Hier aus aktuellem Anlass eine soziologische Betrachtung der Rolle des Haupthaars im Sport unter besonderer Berücksichtigung des Profi-Fußballs. Zunächst ein Wort zur historischen Entwicklung, also ein kurzer Blick auf die vorprofessionelle Zeit. Bei Helmut Rahn, Uwe Seeler, Fritz Walter und Co., den Helden der frühen Jahre, die noch für 'nen Appel und 'n Ei Weltmeister wurden, spielten die Frisuren auf dem Platz noch eine untergeordnete Rolle. Man trug das Haar irgendwie mittellang nach hinten geklatscht und notfalls mit Hilfe eines Einweck-Gummis gesichert – fertig. Nachkriegs-Schlichtheit auch auf begnadeten Athleten-Köpfen.
Das änderte sich dramatisch in den Hippie- und APO-Jahren. Die fußballerische Haartracht wurde ein Thema, als sich inzwischen wohlhabende Profis der siebziger Jahre wie Paul Breitner und Günter Netzer mit außerparlamentarisch oppositionellen Langhaarfrisuren schmückten. Die Stars der 1974er Weltmeisterschaft liefen nicht nur über den Platz, sie durchwehten ihn. Doch dies war erst ein Vorgeschmack auf die Dinge, die noch kommen würden.
Denn die kickenden Multimillionäre der Zweitausender Jahre haben die Kunst der Haargestaltung zu voller Blüte gebracht. Das, was sich oben auf ihren Köpfen befindet, hat sich eine fast gleichberechtigte Position neben dem rein Fußballerischen erobert. Die Varianten reichen von komplexem Wuschel über Kahlschlag an Hinter- und Seitenkopf bis hin zum teils farblich akzentuierten Haar-Tattoo. Ein Zentrum dieser Kunst ist offenbar Dortmund, genauer: BVB Borussia.
Beim Fußball weiß man nie, wie es ausgeht
Damit wären wir beim aktuellen Anlass dieser Betrachtung. Denn Dortmund hat einen Super-Star der Kopfschmuck-Gestaltung hervorgebracht. Winnie (Winfried) Nana Karkari, der sich auch „Fresh Prince the Barber“ nennt, hat sich im schicken Düsseldorf in einer der coolsten Friseur-Praxen, die sich „Hair Kingdom“ nennt, einen Namen gemacht. Und da zusammenwächst, was zusammen gehört, konnte es nicht ausbleiben, dass sich die kopfhaarbewussten Superstars von Borussia Dortmund und der aus Dortmund in die Landeshauptstadt aufgestiegene Barber zusammenfanden.
Theoretisch könnten die vermögenden Kicker mit ihren Ferraris und Lamborghinis mal schnell von Dortmund zum frischen Prinzen nach Düsseldorf brettern, um sich dort stylen zu lassen. Aber für diese Prominenz und aus Heimatliebe kommt Winnie Nana Markari mit seinem Haar-Design-Werkzeug gerne nach Dortmund, um die Rasenhelden spielfein zu machen.
Das muss halt sein, ganz wie die wirklich feine Dame nur mit frisch ondulierter Haarpracht in die Oper geht. Meiner Meinung nach kann man ein modernes Fußball-Spiel durchaus als Rasen-Oper bezeichnen: Es ist Musik und Drama drin und die Darsteller gehen vor ihrem Auftritt in die Maske, sprich: sie begeben sich in die Hände des frischen Barber-Prinzen. Einen Unterschied gibt es allerdings: Bei der Oper weiß man, wie sie endet. (Der Sopran stirbt, es sei denn, es handelt sich um eine komische Oper. Dann heiratet der Sopran, und zwar nicht den alten Bariton, sondern den schönen Tenor.) Beim Fußball hingegen weiß man nie, wie es ausgeht.
Ein gewaltiger Fußball-Skandal
Das heißt: Man weiß nicht, wie es ausgeht, wenn das Spiel ohne Bayern München stattfindet. Spielen die Bayern, ist das Ende so vorhersagbar wie das der Oper. Auch Dortmund kann als ewige Nummer zwei nicht an dem Gesetz rütteln, dass Bayern München deutscher Meister wird. Allerdings haben die Dortmunder ihren Winnie Nana Karkari. Sie mögen nur der zweite Sieger sein, dafür aber bringen sie dank des „Fresh Prince the Barber“ die deutlich cooleren Frisuren auf den Platz. Auch bei Bayern München hat der Haar-Kult die heute übliche Stellung. Aber die Borussen sind auf diesem Gebiet unschlagbar.
Ach, fast hätte ich den aktuellen Anlass für die Analyse aus dem Auge verlorenen: Ein halbes Dutzend Borussen haben für einen neuen, gewaltigen Fußball-Skandal gesorgt, weil sie sich in Corona-Zeiten von ihrem Prinzen haben ondulieren lassen, ohne die strengen Hygiene-Vorschriften einzuhalten. Wie es heißt, sollen sich Jaden Sancho, Raphael Guerreiro, Manuel Akanji, Dan-Axel Zagadou, Thorgan Hazard und Axel Witzel ohne Mundschutz dem Messer ausgesetzt haben. Der Barber selber soll sogar ohne den in Nordrhein-Westfalen vorgeschriebenen Gesichtsschild (ersatzweise Schutzbrille) haardesignt haben. Die Verdächtigen bestreiten allerdings die Vorwürfe. Es steht Aussage gegen Aussage. Die Klärung dieses Kriminalfalls dürfte sich noch hinziehen.
Darum hier ein vorläufiges dreifaches Fazit. Erstens: Corona beschert uns Probleme, auf die wir ohne das Virus auch in unseren phantastischsten Träumen nicht kämen. Zweitens: Wenn die Sehnsucht nach einem perfekten Herren-Haarschnitt überwältigend ist, geht der Sehnsüchtige notfalls auch das Risiko eines Verstoßes gegen obrigkeitliche Verordnungen ein. Und drittens: Entscheidend im modernen Fußball ist nun mal, dass man perfekt frisiert auf den Platz läuft.