damals viel weniger Menschen als heute an den Universitäten außerhalb der Urologie in Abschlussarbeiten mit dem Urinieren beschäftigen konnten.

Damals kämpften die Frauen aber auch noch nicht um ihre Stehpinkel-Präsenz. Die kann frau sich aber erarbeiten, weiß die Workshop-Referentin, denn die sagt: „Die Art und Weise, wie wir urinieren, ist antrainiert“, wird die Studentin zitiert. „Ich stelle mich nicht wie selbstverständlich an einen Baum und pinkele los“, weil das Wildurinieren als offensichtliche „Zelebration der Männlichkeit“ verstanden würde. Diese Dominanz wolle sie brechen und Frauen zu selbstverständlichen Stehpinklerinnen trainieren.

Fingertechniken und Urinella

Im Workshop solle es auch einen Praxisteil geben, in dem unter anderem Fingertechniken vorgestellt würden, wie die Initiatorin der Neuen Westfälischen beschreibt: „Wo ist meine Harnröhre und inwiefern muss ich meine Genitalien anfassen, um den Strahl zu lenken“. Außerdem sollen die Teilnehmerinnen Urinellas basteln, trichterartige Urinierhilfen für die Frau, aus alten Tetrapaks. Diese könnten für Erleichterung sorgen, wenn kein WC zu finden sei. Die auch so lebenspraktisch sinnvolle dreistündige Veranstaltung, werde mit Geldern des AStA (Allgemeiner Studierendenausschuss) finanziert.

Allerdings mangelt es Teilen der Öffentlichkeit an Verständnis. Kommentatoren im Netz hätten sich abfällig geäußert, manche sollen das für eine Satire gehalten haben. Letzteres weiß man in heutigen Zeiten wirklich nie. Vielleicht ist auch die Autorin des Artikels in der Neuen Westfälischen eine Satirikerin. Aber es liest sich so, als handele es sich um eine ernst zu nehmende Meldung.

Demnach würden, um die Teilnehmerinnen zu schützen, Zeit und Ort des Workshops auch nur intern bekannt gegeben. Störer sollen keine Chance bekommen. Auch bei der Online-Ausgabe der Zeitung blieben sie chancenlos. Am Schluss hieß es lapidar: „Die Kommentarfunktion für diesen Artikel ist deaktiviert.“ Als Begründung gab es einen Standardtext für abgeschaltete Kommentarfunktionen:

„nw.de bietet Ihnen unter vielen Artikeln und Themen die Gelegenheit, Ihre Meinung abzugeben, mit anderen registrierten Nutzern zu diskutieren und sich zu streiten. nw.de ist jedoch kein Forum für Beleidigungen, Unterstellungen, Diskriminierungen und rassistische Bemerkungen. Deshalb schalten wir bei Artikeln über Prozesse, Straftaten, Demonstrationen von rechts- und linksradikalen Gruppen, Flüchtlinge usw. die Kommentarfunktion aus.“

Bemerkenswert ist allerdings, in welches Umfeld nw.de die Bielefelder Stehpinklerinnen damit rückt. Um Prozesse und Straftaten geht es in dem Artikel nicht. Fällt der Pinkel-Workshop also unter das Verdikt „Demonstrationen von rechts- und linksradikalen Gruppen, Flüchtlinge usw.“? Das wäre dann auch ein Kommentar, allerdings kein schöner.

Der Beitrag erschien auch hier auf sichtplatz.de

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Leserpost

netiquette:

Manfred Westphal / 17.12.2018

Herr Grimm Urinellas sind seit Jahren im Einsatz und werden von allen Drogeriemärkten angeboten. Sind nicht nur bei den Dorfdiscos wg. der überfüllten Toiletten beliebt, weil frau dann auch an die Männer-Pinkelbecken könne oder am Baum pinkeln. In der städtischen Scene wird das jetzt allerdings als Pinkelkampf und Eroberung der Männertoiletten zelebriert Die große Sauerei ist natürlich, dass die benutzten Urinellas nicht im gelben Tütchen mit nach Hause genommen werden, um da in den gelben Sack entsorgt zu werden. Die landen dann auf dem Fußboden in den Männertoiletten oder in freier Wildbahn. Aber das darf nicht angeprangert werden, da frauenfeindlich.

