Claudio Casula / 29.04.2022 / 12:00 / Foto: The Archive Team / 62 / Seite ausdrucken

Energie für umme? Dank „Sprunginnovationen“!

Die deutsche „Bundesagentur für Sprunginnovation“ klingt in manchen Ohren vielleicht eher wie ein Aprilscherz. Dabei kann ihr Gründungsdirektor sehr schön beschreiben, wie es sein wird, wenn die grüne Energie nichts mehr kostet.

In der WELT träumen zwei Gastautoren von „Too cheap to meter“-Energie – so günstig produziert, dass es sich gar nicht mehr lohnt, sie abzurechnen. Eine Vision? Eher eine Milchmädchenrechnung mit mehreren Unbekannten.

Das Zauberwort, das den Artikel prägt, heißt „Sprunginnovation“. Schließlich ist einer der beiden Autoren, der auf den klangvollen Namen Rafael Laguna de la Vera hört, Gründungsdirektor der Bundesagentur für Sprunginnovation, kurz „SprinD“. Allerdings nicht vom Fach, er studierte „1986 für einige Wochen (sic!) Informatik an der Universität Dortmund“, danach absolvierte er ein Management-Programm. Co-Autor Thomas Ramge ist Technologiejournalist und Host des SprinD-Podcasts.

Sprunginnovation also. Radikal, revolutionär, disruptiv. Bitte, was? Disruptive Technologien, so lässt uns Wikipedia wissen, sind „Innovationen, die die Erfolgsserie einer bereits bestehenden Technologie, eines bestehenden Produkts oder einer bestehenden Dienstleistung ersetzen oder diese vollständig vom Markt verdrängen und die Investitionen der bisher beherrschenden Marktteilnehmer obsolet machen.“

Die beiden haben ein Buch zum Thema geschrieben, das den Titel „Sprunginnovation – Wie wir mit Wissenschaft und Technik die Welt wieder in Balance bekommen“ hat und, so muss man nach der Lektüre ihres Beitrags in der WELT vermuten, in der Fiction-Abteilung der Buchhandlungen wohl am besten aufgehoben wäre. Ausgerechnet in einer Zeit erbarmungslos steigender Energiepreise ein Szenario vom Gratis-Strom zu entwerfen, das offenbar wie eine Beruhigungspille wirken soll, leider aber hauptsächlich auf Wunschdenken basiert, das ist schon rechtschaffen abenteuerlich! 

Zaubertechnologie, bald verfügbar – wie einst die „Wunderwaffen“

Während die Energiekosten explodieren, die Versorgung nicht mehr gewährleistet scheint, man sich energiepolitisch abhängig gemacht hat und plötzlich sogar wieder eine Laufzeitverlängerung von Atomkraftwerken diskutiert wird, entwerfen die Autoren das Bild einer Welt, in der es Wind- und Solarkraft im Überfluss gibt und über grüne Wiesen bunte Einhörner galoppieren. Denn: „Erneuerbare Energien haben keine Brennstoffkosten und extrem niedrige Betriebskosten.“ Bei Franz Alt hieß das noch, ähnlich naiv: „Die Sonne schickt uns keine Rechnung“.

Zwar fragen sie:

„Ist das alles zu schön, um wahr zu sein? Eine Milchmädchenrechnung, die unerwünschte Nebenwirkungen außer Acht lässt, angefangen bei riesiger Verschwendung achtloser Verbraucher, wenn Strom plötzlich gratis wäre? Was ist mit den Stromnetzen? Die muss doch auch jemand betreiben und bezahlen. Und was ist mit dem Grundproblem des Wind- und Solarstroms, der Speicherung und der Grundlastfähigkeit?“

Haben dann aber leider keine überzeugende Antwort parat, sondern salbadern vom Mut, endlich wieder „radikal bessere Lösungen umzusetzen“. Im Kleingedruckten steht dann was von „Mengenbeschränkung“ und „Kontingentierung“ für Stromabnehmer, was natürlich Euphemismen für Rationierung sind – das, was bei den Grünen „angebotsorientierte Stromversorgung“ heißt: Strom gibt’s nicht immer, wenn man ihn braucht, sondern nur, wenn er da ist. Revolutionär! Geradezu disruptiv!

„Betriebskosten sind vernachlässigbar bei Pumpspeicherkraftwerken mit internationaler Vernetzung“, schreiben die Autoren, „(…) oder gerade erprobten Technologien wie Druckluft-Kavernen, Wärmespeicherung durch das Schmelzen von Salzen oder kinetischer Speicherung durch große, schwere Schwungräder.“ Zur Kostenwahrheit, heißt es denn auch in einem Leser-Kommentar, „müsste man entweder die Kosten für die Grundlast/Backupkraftwerke dazurechnen oder die entsprechenden Speicher, die es derzeit noch nirgends gibt (Wasserstoff, Pumpspeicher, Batterien etc.)“. Zaubertechnologie, die aber bald verfügbar sein soll, wie die Autoren nahelegen – wie einst die „Wunderwaffen“, die noch rechtzeitig den Endsieg herbeiführen sollten.

