Jetzt können Billion-Neuverschuldung und „Klimaneutralität“ ins Grundgesetz, der Bundesrat hat erwartungsgemäß zugestimmt. Dort gab es auch keine Debatte mehr, sondern nur noch Selbstbeweihräucherung der Befürworter.
Insgesamt hat der Bundesrat 69 Stimmen. Eine Zweidrittelmehrheit ist mit 46 Stimmen erreicht. 53 Stimmen hat die Grundgesetzänderung bekommen, dank der Umfaller von Freien Wählern und Linkspartei. Von deren Führung wurde - wenn auch aus unterschiedlichen Gründen - dieses Verschuldungspaket im Zeichen von Kriegstüchtigkeit und „Klimaneutralität“ mittels Grundgesetzänderung klar abgelehnt. Zuerst fiel in Bayern Hubert Aiwanger von den Freien Wählern um. Was genau ihn dazu bewog, ist unklar.
Ob er fürchtete, Söder würde ihn entlassen und anschließend lieber mit der SPD weiter regieren? Oder war es die Angst vor einem Sturz aus den eigenen Reihen? Niemand weiß es. Allerdings war es äußerst peinlich, wie der Wirtschaftsminister seine Zustimmung wider besseres Wissen als schicksalhaft unausweichlich zu verkaufen versuchte. Er könne das Schuldenpaket nicht verhindern, ließ er verlauten. Aber genau das hätte er doch gekonnt.
Eine bayerische Stimmenthaltung hätte sechs Stimmen ausgemacht. Wenn die für die Grundgesetzänderung gefehlt hätten, blieben immer noch – rechnet man vom Ergebnis herunter – 47 Stimmen übrig. Auch die hätten gereicht. Allerdings nicht, wenn die Linken in Bremen und Mecklenburg-Vorpommern nicht ebenfalls umgekippt wären.
Trotz aller starken Reden, die ihre Genossen im Bundestag gehalten hatten, an dem Punkt, an dem sie die Verschuldungs-Orgie hätten aufhalten können, taten sie es nicht. Hätte es die jeweils drei Länderstimmen aus den von ihnen mitgetragenen Landesregierungen auch nicht gegeben, wären diese Grundgesetzänderungen gescheitert.
Reigen der Zustimmungs-Elogen
Niemand der Umgefallenen kann sich darauf herausreden, dass man nicht hätte mit der AfD stimmen wollen, denn die ist in keiner Landesregierung vertreten und damit im Bundesrat ohne Einfluss. Sie hatte allerdings per Eilantrag beim Verfassungsgericht versucht, die Bundesratsabstimmung zu verhindern. Während die Bundesratssitzung schon lief meldeten die Agenturen, dass auch dieser Eilantrag vom Gericht abgelehnt wurde.
Immerhin sind sich FDP und BSW treu geblieben und haben, wie im Falle unterschiedlicher Meinungen in einer Koalition üblich, dafür gesorgt, dass sich die Länder, in denen sie mitregieren, also Rheinland-Pfalz, Sachsen-Anhalt (beide mit FDP-Regierungsbeteiligung), Brandenburg und Thüringen (beide mit BSW-Regierungsbeteiligung) der Stimme enthalten haben.
Diese Stimmabgabe kam allerdings alles andere als überraschend. Das Umfallen von Freien Wählern und Linken war vor Beginn der Bundesratssitzung längst bekannt, so dass diese den Zuschauern nicht einmal ein Fünkchen Restspannung zur Unterhaltung bieten konnten. Die Bundesratssitzung als quasi letzter Akt der Staatstheater-Aufführung um die billionenschweren Grundgesetzänderungen geriet so zu einem Reigen der verschiedenen Zustimmungselogen. Es sprach kein Vertreter eines stimmenthaltenden Landes. Nur die Art der Beschwörung der ungeheuren Herausforderung, die diese außerordentlichen Beschlüsse "unausweichlich" erscheinen lassen, und das Selbstlob für die eigene Zustimmung variierten. Es war ein wenig wie ein Wettbewerb zur Synonym-Vielfalt für das, was Angela Merkel in der Zeit ihrer Kanzlerschaft ganz schlicht als „alternativlos“ bezeichnet und durchgesetzt hätte. Haben wir es also gerade mit dem Merkelismus in anderen Worten zu tun?
Mit großen Worten geizte kein Redner, aber Bayerns Ministerpräsident Markus Söder wirkte bei seinem Vortrag am muntersten, insbesondere, wenn er die politische Geographie Deutschlands angesichts dieser Grundgesetzänderung beschrieb: „Nur extreme Ränder sind dagegen und eine kleine Gruppe, die nicht mehr im Bundestag sitzt“. Letzteres bezog sich wohl auf die FDP. Viele Bürger fragen sich vielleicht, wie es sein kann, dass diese Position der „extremen Ränder“ in Schuldenfragen offenbar so populär war, dass die Parteien, die sie im Wahlkampf vertraten, damit bei der Bundestagswahl Zulauf gewinnen konnten. Aber einen Vertreter der wertebefreiten Prinzipienlosigkeit, wie Markus Söder, treiben solche Fragen nicht um.
"So viel ist das gar nicht"
Mit einem Lachen im Gesicht sagte er am Rednerpult, dass er vor ein paar Wochen nicht gedacht hätte, dass „wir“ hier stehen und solche Beschlüsse fassen würden. „Historische Zeiten erfordern historische Maßnahmen“, erklärt er jetzt. Offenbar haben diese „historischen Zeiten“ erst vor vier Wochen überraschend begonnen, denn sonst hätten sich die Unionsparteien vor der Wahl nicht so positionieren dürfen, wie sie es taten. Zumindest wäre das so, wenn man CDU/CSU keinen geplanten Wählerbetrug unterstellen wollte.
