Gastautor / 04.02.2019 / 06:25 / Foto: Elkawe / 0 / Seite ausdrucken

Grundsteuer als verdeckte Vermögenssteuer?

Von Jörg Gebauer.

Deutschland hat die Wahl zwischen zwei Übeln: Entweder wird eine vom Bundesverfassungsgericht festgestellte verfassungswidrige Gesetzeslage bis Ende 2024 beibehalten oder wir "erleiden" in wenigen Monaten das zum Scheitern verurteilte "Regierungs-Experiment", die Grundsteuer in Deutschland grundgesetzkonform bis Ende 2019 wirksam neu zu gestalten. 

Letzteres wäre zwar grundsätzlich – also als reine Absicht, verfassungsgemäß regieren zu wollen – zu begrüßen. Aber aktuell macht die "Große Koalition" alles, damit daraus nichts wird. Und dann ist es genau so fragwürdig und übel wie die Beibehaltung des monierten Status Quo. Denn dieses "Regierungs-Experiment" ist technisch, ist kapazitätsmäßig undurchführbar, wie Sie weiter unten lesen und selbst nachrechnen können.

Beide Wege sind rechtsstaatlich absolut nicht akzeptabel. Das Ganze ist die Geschichte einer SPD-Schnaps-Idee: Weil die SPD partout aus der Grundsteuer eine "Vermögens-Steuer auf Immobilien" machen will, kommt es nicht zu einer raschen – durchaus technisch möglichen – grundgesetzkonformen Grundsteuer-Reform.

Und: Man beherrscht noch nicht einmal mehr die allereinfachsten Grundrechenarten - respektiv glaubt, daß die Bürger dieselben nicht beherrschen und deswegen die ideologische und mathematische Scharlatanerie nicht durchschauen.Oder: Man nimmt alternativ bewußt nun dauerhaft die noch geltende Rechtslage in Kauf, die das Bundesverfassungsgericht per Urteil vom April 2018 bereits als verfassungswidrig deklariert hatte:

„Die Regelungen zur Einheitsbewertung von Grundvermögen sind mit dem allgemeinen Gleichheitsgrundsatz unvereinbar. Das (weitere) Festhalten des Gesetzgebers an den bisherigen Regelungen führt zu gravierenden und umfassenden Ungleichbehandlungen bei der Bewertung von Grundvermögen, für die es keine ausreichende Rechtfertigung gibt“, so das Gericht in seiner Pressemitteilung.

Mit dieser Begründung hat der Erste Senat des Bundesverfassungsgerichts die Vorschriften mit seinem Urteil für verfassungswidrig erklärt und bestimmt, dass der Gesetzgeber spätestens bis zum 31. Dezember 2019 eine Neuregelung zu treffen hat. Bis zu diesem Zeitpunkt dürfen die verfassungswidrigen Regeln weiter angewandt werden. 

Mehr als 100 Millionen Grundstücke und Gebäude 

Nach Verkündung einer Neuregelung – die aber bis Ende 2019 erfolgen muss – dürfen die alten (verfassungswidrigen) Regeln für weitere fünf Jahre ab der Verkündung, längstens aber bis zum 31. Dezember 2024 angewandt werden.

Blicken wir zu der zweiten Möglichkeit, die der Gesetzgeber nun hätte. Er könnte schließlich ebenso bis Ende 2019 eine grundgesetzkonforme Neu-Regelung schaffen, die bereits am 01.01.2020 in Kraft treten würde. Dafür hat man sich zwischen SPD und CDU über die Grundzüge des neuen Gesetzes geeinigt.  Auf Druck der SPD weicht man aber von einem Konzept der reinen „Grundsteuer“ ab und will durch die Hintertüre so etwas wie eine Vermögenssteuer (wenn auch nur auf Immobilien) einführen. Und dies genau erschwert eine zügige – eine technisch leistbare – Lösung noch innerhalb des Kalenderjahres 2019.

Demnach wünscht die SPD (im Gegensatz zur CSU, die sich aber nicht durchsetzen konnte), daß für die „neue Grundsteuer“ die konkreten Werte aller deutschen Grundstücke und Gebäude für jeden Einzelfall unterlegt werden. Die CSU hatte eine zeitlich machbare Lösung vorgeschlagen, bei der "nur" die Grundstücksgrößen und die Wohnflächen einbezogen worden wären.