Solarenergie bringt es – man sieht's in Abu Dhabi!

Der Umsetzung all dieser schönen Visionen steht eigentlich nur noch eines im Weg: die Naturgesetze. Es hilft ja alles nichts: Bei Windstille drehen sich die Windräder nicht, und nachts scheint keine Sonne. Um auf satte zwölf Sonnenstunden am Tag zu kommen, schauen die Autoren – Obacht! – in den Orient: In Saudi-Arabien nämlich „baut eine indische Ingenieursgesellschaft zurzeit das Solarkraftwerk Sudair mit einer Leistung von 1.500 Megawatt“, und in Abu Dhabi „steht eine 2.000-Megawatt-Solaranlage kurz vor Fertigstellung, bei der der Stromnetzanbieter die Kilowattstunde für 1,15 Cent abnimmt.“ Um uns die Vorzüge der Solarenergie schmackhaft zu machen, einfach mal als Beispiel die von der Sonne verwöhnte arabische Wüste zu nehmen – ein durchaus witziger Move!

Es funktioniert also nur vor Ort. Aber will man seinen Strom wirklich aus Saudi-Arabien beziehen, einem Staat, der mit westlichen demokratischen Werten mindestens ebenso wenig am Hut hat wie Russland? Die Abhängigkeit von einem Schurken durch die Abhängigkeit von einem anderen ersetzen? Und selbst wenn: Der Strom der Solaranlage in Saudi-Arabien müsste zunächst in Wasserstoff umgewandelt und – wie auch immer – nach Deutschland transportiert werden. In Deutschland würde der Wasserstoff dann bei Bedarf wieder in Strom zurückverwandelt und ins Stromnetz eingespeist. Von den 6,570 GWh Solarstrom aus Saudi-Arabien kämen bestenfalls 25 Prozent (= 6,570 /100*25 = 1,642 GWh) an, denn drei Viertel werden für Elektrolyse, den Transport, die Brennstoffzelle und vieles mehr benötigt.

Um ein deutsches Kohlekraftwerk mit einer installierten Leistung von 1.500 MW zu ersetzen, wären 11,826 GWh / 1,642 GWh = 7,202 Solaranlagen in Saudi-Arabien à 1.500 MW zu bauen. Oder eine richtig große Anlage mit 7,202 x 1.500 MWh = 10.800 MW = 10,8 GW installierte Leistung. Welche Menge Strom hätte man dann in Bezug auf Deutschlands, nur Deutschlands aktuellem Bedarf bei kompletter Energiewende (= 1.500 TWh? 0,00072%) und Jahres-Strombedarf netto 2021 (= 500 TWh? 0,0022%)?

Bezogen auf die drei Kohlekraftwerksblöcke, die dieses Jahr im rheinländischen Neurath abgeschaltet werden, wären es 100%. 

Siebenmal mehr Solar-Kraftwerke für ein Kohlekraftwerk

Der Strompreis wäre dann siebenmal so hoch. Auch dann, wenn die Preisfindung nicht marktwirtschaftlich (Strombörse), sondern planwirtschaftlich (Staat) zum Selbstkostenpreis festgelegt würde. Die im Artikel erwähnte Ein-Cent-Marke nähert sich nur einem Siebtel des erzeugten Stroms. Siebenmal mehr Solar-Kraftwerke müssten in der arabischen Wüste gebaut werden, um die Strommenge eines 1,5 GW-Kohlekraftwerks zu erzeugen. Das kostet. Kostet richtig. Einen ganzen Berg Eiskugeln, gewissermaßen. 

Auch ist es mit der im Artikel behaupteten Wartungsfreiheit nicht so weit her. Die Paneele müssen regelmäßig gereinigt werden. Durch starken, täglichen Temperaturwechsel und auch durch Sandstürme in der Wüste werden die Paneele (oder Spiegel) erheblich belastet. Nach 20 Jahren, vielleicht früher, wird die Anlage komplett erneuert werden müssen. Dafür müssen Rückstellungen gebildet werden. Die Kapitalkosten vervielfachen sich.

