Roger Letsch / 02.03.2020 / 16:00 / Foto: Pixabay / 17 / Seite ausdrucken

„Hände hoch, Sie Schaf! Wir haben einen Anfangsverdacht“

„Kommissar Krause, guten Morgen. Wir hätten da mal einen Anfangsverdacht.“ Wenn sie diese Worte hören, nachdem ein Rollkommando um vier Uhr morgens die Tür zu ihrer Wohnung eingetreten hat, wissen Sie, dass Sie nicht in einem Rechtsstaat leben. In einer Demokratie vielleicht schon noch. Es wäre ja möglich, dass die Abstimmung des Gremiums, dem Sie den nächtlichen Hausbesuch verdanken, nur ganz knapp zu Ihren Ungunsten ausgefallen ist. So ein Pech aber auch. Aber Demokratie bedeutet eben auch, dass vier Wölfe und drei Schafe über das Mittagessen abstimmen. Rechtsstaat bedeutet, dass die Schafe nicht zum Essen kommen und ihren Anwalt mit einer Einstweiligen Verfügung schicken. Deshalb lautete der korrekte Morgengruß von Kommissar Krause in einem Rechtsstaat „Wir haben hier einen richterlichen Durchsuchungsbeschluss“, sonst darf Kommissar Krause zwar klingeln, Sie müssen ihn aber nicht zur Durchsuchung einladen.

Der Privatsphäre jedes einzelnen Bürgers gilt (oder besser: galt) der besondere Schutz des Rechtsstaates, weil unsere Verletzlichkeit dort am größten ist. Dazu gehört die Wohnung. Dazu gehörte früher auch mal das Bankgeheimnis – gestrichen. Ebenfalls gestrichen wurde nun die Unantastbarkeit von persönlichen Gegenständen wie dem Mobiltelefon, und zwar mit der im Februar in Kraft getretenen Verschärfung der Straßenverkehrsordnung (StVO). Und die meisten haben nicht mal bemerkt, dass ein weiteres Stück unserer Bürgerrechte abgeräumt wurde, weil es dem Staat lästig und hinderlich war.

Verbot von „Blitzer-Apps” und wie man es durchsetzt

Denn während sich die Autofahrer vorwiegend über stark erhöhte Bußgelder aufregen, hat es eine andere Gesetzesänderung wirklich in sich. Das Verbot von sogenannten „Blitzer-Apps“, welche vor „festen und mobilen Gefahren“ warnen, krankt nämlich an der Frage, wie sich die Nutzung solcher Apps bei einer Kontrolle durch die Polizei nachweisen ließe. Theoretisch kann der Polizist natürlich fragen, ob man ihm mal eben sein Mobiltelefon aushändigt. Treublöd, wie manche meiner Mitbürger sind, würden einige dieser „Bitte“, zumal wenn mit Nachdruck vorgetragen, sogar Folge leisten. Das müsste man aber nicht tun. Das Smartphone gehört gewissermaßen zu unserer erweiterten Privatsphäre, und nur ein richterlicher Beschluss kann hier eine Herausgabe erzwingen. Und selbst in diesem Fall ist es mehr als fraglich, ob man durch Entsperrung des Telefons zur Kooperation verpflichtet werden kann.

Die Polizei darf auch immer noch nicht einfach so in Ihrem Handy herumschnüffeln, es brauche dafür – Achtung, jetzt kommt’s dicke – einen Anfangsverdacht! Als solcher genügt, dass die Polizei erklärt, einen Signalton gehört zu haben, der aus Ihrem Handy kam. Dann darf die Polizei das Handy sicherstellen und sogar beschlagnahmen. So ein Anfangsverdacht ist ja schnell zur Hand, und wenn er sich später nicht bestätigt, wird das Telefon eben zurückgegeben. Natürlich erst, nachdem es gründlich untersucht wurde! Machen Sie sich also darauf gefasst, was passieren kann, wenn Ihnen ein Polizist bei einer Verkehrskontrolle sagt: „Bei Ihnen piept’s!“

Die Norm gilt vorerst nicht für Beifahrer, die solche Apps noch benutzen dürfen. Da hat das Gesetz eine lustige Lücke. Blöd ist das ganze somit vor allem für Alleinfahrer, die im Zweifel nicht mal einen Zeugen dafür haben, dass es bei ihnen nicht „gepiept hat“.

