Thomas Rietzschel / 22.10.2019 / 15:45 / Foto: Wikimedia Commons / 38 / Seite ausdrucken

Guter Film, falsche Analogie

Gestern Abend zeigte die ARD das Doku-Drama „Die Ungewollten“, einen der besten Filme seit langem. Die Ereignisse, um die es geht, machten vor 80 Jahren in Amerika wie in Europa Schlagzeilen. Unter dem Kommando des Kapitäns Gustav Schröder hatte die „St. Louis“, ein Kreuzfahrtschiff der HAPAG, am 13. Mai 1939 in Hamburg 937 Juden an Bord genommen, Männer, Frauen, Kinder und Greise. Die Reise sollte sie ins Exil nach Kuba führen. 500 Reichsmark pro Person kostete die Überfahrt, 150 das Einreisevisum. Doch als das Schiff Havanna endlich erreicht hatte, wurden die Passagiere nicht an Land gelassen, ihre Visa für ungültig erklärt.

Vergebens verhandelte der Kapitän mit den Behörden bis hinauf in die Regierungsspitze. Mit der Androhung militärischer Gewalt wurde er gezwungen, die kubanischen Hoheitsgewässer zu verlassen. Nicht anders erging es ihm, als er versuchte, Miami anzulaufen. Die USA wollten die Juden ebensowenig haben wie Kanada. Von der Reederei kam die Order zur Rückkehr nach Deutschland. Dort wartete bereits die Gestapo, um die Emigranten ins KZ zu bringen. 

Vieles sprach dafür, dass das Ganze eine PR-Aktion war, mit der Goebbels die anschwellende Kritik des Auslands an der deutschen Judenverfolgung ersticken wollte. Auch die HAPAG, hieß es, sei involviert gewesen. Über die Verweigerung der Einreise soll noch vor dem Ablegen in Hamburg Einigkeit mit den Kubanern bestanden haben. Ob es sich tatsächlich so verhielt, wurde nie ganz geklärt. Auf jeden Fall aber versuchten die Nationalsozialisten aus der Irrfahrt der „St. Louis“ politisch Gewinn zu schlagen: Mit welchem Recht könnten andere Länder über die Deutschen herziehen, wenn sie selbst die Aufnahme von nur 1.000 Juden verweigerten? 

Rettung in letzter Minute

Obwohl selbst NSDAP-Mitglied, mochte Gustav Schröder dazu nicht die Hand reichen, nicht am absehbaren Tod seiner Passagiere nach der Ankunft im Heimathafen schuld sein. Um das zu verhindern, rief er Gott und die Welt an, war schon bereit, die Seenotrettung zu erzwingen, indem er sein Schiff vor England auf Grund setzte. Erst in letzter Minute, wenige Stunden vor der befohlen Ankunft im Reich, traf das rettende Kabel ein. Der Kapitän durfte in Antwerpen einlaufen, die Passagiere wurden ausgeschifft. Belgien, die Niederlande, Frankreich und Großbritannien waren bereit, sie aufzunehmen. Zwei Drittel der Geretteten überlebten, mehr als 300 fielen den Nationalsozialisten mit Beginn des Kriegs wieder in die Hände. Ihr Leben endete in den Konzentrationslagern. Sie wurden ermordet oder bis auf den Tod gepeinigt. 

Soweit die Ereignisse, die dem Doku-Drama über die „Ungewollten“ zugrunde liegen. Anderthalb Stunden Bildungsfernsehen, verquickt mit Spielfilmelementen, die der Ernsthaftigkeit keinen Abbruch tun. Es gäbe keinen Anlass zur Kritik, wären der Sendung nicht Ankündigungen vorausgegangen, in denen die Geschichte kurzschlüssig auf die Gegenwart bezogen wurde, sozusagen als Gleichnis für den Flüchtlingstransfer der „Sea Watch“ unter dem Kommando von Carola Rackete. 

Bei „Brisant“, dem Boulevard-Magazin des Ersten, offerierte die Moderatorin einen Film, „der erschreckend gut in unsere Zeit passt und wieder einmal zeigt, dass sich manche Dinge in bestürzender Weise wiederholen“. Selbst der Hauptdarsteller Ulrich Noethen sprach von einer „Parallelität“, die „natürlich evident“ sei. 

Missbrauch der Geschichte für aktuelle Propaganda

Nun ist seit jeher das Vorrecht der Mimen, dummes Zeug zu reden, sobald sie aus ihrer Rolle treten. Darauf müsste man nichts geben, würde es nicht auf eine propagandistische Verfälschung hinauslaufen, wenn ein Film über ein historisches Geschehen derart mit aktuell politischen Vorzeichen versehen wird. Vergessen scheint, was sich in der Folge des Historikerstreits Ende der Achtziger des vorigen Jahrhunderts von selbst verstand: die schreckliche Einzigartigkeit des Holocaust. Stattdessen erleben wir die Gleichsetzung mit einer Flüchtlingsbewegung, die überwiegend wirtschaftlich verursacht ist, aber doch nicht durch einen drohenden Genozid. 

