Das Verarmungsprogramm des grünen Schrumpfens „neomarxistisch“ zu nennen, ist eine glatte Verharmlosung. Übte sich der reale Sozialismus noch in Wohlstandsversprechen, fordern immer mehr grüne Ideologen offen Armut für alle.
Seit einiger Zeit gefallen sich Vertreter und Freunde der deutschen Wirtschaft darin, sich einigermaßen verwundert die Augen zu reiben und die eine oder andere Krokodilsträne zu verdrücken. „Deutsche Wirtschaft schrumpft“, konstatierte Das Institut der deutschen Wirtschaft (IW) am 30. Juli 2024. Einige Monate später häufen sich Meldungen zum angekündigten massiven Stellenabbau in der Automobilindustrie samt der Zulieferer. Zum Thema „Insolvenzen in Deutschland“ titelt die wirtschaftsnahe Welt am 10. Januar 2025 „Firmenpleiten erreichen höchsten Stand seit zehn Jahren“. Auch bei Gesamtmetall, die Arbeitgeberverbände der Metall- und Elektroindustrie – eine nach der Autoproduktion (plus Zulieferer), dem Maschinenbau und der Chemie deutsche Schlüsselindustrie –, findet man am 13. Januar deutliche Worte:
„So eine lange Wirtschaftsschwäche hat es seit 1949 nicht gegeben – und eine Trendwende ist weiterhin nicht in Sicht: Das aktuelle M+E-Geschäftsklima des ifo-Instituts sank im Dezember 2024 zum 8. Mal in Folge. Und auch die Prognosen für 2025 werden immer weiter gesenkt, sodass das IW auch im kommenden Jahr mit mageren 0,1 Prozent Wachstum von einer Fortsetzung der Stagnation ausgeht.“
Das Wehklagen über die deutsche Wirtschaft
Die Wohlstandsverluste dieser Entwicklung seien bereits deutlich zu spüren. 6 Prozent unter dem langfristigen Wachstumstrend bedeute gemessen am Bruttoinlandsprodukt einen Verlust von über 270 Milliarden Euro pro Jahr beziehungsweise 3.200 Euro pro Einwohner. Deutschland werde laut den aktuellen Prognosen die „rote Laterne“ im internationalen Vergleich behalten. „Die Scholz-Habeck-Rezession“, so Gesamtmetall-Hauptgeschäftsführer Oliver Zander (ebenda), „ist die längste Wirtschaftskrise in der Geschichte der Bundesrepublik. Und es gibt keinerlei Aussicht auf Besserung.“
Aus vielen – insbesondere medialen – Stimmen, spricht die Enttäuschung darüber, dass aus dem von Scholz (und Habeck) angekündigten „grünen Wirtschaftswunder“ (siehe Welt vom 10.03.2023) noch nichts geworden sei (vgl. aus dem Jahr 2024 zum Beispiel: Focus, Capital, Tagesschau); statt dass die hohen Investitionen in die Energiewende wirtschaftlichen Aufschwung bringen, sieht es eher nach Stagnation und Deindustrialisierung aus. Insbesondere Robert Habeck als Wirtschaftsminister wird daher in dem Zusammenhang – nicht nur von Markus Söder – gerne Inkompetenz bescheinigt (Umfrage: Deutsche finden Robert Habeck nett, aber inkompetent).
In all diesen aktuellen Wehklagen über die jüngsten Entwicklungen („Die deutsche Wirtschaft steckt in einer tiefen Krise“, T-online, 13.01.2025.) wird jedoch verdrängt, dass die Folgen der spezifisch deutschen Klima- und Energiepolitik als gefälligst zu begrüßende angekündigt waren; es ist ein „grünes Schrumpfen“, ein Wohlstandsverlust mit Ansage. Man konnte dies nicht nur bei Kritikern dieser Politik (unter anderem hier auf Achgut) seit Jahren lesen, sondern auch von den (wenigstens halbwegs ehrlichen) Befürwortern hören.
Angesichts der aktuellen Wirtschaftslage und der Rolle, die diese im derzeitigen Wahlkampf spielen wird, sei hier also nochmal an Ulrike Herrmann erinnert.
Wer ist Ulrike Herrmann?
