„Haltung” ist die Tarnung des Vorurteils

Zum tiefen Fall des derzeit bekanntesten „Journalisten” dieser Tage ist schon alles gesagt, nur noch nicht von allen (Karl Valentin). Die an Onanie grenzende Selbstbeschäftigung der Medienlandschaft verdeckt dabei die Tatsache, dass sie schon lange nur noch die Realität transportiert, die sie erwartet und ihre Konsumenten immer weniger bereit sind, ihr zu folgen. Grund dafür ist die Abwesenheit von Diskurs. 

Kein Wort verbrämt das Vorurteil so sehr wie der Begriff der Haltung. Er gibt ihm einen anständigen Anstrich und befreit den wahren Gesinnungsjournalisten von der Pflicht, das Ergebnis seiner Meinung von der Recherche abhängig zu machen. Dieser vorauseilende Gehorsam braucht nicht mal eine Staatssicherheit. Chaim Noll spricht hier vom journalistischen Konstruktivismus: Der Journalist konstruiert die von ihm gewünschte Realität abseits der Wahrheit. Damit geht er von einen Vorsatz aus. Der moralisch aufgeladene Mensch mit Haltung funktioniert aber auch ohne Vorsatz.

Der Begriff des Konstruktivismus bezeichnet ursprünglich die erkenntnistheoretische Schule des Paul Watzlawick: Wir erkennen nicht, was wir sehen, sondern was wir erwarten. Dieses Prinzip ist längst flächendeckend in den Redaktionen eingezogen. Abweichende Auffassungen werden wahlweise als „rechts”, „populistisch”, „rechtspopulistisch” oder gar „rechtsextrem” gebrandmarkt. Ihre Absender wahlweise als „-phobiker”, „-skeptiker” oder gar „-leugner” diffamiert.

Diese Attribute können wahlweise mit Begriffen wie Islam-, Euro-, Homo- oder gar Klima- kombiniert werden. Sie taugen dann als Objekte der moralischen Empörung bei Plasberg und der femininen Dominanz (Mehrheit von Domina gibts nicht) von Will, Maischberger und Illner, die im Anschluss von Forsa oder Infratest Dimap als Volkes Wille manipuliert wird. Die beherrschende Formulierung zur Abkanzelung abweichender Ansichten lautet dann in den Leitartikeln, die längst in die Irre leiten: „Geht gar nicht”. 

Es lebe der Irrtum!

Die größte Triebfeder des Fortschritts ist der Irrtum. Wer merkt, dass etwas nicht so funktioniert, wie erwartet, kommt auf neue Ideen. Wer ein Problem entdeckt, will es lösen. Das Instrument zur Entdeckung des Irrtums ist der Diskurs. Im Streit der Meinungen entfaltet sich ein mehrdimensionales, räumliches Bild. Als einäugig Sehender weiß ich, wovon ich rede. Der Haltungsjournalismus setzt sich weder der Möglichkeit des Diskurses noch des eigenen Irrtum aus. Er kennt das Ergebnis der Recherche vor ihrem Beginn. Weil nicht sein kann, was nicht sein darf.

So verleugnet er die bahnbrechende Kantsche Erkenntnis und erzeugt so etwas wie ein ökologisches Mittelalter: „Aufklärung ist der Ausgang des Menschen aus seiner SELBSTVERSCHULDETEN Unmündigkeit.” Die mündete nicht umsonst im Popperschen Falsifikationskriterium: Jede Hypothese muss so formuliert sein, dass sie falsch sein kann. Von dem, der sie formuliert, fordert sie die Demut, den eigenen Irrtum für möglich zu halten. Eine Dimension, die dem Haltungsjournalisten abgeht. Er ist von der rechten (äh linken?) Sache überzeugt und bereit, alles Notwendige für die Rettung der Welt zu tun. 

„Wettbewerb ist das beste Verfahren zur Entdeckung neuen Wissens” (Friedrich August von Hayek). Wo er unterbleibt, wird eben diese Entdeckung unterbunden. Schließlich muss nicht alles unerklärbar sein, nur weil die Menschheit es nicht erklären kann. 

Das konstruktivistische Prinzip scheint mir auch in der Wissenschaft die Oberhand gewonnen zu haben. An die Stelle der Falsifizierung und des Wettbewerbs ist die Mehrheitsmeinung und das demokratische Prinzip getreten, das sich allerdings kaum zur Falsifizierung widerlegter Erkenntnisse eignet. Galileo war seinerzeit auch alleine mit seiner Auffassung, die Erde sei keine Scheibe. 

Wer sich irrt, falsche Prioritäten setzt, verschwendet Ressourcen und gefährdet Wohl und Wehe der Gesellschaft. Mit anständiger Haltung und besten Vorsätzen. Und dem Bewusstsein, die Moral für sich gepachtet zu haben. 

Der Wettbewerb zwischen den Konstruktivisten und den Aufklärern ist kein neuer. Er zieht sich durch die vergangenen Jahrhunderte. Die Überschrift dieses Pamphlets ist ja nur aus aktuellen Gründen variiert und Schopenhauer entlehnt: „Die Welt als Wille und Vorstellung.” Und so sollten wir uns alle in diesen Tagen vor allem in einem üben: in mehr Demut vor den eigenen Überzeugungen und der Bereitschaft, sie in einem offenen Diskurs auf den Prüfstand zu stellen: Es gibt immer eine Alternative. 

