Robert Habeck war ein maßgeblicher Drahtzieher in der Bekämpfung der CO2-Abscheidung. Jetzt rudert er zurück – aber das reicht nicht.
Nun soll es hierzulande doch CO2-Abscheidungen aus Abgasen, Transport von CO2 durch Pipelines und die Tiefenverpressung von CO2 geben. Allerdings nur für Abgase aus Zementwerken und Müllverbrennung.
Der Elefant steht nach wie vor im Raum. Der Verzicht auf die russischen Erdgasimporte, die Stilllegung der letzten Kernkraftwerke hat es unabweisbar gemacht, dass Kohlekraftwerke in Deutschland weit über 2030 hinaus betrieben werden müssen, wenn nicht die Stromversorgung in Deutschland zusammenbrechen soll. Daher müsste eine verantwortungsbewusste Energiepolitik dafür sorgen, dass die CO2-Abscheidung vor allen Dingen bei Kohle- und Gaskraftwerken zum Einsatz kommt, damit deren Weiterbetrieb gewährleistet werden kann. Davor drückt sich die Bundesregierung und verbreitet stattdessen weiter das Märchen, man könne in Deutschland die Sicherheit der Stromversorgung mit Gaskraftwerken gewährleisten, die später zu Wasserstoffkraftwerken umgerüstet werden sollen. Wasserstoffkraftwerke werden aber den Strompreis verdrei- bis -vierfachen und damit das Ende von industrieller Produktion und des Wohlstands in Deutschland besiegeln.
Es ist schon als Politikversagen zu kennzeichnen, wenn eine Bundesregierung erst zwei Jahre nach dem russischen Einmarsch in die Ukraine eine Technologie, die der Weltklimarat IPCC seit Jahren fordert, in Deutschland wieder ermöglicht.
Es gibt das Verbot der CO2-Abscheidung (CCS) in Deutschland seit 2012. Pilotvorhaben waren erlaubt, aber alle norddeutschen Länder (CDU-SPD-FDP-Grün regiert) haben von der Klausel Gebrauch gemacht, selbst solche Forschungsvorhaben auszuschließen. Einer der Hauptinitiatoren für ein Verbot war seinerzeit der Landesvorsitzende der Grünen in Schleswig-Holstein, Robert Habeck, der die Initiative gegen ein CO2-Endlager mit den Worten unterstützte: „Schleswig-Holstein ist das Land der Erneuerbaren Energien und keine Müllhalde für CO2.“
Rein genug für Sprudel der Getränkeindustrie
Er erreichte seinerzeit, dass die damalige CDU-Landesregierung einen entsprechenden Antrag im Bundesrat stellte, der dann später Gesetz wurde. Die in Schwarze Pumpe errichtete Pilotanlage, die als erste weltweit eine funktionierende CO2-Abscheidung für Braunkohlekraftwerke nachwies, wurde stillgelegt.
RWE hatte im Jahre 2009 (ich war damals Geschäftsführer der RWE für Erneuerbare Energien) eine voll funktionsfähige Pilotanlage zur Abscheidung von CO2 in einem Teilstrom des Braunkohlekraftwerks in Niederaußem errichtet. Und sie läuft immer noch erfolgreich. Die Entwicklung von RWE, BASF und Linde ist mittlerweile als Stand der Technik anzusehen: Die Abscheidung von über 90 Prozent des CO2 aus einem Teilstrom des Abgases ist auf Dauer nachgewiesen, die Kosten belaufen sich auf sagenhafte 30 €/t CO2 ( P. Moser, G. Wiechers, S. Schmidt, K. Stahl, G. Vorberg, T. Stoffregen VGB Powertech 1/2, 2018, S. 43). Der Wirkungsgradverlust beträgt weniger als 10 Prozent.
Niederaußem soll aber nach den Plänen der Bundesregierung, der schwarz-grünen Landesregierung und von RWE in 2030 einschließlich der Abscheideanlage stillgelegt werden. Die Technik könnte die Emission und die CO2-Kosten von Braunkohlestrom massiv reduzieren (30 €/t CO2 anstatt 80–100 €/t CO2 Zertifikate). Das abgeschiedene CO2 aus Niederaußem ist übrigens so rein, dass es in der Getränkeindustrie für Sprudelflaschen eingesetzt wird.
Und selbst RWE will es zur Anwendung bringen – aber nur in England für die dortigen Gaskraftwerke des Konzerns. „CCS-Projekte könnten in Zukunft Stromerzeugungskapazitäten von bis zu 4,7 Gigawatt sichern und pro Jahr 11 Mio. t CO2- Emissionen vermeiden“, heißt es stolz auf der Website von RWE. Es geht um die Gaskraftwerke Pembroke, Wales und Staythorpe. RWE spricht von „grünen Gaskraftwerksprojekten”.
