Gleich zwei Jugendorganisationen – eine im linken Spektrum und eine im eher rechten – haben sich von ihren Mutterschiffen abgeseilt. Um zu verstehen, wo sie hinwollen – so sie es überhaupt wissen –, ist ein Ausflug in die Geschichte und die politische Theorie hilfreich.
In einer interessanten und von den Beteiligten bestimmt nicht abgesprochenen Koinzidenz haben wir gerade von den Abspaltungen gleich zweier Jugendorganisationen deutscher politischer Parteien erfahren, denen in ihren Mutterparteien die ideologische Reinheit fehlt. In beiden Fällen – Grüne Jugend und Junge WerteUnion – wirken die Erklärungen etwas überraschend, weil es zwar recht üblich ist, dass Jugend eine entschlossenere Umsetzung von Ideen fordert als die Alten, aber die jeweils geforderte Ausrichtung nicht so recht zur ganzen Geschichte der jeweiligen Parteien passt.
Man kann sich also fragen, was die jungen Mitglieder der jeweiligen Partei eigentlich erwartet haben. Hat die politische Jugend im Zeitalter inhaltlich entkernter Parteien ein neues Bedürfnis nach klarer Kante im ideologischen Kurs, der sie von dem rheinischen Nachkriegskompromiss der sozialen Marktwirtschaft Deutschlands entfremdet?
Bei der Grünen Jugend will laut gleichlautenden Presseberichten offenbar der gesamte Vorstand nicht nur wie bei der Mutterpartei zurück-, sondern gleich ganz austreten, um stattdessen „einen neuen, dezidiert linken Jugendverband zu gründen.“ Sie wollen für „eine grundsätzlich andere Politik […] werben, als die eigene Partei umsetzt”, nämlich „eine klassenorientierte Politik […], die soziale Fragen in den Mittelpunkt rückt und Perspektiven für ein grundsätzlich anderes Wirtschaftssystem aufzeigt.” Es soll also der neue Jugendverband hart links im Sinne einer ideologischen Fundamentalkritik der bundesdeutschen sozialen Marktwirtschaft werden. Diese Fundamentalkritik soll „klassenorientiert“ sein, also vermutlich im Kern marxistisch, womit der Begriff der sozialen Klasse doch recht eindeutig konnotiert ist.
Überraschend wirkt dieser Wunsch nach einem dogmatischen, mindestens marxistisch angehauchten Linkskurs des Klassenkampfes beim ehemaligen Vorstand der Grünen Jugend, weil eigentlich die ganze Geschichte der Grünen Partei auf der Abkehr von der angestaubten und theoretisch wie praktisch schon lange bankrotten dogmatischen Linken beruhte. Setzte sich Rudi Dutschke noch mit einer ledergebundenen Ausgabe von Das Kapital in Szene wie ein evangelikaler Prediger mit seiner King James Bibel, zersplitterte sich die ideologische Linke in den 1970ern in unzählige maoistische K-Gruppen und die stalinistische DKP, waren die Bestrebungen, die Westdeutschen vom dogmatischen Hammermarxismus zu überzeugen, doch vollkommen aussichtslos, und man zerfleischte sich hauptsächlich gegenseitig.
Der Hauptgegner der Vorläufer der Grünen Partei hieß weniger Franz Josef Strauß, der aus Sicht dieser Gruppen unterhalb jeder Diskussion stand, sondern Helmut Schmidt, aber in der Praxis stritten sich Ideologen der Marxistisch-Leninistischen Partei Deutschlands mit denen der Kommunistischen Partei Deutschlands/Marxisten-Leninisten und so fort mit zig solcher Gruppen. Während gleichzeitig der ideologische, moralische, wirtschaftliche und sogar militärische – trotz oder wegen Konzentration aller Ressourcen auf dieses Gebiet – Bankrott des Marxismus und Realsozialismus immer offenbarer wurde, war das unzeitgemäß, und nennenswerte politische Erfolge blieben für diese Gruppen aus.