Foto: Bildarchiv Pieterman

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Leserpost

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Helmut Bühler / 27.12.2018

Die Moral für sich “gepachtet” haben? Wenn’s denn nur so wäre. Diese intellektuell verwahrlosten Gestalten sind überzeugt, die Moral zu BESITZEN.

norbert Meyer / 27.12.2018

“Das Instrument zur Entdeckung des Irrtums ist der Diskurs.” - Falsch, Irrtümer entdeckt man durch Experimente, deren Ausgang von der Prognose des Erklärungsmodells abweichen. Dieses ganze Herumgelabere, auch Dialektik genannt, besonders in Kombination mit Gehirnpupsen - Idealismus genannt - sollte man sich sparen. Damit bekommt man nur nutzlose Kopfgeburten zustande, die sich in der echten Welt nicht anwenden lassen, und die endlos Ressourcen verschlingen. Dummerweise basiert praktisch die gesamte kontinentaleuropäische Philosophe auf solchem Mist, und die wissenschaftliche Methode erscheint den Leuten deshalb meistens nicht anwendbar.

Werner Arning / 27.12.2018

Wenn anfangs eine falsche Behauptung steht und sich alles Weitere auf dieser Behauptung aufbaut, entsteht ein Lügenkonstrukt. Wird der Zeitpunkt verpasst, in welchem es noch möglich gewesen wäre, die Falschbehauptung zuzugeben, ohne dabei völlig das Gesicht zu verlieren und als Lügner dazustehen, nimmt die Katastrophe ihren Lauf. Das Lügen wird dann zum Programm. Es gibt keinen Ausweg mehr. Man würde ansonsten die eigene Position in moralischer wie materieller Hinsicht gefährden. Also verkauft der Protagonist in der Folge lieber seine Seele, redet sich vielleicht sogar ein, das Richtige zu tun und lügt fleißig weiter. Denn die Anderen tun es doch auch. Warum sollte er den Helden spielen und den Leuten die Wahrheit sagen? Er würde ohnehin keine Chance damit haben, sagt er sich. Man würde ihm ohnehin nicht glauben, ihn außerdem medial fertig machen, ihn ausgrenzen, seine Karriere wäre beendet. Als Realist fragt er sich, wozu die Heldentat dann überhaupt gut sein sollte und macht lieber gute Miene zum bösen Spiel. Diesen Mut aufzubringen, schaffen dann nur extrem ehrliche Freigeister, die man mit der Lupe suchen kann. Jedoch in den Zirkeln der Macht kaum antreffen wird. Hier könnte das Jesus-Zitat „Wer sein Leben verliert, wird es gewinnen“ Aktualität bekommen. Doch wer glaubt schon an so was?

P.Steigert / 27.12.2018

“Haltung” ist die Umschreibung von “ich nutze meine Position für politischen Aktivismus, und demokratische Spielregeln sind mir Wurst”.

Emmanuel Precht / 27.12.2018

Endlich lese ich mal “eine Alternative”. Alternativ hergeleitet von “alternierend” was “abwechselnd” bedeutet. Überall lese und höre ich von Leuten die mit der Sprache ihr Geld “verdienen”: Alternativen - wenn Optionen gemeint sind. Hätte ich meinen Job so mies gemacht, wie die Sprecher oder Schreiber heutiger Medien, wäre kein Schiff unter meinem Kommando über den Atlantik oder Pazifik ans Ziel gelangt. Und genau Solche wollen mir zeigen wo es lang geht. *pffft* Wohlan…

Elke Schmidt / 27.12.2018

Früher nannte man Haltung auch Klassenstandpunkt. Der musste jederzeit abrufbar sein und hat zu einem Journalismus geführt, den ich mit der Wende für überwunden hielt, da er nur noch Brechanfälle produzierte. Im Ostfernsehen gab es gelegentlich allerdings auch Beiträge, die nicht von Rotlichbestrahlung heimgesucht wurden. Heute gibt es keinen Tierfilm mehr, der ohne moralisierende Belehrung auskommt und seinen Zuschauern die Erbsünde des Klimawandels und des Artensterbens zur Last legt, während in Asien und Afrika die Flußmündungen im Dreck versinken.

Bernhard Freiling / 27.12.2018

“Es gibt immer eine Alternative.” Richtig! Aber nicht für dieses Staatsgebilde. Die Alternative besitzt in diesem Land nur das Individuum nicht das Kollektiv. Das Kollektiv wird alternativlos immer das Gleiche bekommen, ob schwarz/rot, schwarz/gelb, rot/rot, Kenia oder Jamaika. Nur das Individuum besitzt die Möglichkeit, sich aus dieser alternativlosen Politik zu verabschieden. Durch Totalverweigerung, durch innere oder tatsächliche Emigration.  Insofern kann ich nur hoffen, daß meine Landsleute sich ihrer persönlichen Alternativen nicht allzu bewußt werden. Würden sie das heute, wäre morgen Keiner mehr da, der meine Rente finanziert.  ;-)  Also Leute: weiter schimpfen und durchhalten. Die Hoffnung stirbt zuletzt.

Gabriele Schulze / 27.12.2018

Ah, “Diskurs”! Das waren noch Zeiten, als er ein Modewort war. Oder nicht nur? Gibt es zeitgeistige Zusammenhänge bei Modewörtern? So ist doch seit gefühlt 2015/16 das “Narrativ” sehr beliebt. So, wir erzählen euch jetzt mal was. Alles schön einfach, genau wie mit der “Haltung”. Da braucht’s kein Nachdenken mehr.

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