Christoph Kaiser / 17.12.2018

So klug nur als Pseudonym aufzutreten war die Beste ja! Wenn man diese intellektuelle Selbstauskunft auch noch mit einem Namen zusammenzementiert hätte, wäre der Rest des Lebens auch gelaufen…......

Marc Blenk / 17.12.2018

Lieber Herr Grimm, und wer zahlt’s? Ach ja, wir. Ich fände ja ein feministischen Workshop zum Thema Bombenentschärfung weit interessanter. “Die Art und Weise, wie wir uns als Frauen dezent aus der Affäre ziehen, wenn Männer Bomben entschärfen, ist uns antrainiert“, würde dann die Studentin zitiert. “Das muss sich ändern”. Bis das soweit ist, interpretiere ich die die neue feministische Ambition des Stehpinkelns als Legalisierung, ab sofort auf Frauenklos bei offener Tür ebenfalls im Stehen zu pinkeln. Ich benutze dann auch ein selbstgebasteltes Urinella. Versprochen. Gender mainstreaming halt.

Johann-Thomas Trattner / 17.12.2018

Der weitergehend offenbar am meisten bescheuerte ist der Kommentator der NWZ: ” Und das gerade zeigt, dass der Toilettengang der Frau offenbar eine weitergehende Bedeutung hat.”

Hugo Bolder / 17.12.2018

Diese Bahnbrechenden Erkenntnisse auser dieser Studie werden in einem ganzes Studienfach münden und eines Tages den Wohlstand sichern damit wirklich alle wirklich alle, hier gut und gerne Leben. So herzlich gelacht obwohl es nicht zum lachen ist, habe ich lange nicht mehr. Mit Verlaub, die haben doch voll einen an der Klatsche. Und so etwas wird mit öffentlichen Mittel gefördert ? Unglaublich

Rolf Menzen / 17.12.2018

Was studieren die da? Ist das eine Folge des Abiturs für alle und des kostenlosen Studiums? Werden wir dereinst chinesische Touristen durch unser Beklopptenreservat führen? Für was anderes wird es dann wohl nicht mehr reichen.

Wiebke Lenz / 17.12.2018

Hä? Masterarbeit? Pissen gegen das Patriarchat? - Mein Geist ist wohl zu beschränkt. Man möge mir verzeihen (oder auch nicht). Wenn bei mir ein Mann auf dem WC im Stehen urinieren möchte, so darf er es gerne tun. So er evtl. Rückstände selbst entfernt. I.d.R. stellen sich aber “meine Männer” (Mann, Nachbar, Sohn …) an die Hecke, wenn draußen gearbeitet wird oder auch einfach nur, um Wasser zu sparen. Und ich als weibliche “Dorfgöre” halte auch hin und ab mal meinen Hintern in den Wind, um meine Notdurft zu verrichten. Dies alles lässt mein Grundstück allerdings auch zu. Wenn ich jedoch das (gefühlte) Patriarchat niedermachen wollte - eigne ich mir dann die Angewohnheiten des gehassten Geschlechtes an (anders als “gehasst” kann man es wohl kaum noch nennen) oder lege ich erst recht mein Augenmerk darauf, meine Stärken zu betonen? Was um alles in der Welt sollte ich mich dann dazu bewegen, alles genau so zu machen wie der andere Part? Wo ist dann mein Abgrenzungsmerkmal? (Ich bin übrigens sehr zufrieden mit den “weißen Männern” und weiß Ihre Vorzüge durchaus zu schätzen!) Nicht zuletzt - das Matriarchat ist garantiert nicht besser als das Patriarchat!

Roland Stolla-Besta / 17.12.2018

In meiner Familie wurde immer gerne folgendes Ereignis kolportiert: ich war damals etwa 5 Jahre alt, als ich einmal auf einem unserer Besuche bei der bayrischen Verwandtschaft von meiner Tante in flagranti erwischt wurde, als ich meiner gleichaltrigen Cousine auf der Toilette vorführte, wie man im Stehen pinkelt und sie zum Nachtun aufforderte. Darauf meine verzweifelte Cousine: „I ko ja net!“ Daß ich damals eine hinter die Löffel bekam, kann ich heute nur als ein Mißverständnis meiner gendergerechten Hilfestellung ansehen, war ich doch wohl einfach meiner Zeit viel zu weit voraus!

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