Mir geht es hier nicht darum, „Blitzer-Apps“ zu verteidigen, obwohl deren Erfolg ein schönes Beispiel dafür ist, wie sich ziviler bürgerlicher Ungehorsam heute zu digitalen Netzwerken verknüpft, um staatlich verordneter Beutelschneiderei und Verfolgungsdruck auszuweichen. Ich habe auch nicht die Befürchtung, die Polizei würde nun überall Piepsgeräusche hören und massenhaft Handys beschlagnahmen. Die Polizei hat weiß Gott anderes zu tun.

Rechtsstaat ohne Gewaltenteilung?

Es geht vielmehr darum, dass die Gewaltenteilung in diesem Land nicht sehr ausgeprägt ist. Das hat erst im Mai 2019 der EuGH durch seine Entscheidung bestätigt, der zufolge deutsche Staatsanwälte keine Europäischen Haftbefehle ausstellen dürfen. Es gebe „keine hinreichende Gewähr für Unabhängigkeit gegenüber der Exekutive”, so die Richter am EuGH, die Deutschland damit zum rechtsstaatlichen Schwellenland erklärten.

Gerade erst wurde das NetzDG um eine Meldepflicht für „Hass im Netz“ verschärft. Doch so sehr ich mir auch wünschen würde, dass dadurch gerade die immer schamloser auftretende antisemitische und antiisraelische Propaganda verstummt, ist der Kollateralschaden der Gesetzesverschärfung wohl größer als der Nutzen.

Man braucht nicht viel Phantasie, um sich vorzustellen, dass sich diese Aufweichung des Schutzes der Privatsphäre via StVO unter dem Vorwand der Bekämpfung einer unklar definierten Emotion wie Hass ganz wunderbar dazu nutzen ließe, den Druck auf unliebsame Politiker oder Publizisten zu erhöhen, ohne dass man dafür auf die Ebene der richterlichen Beschlüsse vorrücken muss.

Denn wer die Macht hat und die Deutungshoheit besitzt, kann beides definieren: was Hass ist und wo es piepst.

Dieser Beitrag erschien zuerst auf Roger Letschs Blog Unbesorgt.

Foto: Pixabay

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Leserpost

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Margit Broetz / 02.03.2020

Nein Herr Letsch, Demokratie ist eben nicht, vier Wölfe und drei Schafe über das Abendmahl abstimmen zu lassen, denn ohne Rechtsstaat ist Demokartie nichts (“Wollt ihr den totalen Krieg? Totaler als ihr euch vorstellen könnt?” wäre sonst auch demokratisch gewesen). Demokratisches hat innerhalb rechtsstaatlicher Regeln stattzufinden, auch die Regierung hat sich an Gesetze zu halten. Deshalb dürften die Wölfe das Abendessen nicht zur Abstimmung bringen, so wie Deutschland eine Abstimmung über einen Angriffskrieg oder kollektiven Selbstmord verboten ist. Und deshalb glaube ich auch nicht mehr, Deutschland hätte noch was mit Demokratie zu tun. Das ist nur noch Kasperltheater für die Unterschicht.

E Ekat / 02.03.2020

Eure Sorgen möchte man haben.

Detlef Jung / 02.03.2020

Lieber Herr Letsch, herzlichen Dank für die fürsorgliche und pragmatische Informationsaufbereitung zum Thema Anfangsverdacht - speziell im Kontext der Individualmobilität. Der Politik ist sie erst seit einem halben Jahrzehnt ein Kobold in der Batterie, aber die Uniformierten waren da schon immer auf Seiten der Nichtmobilisierten - jeden falls so lange ich hinter dem Lenkrad sitzen durfte. Für die Siebziger und früher kann ich leider nicht sprechen. Aber seit eh und je sinds die Mitglieder der Exekutive gegenüber dunklen BMW ausgesprochen feinverzahnt eingestellt. Wenn´s kontrolliert werden willst schappst dir einen idealerweise nicht mehr ladenneuen, leicht tiefergelegten Münchner oder Deggendorfer und bewegst dich vorschriftsmäßig im Dunstkreis der lavierenden Dienstmarkeninhaber. Klappt - immer - auch nachts. Auch wenn´s man´s gar nicht brauchen kann, weil man zu einem wichtigen Termin muss. Und deren Vorhaltungen können mit den Auslassungen eines Herrn Relotius aber ganz geschmeidig mithalten. -//- Selber Fahrer, anderes Auto (eher auffällig und daher sollte man meinen, anfällig für Kontrollen)  - kannst wahrscheinlich nen Burnout machen und bekommt nur ein freundliches Nicken. So macht halt der in einheitliche Kleidung Gezwungene beim Benutzen seiner Synapsen die gleichen Fehler und bedient sich der selben Vorurteile als wir, die wir nicht über Macht und Mütze verfügen. Ansonsten gilt - Augen auf im (Straßen-)Verkehr und immer schön die Lücken suchen.

