Der Umgang mit dem „Pack“ hat sich in zehn Jahren arg verändert, oder macht das Parteibuch des Politikers, der dieses Wort ausspricht den Unterschied aus? Vielleicht liegt es auch daran, wen man als „Pack“ bezeichnet.
Woran erinnert Sie die folgende Meldung aus der Mitteldeutschen Zeitung vom Dienstag?
"Eine Aussage des CDU-Landtagsabgeordneten Detlef Gürth aus Aschersleben (Salzlandkreis) beschäftigt ein weiteres Mal die Justiz. [...] Nach dem tödlichen Messerangriff eines Afghanen in Wolmirstedt (Landkreis Börde) vor knapp einem Jahr hatte Gürth geschrieben: 'Dieses Pack muss raus aus Deutschland.'
Das Amtsgericht Aschersleben hatte die Aussage als moralisch verwerflich kritisiert, sie aber nicht als strafbare Aussage eingestuft und Gürth im März freigesprochen. Die Staatsanwaltschaft Halle hat nun Revision eingelegt. 'Wir wollen den Freispruch aufheben lassen. Unser Ziel ist eine Verurteilung', sagte Behördensprecher Benedikt Bernzen der MZ am Montag."
Zumindest die nicht mehr ganz Jungen dürften sich beim Wort "Pack" an den Auftritt des damaligen SPD-Vorsitzenden, Vizekanzlers und Bundeswirtschaftsministers Sigmar Gabriel vor den Medien-Mikrofonen im September 2015 im sächsischen Heidenau erinnern. Der besuchte eine schnell in einem einstigen Baumarkt errichtete Asylbewerber-Unterkunft, gegen die zuvor mehrfach demonstriert wurde. An einem Abend kam es dabei auch zu gewalttätigen Ausschreitungen. Da wollte Gabriel dann wohl demonstrativ wenigstens verbal den großen Hammer schwingen. Der Spiegel berichtete seinerzeit:
"Der Vorsitzende der SPD, Sigmar Gabriel hat einen Satz gesagt, der das hatte, was man gewöhnlich Wumms nennt. Er hat die ausländerfeindlichen Krakeeler in Sachsen als Pack bezeichnet. 'Pack', welches 'eingesperrt werden muss.'"
Bevor wir uns jetzt weiter dem "Pack" widmen, sollte doch kurz der Umstand gewürdigt werden, dass diese zehn Jahre alte Meldung beweist, dass der "Wumms" keine Wortschöpfung von Olaf Scholz ist. Das hat der Ex-Kanzler selbst auch nie behauptet, aber manche Journalisten verschiedener Couleur hatten es ihm bekanntlich zugeschrieben.
Was das "Pack" angeht, so sorgte diese Wortwahl damals durchaus für deutliche Medienresonanz. Genosse Gabriel musste viel Kritik einstecken. Auch aus seiner Partei durchaus gewogenen Redaktionen ließen sich Stimmen vernehmen, die dem Minister vorhielten, dass man so als Politiker nicht über Bürger reden dürfe. Gabriel sah sich damals zu Klarstellungen genötigt. Keinesfalls hätte er mit dieser Zuschreibung alle Kritiker der Merkelschen Migrationspolitik gemeint, auch nicht friedliche Demonstranten, sondern nur jene, die mit Krawall und Gewalt unterwegs gewesen wären.
Seinem Ruf war das Medienecho insgesamt wahrscheinlich nicht zuträglich, aber mit dieser Konsequenz muss jeder rechnen, der seine Meinung mit drastischen Worten äußert. Eines aber gab es damals nicht: staatsanwaltliche Ermittlungen oder gar einen Verfolgungseifer durch mehrere Instanzen.
Die Suche nach der Notbremse
Was ist der Unterschied zwischen den Fällen Gürth und Gabriel? Warum steht der eine für dieses Wort vor Gericht und der andere stand es damals nicht? Sind es die zehn Jahre? Hat sich in dieser Zeit die Grenzlinie zwischen Meinungsfreiheit und Strafbarkeit so stark verschoben? Es sollte ja wohl nicht am Parteibuch liegen oder an der größeren Prominenz eines Bundespolitikers mit Ministeramt gegenüber einem Landtagsabgeordneten aus der Provinz.
Ein entscheidender Unterschied ist natürlich, das Gürth über afghanische Straftäter und Gabriel über randalierende Deutsche gesprochen hat. Beide hatten, nachdem es Aufregung über ihre jeweiligen "Pack"-Äußerungen gab, betont, dass sie damit nicht pauschal alle afghanischen Asylbewerber, bzw. alle Gegner der deutschen Asylpolitik gemeint hätten. Bei Gabriel wurde es oben schon beschrieben, für den Fall Gürth sei hier noch einmal aus der Mitteldeutschen Zeitung zitiert:
"In der ersten Instanz vor dem Amtsgericht Aschersleben hatte Gürth als Angeklagter argumentiert, er habe sich nicht über Afghanen allgemein geäußert, sondern über schwere Straftäter, die das Land verlassen sollen. 'Das teile ich immer noch', sagte Gürth im Gerichtssaal."
Auch Sigmar Gabriel hatte Jahre nach seinem "Pack"-Auftritt erklärt, dass er dazu immer noch stehe.
Wer Freiheit will, muss auch Geschmacklosigkeiten aushalten. In freier Rede und freier Meinungsäußerung geht es nicht immer fein und höflich zu. Das ist normal und sollte für niemanden in einem freien Land eine Überraschung sein. Verbale Grobheiten bekommen auch entsprechende Reaktionen. Wer sich auf diese Art der Auseinandersetzung nicht begeben möchte, findet in einem freien Land auch gesittetere Spielfelder für den Meinungsstreit. All diese Binsenweisheiten waren doch, wie sich Ältere noch erinnern werden, in der Bundesrepublik Deutschland so selbstverständlich, dass es niemand für nötig befunden hätte, sie in einem solchen Artikel überhaupt zu schreiben.
Dass in einem Land, das sich offiziell immer noch einer freiheitlich demokratischen Grundordnung rühmt, ein falsches Wort immer häufiger die Staatsanwaltschaft auf den Plan ruft, ist doch wohl mehr als ein alarmierendes Zeichen dafür, dass sich dieses Land in puncto Freiheit auf einer fatalen abschüssigen Bahn befindet. Und da sollten alle, denen die Freiheit etwas wert ist, ganz unabhängig von Weltanschauung und Gesinnung, dringend nach der Notbremse suchen.
Peter Grimm ist Journalist, Autor von Texten, TV-Dokumentationen und Dokumentarfilmen und Redakteur bei Achgut.com.