Der Verfassungsschutz ist ein Geheimdienst und aus guten Gründen zu Überparteilichkeit verpflichtet. In die Debatte zum AfD-Parteitag interveniert er kurzfristig und einschneidend. Ist das legitim?
Aktuell betätigt sich Verfassungsschutz-Chef Thomas Haldenwang (CDU) als politischer Kommentator. Er beteiligt sich unmittelbar am Meinungsbildungsprozess, indem er den Medien seine Einschätzungen zum jüngsten AfD-Parteitag mitteilt, die drastisch sind, dünn belegt und bestenfalls streitbar argumentiert sind.
Seine Rechtfertigung für sein Vorgehen: Es diene „als Mittel einer wehrhaften Demokratie dem Zweck, die Öffentlichkeit über Bestrebungen und Verhaltensweisen zu unterrichten, die gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung gerichtet sind.“ Ein einziges Beispiel führt er an: im Gerede von einem „Großen Austausch“ komme ein „ethnisches Volksverständnis“ zum Ausdruck. Das wäre ein „Anhaltspunkt“ dafür, dass „hier die Menschenwürdegarantie des Grundgesetzes“ infrage gestellt würde. Wer „Großer Austausch“ sagt, will den Verfassungsstaat abschaffen – findet Thomas Haldenwang. Im ZDF-heute-journal drückte er sein Verständnis von seinem (partei-)politischen Auftrag so aus. Seine Behörde sei „nicht allein dafür zuständig, die Umfragewerte der AfD zu senken.“
Zum AfD-Parteitag gibt es von ihm kein längeres Interview, kein schriftliches Statement, keine Auswertung. Es war, als ob der Moderator einer politischen Sendung live in die Verfassungsschutz-Behörde schaltete – die immerhin ein Inlandsgeheimdienst ist –, um die Meinung eines Experten einzuholen.
Geheimdienste sind zu politischer Neutralität verpflichtet
Rechtlich betrachtet ist dieses Agieren mindestens fragwürdig. Die AfD hatte dann auch einen Eilantrag vor dem Bundesverfassungsgericht eingereicht, Haldenwang daraufhin eine „Stillhalte-Zusage“ abgegeben, sich zum laufenden Parteitag nicht mehr zu äußern. Unmittelbar im Anschluss wiederholte Haldenwang gestern seine Kritik, die nichts Neues enthielt, wieder ging es um die Worte „Großer Austausch“. Offenbar wollte Haldenwang nur demonstrieren, sich auch weiterhin auf diese Weise einmischen zu wollen.
Zum Monitor-Magazin von Georg Restle würde es sehr gut passen, das populistische Gerede vom „Großen Austausch“ als Ansage zu deuten, mit dem Grundgesetz Schluss machen zu wollen. Vom „Großen Austausch“ zum „ethnischen Volksbegriff“ zur „Menschenwürde“ – so könnte man als linker Journalist vielleicht interpretieren und zuspitzen, aber sind das die Maßstäbe dieses Behördenleiters? Geheimdienste sind aus guten Gründen gesetzlich zu Überparteilichkeit und politischer Neutralität verpflichtet, sie sind keine gewöhnlichen Debattenteilnehmer.
Vorbereitung eines Parteiverbots?
Vom Chef dieser Behörde sollte man erwarten, dass die Argumentation Substanz hat. Haldenwang präsentiert aber keine zwingenden, sondern konstruierte Schlussfolgerungen, die man leicht kontern könnte. So hat der Volksbegriff begriffsgeschichtlich immer schon eine klare ethnische Komponente gehabt, vor nicht langer Zeit sprach man beispielsweise noch von „Völkerverständigung“, um für einen freundlichen Internationalismus zu werben. Darüber hinaus drückt, wer „Großer Austausch“ sagt, vielleicht auch nur seine Besorgnis vor einem keineswegs eingebildeten demographischen Wandel aus, der inzwischen auch in der linksliberalen Zeit Online als drastisch dargestellt wird: „Migranten: Sie werden die Mächtigen sein“.
Die Weise, wie sich Haldenwang in den Diskurs einmischt, weckt den Verdacht, dass die Öffentlichkeit rhetorisch auf ein Parteiverbotsverfahren der AfD vorbereitet werden soll. Die nächste Bundestagswahl findet im Herbst 2025 statt, Zeit wäre genug, ein solches anzustrengen, um damit den künftigen Wahlkampf zu beeinflussen. Als Grund gegen ein NPD-Verbot führte das Bundesverfassungsgericht 2017 damals deren gesellschaftliche Irrelevanz, ihr mangelndes „Potenzial“ an. Im Umkehrschluss könnte man heutzutage das gerade für ein AfD-Verbot starkmachen.
Die AfD hat sich zu einem ernstzunehmenden Problem für die politische Konkurrenz entwickelt, weil sie Probleme benennt, die von den anderen Parteien verursacht und geleugnet werden – in diesem Sinne ist sie ein Korrektiv, ob es einem gefällt oder nicht.
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Felix Perrefort ist Redakteur und Autor der Achse des Guten.