Dr. phil. Robert Habeck verkündete praktisch unbemerkt zwei Weltsensationen. Erstens: müsse man "Bürokratie anders denken" (!) Zweitens: Wenn wir unsere Produkte wegen irgendwelcher Zölle nicht mehr absetzen können, denken wir uns ruckzuck neue Welterfolge aus!
Am Mittwochabend saß Friedrich Merz in der Sprechstunde bei Sandra Maischberger und sorgte für Schlagzeilen. Der Unions-Kanzlerkandidat zeigte sich offen für eine schwarz-grüne Koalition nach der Bundestagswahl. Außerdem schloss er nicht aus, dass Ampel-Wirtschaftsminister Habeck sein Amt in einer CDU/CSU-geführten Regierung behält: „Wir brauchen vor allem in der Wirtschaftspolitik einen Politikwechsel – mit oder ohne Habeck.“
Einen Tag später hatte Maybrit Illner den solchermaßen Geadelten zum Talk geladen. Der Unterschied zwischen den beiden Sendungen war, dass der Habeck-Auftritt kaum Widerhall fand. Und dort, wo berichtet wurde, schrieb man an den eigentlichen News vorbei. Niemandem bei den etablierten Medien fiel auf, welche Sensation der Vizekanzler verkündet hatte. Selbst bei X war kein einziger einschlägiger Post zu finden.
Ich hingegen wäre fast von der Leiter gefallen. Dazu müssen Sie wissen, dass ich mir Talkrunden selten live im Linear-TV gebe. Eher nutze ich an den Folgetagen die Mediathek, im konkreten Fall bei der Hausarbeit. Zwecks Sammelns von Partnerschaftspunkten war ich mit Fensterputzen beschäftigt, als ich Robert Habecks genialen Vorschlag hörte.
„Bürokratie anders denken“
An der entscheidenden Stelle ging es um Zölle und Einfuhrbeschränkungen (hier ab Minute 45:12). Moderatorin Illner fragte den Wirtschaftsminister, wie mit dem Druck einer neuen US-Regierung umzugehen sei: „Sie haben gesagt, vor Putin dürfe man sich nicht in den Staub werfen. Aber vor Donald Trump werden wir es am Ende müssen, weil wir abhängig sind?“
„Nein, sicherlich nicht“, erklärte Habeck. „Zölle, die treffen ja Europa dann, aber wahrscheinlich in Bereichen, wo die deutsche Wirtschaft besonders sensibel oder besonders stark ist. Darauf muss man sich einstellen. Das tun auch alle.“ Illner hakte nach: „Wenn wir jetzt hören, dass es mehr Egoismus, mehr Protektionismus geben wird, wie soll Europa schlau darauf reagieren? Wie soll Deutschland schlau darauf reagieren? Indem es das auch tut, indem wir auch egoistischer werden und sagen, wir erheben jetzt auch Zölle?“
Habeck antwortete abgewogen: Eigene Zölle seien einerseits „vielleicht notwendig“, aber „schlecht wäre es“. Man dürfe sich „jetzt auch nicht rumschubsen lassen, das gilt auch gegenüber China“. Die „bessere Lösung“ sei, dass „wir in Europa und vor allem wir in Deutschland“ wieder „mehr ins eigene Land investieren, dass wir unsere Infrastruktur hier machen, dass wir Innovationen in Europa, in Deutschland mehr wagen, dass wir die Bürokratie anders denken“.
„Dann müssen wir halt neue Produkte entwickeln“
„Bürokratie anders denken“ war bereits ein Knaller, fand ich. Aber das Beste kam erst: „Wenn wir unsere Produktion nicht mehr nach USA so einfach verkaufen können und China wiederum seine Produkte auf den europäischen Markt bringt, dann müssen wir halt neue Produkte entwickeln.“ Bam! Da war sie, die Lösung für jedes künftige Exportproblem. Noch einmal zum Mitschreiben: Wenn wir unsere Produkte wegen irgendwelcher Zölle nicht mehr im Ausland absetzen können, denken wir uns eben ruckzuck und klammheimlich neue Welterfolge aus. Eine faszinierende Idee von bestechender Eleganz: Einfach mal machen.
Klar, wie bei jedem genialen Konzept gibt es die eine oder andere offene Detailfrage. Was ist zum Beispiel, wenn Donald Trump unsere geheimen Neuprodukte bemerkt und sich dafür umgehend neue Zölle ausdenkt? Ein unwahrscheinliches Szenario, aber ich bin sicher, Dr. phil. Robert Habeck hat es längst durchgespielt. Vielleicht gibt es eine Antwort schon nächste Woche bei Lanz.
Ich persönlich war jedenfalls sofort überzeugt. Anders die beste kleine Frau von allen. Als ich ihr die Habeck-Aussagen auf dem iPhone vorspielte, reagierte sie, wie Frauen eben reagieren, emotional und ohne jede Kenntnis globaler Zusammenhänge: „Hat er denn in den drei Jahren gar nichts gelernt?“
Ich meine, wir sollten nicht zu streng mit ihr sein. Sie ist schließlich nicht vom Fach. Als Kunstgeschichtlerin kann sie nicht so viel von Wirtschaft verstehen wie der aktuelle – und möglicherweise künftige – Wirtschaftsminister der Bundesrepublik Deutschland.
Robert von Loewenstern ist Jurist und Unternehmer. Von 1991 bis 1993 war er TV-Korrespondent in Washington, zunächst für ProSieben, später für n-tv. Er lebt in Bonn und Berlin.