Wasserpistolen statt Kalaschnikows
Die Grüne Partei entstammte nun gerade der Einsicht, dass es der Hammermarxismus nicht richten werde und der Konzentration auf anschlussfähigere Themen. Man war gegen Atomwaffen und gegen Atomstrom, gegen sauren Regen und für Jutetaschen, für Feminismus, strickte auf Parteitagen, und der praktische Austrag von Konflikten erfolgte mit Farbbeuteln und Wasserpistolen statt mit Kalaschnikows.
Das passte in eine Zeit, in der Nicole 1982 mit "Ein bißchen Frieden" den damals noch so genannten Grand Prix Eurovision de la Chanson gewann und 300.000 Menschen am 10. Oktober 1981 in der Bundeshauptstadt Bonn klampfend und trötend gegen den – von einem Sozialdemokraten initiierten! – NATO-Doppelbeschluss demonstrierten. Damit begann der Marsch durch die Institutionen, symbolisch sichtbar in der Progression von Joseph Fischers Ministervereidigung 1985 in weißen Turnschuhen bis hin zu seinem Amtsantritt als deutscher Außenminister und Vizekanzler 1998.
Frühere Allianzen mit politischen Forderungen nach straffreier Pädosexualität wurden damit genauso zu einem historischen Kapitel der Parteigeschichte wie Steinwürfe auf Polizisten und die Finanzierung der Anti-Pershing-Bewegung durch die Besitzer der SS-20-Raketen. Stattdessen koordinierte ausgerechnet ein friedensbewegter Außenminister die ersten Kampfeinsätze der Bundeswehr. Seinen Abschluss und seine – in marxistischer Diktion – Aufhebung fand dieser Marsch durch die Institutionen, als Angela Merkel die CDU auf eine radikalisierte Umsetzung des Programms der Grünen Partei als „alternativlos“ umpolte, damit aber natürlich auch ein Vakuum in der Parteienlandschaft schuf, das Platz für eine Alternative bot.
Arbeiterklasse ohne Arbeitserfahrung
Wo die Grünen so etabliert sind, dass man statt ihrer ebenso gut CDU wählen kann, entstand im Vorstand der Jugendorganisation offenbar der Wunsch nach etwas Frischem, auch wenn es auf die Alten sehr angestaubt und aus dem Fundus längst überwundener Jahrzehnte und Verirrungen entnommen wirkt.
Erstaunlich dabei ist allerdings, dass es sich beim Programm der aktuell neu zu gründenden Linksbewegung eben nicht um eine (pseudo)intellektuell von Herbert Marcuse abhängige neulinke Mischung aus Palästinabegeisterung, neuartigen sexuellen und geschlechtlichen Identitäten (die unter der Herrschaft der Hamas natürlich eher nicht ausgelebt werden, jedenfalls nicht lange), Impf- und Maskenbegeisterung, „Kritische Rassetheorie“, Seenotschlepperei, Klima usw. handeln soll, sondern dass stattdessen auf den alten marxistischen Begriff der „Klasse“ rekurriert wird.
Freilich, wer es hinbekommt, gleichzeitig für Transgender und für die Hamas zu demonstrieren, der bekommt es auch hin, sich als „Verdammter dieser Erde“ zu sehen, als ausgebeutetes Mitglied der Arbeiterklasse, obschon er selbst noch keinen Tag in Vollzeit gearbeitet hat. Auch die Kürzung der monatlichen Überweisung des Papas nach dem dritten Studienabbruch ist in dieser Welt vermutlich ein Ausdruck des zu überwindenden kapitalistischen Klassengegensatzes. Man wird sehen, was aus der neuen Jugendorganisation wird, aber „Klasse“ als Grundlage einer linken Programmatik für junge Menschen scheint mir in einer Zeit, in der tatsächliche Arbeiter und Junge eher überproportional AfD wählen, nicht sehr vielversprechend.