Habeck als maßgeblicher Drahtzieher
Warum nicht in Deutschland? Die Grünen sind Gefangene ihrer eigenen ideologischen Denkverbote. Maßgeblicher Drahtzieher des 2014 beschlossenen CCS-Verbots in Deutschland war der damalige schleswig-holsteinische Energiewendeminister Robert Habeck 2014: „Wir wollen kein CCS als Reinwasch-Technologie für die klimaschädliche Kohleverbrennung.”
Die Entstehungsgeschichte des Verbots kenne ich aus eigener Anschauung. Im Jahre 2008 wurden beim Stromversorger RWE ernsthafte Pläne entwickelt, um aus Kohlekraftwerken CO2 abzuscheiden und in einem ersten Schritt in tiefe Schichten unterhalb des Grundwasserspiegels zu verpressen. Die Kosten wurden seinerzeit auf 50 bis 60 Euro pro Tonne CO2 geschätzt. Das war deutlich weniger, als die Vermeidungskosten von CO2 durch Wind- und Solarenergie in Deutschland ausmachen.
Bei der Grundsteinlegung des neuen Kohlekraftwerks Hamm in Westfalen 2008 verkündete der damalige Vorstandvorsitzende des RWE-Konzerns, Jürgen Großmann, in Anwesenheit der Bundeskanzlerin Angela Merkel, dass man ein Braunkohlekraftwerk in Hürth plane, bei dem CO2 abgeschieden werden solle und eine unterirdische Speicherung für zwei Milliarden Euro plane.
Das war das Ende von CCS (Carbon capture and sequestration, Kohlenstoff abtrennen und speichern) in Deutschland. Denn in Hamm wurde erklärt, dass eine 500 km lange Pipeline geplant sei, um das abgetrennte CO2 in unterirdische Lagerstätten in Schleswig-Holstein zu verbringen. Kaum war die Vision über den Ticker der Nachrichtenagenturen gelaufen, wurde ein Sturm der Entrüstung entfacht.
Gute Argumente für China
Die erste Demo gegen ein „CO2-Endlager“ gab es fünf Tage später in Berlin. Die Grünen sammelten Unterschriften, und der damalige Landesvorsitzende der Grünen Robert Habeck unterstützte die Initiative mit seinem bereits erwähnten Müllhaldenzitat. (Die Geschichte dieses grünen Technologieverbots ist im einzelnen nachzulesen in: Fritz Vahrenholt „Die große Energiekrise – und wie wir sie bewältigen können“, 2023 LangenMüller)
CCS bedeutet die Abtrennung von CO2 aus den Abgasen, zumeist durch Absorption mit Hilfe basischer Aminlösungen (Monoethanolamin). Das konzentrierte und verdichtete Kohlendioxid muss zur Vermeidung von Säurebildung sehr trocken (weniger als 0,005 Prozent Wasser) in Pipelines oder Tankschiffen zu den Speicherstätten transportiert werden. Dies wird in den USA und Kanada bereits praktiziert.
Würde man in Deutschland den ideologischen Krieg gegen Kohlekraftwerke beenden und diese Technologien auch dort zur Anwendung kommen lassen, hätte man gute Argumente, um von China den Einsatz dieser Technik zu verlangen, da das Land seine riesigen Kohlevorräte weiter nutzen wird.
Andere Länder sind zwischenzeitlich an die Stelle Deutschlands in der Technikentwicklung von CCS getreten. Das ist in gewisser Weise tröstlich. Denn irgendwann einmal wird eine zukünftige Bundesregierung sich an die heimischen Braunkohleschätze erinnern, die Deutschland wettbewerbsfähige, weil vom Weltmarkt unabhängige Strompreise garantieren würden.
Basaltsteine aus CO2
Die Speicherung von CO2 in tiefen, salzwasserhaltigen Gesteinen oder erschöpften Erdgas- oder Ölfeldern kann als erprobt angesehen werden. Immerhin werden weltweit mittlerweile 40 Millonen Tonnen CO2 in 27 CCS-Projekten auf diese Weise gespeichert. Die Formationen sind dadurch begrenzt, dass über dem Speichergestein eine undurchlässige Schicht von Barrieregestein vorhanden sein muss. Des Weiteren sollte das Speicher- und Barrieregestein eine geologische Faltenstruktur aufweisen, um die Ausdehnung des Feldes zu begrenzen.
Es werden außerdem nur Felder benutzt, die eine Mindesttiefe von 1.000 Metern aufweisen, damit das CO2 den Porenraum mit hoher Dichte füllt. Im Laufe der Zeit steigt die naturgegebene Speichersicherheit, weil zunehmend CO2 in Form von festen Carbonaten dauerhaft in die Speichermatrix eingebaut wird.
