Was geschieht, wenn ein Gesetz in Kraft tritt, das manche Bürger gar nicht einhalten können? Es wird nicht eingehalten. Und wie weit geht der Staat dann? Wie das Heizungsgesetz die Gesetzestreue der Bürger und ihr Verhältnis zum Recht beschädigt.
Das Gebäudeenergiegesetz, vom Volksmund gern auch „Heizungsgesetz“ genannt, ist letzte Woche im Bundestag beschlossen worden. Angesichts der vorangegangenen Debatten ist es seither merkwürdig ruhig um das umstrittene Vorschriftenwerk geworden, trotz der zu erwartenden dramatischen Folgen. Leiden die betroffenen Hauseigentümer still? Neigen sie nicht zum Protest? Nehmen sie es so einfach hin, nach dem Motto: „Nun ist es halt da“? Oder sind sie einfach zu beschäftigt mit der Frage, wie sie sich angesichts der vielen Unsicherheiten, die dieses Gesetz mit sich bringt, nun entscheiden sollen?
Es ist hier schon vielfach beschrieben worden, wie irrwitzig viele Punkte dieses Gesetzes sind. Keine Entscheidung für eine neue Heizung, bei der es sich nicht um eine Wärmepumpe handelt, kann eigentlich rechtssicher getroffen werden, außer man könnte sich ganz schnell an ein Fernwärmenetz anschließen. Die legale Verwendung anderer Heizungsarten ist in den nächsten Jahren an Bedingungen geknüpft, bei denen nicht absehbar ist, ob und wie sie erfüllt werden können. Es weiß auch niemand, wann das Gesetz bei ihm zu Hause wirklich vollstreckt wird, denn dazu müsse es – so heißt es – ja erst eine kommunale Wärmeplanung geben. Also können Betroffene nun in Ruhe abwarten?
Manche müssen dies jetzt oder bald entscheiden, beispielsweise, wenn die Heizung nicht mehr funktioniert oder schlicht zu alt ist. Gerade im Osten, wo viele Häuser in der ersten Hälfte der neunziger Jahre saniert wurden und seinerzeit auch neue Heizungen bekamen, feiern viele der inzwischen von der Obrigkeit ungeliebten Gasheizungen just in diesen Jahren ihren dreißigsten Geburtstag. Eine Zeitmarke, zu der der Gesetzgeber auch schon nach alter Gesetzeslage grundsätzlich eine Erneuerung wünschte. Was also tun?
Zeitenwende für rechtstreue Bürger?
Einige Hausbesitzer hatten selbige Frage lieber schon in diesem Jahr beantwortet, indem sie sich – so lange das noch legal ist – schnell eine vertraute Gasheizung einbauen ließen. Doch dazu kann man sich nicht mehr entschließen, weil sich dieser Entschluss vor dem Inkrafttreten des neuen Gesetzes nicht mehr praktisch umsetzen lassen dürfte. Was wird also jemand tun, der ein Haus besitzt, dessen dreißig Jahre alte Gasheizung ordentlich gewartet wurde und im Prinzip zuverlässig funktioniert? Was kann er tun, wenn es sich um ein Mehrfamilienhaus handelt, bei dem der Einbau einer Wärmepumpe ruinöser Wahnsinn wäre? Nichts. Viele werden in diesem Falle einfach nichts tun, auch wenn sich der Gesetzgeber das anders wünscht.
Ein betroffener Hausbesitzer weiß ja nicht, ob er eine neue Gasheizung legal betreiben könnte, weil niemand sagen kann, ob er dafür den in ein paar Jahren vorgeschriebenen Anteil an Biogas oder „grünem“ Wasserstoff bekommt. Also scheint es doch das Beste zu sein, erst einmal abzuwarten, egal was das Gesetz sagt. Solange es keine kommunale Wärmeplanung gibt, darf er das, oder ist das Heizen mit einer zu alten Heizung dann trotzdem schon verboten? Dann werden sich viele Hausbesitzer eben an den alten Spontispruch „Legal, illegal, scheißegal“ halten.