Die Wirtschaftsjournalistin und taz-Redakteurin Ulrike Herrmann hebt sich von dem links-grünen Milieu, dem sie entstammt, dadurch positiv ab, dass sie gegen die Illusionen, (Lebens-)Lügen und offensichtlichen Dummheiten ihrer Mitstreiter schonungslos offen ausspricht, wohin die klimapolitische Transformation der Gesellschaft führt, wenn man sie nur konsequent zu Ende denkt oder gar in eine entsprechende Praxis überführt.
In diesem Sinne war Ulrike Herrmann schon immer ehrlich. Als zum Beispiel vor knapp zwei Jahrzehnten in Deutschland die öffentliche Diskussion über Migration und Terror, über den Islam und Frauenrechte gerade begann, beschimpfte Herrmann die Islamkritikerin und Achgut-Autorin Ayaan Hirsi Ali als „Frau der weißen Männer“. Nicht nur erklärte sie so jede von Frauen an ihrer Herkunftskultur in liberaler und emanzipatorischer Absicht geübte Patriarchatskritik zur sexuellen Kollaboration mit den „Kolonialherren“. Indem sie zugleich die konkrete künstlerische Kooperation Hirsi Alis mit Theo van Gogh bei dessen Film Submission sexualisierte, Hirsi Ali zur Hure und van Gogh zum Freier machte, beleidigte sie auch den Filmemacher, der keine zwei Jahre zuvor wegen eben dieses Films von einem Moslem auf offener Straße ermordet wurde: Der Täter schoss ihn vom Fahrrad, schnitt ihm die Kehle durch und heftete mit zwei Messerstichen ein fünfseitiges Bekennerschreiben an seinen Körper, das auch eine Morddrohung an Hirsi Ali enthielt. Dass antirassistische Islamophilie auf die Preisgabe der Rechte und Interessen von Frauen hinausläuft – Wenn es um die Konsequenzen des eigenen Denkens geht, kennt Ulrike Herrmann keine verdruckstes Winden.
Herrmann für Kriegs- und Planwirtschaft
Zurzeit macht Ulrike Herrmann mit dem 2022 erschienenen Buch Das Ende des Kapitalismus: Warum Wachstum und Klimaschutz nicht vereinbar sind – und wie wir in Zukunft leben werden auf sich aufmerksam. Das Buch wurde breit rezipiert, Herrmann hat viele Interviews gegeben und Vorträge gehalten. Grob räumt sie darin mit der Illusion auf, konsequenter Klimaschutz – vor allem die spezifisch deutsche Energiewende – könne mit „grünem Wachstum“ beziehungsweise einem „grünen Kapitalismus“ (Markt- und Konkurrenzwirtschaft, individuelle Freiheit und Wohlstand auf Basis „grüner“ statt „schmutziger“ Technologien zur Energiegewinnung) einhergehen. Stattdessen habe man sich auf „grünes Schrumpfen“ nicht nur einzustellen, sondern dieses zu wollen und politisch zu gestalten. In einem auf YouTube verfügbaren Vortrag führt Herrmann aus, was sie sich unter einer zeitgemäßen Präventionspolitik im Zeichen der Klimarettung vorstellt:
„Um das Schlimmste in der Klimakrise zu verhindern, müssen wir eigentlich sofort raus aus dem Wachstum, rein ins Grüne Schrumpfen. Dazu braucht man eine Kriegswirtschaft mit Rationierung und staatlicher Planung; nach dem Motto: Wenn das sowieso klar ist, dass durch die Klimakrise irgendwann eine Kriegswirtschaft kommt, dann wäre es ja schlau, sie jetzt schon einzusetzen, damit man geordnet, friedlich, ohne Chaos und vor allen Dingen rechtzeitig noch aus dem Kapitalismus und aus dem wirklich schädlichen Wachstum aussteigen kann.“
2023 – als sich der nicht nur grüne Mainstream mit Scholz und Habeck autosuggestiv einredete, dass die deutsche Energiewende nicht Verzicht, sondern Gewinn bedeutet – räumte Ulrike Herrmann im Gespräch mit dem Philosophie Magazin solche Illusionen erbarmungslos ab:
„Frau Herrmann, aktuell ist der Begriff „Grünes Wachstum“ in aller Munde. Was halten Sie von dieser Idee?
