Putins Krieg ist in Beziehung auf unsere Energieversorgung lediglich ein Katalysator, der eine Notlage vorwegnimmt, in die wir uns über viele Jahre in verschieden großen Schritten hineingewöhnen wollten. Atomausstieg, Kohleausstieg, Vernunftausstieg…
Lange Zeit hatte er idealisierend über Wölfe geschrieben, nun ruft er mit nervösem Vokabular „Wolf!“ und die Leute glauben ihm. Niemand war erstaunter als ich darüber, zu welcher ideologischen Rosskur die Realität ausgerechnet den grünen Wirtschaftsminister Habeck zwang. Auch Markus Lanz konnte sein Glück kaum fassen, wie schonungslos der zugeschaltete Minister seine Fragen beantwortete, wie ungeschminkt, ja geradezu undiplomatisch ehrlich er die Lage darlegt. Besonders dieser eine Satz nötigte mir einigen Respekt ab. So sagte Robert Habeck am 31.3.22 bei Lanz.
„Die schiere Physik steht den makroökonomischen Modellen im Weg.“
Es ging natürlich um unsere auf Kante genähte Energieversorgung und die Fragen, ob, wie und wie schnell wir uns aus der Abhängigkeit von russischen Energieimporten lösen können. Der oben zitierte Satz gehört als Sinnspruch jedem künftigen Parteiprogramm der Woke-Fraktion vorangestellt. Strahlt ihn an den Reichstag, hängt ihn von Brücken, klöppelt ihn in Spitzendeckchen, denn dass streitlustige Blogger wie ich diese Trommel seit Jahren schlagen, hat offensichtlich nichts bewirkt. Als Physiker, Kraftwerkstechniker und Wirtschaftswissenschaftler diesen und ähnliche Sätze sagten, wurden sie als ewiggestrige Kohlefans und als von der Kernkraftlobby bezahlt diffamiert. Die Physik steht dem Modell im Weg und nachdem es jahrelang hieß „Pech für die Physik“, landet das Modell hart auf ukrainischem Boden. Es handelt sich bei diesem Bruchpiloten um das Modell „Klimarettung durch Energiewende“.
Es kommt in Deutschland leider nie auf Kompetenz an oder wer etwas sagt. Es kommt vielmehr auf die Stellung an, die der Sprecher innehat. Inhaltliche Opposition zur Macht zählt da nicht viel, und Veränderungen kommen zwischen Rhein und Oder (bis auf eine Ausnahme zwischen Elbe und Oder) stets von oben. Hierarchie schlägt Kompetenz, und der durchschnittliche Deutsche hat, trotz seiner demokratischen und republikanischen Lippenbekenntnisse, ein ausgeprägt serviles Verhältnis zu Autorität, besonderes, wenn sie verkleidet daherkommt. Die „Wissenschaft“, der zu folgen man gern vorgibt, ist nichts als eine Maske, hinter der man sich mangels rechtfertigender Argumente versteckt. Aus Fragen und Kritik wird Konformität und Gewohnheit und ist man erst mal dort angelangt, enden alle Fragen. Nicht nur bei der Energiewende, wie ich heute feststellen durfte. Ich war gerade einkaufen, und obwohl heute die entsprechenden Regeln in meinem Bundesland ausgelaufen sind, war ich im Supermarkt der einzige Kunde ohne Maske. Mir war wirklich zum Heulen zumute.
Doch sei’s drum, wenn es ein grüner Kinderbuchautor und Minister ist, der die ungeheuerliche Wahrheit von unserer energetischen Nacktheit ausspricht, dann ist das eben so! Zu dumm nur, dass er und seine Partei es auch waren, die seit 20 Jahren von den tollen neuen Kleidern schwärmen, die wir uns bereitwillig anzogen.
