Fünf verkleidete Kinder vor der Tür und nichts im Haus, was die allergiegeplagten Blagen vertragen. Das ist gruselig!
Es hat sich etwas verändert, in diesem aller Lande… Und was ich schreibe, nimmt immer mehr die Form von „Oppa erzählt ausm Kriech“ an. Aber ich kann nichts dafür, dass heute in den Bedienungsanleitungen für Autos steht, dass man um Himmels Willen nicht die Bremsflüssigkeit trinken soll. Oder nur insofern, dass augenscheinlich die Eltern meiner Generation und der danach irgendeinem nutzlosen Spross die Selbsterfahrung gönnen wollten, hydraulische Flüssigkeiten auf Verträglichkeit zu testen.
Jetzt zum Beispiel ist „Halloween“ (nicht zu verwechseln mit dem erfreuten Ausruf eines Erstbesuchers der österreichischen Hauptstadt), ein urdeutsches Fest, bei dem die Hydraulikölverkoster von morgen verkleidet von Haus zu Haus ziehen, um sich kostenlos Süßigkeiten oder Schläge abzuholen. Wenn ich das richtig verstanden habe. Wie das früher, zu meiner Zeit, abgelaufen ist, schilderte ich einst in einem Artikel, als ich die Nachbarskinder mit einer laufenden Kettensäge vom Hof jagte. Sie wollten ein gruseliges Halloween, sie bekamen ein gruseliges Halloween. Und ich Anwaltspost. Aus, vorbei.
Erwähnte ich, dass sich Dinge ändern? Die Kinder haben sich geändert, aber auch ich habe mich geändert. Präparierte man früher für die zu erwartenden Halloween-Blagen noch Chili-Schoten mit Schokoladenüberzug (die täuschend echt nach Gelee-Bananen oder Schoko-Drops aussahen), so hat der kinderliebe Spender von heute völlig andere Herausforderungen. Und ich bin ja auch altersweiser und milder – oder einfach fauler geworden.
Da stehen sie nun vor der Türe, die fünf Kinder aus der Nachbarschaft, hübsch verkleidet, und strecken mir fordernd wie Herero und Nama ihre Stoffsäckchen entgegen. Ich kann einen Batman identifizieren, eine ganz weiß geschminkte Prinzessin, einen Ritter in einer Papprüstung (wie traurig) mit Holzschwert, ein grün angemaltes Zombinchen mit blauen Haaren (was soll daran gruselig sein? Die Jüngste geht so jeden Tag in die Schule) und, tja, ein Mädchen mit Flechtzöpfen in einem schwarzen Kleid.
Ein Mädchen. Mit Flechtzöpfen. In einem schwarzen Kleid.
Schokokekse, aber mit Spuren von Nüssen und Gluten
„Süßes oder Saures“ fordern sie in einem etwas kakophonischen Chor. Ich gehe in die Knie, um auf Augenhöhe zu kommen. „Hallo Rasselbande“, begrüße ich das Grüppchen. „Ich verstehe Ritter, tote Prinzessin, die Zombielady“, ich deute auf die Zweitgrößte, „ich verstehe sogar Batman, obwohl er wirklich gruselig nach Faschingskostüm aussieht, aber wer…“, ich zeige auf die vielleicht 10-jährige Lady mit den Flechtzöpfen im schwarzen Kleid, „…bist du? Wen oder was stellst du dar? Lass mich raten: Du bist entweder Greta Thunberg oder eine Rechtsradikale!“ „Wer ist Greta Thunberg?“, fragt die kleine Dame, als wüsste sie, wer Rechtsradikale sind. „Jemand wirklich, wirklich Gruseliges!“, erkläre ich ihr. Sie kichert: „Nein, ich bin Wednesday Addams!“ Aha. Okay. Gut, dann wäre das geklärt. „Und Du bist eine untote, genderfluide, transphobe Lesbe im Parteivorstand der Grünen“, versuche ich, Zombinchen konkreter zu identifizieren, aber sie schaut mich nur ausdruckslos an. Sie scheint meine Worte nicht zu verstehen. Wahrscheinlich habe ich also recht.
„Süßes oder Saures“ nimmt Batman nun die Sondierungs-Verhandlungen des Gruselkabinetts wieder auf und hört sich dabei aufgrund seines Alters wie Batkid an. Verstehe ich. Die haben nicht geklingelt, um mit mir über die künftige Regierung und gesellschaftliche Abgründe zu diskutieren. Der Wahlkampf ist vorbei. „Ich hätte hier Gummibär*huster*innen in kleinen Tütchen“, biete ich an.