Ich halte es für eine Illusion, dass Klimaschutz mit Hilfe von technischen Lösungen gelingen kann, indem man die fossilen Energieträger einfach durch Solarstrom und Windstrom ersetzt. Natürlich sollte man so viele Solarpanels und Windräder wie möglich installieren, aber selbst dann wird der Ökostrom nicht reichen, um den heutigen Kapitalismus plus Wachstum zu befeuern.
Weshalb findet die Idee dennoch so viele Anhänger?
Weil 'grünes Wachstum' bedeuten würde, dass wir unser Leben kaum ändern müssten. Typisch für diese Idee ist das E-Auto. Alles soll gleichbleiben: die deutschen Garagen, die deutschen Straßen, die deutsche Automobilindustrie. Nur der Motor wird ausgetauscht. Statt eines Verbrenners, der Benzin oder Diesel benötigt, wird mit einer Batterie Ökostrom getankt. Ähnlich träumt man auch von der grünen Chemie, einer grünen Stahlindustrie, vom grünen Fliegen und von der grünen Schifffahrt. Doch das wird nicht aufgehen.
Warum nicht?
Dafür gibt es technische und physikalische Gründe. Viele Deutsche denken, wir hätten die Energiewende schon halb geschafft. Aber das ist ein Irrtum. Denn es reicht ja nicht, nur den heutigen Stromverbrauch klimaneutral umzustellen, sondern wir müssen die gesamte Volkswirtschaft mit Solar- und Windenergie betreiben – also auch die Industrie, den Verkehr und die Heizungen. Und da sind die Zahlen erschütternd. Wind und Strom decken aktuell nur etwa 9 Prozent des deutschen Endenergieverbrauchs ab. Das heißt, wir müssen noch über 90 Prozent umstellen. Zudem scheint die Sonne nicht immer, und der Wind weht nicht immer. Also muss man große Mengen an Energie speichern, wofür sich vor allem Batterien und grüner Wasserstoff eignen. Beide Technologien sind aber nicht billig. Ökoenergie wird daher knapp und teuer bleiben. Es läuft auf grünes Schrumpfen hinaus, nicht auf grünes Wachstum.“
Unausweichlichkeit des Grünen Schrumpfens
Hier stellt also eine dezidierte Befürworterin der deutschen Energiewende ganz offen heraus, dass man die bisherige und künftige deutsche Volkswirtschaft, die Industriegesellschaft, nicht bei Verzicht auf Kernkraft und fossile Energieträger mit den sogenannten Erneuerbaren plus Speichertechnologien am Laufen halten kann, weshalb zuvörderst die Automobilindustrie, Stahl und Chemie, Schifffahrt und Flugverkehr – wie wir sie bisher kannten – dran glauben werden müssen. Geboten sei, was immer mehr Menschen auch im Alltag erfahren und sinnlich wahrnehmen (werden): Grünes Schrumpfen, Wohlstandsverlust, Konsumverzicht, Kriegs- und Planwirtschaft. Rainer Zitelmann hat Herrmanns Dystopie sehr gut zusammengefasst:
„Herrmann propagiert ganz offen eine Planwirtschaft, da nur ein solches System den Klimawandel abwenden könne. Anders als im klassischen Sozialismus sollen die Unternehmen aber nicht formell verstaatlicht werden, sondern im Privatbesitz bleiben. Aber der Staat solle festlegen, was hergestellt wird und wie viel. Herrmanns antikapitalistische Vision: Flüge würde es nicht mehr geben, auch keine privaten Kraftfahrzeuge. Der Staat bestimmt, wie die Menschen wohnen dürfen – beispielsweise soll es keine Einfamilienhäuser und keine Zweitwohnungen mehr geben. Der Neubau wird wegen Klimaschädlichkeit verboten, stattdessen werden die bestehenden Flächen ‚gerecht‘ verteilt. Der Staat bestimmt, wie viel Fläche jeder bewohnen darf. Der Fleischkonsum, so Herrmann, wird nur ausnahmsweise erlaubt, weil die Fleischproduktion klimaschädlich ist. Ganz generell dürften die Menschen nicht mehr so viel essen. 