Neben der Energie-, der Verkehrs- oder der Ernährungswende wendet sich in dieser sogenannten Zeitenwende offenbar auch das Verhältnis der eigentlich rechtstreuen Bürger zum Gesetz. Dass Regeln, gesetzliche zumal, normalerweise recht genau einzuhalten sind, galt in der Bundesrepublik eigentlich weitgehend als selbstverständlich. Die Stabilität eines Rechtsstaats lebt auch von der Rechtstreue der Bürger. Doch diese Selbstverständlichkeit schwindet offenbar in gleicher Weise wie die Akzeptanz des Kurses, den das Staatsschiff gerade nimmt.
Ein Gesetz, dessen Sinn ein Großteil der Bürger nicht einsieht und das es vielen Betroffenen eigentlich unmöglich macht, ihm ohne großen eigenen Schaden Folge zu leisten, wirkt da wie ein Brandbeschleuniger. Die Tendenz zur Abkehr einer steigenden Zahl von Bürgern vom Staat und seinen Regeln ist dabei schon länger zu beobachten, auch wenn sie selten thematisiert wird. Und manchmal ist es auch das Versagen von Staat und Behörden selbst, die es einem Bürger unmöglich machen, bestimmte Regeln einzuhalten. Wer in den letzten Jahren in Berlin beispielsweise als Vollzeitbeschäftigter die im Meldegesetz vorgesehenen Fristen für eine Wohnsitzanmeldung einhalten wollte, stand vor einer unlösbaren Aufgabe, weil er den dafür notwendigen Termin im Bürgeramt nicht bekam. Auch die Einhaltung der sogenannten Corona-Regeln erodierte an ihrem Ende immer mehr. Die Corona-Impfpflicht im medizinischen Bereich wurde beispielsweise vielerorts nicht durchgesetzt, weil es zu viele Ungeimpfte gab. Die Kliniken dort hätten sonst den Betrieb nicht mehr aufrechterhalten können. Immer mehr Bürger lernen, dass man eine Vorschrift ihrer Wirkung berauben kann, wenn sich hinreichend viele nicht daran halten.
Angriffe auf Rechte und Rechtsempfinden
Bei der Grundsteuererklärung, die Immobilienbesitzer nach der Grundsteuerreform im letzten Jahr abgeben mussten, wurde mehrfach die Frist verlängert, weil ein großer Teil der Steuerpflichtigen sich der fristgerechten Abgabe zunächst verweigerte. Auch drohende Sanktionen hatten sie zunächst nicht beeindruckt. Erst nach und nach gaben sie nach.
Doch bei dem Heizungsgesetz geht es um mehr als bei der Grundsteuerreform. Für viele Hausbesitzer geht es sogar um die Existenz. Und es gibt die Hoffnung, das Heizungsgesetz könnte nach dem Ende dieser Regierung wieder gekippt werden, so dass man es vielleicht aussitzen kann. Wie wird der Staat dann reagieren? Wird es exemplarisch einige drastische Bußgeldbescheide geben, um Widerspenstige zum Einlenken zu zwingen? Die Verantwortungsträger stehen dann vor der Frage, wie weit sie die Eskalation zu treiben bereit sind, um das Gesetz durchzusetzen. Bußgelder ohne Ende? Bis zur Stilllegung eigentlich funktionierender Heizungen oder sogar bis zur Enteignung? Zuvor wird das Gesetz wohl ohnehin unweigerlich Gegenstand zahlreicher Gerichtsverhandlungen.
Gesetze, die viele betroffene Bürger gar nicht einhalten können, verstehen diese zu Recht als Angriff. Bewohner von Diktaturen kennen das. Da lernt man schnell, den Staat als Gegner oder gar als Feind zu verstehen, dem man nur zwangsweise unterworfen ist. Im DDR-Volksmund gab es dazu den weitverbreiteten Spruch „Man kann diesen Staat gar nicht so sehr bescheißen, wie er es verdient“.
In einer halbwegs funktionierenden rechtsstaatlichen Demokratie sollte es solche Angriffe auf Rechte und Rechtsempfinden der Bürger nicht geben. Die meisten Bundesbürger nahmen den Staat deshalb auch nicht grundsätzlich als Gegner wahr. Aber das kann leicht ins Rutschen kommen, zumal nachdem viele Bürger in den Corona-Jahren erleben mussten, wie schnell deutsche Regierungen Grundrechte drastisch einschränkten können und dann vom autoritären Regieren auch nicht lassen wollten. Doch eine Zeitenwende im allgemeinen Rechtsempfinden hin zum „legal, illegal, scheißegal“ kann sich eigentlich keiner ernsthaft wünschen.