„Zwei beschaffungspolitische Hebel können aus der alten Vision der Energieüberflussgesellschaft einen konkreten Plan für die kommenden beiden Jahrzehnte machen. Die Europäische Union finanziert erstens riesige Wind- und Solarparks zu Nahe-Nullzins-Konditionen. Fremdkapital mit minimalem Zinsaufschlag von risiko-aversen privaten Investoren ist herzlich willkommen.“ 

Puh, die EU zahlt, nicht der europäische Steuerzahler – da haben wir ja nochmal Glück gehabt! Schließlich haben wir ja schon die Energiewende in Deutschland mit Milliarden-Subventionen finanziert und tun es immer noch. Insgesamt zahlt der deutsche Stromkunde im Vergleich zu anderen Industrieländern die höchsten Strompreise weltweit. Etwa die Hälfte der bundesdeutschen Stromerzeugung wird regenerativ erzeugt. Warum halbiert sich nicht der Strompreis? Diverse Abgaben treiben den Preis, der aktuell ohnehin im Krisenmodus und damit sehr hoch ist. Das würde sich auch nicht ändern, wenn der Strom aus dem sonnigen, aber diktatorischen Saudi-Arabien käme. Oder aus Nordafrika. Auch dort sitzen Autokraten à la Putin, die ihre Völker unterdrücken.

Großer Sprung nach vorn oder Sprung in der Schüssel?

Eingedenk der oben aufgemachten Rechnung Kohle-Solar (Kohle-Windkraft ist ähnlich!) ist die Umstellung eines Industriestaates von fossilen Energieträgern und Kernkraft auf Wind und Solar unmöglich. Jedenfalls nicht ohne erhebliche Wohlstandsverluste. Nicht nur ein bisschen „frieren“. Es wäre faktisch ein Rücksturz in die 60er-Jahre. Das erwähnen die Autoren im Artikel nicht, sie schwadronieren von „kostenfreier Energie“. 

„Wenn wir Windstrom im Norden mit Solarstrom im Süden Europas kombinieren, im Idealfall Nordafrika und die nördliche Sahara in das Kostenlos-Stromnetz einbeziehen, den Strombedarf etwas intelligenter mit dem Angebot zusammenbringen in einem Netz mit intelligent und flexibel zuschaltbaren Quellen, dann haben wir nicht nur das Grundlastproblem gelöst und die Dekarbonisierung Europas ein großes Stück vorangebracht. Wir haben dann endlich ein Energiesystem geschaffen, mit dem wir unseren Kindern nicht immer größere Lasten aufbürden.“

Eine Benennung schafft keine Realität. So wie ein „Gute-KiTa-Gesetz“ noch lange keine gute Kita macht, ist ein „Kostenlos-Stromnetz“ noch lange nicht kostenlos. Die Belastung der Kinder kommt mit den Wohlstandsverlusten, die von nachfolgenden Generationen bewältigt werden müssen. „Intelligent und flexibel zuschaltbare Quellen“ funktionieren nur, wenn genügend regenerativ erzeugter Strom vorhanden ist. Weht nur wenig Wind, scheint die Sonne nicht auf die Paneele, dann gibt es nichts zuzuschalten. So einfach ist das.

Von der Bundesagentur für Sprunginnovation sollten sich auch die blauäugigsten Grünen keinen Großen Sprung nach vorn erhoffen, sind die Autoren doch bereits mit ihrem Beitrag in der WELT eindeutig zu kurz gesprungen.

 

(Mit Dank an Achgut-Autor Rüdiger Stobbe für fachkundige Beratung; das brandneue Tool „Fakten zur Energiewende“ finden Sie hier.)

Foto: The Archive TeamCC BY 3.0 via Wikimedia Commons

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Leserpost

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Jörg Haerter / 29.04.2022

Man ist baff erstaunt, wie fachfremde Menschen von Gebieten faseln, von denen sie keinen Schimmer haben. Da diejenigen, die diesen Leuten zuhören, noch weniger Ahnung haben, wird das Geschwafel geglaubt und Fördergelder fliessen. Schilda war dagegen noch harmlos, jetzt droht finazieller Schaden in Milliardenhöhe. Der Wähler ist scheinbar ebenso ahnunglos und wählt seine Metzger immer wieder. Das unterm Strich immer weniger im Portemonaie verbleibt, scheint unerklärlich. Hier noch eine Milliarde und da noch eine, wir haben es ja, wie Scholz mit seinem 100Mrd.-Versprechen gezeigt hat. Der Wahnsinn wird erst dann ein Ende finden, wenn die Kassen leer sind. Bis dahin, hoch die Tassen!

Vera Meißner / 29.04.2022

Der Witz ist, daß saubere dezentrale billige Energieerzeugung wieder und wieder mit Innovationen erfunden wurden, seit mehr als hundert Jahren. Gerade die Grünen sind die, die davon nichts wissen/wollen. Wollen sie ja Probleme nicht lösen, nur gern Leuten irgendwas verbieten - weil sie selber GUT und die andern alle DOOF sind. Jeder, der als Ingenieur arbeitet kann Beispiele nennen, wo Innovationen in der Schublade verschwanden, weil woanders dadurch Profite und Machtverhältnisse bedroht werden. Begleitet mit langen Kampagnen in der Öffentlichkeit, damit alle glauben “gehen Sie weiter, hier gibt es nichts zu sehen” - ich könnte hier Namen nennen, das einzige Ergebnis wären Leute ohne Ahnung die sofort loskreischen, daß es das und das nicht geben kann.

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