Eine Reform der Grundsteuer ist allerdings nach den aktuell vorgesehen Leitlinien eines Gesetzes-Entwurfs von CDU und (maßgeblich der) SPD gar nicht möglich. Prüfen Sie es selber: Wenn bundesweit 5.000 einigermaßen qualifizierte Beamte ca. 3 Stunden pro Einzelvorgang (Grundstück oder Gebäude) benötigen (...und das ist bereits "schöngerechnet"; ...nämlich inklusive einer notwendigen Objekt-Besichtigung), dann schaffen sie zusammen pro Jahr 3 Millionen Vorgänge, um die Grundsteuer-Bescheide für diese 3 Millionen Objekte zu erstellen. Es gibt aber in Deutschland mehr als 100 Millionen Grundstücke und Gebäude. 

Es ist demnach rechnerisch unmöglich, bis Ende 2019 diese Abermillionen Grundstücke und Häuser jeweils einzeln zu bewerten. 5.000 Beamte würden dafür ca. 40 Jahre rechnen, begutachten und verwalten müssen. Noch nicht eingerechnet der Zeitaufwand für all die zu erwartenden Einsprüche gegen die neuen Grundsteuer-Bescheide. 

Gäbe es statt der angenommenen 5.000 geeigneten Beamten tatsächlich bereits jetzt 50.000 qualifizierte Beamte, so würden diese immer noch 4 Jahre benötigen, um die Bescheide zu erstellen. Alternativ müßte man, um die Vorgaben des Bundesverfassungs-Gerichts zu erfüllen, bis Ende April des Jahres 600.000 "vor-qualifizierte" neue Sachbearbeiter einstellen oder 600.000 Beamte aus anderen Bereichen abziehen.  Sodann könnten diese neuen Kräfte von den 5.000 (oder anderenfalls unterstellten 50.000) bereits qualifizierten Beamten innerhalb von 3 bis 4 Monaten auf die Aufgabe vorbereitet werden. 

600.000 neue Sachbearbeiter?

Im letzten Quartal 2019 wäre man dann so weit, die neuen Grundsteuer-Bescheide zu erstellen, wie vom Bundesverfassungs-Gericht für eine rasche und bereits zum 01.01.2020 greifende sowie verfassungskonforme Lösung zwingend vorgesehen. 

Zu beachten sind aber die Lerngruppen-Größen: Bei nur 5.000 bereits jetzt qualifizierten Beamten wären von jedem Einzelnen dieser 5.000 Staatsdiener in Groß-Gruppen von jeweils 120 Personen die anzulernenden 600.000 neuen Sachbearbeiter auszubilden. Man sieht sehr schnell, daß die geplante Grundsteuer-Reform mit den aktuellen Leitlinien bis Ende 2019 undurchführbar ist.

Verteidiger der neuen Leitlinien für den Gesetzes-Entwurf halten dagegen: Wegen des enormen Aufwands würden Grundstücke, Häuser und Wohnungen auch in Zukunft nicht individuell taxiert. Sie werden jedoch in ein sehr viel genaueres Raster einsortiert. In die Berechnung würden die durchschnittlichen Nettokaltmieten einfließen. Wie stark dieses Raster verfeinert werden muss wird sich noch zeigen... (hört, hört) Hinter einem Altbau - gebaut vor 1948 – kann sich ein altersschwaches Gebäude, aber auch eine komplett renovierte Villa verstecken.

Und weiter:  Für Nutzer von Wohnraum – ob nun als Mieter oder Besitzer – sind diese Feinheiten am Ende nicht wirklich entscheidend. Die Eckpunkte setzen nur die Vorgabe des Bundesverfassungsgerichts um. Und die lautet: Die Steuer muss stärker am tatsächlichen Wert der Immobilie anknüpfen...Das klingt zunächst einmal wie eine Entwarnung.

Aber das Entscheidende bleibt: Jedes Gebäude und jedes Grundstück muß nach den neuen Leitlinien einzeln betrachtet werden. Und dies ist verbunden mit dem oben beschriebenen Aufwand. Grundstücke plus Wohngebäude plus (einzeln zu bewertende, in den Wohngebäuden befindliche Eigentums-Wohnungen) plus Betriebsgebäude ergeben zusammen in Deutschland eine Zahl von mehr als 100 Millionen zu bewertende Einheiten.

Laut Bundesverfassungs-Gericht muß dies alles bis zum Jahresende 2019 erledigt worden sein, sonst darf keine Grundsteuer mehr erhoben werden oder als zweite Alternative: Der verfassungswidrige Zustand bleibt bestehen für weitere 5 Jahre. 

