Wolfgang Röhl / 22.12.2018 / 06:25 / Foto: Parpan05 / 39 / Seite ausdrucken

Guter Neujahrsvorsatz: Finger weg vom Schurnalismus!

Vor Jahren las ich eine merkwürdige Meldung. Danach hatte es innerhalb eines Jahres rund 5.000 Bewerbungen überwiegend weiblicher Menschen auf einen Ausbildungsplatz für den Goldschmiedeberuf gegeben, obwohl im ganzen Land nur etwa 500 solcher Plätze existierten. Was sehr wohl bekannt war; ebenso die Tatsache, dass es für die Lehrlinge selbst nach erfolgreicher, dreieinhalbjähriger Ausbildung schwer sein würde, eine feste Anstellung zu ergattern. Ferner war es kein Geheimnis, dass Goldschmiede nicht gerade üppig bezahlt werden. Dem Run auf diese Profession tat all das keinen Abbruch. „Es ist einfach ein wunderbarer Beruf“, gaben Aspiranten frohgemut Auskunft.

Damals brachten einige Blätter die gleichfalls denkwürdige Nachricht, in Nordrhein-Westfalen würden noch immer in erheblichem Umfang junge Männer für den vermeintlich heroischen Beruf des Bergmanns ausgebildet. Obwohl das Aus für den Kohlebergbau längst beschlossene Sache war, ungeachtet aller Anstrengungen des langjährigen Landeshäuptlings Johannes Rau, den überfälligen Strukturwandel im Ruhrpott zu verschleppen. 

Das nun war noch kurioser als der berühmte Fall des britischen Heizers auf der E-Lok. Fuhr dieser in den 1970er Jahren auf gewerkschaftlichen Druck bis zur Rente betätigungsfrei auf modernen Triebwagen mit, so wurden im Taka-Tuka-Land von Bruder Johannes junge Menschen für die sichere Arbeitslosigkeit ausgebildet. Wie immer im Leben gehörten dazu natürlich zwei – der Illusionist und der Illusionsempfängliche.

Mit dem Journalismus verhält es sich mittlerweile ähnlich. Obwohl die sogenannte Medienkrise in aller Munde ist, möchten viele unbedingt was mit Medien machen. Vor fünf Jahren, als der Niedergang von Teilen der Medienbranche längst unumkehrbar war, aber noch nicht die gegenwärtige Dynamik aufwies, staunte „Spiegel Online“ in einem Bericht über die Hamburger Journokadettenanstalt „Henri-Nannen-Schule“:

Die eine Zeitung macht dicht, die andere entlässt Dutzende Mitarbeiter, die dritte sucht einen Käufer – es war schon leichter, als Journalist sein Geld zu verdienen. Und trotzdem träumen immer noch Tausende junge Menschen von diesem Job.

Das ersehnte Jobangebot aus Hamburg

Sind sie damit völlig auf dem Holzweg? Der aktuelle Fall des talentierten Herrn Relotius zeigt ja: Wer flott schreiben kann und den Medien Märchen liefert, die in ihr ideologisches Korsett passen, kann es immer noch weit bringen. Er darf gerne fingern, fabrizieren, klittern, fälschen. Nur erwischen lassen darf er sich nicht.

Journalismus als Jobtraum – hatten den nicht alle mal, die schon etwas länger in der Zunft sind? Reisen und redigieren, reportieren und kommentieren, mit kühnen Recherchen und hübschen Formulierungen auf sich aufmerksam machen, die Karriereleiter empor klettern, bis endlich das ersehnte Jobangebot aus Hamburg oder München kommt. Bei Sportveranstaltungen in der Presseloge sitzen, bei Rockkonzerten in den Backstage-Bereich dürfen, immer auf Augenhöhe mit Wichtigen und Schönen. Tolle Autos testen, Filme vorab gucken, interessante Menschen treffen, an die man ohne ein Medium im Rücken nie herankäme. Gutes besingen und Schlimmes entlarven, ja, so etwas wie die Vierte Gewalt im Staate sein – eine wunderbare Vorstellung. Nich wahr, nich wahr, wie der pulverdampfparfümierte Welterklärer Peter Scholl-Latour bei seinen Talkshowmonologen zu nuscheln pflegte. 