Söder erklärte, er empfinde dass die Bedrohung aus Moskau heute größer sei als im Kalten Krieg, während es keinen Verlass mehr auf die USA gäbe. Mag sein, nur hat sich an der Sicherheitslage mit dem 23. Februar 2025, also dem deutschen Wahltag, nichts geändert. Nur die Zusammensetzung des Bundestags. Weshalb auch der alte Bundestag habe entscheiden müssen. Im neuen Bundestag hätten plötzlich die zwei Parteien, mit denen man nichts zu tun haben wolle, eine Sperrminorität oder mit Söders Worten „eine Art Weimarer Zange“.
Das legitimiert natürlich alles, wenn die Deutschen mit Markus Söder nachträglich die Machtergreifung verhindern. Aber der ist schon wieder beim nächsten Gedanken, nämlich den nörgelnden Skeptikern im Volke. Bei uns, so sagte er, werde viel kritisiert, aber im Ausland würde das Riesen-Schuldenpaket positiv aufgenommen. Die anderen EU-Schuldenstaaten heißen uns wohl in ihren Reihen willkommen.
Söder sieht in diesem Beschluss auch ein „klares Signal an Freund und Feind“ und wegen der gigantischen Schuldensummen sollten sich die Bürger nicht so viele Gedanken machen. Wenn man die mal auf die zwölf Jahre verteilt runterrechne, sei das dann gar nicht mehr so viel.
Immerhin hat er auch eine klare Ankündigung zur Verteidigungsbereitschaft, die nichts mit Geld zu tun hat: „Am Ende wird es auch ohne eine Wehrpflicht nicht gehen.“
Vielleicht, um die Unionsgefolgschaft zu beruhigen, sagt er, dass er bei dem Zugeständnis an die Grünen, 100 Milliarden „fürs Klima“ ein zu setzen, erst skeptisch gewesen wäre, aber unter dem Klima-Label könne man wichtige Projekte auch für Bayern finanzieren, deshalb sei er jetzt dafür.
Folgt die "grundlegende Staatsreform"
Der grüne Winfried Kretschmann erklärte am Beginn seiner Rede, er „stehe hier als Verfechter der Schuldenbremse“. Nur leider haben ihm Putin und Trump einen Strich durch die Rechnung gemacht. Jetzt gehe es „um nichts weniger als die Selbstbehauptung Europas und der Selbstbehauptung unserer Prinzipien“. Und „auf eine besondere Situation muss man mit besonderen Mitteln reagieren“. Und in diesem Zusammenspiel wünscht sich der grüne Veteran noch mehr: „Was unser Land jetzt braucht, ist eine grundlegende Staatsreform.“ Für sich genommen ist der Satz nicht falsch, aber wenn die schwarzrotgrüne Koalition nach dem Billionschulden-Muster den Staat umbauen will, hört sich das für mich eher beunruhigend an.
Manuela Schwesig, die Ministerpräsidentin von Mecklenburg-Vorpommern kann noch mit weiteren schönen Begründungen für das Schuldenpaket aufwarten: Die Verschuldung auf Kosten der jungen Generation erfolge, um ebendieser jungen Generation keine Infrastrukturschulden zu hinterlassen. Toll! Davon, dass es eine aus dem Steueraufkommen zu finanzierende Kernaufgabe des Staates ist, die Infrastruktur zu erhalten und auszubauen, ist keine Rede mehr. Dieses Wissen möchte man der jungen Generation wohl gern schuldig bleiben.
Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer sagte, dass sein von einer CDU-SPD-Minderheitsregierung geführter Freistaat „wegen der großen geopolitischen Entwicklungen“ zustimme. Er geht kurz darauf ein, dass seine Partei vor der Wahl das finanzpolitische Gegenteil versprach. Es wäre besser gewesen, wenn man erst Änderungen bei Migrations-, Energie- und Wirtschaftspolitik beschlossen und erst dann nach mehr Geld gegriffen hätte, aber jetzt müsse es eben andersherum gehen. Es sei aber wichtig, auch das andere zu tun, „in Hinblick auf die Demokratiefähigkeit dieses Landes“. Im Moment scheint eher die Demokratiefähigkeit vieler Berufspolitiker dieses Landes ein Problem zu sein. Der CDU-Politiker freute sich jedenfalls darüber, dass man mit den Grünen habe kooperieren können, denn jetzt gäbe es eine „Chance auf einen ökologischen Wachstumspfad“. Da ist Sachsens Premier offenbar ganz auf der neuen Parteilinie. So wie sein Parteifreund Boris Rhein, seines Zeichens Ministerpräsident von Hessen, der erklärte, dass Klimaschutz kein neues Staatsziel sei, denn das wäre es eigentlich schon heute.
Alle anderen Redner waren von der Größe ihrer historischen Entscheidung ebenfalls ergriffen, brachten aber keine weiteren sprachlichen Innovationen ein. Außer vielleicht die grüne Klimaministerin von Nordrhein-Westfalen, Mona Neubaur. Von ihr kamen auch kritische Töne, aber nicht am Verschuldungskurs an sich, nur daran, dass man das alles auch vor der Bundestagswahl ganz in Ruhe hätte machen können, wenn man ohnehin auf die alten Mehrheiten zurückgreifen musste. Aus grüner Sicht ist der Unmut daran vollkommen verständlich. Aber 100 Milliarden Euro für den Klimafonds konnten sie milde stimmen. Trotzdem garnierte Frau Neubaur den aktuellen Bundesratsbeschluss mit dem schönen Satz: „Unsere Demokratie erhält die Möglichkeit, ihre Zähne zu zeigen.“
Peter Grimm ist Journalist, Autor von Texten, TV-Dokumentationen und Dokumentarfilmen und Redakteur bei Achgut.com.