Bernhard Idler / 02.03.2020

Eine kleine Korrektur: Die Änderung der StVO ist noch nicht in Kraft getreten, auch wenn die Medien das in kollektiver Ignoranz/Faulheit allesamt so melden. Aber es ist sicher nur noch eine Sache von Wochen, denn es gilt ja zu kassieren. Die Blitzerapps melden übrigens nicht nur Blitzer, sondern auch Gefahren wie Hindernisse, Stauende, Unfälle… sie erhöhen nicht nur mit ihrer Erinnerung an die vorgeschlagene Geschwindigkeit die Verkehrssicherheit. Wer an etwas gefährlichem vorbeikommt oder halten muß, drückt drauf, und dann werden alle nachfolgenden Nutzer gewarnt.

Sirius Bellt / 02.03.2020

Bürgerrechte werden mehr und mehr eingeschränkt. Handys können künftig problemlos konfisziert werden. Worte müssen auf die Goldwaage gelegt werden. Gleichzeitig wird die Stimmung immer schlechter und der Aggressionslevel steigt. Die einen arbeiten sich zu Tode und die anderen langweilen sich zu Tode. Lebt der Datenschutz noch oder ist der auch hirntot?

Karsten Dörre / 02.03.2020

War es nicht vor Kurzem, dass man wen zur Abschiebung abholen wollte, aber irgendwelch Fristablauf die Abholer lediglich zur Frage beim Abholenden veranlasste:“Wollen Sie abgeschoben werden?”, der Abzuholende “Nein” antwortete und der Akt der deutschen Verzweiflung beendet war?

Peter Petronius / 02.03.2020

Solidarität gibt’s nur für Sarrazin & andere Promis, nicht für Nonames! - Ich hatte bereits Ende der 2000er Besuch von einem Rollkommando des Polizeilichen Staatsschutzs, allerdings morgens um 7 Uhr. Es folgten ein Verhör auf dem Präsidium und Ermittlungen der Staatsanwaltschaft. Anlass war ein faktenbasierter islamkritischer Kommentar auf einem Blog, der irgenwelche Denunzianten zu einer Anzeige wegen Volkshetzung animierte. Während der Staatsanwalt ermittelte, erkundigte ich mich bei meiner Rechtsschutzversicherung ..., nein, Volksverhetzung sei nicht durch die Versicherung gedeckt - kurz darauf wurde mir ohne Nennung von Gründen die Versicherung gekündigt (vermutlich landete ich danach auf einer Blacklist). Ein Bonbon des Verhörs, ... ich wurde schon angefeindet, weil ich mich pro-israelisch geäußert habe, .., dann solle ich mich halt nicht pro-israelisch äußern, so der Beamte. Die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft wurden nach meiner schriftlichen Stellungsnahme - meine de facto dritte Diplomarbeit mit sehr viel Anhängen - einsgestellt. Im Jahr 2016 erlebte ich dann ähnliches, aber das ist zu speziell und damit gegenfalls rückführbar, weshalb ich mich nicht dazu äußern möchte. Seither bewege ich mich unter einem Pseudonym im Internet und bin der Meinung, daß Personen, die als Islamkritiker unterwegs sind und damit populär geworden sind und reichlich Kohle scheffeln, einen Fond für Nonames einrichten sollen, die unter die Räder von Rollkommandos geraten sind, aber weder durch Popularität noch durch Kohle abgesichert sind. Danke!

Peter keller / 02.03.2020

Peanuts. Kommen Sie mal in die Schweiz, da ist der autofahrende Bürger IMMER ein potentieller Terrorist: Autos dürfen ohne Verdacht durchsucht werden, jegliche Blitzerwarnungen sind verboten, Selbstbegünstigung ist verboten…alles in allem ein übergriffiger Staat, alles im Namen des Kollektivs. Jedes Volk hat die Gesetze die es verdient.

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