Scholl war für die meisten deutschen Journos die Ikone. Oder waren das die Watergate-Enthüller Carl Bernstein und Bob Woodward? Auf jeden Fall bekam der Journalismus durch diese beiden einen kräftigen Imageschub. Erst recht durch die Verfilmung der Affäre, mit Dustin Hoffmann und Robert Redford als „Die Unbestechlichen“. 

Wie konnte es bloß so weit kommen, wie es nun gekommen ist? Wo viele Journalisten nicht nur um ihren mäßig bezahlten Job bangen müssen. Sondern auch, wie man sehen wird, im Ansehensranking ziemlich abgehängt sind. „A basket of deplorables“, um es mit Hillary C. zu sagen.

Zuvor ein Blick auf Traumjobs der jüngeren Zeit. In Nazideutschland waren das sicherlich für viele Jungen der Wüstenfuchs, der U-Boot-Kommandant, das Fliegerass, der Waffen-SS-Offizier. So ab Herbst 1942 dürfte die Begeisterung peu à peu abgekühlt sein. 

Werbung war the most sexiest job in the world

In der unmittelbaren Nachkriegszeit wollten, wie der linke Barde Franz-Josef Degenhardt sang, viele „genau wie Horsti Schmandhoff sein“, dieser idealtypische Kurvenkratzer und Wenderitter. Bald aber brachen Elvis, Bill Haley und etwas später die Beatles und die Stones über Wirtschaftswunderdeutschland herein. Das Plakat zur Eröffnung von Hamburgs „Star Club“ auf St. Pauli („Die Not hat ein Ende! Die Zeit der Dorfmusik ist vorbei!“) zeigte den Beginn einer kulturellen Entmiefung an. 

Fortan war der Traum eines jeden Burschen, der nicht unter Testosteronmangel litt, Beat- oder Rockstar zu werden, die Deerns zum Kreischen zu bringen. In meinem Heimatstädtchen versuchten Jungs, die ein paar Gitarrenriffs zu schrammeln vermochten, in eine der vielen Beatcombos zu gelangen, welche am Wochenende in Landgasthöfen aufspielten. Um Geld ging es nie, die „Gagen“ waren lächerlich. Um Mädels ging es, allein um sie. 

Die Landrockszene zerfiel, als ihre Gitarrengötter zum Bund mussten. Neue Idole wurden trendy, etwa der Che und sein heiserer Stellvertreter auf Erden mit Namen Rudi Dutschke. Unterdessen ging das Musikleben für die meisten Deutschen weiter wie gewohnt. In der Jahreshitparade von 1968 hält Heintje („Mama“) die Plätze eins, zwei und vier. Peter Alexander belegt Platz fünf („Der letzte Walzer“) sowie Platz acht, und nur die Beatles (Platz sechs; „Hey Jude“), die Tremeloes („My little Lady“, Platz neun) und John Fred & His Playboy Band („Judy in Disguise“, Platz zehn) künden von Neuem.

Aber die Achtundsechziger! Waren nicht ihre Leitwölfe die Rollenmodelle jener Jahre? Wollte damals nicht jeder aufrechte Jungmann per Megaphon studentische Massen agitieren, wortmächtig Aufruhr stiften? 

Teils, teils. Mir ist aus jenen Tagen noch ein gänzlich anderes Vorbild in Erinnerung, dem große Teile der zeitgemäß anpolitisierten, aber nicht wirklich politischen Kohorte zuneigten (stellen Sie sich, wenn Ihnen der Name noch etwas sagt, die Leserschaft des avangardistischen Jungmenschenmagazins „Twen“ vor. Deren Sehnsuchtsberuf war der Werber. Werbung war damals hip, the most sexiest job in the world.

Der coolste Kater im Gehege der „Kreativen“

Ja, wirklich: Während in linken und linksradikalen Kreisen von Konsumterror die Rede rauf und runter ging, während unsere falschen Bedürfnisse und deren kapitalistische Profiteure schonungslos analysiert und dekuvriert wurden (gelegentlich auch in dem viertellinken Hochglanzwerbeträger Twen), wollten viele genau wie Charles Wilp sein. 