Der Steuerzahler könnte sich im "Fall 1" klammheimlich freuen. Aber die Städte und Gemeinden wären am Ende. Ihnen würden knapp 15 Milliarden Euro ( entspricht 15 Prozent der kommunalen Steuer-Einnahmen) jährlich fehlen. Damit dies nicht eintritt, wird man voraussichtlich alle Immobilien-Werte (am Ende des Jahres 2019) nur schätzen wollen. 

Das wäre dann "Fall 2". Eine Einspruchs- und Klagewelle im zweistelligen Millionen-Stückfall-Umfang ist - aller Erfahrung nach - dann mit sehr großer Wahrscheinlichkeit die Folge...

Wenn da nicht das Hintertürchen - "Fall 3" - wäre. Man darf gespannt sein, ob man lieber die Klagewelle in Kauf nimmt oder ob man weitere 5 Jahre grundgesetzwidrig (aber vom BVerfG erlaubt) eine Steuer erheben möchte. 

Aber auch dann ist mit einer Einspruchs- und Klagewelle zu rechnen. Denn die zugrundeliegenden Regelungen waren schließlich schon 2018 als verfassungswidrig höchstrichterlich beurteilt worden. 

Man könnte einwenden, daß es gar nicht zu Klagen und Einsprüchen kommen kann, da das Verfassungsgericht dies ausschließe. Ja, wenn das Wörtchen "wenn" nicht wäre. Da nämlich in dieser Variante bereits die Neuregelung kodifiziert vorläge, aber nicht angewendet wird (aus technischem und kapazitätsmäßigem Unvermögen), ergäben sich durchaus ganz neue rechtliche Anspruchsgrundlagen und Argumentations-Muster für den Steuerbürger.

Abschließend sollten Sie den Kommentar eines erfahrenen Steuer-Beamten kennen, der obige Hochrechnung zum Zwecke der Plausibilitäts-Prüfung vorgelegt bekam. Er antwortete:

"Kompliment, eine sehr gute Rechnung, die in der Tat noch sehr viel nachsichtiger ausfällt, als es tatsächlich im wahren Leben ist. Ich bin in der Grundsteuer-Stelle beim Finanzamt tätig. Ein großer Teil der Arbeit entfällt auf sogenannte "Zurechnungen", wenn von den Bauämtern Veränderungs-Mitteilungen eingehen, sodass hinsichtlich der baulichen Beschaffenheit und Ausstattung die Grundsteuer neu berechnet werden muss." 

Damit ist in aller Regel eine Besichtigung des Gebäudes oder des Grundstücks - zusammen mit einem Bausachverständigen des Finanzamtes - verbunden. Dies allein erfordert mindestens 2 Stunden (Fahrt zum Objekt, Besichtigung, Besprechung vor Ort etc.pp.).

Dann muss mit den ermittelten Daten neu bewertet werden: Gleich weiterer Zeitaufwand. Oft stellt man bei der Besichtigung fest, dass in all den Jahren auch weitere Baumaßnahmen getroffen und erhebliche Veränderungen durchgeführt wurden, die die Ausstattung vom "Status einfach" zu "gut" objektiv veränderten. 

Also Parkettfußböden, ein Kamin, eine andere Heizung, Wärmedämm-Maßnahmen, um nur einen kleinen Teil zu benennen. Oder bei Grundstücken: neue Wege, Zäune, Pflasterungen, veränderte Wasserläufe, neue Bepflanzungen oder ökologisch sinnvolle (aber deutlich aufwertende) Maßnahmen.

Bei der verständlichen Widerspruchs-Wut der Bürger (fachlich "Steuerbürger" genannt) sind dann Einsprüche zu bearbeiten und ggf. nochmals die Immobilien vor Ort zu überprüfen. Es könnte dann zu einem Änderungs-Bescheid kommen. Oder die Sache geht vor Gericht und das kann dauern. Zeitlich bindet dies die zuständigen Beamten ebenfalls erheblich.

Würde man den tatsächlichen Zustand der Häuser in die Grundsteuer-Bewertung einfließen lassen, dann würde es mehrere Jahre - wenn nicht sogar Jahrzehnte - dauern, bis alles neu geregelt ist.

Es ist dringend notwendig, dass man genau schaut, was das Bundesverfassungsgericht "eigentlich" wollte und wie man das - doch noch "irgendwie" - auf einfachere Weise erreichen kann." Soweit der Steuer-Beamte.

Jörg Gebauer ist ausgebildeter Staatswissenschaftler; er war unter anderem Mitarbeiter des Deutschen Bundestages und arbeitet heute als Berater in der freien Wirtschaft. Seine Facebook-Seite finden Sie hier.

Dieser Beitrag wurde am 4.02.2018 aktualisiert

Foto: Elkawe via Wikimedia

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