2500 Kalorien am Tag seien genug, meint Herrmann: 500 Gramm Obst und Gemüse, 232 Gramm Vollkorngetreide oder Reis, 13 Gramm Eier, 7 Gramm Schwein und so weiter. ‚Auf den ersten Blick mag dieser Speisezettel etwas mager wirken, aber die Deutschen wären viel gesünder, wenn sie ihre Essgewohnheiten umstellten‘, tröstet die Kapitalismuskritikerin. Und da die Menschen gleich wären, wären sie auch glücklich: ‚Rationierung klingt unschön. Aber vielleicht wäre das Leben sogar angenehmer als heute, denn Gerechtigkeit macht glücklich.‘ Egalitarismus, Ressentiments gegen Reiche und Antikapitalismus sind die ideologischen Fundamente jener, die in den Medien gerne ‚Klimaaktivisten‘ genannt werden.“
Es mag naheliegend – und in mancher Hinsicht plausibel – sein, Klimaaktivisten und den Grünen (als autoritärer Verbotspartei) „Sozialismus“, „Neomarxismus“ oder „Kulturmarxismus“ vorzuwerfen. Da aber selbst die realsozialistische Propaganda immer Wohlstand und Wachstum – keineswegs Verzicht – predigte und weitgehend (auch in China) realisierte, trifft der nachbürgerliche Antikommunismus mit seinen Schmähungen der grünen Klimabewegung als „sozialistisch“ lediglich das Moment despotischer Verfügungsgewalt über Menschenmassen (welche die Protagonisten von Herrmann bis Habeck an China fasziniert), aber gerade nicht den Gehalt realsozialistischer Konsumgesellschaften und Wohlstandsversprechen, die von Klimaaktivisten genauso abgelehnt werden. Das Verarmungsprogramm des grünen Schrumpfens „neomarxistisch“ zu nennen, ist nach dieser Hinsicht eine Verharmlosung der energiepolitischen Selbstzerstörung einer Industrienation. Zudem wurden die Weichen der „klimaneutralen“ Transformation, deren Konsequenzen für alle spürbarer werden, unter der CDU-Kanzlerin Merkel (schwarz-rot) gestellt und unter FDP-Beteiligung während der Ampelzeit bestätigt. Der allgemeine Irrsinn, dem sich, als er durchgesetzt wurde, kaum prominente „Wirtschaftsvertreter“ in den Weg stellten, geht keineswegs allein auf das Konto der Grünen.
Ausblick
Ulrike Herrmann jedenfalls spricht offen aus, wohin der eingeschlagene Weg mit einiger Notwendigkeit führt: zur Armut und Auflösung demokratischer Rechtssysteme, zur Zerstörung bürgerlicher Subjektivität und des politischen Liberalismus. Von den Kritikern der Energiewende unterscheidet Herrmann lediglich, dass sie diese Entwicklung bejaht. Das ist erhellender, als Habeck Inkompetenz vorzuwerfen. Denn wer die herrschende Politik am Versprechen von grünem Wachstum oder eines grünen Wirtschaftswunders misst, und sich dann enttäuscht gibt, ist insofern Teils des Problems, als er suggeriert, dass dies überhaupt (etwa mittels Kompetenz) möglich sei – und nicht etwa eine radikale Kehrtwende in der Energiepolitik (eine Abkehr vom Klima-Dogma) gefragt wäre.
Viel wird im kommenden Wahlkampf davon die Rede sein, dass man regierungsseitig die „Rahmenbedingungen“ für ein Wirtschaftswachstum wieder wird verbessern müssen. Die dafür notwendige Umkehr in der Klima- und Energiepolitik dürfte jedoch von keiner der als realistisch geltenden Koalitionen nach der Wahl erwartet werden. Daher stehen uns erstmal weitere Jahre des Schrumpfens bevor. Es wird vermutlich noch einige Zeit dauern, bis die Einsicht reift, dass der allseits beklagte volkswirtschaftliche Niedergang kein Unfall, kein Versehen, keine Inkompetenz, sondern gewollt ist.
Thomas Maul ist Autor mehrerer Bücher, unter anderem zum Islam und zu Kritischer Theorie. Er war bis März 2020 Autor (seit 2007) und Redakteur (seit 2012) der ideologiekritischen Zeitschrift BAHAMAS. Seit 2023 ist er Redakteur der von ihm mitgegründeten Halbjahreszeitschrift „casa|blanca. Texte zur falschen Zeit“.