Hat sich die grüne Basis mit ihrer Abwendung vom deutschen Tornadoeinsatz für die Feindaufklärung in Afghanistan “endgültig von der Realpolitik verabschiedet?” (Birgit Homburger/FDP)? Die Hauptverluste in dem Land treffen bisher Kanada und der Schutz seines Kontingents sollte durch die Tornados ja verbessert werden. Von 8 Toten in den 50 Monaten von Ende 2001 bis Ende 2005 geht es um den Faktor 22 hoch auf 72 Tote in den 20 Monaten von Januar 2006 bis August 2007. Nach Auskunft des kanadischen Oberkommandierenden bei der Konferenz „Verteidigung im Jahre 2020 und danach“ (10. September in London) gäbe es viel mehr Gefallene, wenn man angreifende Taliban im Gegenzug verfolgen würde. Um nicht noch weitere Männer zu verlieren oder im Wege stehende Zivilisten zu treffen, konzentriert man sich auf die Einigelung und lässt die Islamisten immer wieder laufen…
Der Selbstschutz der Truppe wird zu ihrem wichtigsten Einsatzgebiet. Denn anders als Kanada könnten die Taliban ihre Verluste umgehend mit frischen Rekruten ausgleichen – disposable men in den Worten des Generals. Kann man dem Kommandeur wegen seiner Anpassung an die Realität Vorwürfe machen? In Kanada folgen auf 1000 Männer im Alter von 40-44 nur noch 680 Knaben im Alter von 0 bis 4, in Afghanistan sind es mit 4040 sechsmal so viele. Ein kanadischer Soldat ist mit guter Wahrscheinlichkeit das einzige Kind seiner Familie. Diese erlöscht demographisch, wenn ihn die Kugel eines dritten oder vierten afghanischen Sohnes dahinrafft.
Ist den Abgeordneten des Bundestages oder gar den grünen Delegierten mitgeteilt worden, dass Kanada im Vergleich zu Deutschland fast noch verschwenderisch mit Söhnen umgehen kann? Denn hier haben Mütter nicht die kanadischen 1,6, sondern nur 1,3 Kinder. Auf 1000 Männer von 40 bis 44 folgen nicht 680, sondern gerade noch 474 Knaben. Das ist lediglich ein Neuntel der afghanischen Nachwuchsdynamik und zugleich negativer Weltrekord, den lediglich die Millionärsalterssitze Macao und Monaco zu unterbieten vermögen.
Unsere Politiker gehören überwiegend in die Altersgruppe der 50-64-Jährigen. Unter denen gibt es in Deutschland 7,6 Millionen Männer. Die sind groß geworden, als Afghanistan zu den Lieblingen deutscher Entwicklungshilfe gehörte. Damals konnte man großzügig, ja gönnerhaft verfahren, denn das Land am Hindukusch hat zwischen 50 und 64 Jahren mit 1,06 Millionen Männern gerade ein Siebtel des deutschen Menschenpotentials. Bei den Jungen von 0-14 jedoch, die sich in Afghanistan, nicht aber in Deutschland, auf das Kampfalter von 15 Jahren vorbereiten, hat man sich aus einer 70:10-Mehrheit in eine 8:10-Minderheit gedreht. 7,3 Millionen afghanische Jungen – zu zwei Dritteln überzählige Brüder ohne Hoffnung auf Karriere - kommen auf 5,9 Millionen deutsche Einzelkinder oder einzige Söhne. Kanada dreht mit 3,1 Millionen Männern zwischen 50 und 64 gegenüber Afghanistan aus einer 3:1 Mehrheit bei den 50-64-Jährigen (3,1 Millionen Kanadier) in eine 1:2-Minderheit bei den 0-14-Jährigen (2,97 Millionen Kanadier).
Kann man der kanadischen Armee verargen, dass sie auch durch deutsche Truppen aus ihrer prekären Lage im Süden Afghanistans herausgehauen werden will? Gewiss nicht. Allerdings hat man in Ottawa noch nicht realisiert, dass Zentraleuropa mangels Mannschaft noch konfliktscheuer agieren muss als der bedrängte NATO-Partner aus Nordamerika. Auch deshalb haben nicht einmal die Tornadoaufklärer, die den Kanadiern mehr Schutz vor tödlichen Überraschungen liefen sollen, eine Mehrheit bei Deutschlands Wählern.
Einmal mehr erweist sich Demographie als Schicksal und womöglich ahnt ja die eher jüngere grüne Basis, dass auch die Kämpferreserven zu einer Realität gehören, in der die übrigen Politiker erst einmal ankommen müssen. Das mag noch dauern. Aber jedes Jahr werden in Afghanistan 500.000 Jungen 15 Jahre alt. Wenn 150.000 davon auf den Opiumfeldern und bei den westlich bezahlten Armee- Polizeieinheiten unterkommen, bleiben 350.000 ohne akzeptable Perspektive. Wenn nur jeder zehnte junge Mann den bewaffneten Kampf aufnimmt, erwachsen den 35.000 NATO-Soldaten vor Ort jedes Jahr 35.000 frische Gegner zusätzlich. In nicht allzu ferner Zukunft dürfte man doch mit blutiger Nase heimkehren. Vielleicht könnte dann die Diskussion darüber beginnen, warum es in den für humanitäre Interventionen ausgewählten Gebieten so unmenschlich zugeht
(16. September 2007)
Gunnar Heinsohn ist Sprecher des Raphael-Lemkin-Institut für Xenophobie- und Genozidforschung