Freiheit mit Binnenmajuskel
Während der austretende Vorstand der Grünen Jugend – aus welchen Gründen auch immer – seinen Brief offenbar zwar an die Presse kommen ließ, ihn aber nicht veröffentlicht hat, war die Jugendorganisation der WerteUnion da offener. Bei der Maaßen-Partei trennt sich nicht nur der Vorstand der Jugendorganisation von der Mutterpartei, sondern gleich die ganze Organisation selbst. Die benennt sich von Junge WerteUnion in Junges FreiheitsBündnis um, kann dabei offenbar nicht auf die Binnenmajuskel verzichten, die einmal modisch war, als die Mitglieder noch nicht geboren waren, und hat ihre Gründe auf Twitter dargelegt. Die ehemaligen jungen Werteunionisten geben zwei Themenfelder als Grund der Trennung an.
Einerseits beklagen sie, dass die WerteUnion sich „durch den Einfluss gewisser Ex-CDU/Ex-FDP WU-Mitglieder fälschlicherweise zu sehr in Richtung der nach links abgedrifteten CDU positioniere und somit die Politikwende falsch interpretiere, siehe Meuthen.“ Damit sprechen sie ein grundlegendes Problem der WerteUnion zwischen CDU und AfD an. Einerseits wird natürlich jede Positionierung rechts der ergrünten CDU zur Verunglimpfung der Partei als „rechts“ führen, andererseits steht in dieser publizistischen Sünderecke schon die AfD, mit allen Konsequenzen wie auch dem Auftauchen tatsächlich zweifelhafter Gestalten. Andererseits nimmt die Positionierung Hans-Georg Maaßens, der die CDU als „Premiumpartner“ seiner Partei bezeichnete, der WerteUnion jede Flexibilität, das Zünglein an der Waage zwischen AfD und CDU in einer möglichen Bürgerkoalition mit einer oder beider dieser Parteien zu werden und so eigene inhaltliche Akzente durchsetzen zu können.
Wenn die WerteUnion sich freiwillig in eine Rolle als Partei mit programmatischer Ähnlichkeit mit der AfD, aber Wunsch nach einer Rolle als reine Mehrheitsbeschafferin der CDU positioniert, dann ist dem Wähler schwer zu erklären, warum er nicht einfach die von ihm bevorzugte größere Partei direkt unterstützen und damit seine Stimme vor der Fünf-Prozent-Hürde in Sicherheit bringen soll. Dieses Problem drückt sich in den Wahlergebnissen der WerteUnion aus, und wenn die ohnehin absehbar in der Versenkung verschwindet, dann kann die Jugendorganisation auch ebenso gut ihr eigenes Ding machen.
Bundesadler mit Freiheitsfackel
Andererseits beklagen die jungen Werteunionisten einen intriganten, lernunfähigen und autoritären Führungsstil in der WerteUnion, „dass treibende Kräfte in der Partei die JWU als Jugendorganisation zuletzt abschaffen wollten und ihre Arbeit laufend angriffen. Das neue JWU Logo bezeichnete man als rechtsaußen.“ Letzterer Vorwurf ist insofern interessant, weil dieses Logo einen stilisierten deutschen Bundesadler in den Farben Schwarz-Rot-Gold zeigt, der eine Fackel, die an diejenige in der Hand der amerikanischen Freiheitsstatue erinnert, in der Schwinge trägt. Der symbolische Bezug ist also offenbar die Märzrevolution 1848 und Aufbruch und Hoffnung und Licht und Freiheit, was mir eher als eine der Tendenz nach linke Positionierung erscheinen würde, aber gut, „rechtsaußen“ wird heute vieles genannt.