„Gelatinefrei?“, erkundigt sich die grüne Untote. „Nein, normal Bariho“, gebe ich korrekt zurück. „Dann für mich nicht“, bescheidet mir die Kröte abschlägig. „Ich hätte hier auch so Schokokekse der korrekten Firma Bahlsen“, ergänze ich mein Angebotssortiment. „Die kann ich nicht essen“, sagt Greta Thunberg, „weil da Nüsse drin sind.“ „Und glutenfrei sind sie wahrscheinlich auch nicht“, beschwert sich Ritter Pappdrache. Ich sehe kurz auf die Verpackung: „Nein, sind sie nicht. Die können Spuren von Nüssen und Gluten und Idiotinnen enthalten“, bestätige ich ihm.
„Was hast du sonst noch?“ fragt die Prinzessinnenleiche. „Sie! Was haben SIE noch!“, komme ich meinen erzieherischen Pflichten nach und die tote Prinzessin rollt mit den Augen. „Ich könnte Euer Niedergeboren noch Schokoriegel anbieten…“, schlage ich vor. „Zu viel Zucker“, erklärt mir die tote Hoheit. „Aus fairem Anbau?“, will der Papp-Ritter wissen. „Nein, gentechnisch verändert“, schlage ich zurück. Der Ritter und Batbaby seufzen. Ich auch. Was wurde aus dem guten alten Dreiklang „Apfel, Nuss und Mandelkern“?
Ein gruseliger Halloween-Clown, aber nicht Karl Lauterbach
„Mal kurz zwischendurch…“, unterbreche ich die Verhandlungen, „…bin ich der Erste, bei dem ihr seid? Eure Beutesäckchen sehen merkwürdig leer aus…“ Batkid schüttelt den Kopf. „Bisher war nichts dabei, was wir alle essen können“, sagt er traurig. Ich überlege, was ich sonst noch so im Haus habe: „Paprikachips?“ „Zu scharf!“ „Salzstängelchen?“ „Gluten!“ „Nachos?“ „Genveränderter Mais!“ „Weinbrandbohnen?“ „Iiiih, dann werden wir ja besoffen“, schaltet das augenscheinlich älteste Mitglied, Zombinchen, schnell und ich bemerke, dass das aufgrund ihrer aller Befindlichkeiten vielleicht nicht die schlechteste Idee wäre. Zigaretten traue ich mich gar nicht erst anzubieten, sonst heißt es in der Nachbarschaft soundso.
Sie tun mir leid, die künftigen Rentenzahler der 10er Jahre. Ich bin kurz geneigt, der bunten Truppe das Motorenöl aus der Garage anzubieten, verwerfe den Gedanken aber schnell, weil – siehe ganz oben. „Ich hätte Gurken da“, versuche ich einen letzten, verzweifelten Versuch. „Bäh“, schallt es von Greta und der Grünen zurück und da fällt mein Blick auf die Werbezeitung, die ich vorhin aus dem Briefkasten genommen und noch nicht weggeworfen habe. Ich muss jetzt handeln. Nicht, dass mir diese allergieverseuchte Blase noch Eier auf die Fassade wirft. „Moment“, bitte ich die frustrierte Versammlung um Geduld, und falte die Zeitung auf. Tadaaa, da ist es, was ich gesucht habe.
„So, hier kommt mein ultimativer Vorschlag“, verkünde ich, „ich halte hier, in meiner Hand, vor euch allen, Essensgutscheine eines international bekannten und beliebten Schnellrestaurants, für das ein gruseliger Halloweenclown Werbung macht. Und nein, ich meine weder Karl Lauterbach noch Helge Lindh. Wer will einen MacFatRib oder einem Eisbergsalat?“ Und schon fliegen zwei Hände nach oben! So also geht das. Ich verteile die Hälfte der Gutscheine, die andere Hälfte bleibt bei mir, man weiß ja nie. Das traurige Trüppchen trollt sich artig und ich schließe die Türe. Die Zeiten ändern sich. Man muss nur dranbleiben.
(Weiterer lactosetolerante Artikel des Autors unter www.politticker.de)
Von Thilo Schneider ist in der Achgut-Edition erschienen: The Dark Side of the Mittelschicht, Achgut-Edition, 224 Seiten, 22 Euro.