Atomausstieg, Kohleausstieg, Vernunftausstieg
Natürlich ist es bequem, im Moment Putin für alles verantwortlich machen zu wollen, was schiefläuft. Der wird sich auch kaum die Mühe machen, die Anschuldigungen in einer ausführlichen Pressekonferenz oder bei Lanz zu widerlegen. Putins Krieg war in Beziehung auf unsere Energieversorgung jedoch lediglich ein Katalysator, der eine Notlage vorwegnimmt, in die wir uns über viele Jahre in verschieden großen Schritten hineingewöhnen wollten. Atomausstieg, Kohleausstieg, Vernunftausstieg… Die Vorbereitung auf drohende Blackouts bestand jedoch nicht in technischen Maßnahmen, sondern in politischem und medialem Feuerwerk. Da waren Marie-Antoinette-würdige Anleitungen zum Energiesparen, SUV-Scham, moralische Erpressung in Richtung Tempolimit, staatlich veranlasste „Kochbücher“ für die stromlosen Momente im Leben und immer wieder Beteuerungen, man habe die Lage im Griff, die Energiewende laufe gut, man sei breit aufgestellt, Abhängigkeiten gebe es nicht.
Das arrogante Grinsen im Gesicht des Heiko Maas bei der Rede Trumps vor der UN-Vollversammlung, bei der er die deutsche Abhängigkeit von russischem Gas ansprach, steht mir noch deutlich vor Augen. Ja, wir leisteten uns sogar Clowns und Jongleure wie Kemfert und Quaschning, die von ihren gut dotierten Kanzeln herab die Energiewende predigten und das fossile Zeitalter ins Fegefeuer verbannten. Und sie predigen immer noch! Ebenso medial-aktivistische Frontgesichter aus der Mir-geht’s-zu-gut-und-mir-ist-langweilig-Abteilung wie Luisa Neubauer, für die jedes energetische Problem nur eine Lösung kennt: viel mehr und viel schneller Solar- und Windenergie! Putins Krieg hat jedoch den doppelten Boden weggerissen, auf dem alle Zaubertricks mit den erneuerbaren Energien beruhen: reichlich billiges russisches Erdgas. Den Zugang wollten wir uns via Ostsee direkt in die Vene legen lassen.
Unsere sogenannten Leitmedien stimmen uns nun auf die neue, moralisch schicke Knappheit des „weniger ist mehr“ ein und schwelgen in DDR-Nostalgie. Es war ja nicht alles schlecht, im Osten! Triste Verpackungen und das Glätten von Geschenkpapier zwecks erneuter Verwendung waren laut Spiegel nicht etwa Ergebnis von Mangel und Planwirtschaft, sondern Ausdruck dafür, dass die Dinge in der DDR einen „Wert an sich“ gehabt hätten. „Lernen von der DDR, wer hätte das gedacht“ lautet das merkwürdige Fazit eines Spiegel-Artikels von Sabine Rennefanz.
Gelernt wurde natürlich schon damals viel. Siegen zum Beispiel. Und der militärische Duktus bei „Aktuelle Kamera“ und „Neues Deutschland“ war kein Zufall. Schließlich waren es die konskribierten Soldaten der NVA, die in jedem Winter in Armeestärke in die Braunkohletagebaue einrücken mussten, um die alljährliche Winterschlacht gegen Frost, Blackout und Mangelwirtschaft mit schwerem Gerät, Muskelkraft und Deputat-Schnaps zu schlagen. Die zentrale Planung schaffte es mit Mühe, minderwertige und schweflige Braunkohle aus dem Dreck zu klauben und zu verbrennen. Erst mit dem Einzug der heute von Klimaschützern verteufelten Marktwirtschaft nach 1990 wurde die Luft besser.
Ausgerechnet die globale Erwärmung als Verbündeten ansehen
Den permanent drohenden Energiemangel konnte die DDR nie endgültig in den Griff bekommen, und schon damals half die „brüderliche Verbundenheit“ mit der Sowjetunion wenig. Von der DDR lernen, heißt also, sich mittels Planwirtschaft so in die Ecke treiben zu lassen, dass einem die Ideen ausgehen und energetisch alles so auf Kante zu nähen, dass sich schon ein kleines Wetterereignis zum systembedrohenden Ernstfall aufschwingen konnte. Der Witz, die vier Feinde des Sozialismus seien Frühling, Sommer, Herbst und Winter, war ein Dauerbrenner.