Es ging wohl auch kaum um das Logo an sich, sondern um einen allgemein autoritären Führungsstil, der „die JWU unter Aufsicht stellen wollte.“ Dieser Führungsstil entspringt wohl teilweise Hans-Georg Maaßens Wunsch, seine Partei von allem, was „rechts“ ist oder genannt wird, fernzuhalten, um sie so von der AfD abzugrenzen, aber das Charisma für eine Einpersonenpartei geht Herrn Maaßen nun wirklich ab, und wenn die Jugend stillhalten und zuhören soll, dann geht sie eben.
Die neue politische Ausrichtung der ehemaligen Jungen WerteUnion überrascht aber nicht weniger als die der vom Vorstand der Grünen Jugend in Gründung befindlichen dogmatisch linken Jugendorganisation. Die umbenannte Organisation Junges FreiheitsBündnis will nämlich „mit der Partei DIE LIBERTÄREN in den kommenden Wochen eine große, ÜBERPARTEILICHE libertäre Bewegung in Deutschland aufbauen.“ Der Wunsch, dass eine kleine Jugendorganisation zusammen mit einer Splitterpartei eine „große Bewegung“ aufbauen möge, erscheint ambitioniert, verdient aber eine inhaltliche Betrachtung.
Der Libertarismus kann für sich tatsächlich das in Anspruch nehmen, was der Sozialismus immer behauptet, wenn er auf sein regelmäßiges Scheitern im Bankrott in jeder Hinsicht, in Armut, Verzweiflung und Tod hingewiesen wird: Er wurde noch nie richtig ausprobiert.
Mises’ Minarchismus
Libertäre sind keine homogene Bewegung, aber die meisten dürften damit einverstanden sein, in eine intellektuelle Tradition mit John Locke, Ludwig von Mises, Murray Rothbard und Milton Friedman gestellt zu werden, wobei Letzterer allerdings sich immer als klassischer Liberaler verstand und zu Zeiten des Ersteren eine sprachliche Trennung zwischen Liberalismus und Libertarismus noch nicht existierte. Libertäre gehen von naturrechtlichen Überlegungen aus, dass jeder Mensch frei geboren sei und Herrschaft über ihn durch Gewalt oder deren Androhung illegitim sei.
Nun sei es aber die wesentliche Unterscheidung zwischen Politik und bürgerlicher Gesellschaft, dass Politik Macht auszuüben und nötigenfalls durch Gewalt durchzusetzen sucht, idealerweise durch Einverständnis der Beherrschten und nötigenfalls durch die Truppe oder den Henker oder den Gefängniswärter. An diesem Charakter ändere sich auch durch demokratische Bestimmung staatlicher Macht nichts, denn eine Mehrheit, die eine Minderheit mit Gewalt beherrscht, ist darin nicht notwendig weniger tyrannisch als beispielsweise ein Erbmonarch.
Libertäre folgern aus diesem grundsätzlich gewalttätigen Charakter staatlicher Macht nun ein grundlegendes Legitimitätsproblem der Staaten selbst. In ihrer radikaleren Ausprägung wollen sie Staaten völlig abschaffen und durch privatrechtlich organisierte Versicherungsgesellschaften oder ähnliche Strukturen mit freiwilliger Mitgliedschaft ersetzen, also Anarchismus im eigentlichen Wortsinn, die Abschaffung von Herrschaft.
In der weniger radikalen Ausprägung wird das als zwar eigentlich moralisch wünschenswert, aber vollkommen unrealistisch und unpraktisch gesehen und stattdessen eine möglichst weitgehende Reduzierung staatlicher Tätigkeit auf die Kernaufgaben von Rechtspflege und -durchsetzung sowie Schutz gegen äußere Feinde gefordert, so dass sich innerhalb dieses Rahmens die Zivilgesellschaft auf Basis freiwilliger Zusammenarbeit entfalten kann, eine Position des Minarchismus.