Der Werbefotograf im weißen Overall war der coolste Kater im Gehege der „Kreativen“, wie sich Werbeleute ernstlich bezeichnen. Seine Auftraggeber in den Agenturen, die damals Unsummen scheffelten, waren große Nummern in der Kommunikationsindustrie. Opulente Büros in bester City-Lage, fette Gehälter, Spesen ohne Ende, First-Class-Flüge – waren das Zeiten! Die amerikanische Serie „Mad Men“ hat ihnen ein grantiges Denkmal gesetzt.

Auf großem Fuß lebte auch die damalige Journaille, zumindest bei „Spiegel“, „Stern“, „Bild“ oder bei den damals noch zahlreichen, auflagestarken Illus. Aber selbst das Fußvolk in den Regional- und Lokalblättern war ganz gut versorgt. Wenigstens Respekt genoss es noch, bei Lesern und örtlichen Matadoren. 

Und damit zurück in die graue Gegenwart des heutigen Schurnalismus. In Deutschland gibt es etwa 45.000 fest angestellte Journalisten; Redakteure, Texter, Pressestellenmitarbeiter, Fotografen, Funk- und Fernsehleute etc. zusammengenommen. Die Zahl der „Freien“ soll rund 40.000 betragen, ist aber fragwürdig. Nicht wenige von ihnen sind nur prekär beschäftigt, müssen in anderen Jobs dazuverdienen. Arbeitslos gemeldet waren im Bereich Redaktion und Journalismus 4.766 Personen, Stand Januar 2018. Auch diese Zahl ist nicht sehr aussagekräftig. Viele Journos, die ihren Job verlieren, melden sich nicht arbeitslos, sondern halten sich „mit teils schlecht bezahlten Einzelaufträgen über Wasser“, heißt es auf dem Blog des Deutschen Journalisten-Verbandes.

Das Durchschnittseinkommen dieser Berufsgruppe beträgt 36.000 Euro im Jahr. Ihr Image ist miserabel. Nach einer Umfrage vertrauen nur 37 Prozent der Deutschen den Medienmachern „voll und ganz“ oder „überwiegend“. Die Befragung fand allerdings vor dem Skandal um die gefälschten Spiegel-Reportagen statt. Eine aktuelle Sondierung würde wahrscheinlich noch schlechtere Vertrauenswerte aufzeigen. Kurz, potenzielle Schwiegereltern dürften nicht direkt enthusiasmiert sein, stellt man sich ihnen als Journalist oder Journalistin vor. Es sei denn, als Angestellter des Staatsfunks. In den Anstalten wird man ordentlich bezahlt, ist praktisch unkündbar und im Alter prima versorgt.

Solche Blockflöten kann man durch Textroboter ersetzen

Bei so gut wie allen anderen Printmedien geht es nur noch bergab. Die Auflagen fallen seit 20 Jahren. Die „Lügenpresse“-Debatte im Kontext von Pegida, AfD und dem Unmut über den fast einhelligen Beifall der Medien für Merkels Grenzöffnung, sie hat mit dem kontinuierlichen Niedergang der Presse nur teilweise zu tun. 

Es ist vor allem das Internet, das an den Redakteurssesseln sägt. Das alte Print-Geschäftsmodell „Copypreis plus Anzeigenerlöse“ funktioniert nicht mehr gut. Die Online-Portale der Blätter sind zumeist noch nicht wirklich profitabel, und die Werbung sucht sich ihre Zielgruppen längst auch auf frischen Wegen, etwa über die sozialen Medien. 

Was die Lohnabhängigen der Branche betrifft, so trudeln im Monatstakt Hiobsbotschaften für sie ein. Die großen Verlagsgruppen, denen die Zeitungen mehrheitlich gehören, lassen Bereiche wie den Wirtschafts- und Politikteil zentral von Newsrooms gestalten und an die lokalen Standorte verschicken, was dort viele Jobs kostet. Pressefusionen und Übernahmen notleidender Blätter durch Konzerne haben den gleichen Effekt. Die Journalistenverbände wettern regelmäßig über den „Abbau der Pressevielfalt“. 