Nun, da sind wir ja fast wieder, angesichts des medialen Aufatmens bei niedrigem Füllstand der Gaskavernen und des milden Märzwetters. Doch dann schickte Putin (wer denn auch sonst!) am 1. April Winterkälte mit Schnee und erinnerte uns daran, dass wir angesichts der beginnenden Energieknappheit ausgerechnet die globale Erwärmung als Verbündeten ansehen müssen, statt uns künftig noch klimagerettete weiße Weihnachten wünschen zu dürfen. Die energetische Anämie der Bundesrepublik wird aber sicher angenehmer verlaufen, weil der Spiegel sie in velinschönes, glattgestrichenes Geschenkpapier aus Worten zu kleiden weiß. Aus Sparsamkeitsgründen dann aber nur noch online und im wöchentlichen Wechsel mit dem Focus, versteht sich! Opfer müssen gebracht werden für den Sieg!
Die immer wieder lokal auftretenden Stromausfälle (heute würde man wohl Brownout dazu sagen) bekam man im energetischen Arbeiter- und Bauernparadies DDR übrigens erst einigermaßen in den Griff, als das Kernkraftwerk bei Greifswald in Betrieb ging. Hierzu empfehle ich dringend die Schilderungen von Manfred Haferburg, der dort mal Schichtleiter war. Wir hingegen sind heute drauf und dran, auch noch die letzten Kernkraftwerke abzuschalten. Diese DDR-Lektion heben wir uns wohl für später auf.
Die mangelhafte Resilienz unseres Stromnetzes – von den Stromkosten ganz zu schweigen – wächst sich immer schneller zum Standortnachteil aus. Und hier kommen wir zu den entscheidenden Fehlschlüssen grüner Politik, unseres geläuterten Wirtschaftsministers und auch des Spiegel-Artikels, weil die private Entscheidung zu Sparsamkeit und Verzicht, die selbst in der Summe kaum noch Sparpotenzial haben, mit absolut notwendiger Prozess-Energie gleichgesetzt wird. Chemie, Metallurgie, die Herstellung von Zement, Kupfer, Aluminium – übrigens alles Dinge, die auch für Windrädchen in großer Menge benötigt werden – lassen sich nicht sparsamer gestalten, indem man das Geschenkpapier weglässt oder die Verpackungsfolie in den gelben Sack steckt. Der Gipfel der Ironie: Die zur Schmelze von Metallen nötige Energie kommt hierzulande angesichts der hohen Stromkosten bei vielen Firmen aus Erdgas. Die Umstellung von teurem Strom auf „billiges“ Gas ist vielerorts gerade vollzogen worden. Man hat also, auf die politischen Versprechen bauend, den Teufel gegen den Beelzebub getauscht.
Erdgasabhängigkeit als Folge des Ausbaus von Wind- und Solarenergie
Wer übrigens aus den Worten Habecks schließt, die Grünen und das sie tragende Milieu seien nun aus ihrem paradiesischen Traum in der physikalischen Realität erwacht, liegt leider falsch. Die Ursachen für unser Dilemma bleiben unerkannt, und die Schuldzuweisungen sind so falsch wie immer. Sabine Rennefanz vom Spiegel schreibt:
„Wenn Unabhängigkeit von Russland und Öl und Gas den meisten Wählern wichtig gewesen wäre, dann hätten die Grünen doch schon 2017 eine absolute Mehrheit gewinnen müssen.“
Soll heißen, wenn statt Nordstream2 einfach ein paar Windräder mehr gebaut worden wären, hätte uns der schnelle Ausbau der „Erneuerbaren“ längst in die Autarkie geführt. Das ist leider kompletter Unsinn! Man sieht nicht oder will nicht sehen, dass unsere Erdgasabhängigkeit direkt und unmittelbar die Folge des extensiven Zubaus von Solar- und Windenergie, also gewissermaßen deren dunkle und verleugnete Seite ist.