Dieser libertäre Minarchismus kann in seinen praktischen Forderungen weitgehend mit dem Konservatismus oder klassischen Liberalismus übereinstimmen, wenn auch auf anderen geistigen Grundlagen, womit sich eine natürliche Koalition zwischen diesen Gruppen anbietet. Um geistige Grundlagen streiten kann man sich immer noch, und zwar friedlich und freundschaftlich, wenn der Staat wieder auf ein erträgliches Maß eingehegt ist.
Nun hat der Libertarismus als Versuch des konsequenten Durchdenkens und Umsetzens einer Idee traditionell ähnliche Probleme von Sektierertum und Splitterparteien wie der Sozialismus, auch wenn im Gegensatz zum Sozialismus der Libertarismus eine Idee konsequent durchdenken will, die begrüßenswert ist, die der Freiheit. Beide Bewegungen haben jedenfalls in ihren radikaleren Formen gemein, dass sie nicht von der vorgefundenen und gewachsenen Gesellschaft in ihrer Historizität ausgehen, sondern von theoretischen Grundannahmen über die Menschennatur, denen die Realität angepasst werden soll, womit die Zersplitterung in immer mehr Fraktionen, die sich untereinander streiten, naheliegt. Libertäre können im Gegensatz zu Sozialisten diese Zersplitterung auch schlecht durch Machtspruch und -ausübung abschaffen.
Nicht frei, sondern tot
Die Grundannahmen des Libertarismus wurden schon lange vor seiner begrifflichen Abspaltung vom Liberalismus kritisiert. Diese Kritik ging dabei normal nicht von Linken aus, die Libertäre als unterhalb jeder Diskussion stehend empfinden, sondern von Konservativen wie Johann Jacob Moser, Edmund Burke oder Joseph de Maistre. Schon die Grundannahme des frei und außerhalb von historisch gewachsenen und insofern zufälligen Abhängigkeiten und Zwang geborenen Menschen ist empirisch offensichtlich falsch. Ein Neugeborenes, das außerhalb solcher Zwänge nicht von der Mutter gesäugt und gewärmt und nicht mit physischem Zwang vor der Begegnung mit wilden Tieren oder Kraftfahrzeugen geschützt würde, dem stattdessen der Beitritt in eine freiwillige Assoziation durch Vertragsschluss nahegelegt würde, wäre offensichtlich nicht frei, sondern tot.
Es würde auch gar nicht die Sprache – und zwar nicht eine abstrakte Sprache eines Naturmenschen, sondern eine konkrete, an Zeit und Ort gebunden gewachsene – erwerben, ohne die man keine Verträge abschließen kann. Damit ist aus konservativer Sicht die Idee des abstrakten Naturzustands und Gesellschaftsvertrags der Liberalen erledigt. Es stellt sich auch aus praktischer Sicht die Frage, ob und warum die miteinander konkurrierenden Versicherungsgesellschaften im politischen Modell eines Hans-Hermann Hoppe überhaupt weniger für Machtmissbrauch, Ambition, Korruption, Abschöpfung ökonomischer Renten durch Funktionsträger, Kartellbildung, auch Fanatismus anfällig wären als die Staaten der Westfälischen Weltordnung, solange in diesen Staaten nur das minimalste aller Dissidentenrechte, das auf Auswanderung und damit Kündigung der Mitgliedschaft, existiert.
Konservative würden als Alternative zu einer radikalen Neugestaltung der Gesellschaft daher eher eine Rückbesinnung auf das Prinzip der Subsidiarität innerhalb der bestehenden Gesellschaften und Staaten empfehlen, das immerhin schon im Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft von 1957 theoretisch grundlegendes Rechtsprinzip der heutigen Europäischen Union, allerdings auch mit Füßen getretenes Hassobjekt ihrer immer mehr um sich greifenden Bürokratenkaste, wurde.
So oder so, diese Differenzen zwischen Konservativen und nichtspinnerten Libertären sind prinzipieller, nicht praktischer Natur. Der libertäre Präsident Argentiniens Javier Milei beispielsweise schafft natürlich nicht den Staat ab, sondern versucht im Rahmen des Möglichen dessen Auswüchse etwas einzugrenzen, verwirklicht als Mitglied der Cosplay-Szene mit seinem alter ego als General AnCap allerdings auch einige Klischees über Libertäre.