Die wohl faszinierendste Entwicklung findet zurzeit in Island statt. Dort wird CO2 durch das Unternehmen Carbfix CO2 aus isländischen Geothermiekraftwerken in wässriger Lösung in tiefe Basaltgesteine gepresst. Basalt besteht aus Calcium- und Magnesiumsilikaten.
CO2 verbindet sich mit Calcium und Magnesium und mineralisiert zu einem dolomitähnlichen Festgestein. Während dieser Mineralisierungsprozess bei anderen Sedimenten hunderte von Jahren dauert, mineralisiert CO2 im Basalt zu 95 Prozent in zwei Jahren. Basalt ist eine der häufigsten Gesteine auf der Erde, insbesondere im Ozeanboden. Die Pilotanlage Hellisheidi in Island soll nun erweitert werden. Island baut hierzu einen Importhafen für CO2 in Straumsvik.
Raum für die CO2-Emission der nächsten 300 Jahre
Die weltweit 27 Projekte sind unterschiedlichster Natur. Dazu gehören die Herstellung von Wasserstoff aus Erdöl und Erdgas, die Abtrennung von CO2 in der Stahl- und Zementindustrie und die Abscheidung von CO2 aus Kohlekraftwerken. Die augenblicklich abgeschiedenen Mengen von 40 Millionen Tonnen CO2 jährlich erscheinen in Anbetracht der Gesamtemission von 36 Milliarden Tonnen CO2 sehr gering. Andererseits sind nach dem Global CCS Institute mittlerweile geeignete geologische Schichten von 12.000 Milliarden Tonnen identifiziert worden. Rechnerisch würde das die CO2-Emission der nächsten 300 Jahre abdecken. Für die Speicherung kommen vor allen Dingen die geologischen Schichten infrage, die seit Millionen von Jahren Öl und Gas fest eingeschlossen hatten.
In Norwegen müssen alle neuen Gaskraftwerke über CCS-Anlagen verfügen. Norwegen, der größte Ölproduzent Europas, wirbt damit, CO2 zurückzunehmen. Die Ölgesellschaften Equinor, Shell und Total untersuchen das „Northern Lights Projekt“, bei dem CO2 auch aus EU-Ländern in der Johannsen-Formation, 2.600 Meter tief unter der Nordsee, endgelagert werden kann.
Beim Besuch des Bundeskanzlers während der Ukraine-Krise am 16. August 2022 in Norwegen wies der norwegische Ministerpräsident Jonas Gahr Störe sehr entschieden darauf hin, dass man „ohne die Abscheidung und anschließende Speicherung des Treibhausgases… die Klimaziele nicht erreichen könne.“ Norwegen habe sehr große und gute Erfahrung darin, Kohlendioxid in 3.000 Metern Tiefe unter der Nordsee einzulagern. „Wir haben Erfahrung und wissen, dass es dort bleibt. Das ist ein sicherer Lagerort.“ In der Zukunft könnte „Norwegen die Emissionen ganz Europas unter der Nordsee speichern."“
Die Reaktion von Scholz war aufschlussreich: Bei der Abscheidung von CO2 „an der Quelle“ habe es „faszinierende" technische Fortschritte in den vergangenen Jahren gegeben. Aber Deutschland schaltet lieber Kohlekraftwerke ab und treibt die Deindustrialisierung des Landes voran.
Wollte man eine wirkungsvolle und effiziente CO2-Minderung, so müsste man alle ostdeutschen Braunkohlekraftwerke, die noch bis 2038 betrieben werden können, mit einer CO2-Abscheidung ausstatten. Die ostdeutschen Braunkohlekraftwerke produzieren 50 TWh Strom und emittieren etwa 50 Millonen Tonnen CO2. Um die 14 Kraftwerksblöcke CO2-frei zu machen, müssten etwa 8,5 Milliarden Euro investiert werden. Also für einen kleinen Bruchteil (1/20) des Habeckschen Monster-Plans an Investitionen in Wärmepumpen erhält man die fünffache Menge an Emissionsminderung. Die Investition in eine Abgasreinigung in Braunkohlekraftwerke wäre somit um den Faktor 100 effizienter.
Warum macht die Politik das nicht? Ich habe keine Antwort.
Fritz Vahrenholt ist Honorarprofessor an der Universität Hamburg im Fachbereich Chemie und war bis 1997 Umweltsenator der Freien und Hansestadt Hamburg. Von 1998 bis 2013 war er in Vorstandsfunktionen im Bereich der Erneuerbaren Energien bei der Deutschen Shell AG, der Repower Systems AG und der RWE Innogy. Er war bis Ende 2019 Alleinvorstand der Deutschen Wildtier-Stiftung. Aktuell schrieb er den Bestseller: „Die große Energiekrise – und wie wir sie bewältigen können“, 2023 LangenMüller)