Und inwiefern wären ihre Folgen heute mit denen der Emigration während des Dritten Reiches vergleichbar? In welchen Ländern, in denen sie Zuflucht fanden, hätten die Juden nachher als Terroristen Angst und Schrecken verbreitet? Wo wären sie als Religionskrieger aufgefallen? Wo hätte es Sozialsysteme gegeben, in die sie einwandern konnten, um ihre materielle Existenz zu verbessern? In den allermeisten Fällen verloren sie bei Flucht mehr, als sie je wieder gewonnen haben. Selbst prominente Künstler, Schriftsteller wie Heinrich Mann, wechselten vom Wohlstand in ein Leben am Rande der Armut.

Wer das alles übersieht, beschwört das Unheil der Vergangenheit, um von den Gefahren der Flüchtlingspolitik in der Gegenwart abzulenken, in Deutschland zumal. Ob er das unbewusst, benebelt vom links-grünen Zeitgeist tut oder weil er keinen blassen Schimmer von der Geschichte hat, ändert nichts am nachtäglichen Missbrauch jüdischer Schicksale zu politischen Zwecken – einer Propaganda, die nun tatsächlich zum Vergleich mit den Methoden unserer fürchterlichen Vorzeit herausfordert. 

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Leserpost

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Gabriele Schulze / 22.10.2019

Ich bin inzwischen so weit, daß ich die Dummheit bis aufs Blut hasse. Aber wieso “das Vorrecht der Mimen”? Hat er nicht auch die Pflicht, seine Hirnwindungen in Gang zu setzen, wie jeder andere?

Daniel Gildenhorn / 22.10.2019

Es sind weniger die Folgen der s.g. “Flüchtlingsbewegung” als ihre Ursachen, die 1:1 die gleichen sind. Nämlich der (damals klarer, heute ein getarnter) staatlich gelenkte Kurs. Die Prioritäten sind so, dass das jüdische Leben damals wie heute unmöglich gemacht wird. Nach einer kurzen Schonfrist werden die Umstände wie damals dermaßen hart sein, dass niemand mehr die Fragen Ob? sondern Wie schnell? stellen wird.

Werner Geiselhart / 22.10.2019

Logik und die richtige Zuordnung von Analogien ist nicht unbedingt die Stärke von linksgrünen Gehirnen. Deshalb hier noch mal die Analogiefehler des ÖR: Juden waren in Deutschland mit dem Tode bedroht, ihr Eigentum wurde ihnen vorher weggenommen. Ihr Fluchtgrund war einzig und allein, irgenwie diesem Schicksal zu entkommen. Das einzige, was sie vom Zielland erwarteten, war ein Leben ohne Bedrohung. - Migranten aus Afrika sind in der Regel in ihrer Heimat in keinster Weise bedroht. Ihr “Fluchtgrund” ist der, in ein Land zu kommen, in welchem sie in großzügiger Weise, ohne eine Gegenleistung zu erbringen, unterstützt und mit allem versorgt zu werden, sei es medizinische Hilfe, Unterkunft oder geldliche Zuwendungen. Die von linksgrün oft angebrachten Vergleiche mit den deutschen Kriegsflüchtlingen nach dem zweiten Weltkrieg sind genauso daneben: Die Flüchtlinge damals wurden von den neuen Herrschern vertrieben, hatten diesselbe Kultur und Sprache wie im Aufnahmeland, sie erhielten keine weitere Unterstützung wie eine behelfsmäßige Unterkunft und Bezugsmarken für das Notwendigste. Und das wichtigste, sie gliederten sich sofort in den Aufbauprozess ein und halfen uneingeschränkt beim Wiederaufbau. - Und die “Flüchtlinge” heute, na Sie wissen schon.

Falk Dietrich / 22.10.2019

Ist dieser Missbrauch jüdischer Schicksale während der NS Zeit nicht auch eine Form von Antisemitismus. Wahrscheinlich aber nicht, denn Antisemitismus gibt es nur unter Rechten.

Martin Müller / 22.10.2019

Der ÖR hat sich des Themas angenommen, um in dem Film eine Parallelität zwischen 1939 und 2019 konstruieren zu können. Nur darum wurde der Film gemacht. Die Leiden der Juden wird instrumentalisiert, um uns heute damit bei der unkontrollierten Migration über das Mittelmeer moralisch zu erpressen.

Wilfried Cremer / 22.10.2019

Ein Film kann natürlich so beeindruckend (und gut) sein, dass sein Hauptzweck verblasst. Der Zeitpunkt der Ausstrahlung sagt doch im Grunde alles.

Christian Feider / 22.10.2019

welch bittere Ironie oder Satire :) Da wollen also die “Enkel” des “Tätervolkes” Ihren kollektiven “Gewissensbissen” im Nachhinein eine Abhilfe schaffen, indem Sie einfach nochmehr Antisemiten per “Migranten-Transport-shuttle” unter “Kapitänin Rackete” ins “gelobte Land” holen…. welcome to Absurdistan…und einer hatte schon Recht,die Guten sterben leider im Krieg immer als Erstes.

Sabine Lotus / 22.10.2019

Ach, Geschichte. Geschichte ist vergessen und wird von unseren ‘Alleinerziehend ohne Samennachweis’  Erfolgsprojekten maximal noch von Correctiv zur Kenntnis genommen. Viel interessanter ist doch die Frage: Na, was nu? Chartern wir schon mal ein Schiff und schippern los? Wohin? Tja, wer will nen Kahn voller Dunkeldeutscher, außerdem ist es doch überall der selbe [Exkrement], nur in unterschiedlichen Entwicklungsstadien. Die wollen uns hier nicht mehr. Was machen wir?

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