Keine Experimente!
Kommen wir nach dieser Einführung in den in Deutschland eher randständigen Libertarismus aber wieder auf das Junge FreiheitsBündnis zurück. Dessen Wechsel von der WerteUnion zu einem Bündnis mit einer libertären Splitterpartei ist inhaltlich nicht weniger überraschend als derjenige des Vorstands der Grünen Jugend zu einer dogmatisch-linken Organisation.
Die WerteUnion war von Anfang an eine Maaßen-Partei und der Herkunft wie dem Namen nach der Versuch einer Fortsetzung der alten Adenauer- und Kohl-CDU. Die wiederum hat ihren Status als Integrationsplattform für alles Mitte-Rechts, von Konservativen über Liberale bis hin zu Sonderinteressen der Vertriebenen, nur teilweise umgepolte Altnazi und Herz-Jesu-Sozialisten, gerade dem Verzicht auf eine eigentliche Ideologie oder auch nur eine politische Theorie zu verdanken. Von Ideologie hatten die Deutschen der Nachkriegszeit nachvollziehbar genug.
Daher konnte das Wahlprogramm der CDU sich auf das simple Versprechen „Keine Experimente!“ reduzieren. Das bloße Versprechen, nicht am Steuerknüppel zu rühren wie an einem Kochlöffel, reichte für jahrzehntelange Mehrheiten, der Konservatismus war einer des Aussitzens, auch einer des Totschweigens, und das klappte sogar ziemlich gut.
Kein Klassenkampf im Rotweingürtel
Hans-Georg Maaßen verkörpert wie kaum ein anderer diese alte CDU, weder politischer Theoretiker noch energischer Unternehmer, sondern Berufsbeamter, gibt mit seiner Norbert-Blüm-Brille nahezu selbstkarikierend den Biedermann, dem die politischen Experimente zu viel wurden, der auch keine Experimente mit den schillernderen Figuren der AfD oder seiner nun ehemaligen Parteijugend wünscht, sondern eine kleine Kurskorrektur mit seinem Premiumpartner. Als Schirmherr einer libertären Bewegung erscheint er denkbar ungeeignet.
Es scheinen also die Führungen der Jugendorganisation der Grünen genau wie der der WerteUnion entweder die Grundsubstanz ihrer jeweiligen Mutterpartei von Anfang an verkannt zu haben, oder aber die Jungen haben, was in dem Alter so selten ja nicht ist, ihre Meinung geändert. Marx und Klassenkampf als Grundlage der grünen Rotweingürtelpartei erscheinen genauso aussichtslos wie Mises und Minarchismus für die Personenpartei eines diffus konservativen Berufsbeamten.
Für beide Richtungen fällt es auch schwer, in Deutschland einen politischen Markt jenseits zersplitterter jugendlicher oder in der Prinzipienreiterei der Jugend gealterter Diskussionszirkel zu sehen. Im Fall der Richtung, die schon mit bekannten Resultaten ausprobiert wurde, ist das begrüßenswert – im Fall der Richtung, die noch nicht ausprobiert wurde, ist das schade, aber in beiden Fällen habe ich den Verdacht, dass meine lange Diskussion der jeweiligen neuen Organisation hier mangels Relevanz der Organisationen auch die letzte bleiben wird.
Oliver M. Haynold wuchs im Schwarzwald auf und lebt in Evanston, Illinois. Er studierte Geschichte und Chemie an der University of Pennsylvania und wurde an der Northwestern University mit einer Dissertation über die Verfassungstradition Württembergs promoviert. Er arbeitet seither als Unternehmensberater, in der Finanzbranche und als freier Erfinder. 2023 wurde er zum Kentucky Colonel ernannt.