Ich rede hier gar nicht vom Ausstieg aus Kernkraft und Kohle, sondern vom akuten Bedarf an elektrischer Regelarbeit als Lückenbüßer für den bekanntermaßen volatilen Energiewendestrom. Die schnell regelbaren Gaskraftwerke sind es, die die halbwegs geregelte Einspeisung von Solar- und Windstrom erst möglich machen. Da wir keine nennenswerten Energiespeicher haben und wohl auch nie haben werden, sind Gaskraftwerke die einzige verfügbare Technologie, die dazu in nennenswertem Umfang in der Lage ist – und die brauchen nun mal Gas. Kohle und Kernkraft sind wunderbar stabil grundlastfähig, aber völlig ungeeignet, den Zappelstrom zu glätten. Statt also das Heizungsthermostat zuzudrehen und auf der Autobahn aus Protest gegen Putin 100 zu fahren, müsste sich der Volkszorn sinnvoller gegen Windräder und Solaranlagen richten.
Angebot, Nachfrage, Gelegenheit
Und wenn Sie mal wieder unter einem sich drehenden Windrad stehen, liebe Leser, dann lauschen Sie! Hören Sie nicht auch die Stimme Putins, die im Takt der Windradflügel „zehn Cent, zehn Cent, zehn Cent, zehn Cent…“ flüstert? Er kann ja Deutsch, der Putin. Kurz: Die deutsche Energiewende ist es, die Putin bei der Finanzierung seines Kriegs gegen die Ukraine hilft. Für ihn hätten es ruhig schon mehr Windräder sein können, die sich in Deutschland drehen, und im Gesicht Robert Habecks bei Lanz war abzulesen, dass er dies nun auch weiß. Es jedoch auszusprechen, so weit geht sein erwachter politischer Realismus dann leider nicht.
Ein bisschen sparen, ein bisschen Flüssiggas, ein bisschen Lastabwurf und Triage beim Energiebedarf – das scheint die Strategie Deutschlands zu sein, um aus der selbstverschuldeten Abhängigkeit von Russland herauszukommen. Alles Mögliche wurde schon erwogen. Habeck reiste nach Qatar, eine US-Delegation nach Venezuela, Energie-Hilfspakete werden geschnürt, und Biden gibt einen beträchtlichen Teil der strategischen Ölreserve ab. Wie schon seit zwei Dekaden versucht man, jedes Problem mit Geld zuzuschütten und Unsicherheiten mit den Werkzeugen der Planwirtschaft zu bearbeiten. Nur eines wurde noch nicht in Betracht gezogen, weil es immer noch eine heilige ideologische Kuh gibt, die nicht angerührt werden darf: die längst obsoleten „Pariser Klimaziele“.
Weder in den Vereinigten Staaten noch in Deutschland wird erwogen, die heimische Energieproduktion wiederzubeleben und – statt der seit Jahren üblichen Verschiebung von CO2-Emissionen ins Ausland, um die eigene Bilanz aufzuhübschen – sich ehrlich zu machen und sich zum Beispiel mit Hilfe von Kernkraft und Schiefergas-Fracking möglichst unabhängig von russischem Öl und Gas zu machen. Die Grünen wollen eine „Wasserstoffwirtschaft“ ankurbeln? Nur zu! Doch dafür braucht es die Kernenergie! Die Windräder sollen sich weiter drehen? Bitte, dann brauchen wir Gas für die Flautenschieberkraftwerke! Nur auf der Angebotsseite lässt sich der Preis mittelfristig stabilisieren und unerwünschte Abhängigkeiten beenden. Nur so lässt sich tatsächlich wirksam Druck auf Putin ausüben, nur so zieht man bei einem Gas-Boykott – von welcher Seite auch immer der ausgehen mag – nicht das kürzere Streichholz. Nur so bleibt auch in der Krise genug Wirtschaftsleistung übrig, um Freunden zu helfen.