Aber welche Vielfalt eigentlich? Was immer mehr Zeitungskäufer bemerkt haben, ist auch den Verlegern aufgefallen. Zu etlichen Themen, die in der Bevölkerung für Unruhe und Kontroversen sorgen, plappern Mainstream-Journos zwischen Passau und Cuxhaven ohnehin denselben Spin nach, den ein paar publizistische Tonangeber auf der Glatze drehen. Trump ist unser Unglück, Merkel eine starke Frau, Klimaschutz das Wichtigste. Migranten garantieren unsere Renten und Dieselabgase sind unserer Tod.

Solche Blockflöten kann man vor die Redaktionstür setzen und durch Textroboter ersetzen, ohne dass es einem einzigen Leser auffällt. Kurz, der Journalismus, wie er mal war vor vierzig oder fünfzig Jahren, ist ein ziemlich klapperiger Gaul geworden. Wer ihn reitet, landet womöglich im Graben.

Also, bald ist wieder Zeit für gute Vorsätze. Falls Sie, liebe Leser, mit dem Gedanken spielen, was mit Medien zu machen oder jemand kennen, der solches vorhat: bleiben Sie fern, raten Sie anderen dringend ab. Denken Sie an den britischen Journalisten James Delingpole, der auf die Frage des Magazins „Spectator“, warum er Journalist geworden sei, mal geantwortet hat: „Ich verfing mich durch Zufall im Journalismus und hasse und verabscheue das meiste daran.“

Zum Glück gibt es zukunftssichere Jobs. Vielleicht mal was mit Windkraft machen? Bei der „Deutschen Umwelthilfe“ anheuern? Genderforscher*in werden? Ins Security-Geschäft einsteigen? So viele Möglichkeiten!

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Leane Kamari / 22.12.2018

„Die großen Verlagsgruppen, denen die Zeitungen mehrheitlich gehören, lassen Bereiche wie den Wirtschafts- und Politikteil zentral von Newsrooms gestalten und an die lokalen Standorte verschicken, was dort viele Jobs kostet. Zu etlichen Themen, die in der Bevölkerung für Unruhe und Kontroversen sorgen, plappern Mainstream-Journos zwischen Passau und Cuxhaven ohnehin denselben Spin nach, den ein paar publizistische Tonangeber auf der Glatze drehen.“ Gut auf den Punkt gebracht. Göbels, Honecker oder Stalin konnte von so etwas nur träumen, wir erleben diesen Albtraum live. Verdeutlicht wird das Ganze noch von den wochenlang ganzseitigen Werbeanzeigen von Facebook des Mark Zuckerberg. Selbst das regionale Käseblättchen kaufe ich inzwischen nur noch um die ersten Seiten zu überspringen/ungelesen wegzuwerfen und nur noch die lokal Nachrichten zu lesen.

Klaus Metzger / 22.12.2018

Die prekäre Lage der meisten Journalisten und die fortschreitende Implosion der Branche ist auch der Hauptgrund für die permanente Sozialromantik in den Medien. Bedingungsloses Grundeinkommen, Abschaffung von Hartz 4 und ähnliche Dauerforderungen, sind mehr dem Eigennutz geschuldet, als der politischen Vernunft. Dazu der ausgeprägte Sozialneid auf alle gut situierten Gesellschaftsschichten. Er befördert den journalistischen Nachhaltigkeitswahn. Da endet der ökologisch korrekte Lebensstil zwangsläufig immer knapp oberhalb des eigenen. Das alles gepaart mit einer Hybris, die Heribert Prantl in einer Talkrunde mal so beschrieben hat: Der Leser denkt nur das, was wir schreiben. Das kann nicht gutgehen.

Ruedi Tschudi / 22.12.2018

“Zum Glück gibt es zukunftssichere Jobs.” Richtig, und zwar Blogger. Heute wird im Internet über jeden Scheißdreck gebloggt. Und diese Dumpfbacken verdienen durch Werbung sogar noch Geld. Verkehrte Welt.

Frank Stricker / 22.12.2018

Liebe Redaktion , es ist gerade mal 06.30 Uhr und schon 4 Texte über das Chaos beim Spiegel. Bei allem Respekt , es ist kein 11 September und Donald Trump und Angela Merkel sind offensichtlich auch noch im Amt. Die Überhöhung eines journalistischen Roßtäuschers sollte keine surrealen Züge annehmen !  Die politische Einseitigkeit des Spiegels bezüglich Israel und den USA war ja auch bereits vorher bekannt.

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