Die gleichen Gefälligkeits-Wissenschaftler, die schon bei Corona übergriffig die Fakten hinbogen, wollen jetzt Klimapolitik und Wehrbereitschaft fördern – und dafür vor allem Panik machen.
Cornelia Betsch und Heinz Bude sind im Rückblick untrennbar mit der verantwortungslosen Panikmache während der Coronakrise verbunden. Ihr Einfluss auf die Bundesregierung ist aber offenbar ungebrochen, wie eine aktuelle Publikation des Bundeskanzleramts zeigt. Zur Erinnerung: Bude war als Soziologe am vertraulichen Strategiepapier „Wie wir COVID-19 unter Kontrolle bekommen“ des Bundesinnenministeriums von März 2020 beteiligt. Dieses auch als „Angstpapier“ oder „Panikpapier“ bekannte Machwerk vermittelt, wie die Bevölkerung am besten schockiert werden kann, indem etwa die Bedrohung durch das Virus in möglichst drastischen Bildern ausgemalt wird. Zum Beispiel wird gefordert:
„Wir müssen wegkommen von einer Kommunikation, die auf die Fallsterblichkeitsrate zentriert ist. Bei einer prozentual unerheblich klingenden Fallsterblichkeitsrate, die vor allem die Älteren betrifft, denken sich viele dann unbewusst und uneingestanden: 'Naja, so werden wir die Alten los, die unsere Wirtschaft nach unten ziehen, wir sind sowieso schon zu viele auf der Erde, und mit ein bisschen Glück erbe ich so schon ein bisschen früher.'“
Ebenso perfide ist die Empfehlung, Kindern größtmögliche Angst einzujagen:
„Wenn Kinder ihre Eltern anstecken und einer davon qualvoll zu Hause stirbt und die das Gefühl haben, Schuld daran zu sein, weil sie z.B. vergessen haben, sich nach dem Spielen die Hände zu waschen, ist es das Schrecklichste, was ein Kind je erleben kann.“
Doch Bude, der bis Mai 2023 als Professor für Makrosoziologie an der Universität Kassel lehrte, zeigt sich auch im Nachhinein keineswegs beschämt darüber, an diesem Papier mitgearbeitet zu haben. Im Gegenteil: Am 24. Januar 2024 gab Bude während einer Podiumsdiskussion an der Universität Graz zum Thema: „Gesellschaft im Ausnahmezustand – was lernen wir aus der Coronakrise?“ freimütig zu, dass es um „Folgebereitschaft in der Bevölkerung“ ging.
Wörtlich sagte er: „Wir mussten ein Modell finden, um Folgebreitschaft herzustellen, das so ein bisschen wissenschaftsähnlich ist. Und das war diese Formel ‚Flatten the Curve‘.“ Das habe „so nach Wissenschaft“ ausgesehen und den Leute signalisiert: „Wenn ihr schön diszipliniert seid, könnt ihr die Kurve verändern.“ Dieses „Quasi-Wissenschaftsargument“ fand Bude nach eigener Aussage „irgendwie toll“. Das Video ist dankenswerterweise noch auf dem YouTube-Kanal der Gesellschaft für Soziologie an der Universität Graz (GSU) zu sehen, sodass sich jeder selbst ein Bild von Budes Ausführungen machen kann (ab ca. Minute 1:17:00).
Sich selbst disqualifiziert? Doch nicht bei uns!
Man sollte meinen, dass sich Bude mit seiner öffentlich eingestandenen Begeisterung für eine Quasi-Wissenschaft zu Zwecken der Verhaltensmanipulation selbst disqualifiziert hätte, aber weit gefehlt: In der kürzlich erschienenen Publikation der Bundesregierung mit dem Titel „Zwischen Zumutung und Zuversicht – Transformation als gesellschaftliches Projekt“ ist Bude ganz selbstverständlich wieder vertreten. Die Broschüre umfasst 220 Seiten und ist auf dem Publikationsportal der Bundesregierung frei zugänglich.
Über den Inhalt der Broschüre wird dort informiert:
„Deutschland befindet sich mitten im Übergang zu einer klimaneutralen Wirtschaft und Gesellschaft. Wie diese Transformation gelingen kann und welche Herausforderungen sich dabei stellen – diese Diskussion fasst ein Tagungsband des Bundeskanzleramtes nun zusammen.“
Die Tagung, auf die sich der Band bezieht, hat bereits im Dezember 2023 im Bundeskanzleramt stattgefunden und wird auf der Website der Bundesregierung als „wissenschaftliche Fachkonferenz“ zum Thema „Gesellschaftliche Gelingensbedingungen der Transformation“ bezeichnet. Hier wird etwas genauer ausgeführt, was bei der Tagung thematisiert wurde:
„Der Übergang vom fossilen hin zu einem von Kohle, Gas und Öl unabhängigen Wohlstandsmodell ist eine der zentralen Herausforderungen unserer Gegenwart. Einerseits braucht es für diesen Umbau jede Menge Innovationen, Investitionen und neue Infrastruktur. Andererseits ist diese Transformation aber sehr viel mehr als nur ein wirtschaftliches oder technologisches Projekt. Gerade in demokratisch verfassten Gemeinwesen können große politische Reformen nicht einfach so verordnet werden. Politischer Gestaltungswille und ein handlungsfähiger Staat sind für das Gelingen der Transformation zentral. Zugleich braucht es aber auch breite gesellschaftliche Akzeptanz und Bürgerinnen und Bürger, die den notwendigen Veränderungen mit Offenheit begegnen und selbst zu Gestalterinnen und Gestaltern werden.“
Die „Kommunikation“ der „Transformationspolitik“
Die Feststellung, dass in „demokratisch verfassten Gemeinwesen“ große politische Reformen nicht „einfach so verordnet“ werden können, klingt geradezu bedauernd. Schließlich konnte im Ausnahmezustand der Coronakrise ziemlich viel „einfach so verordnet“ werden, was zuvor undenkbar gewesen wäre. Und so wundert es wenig, dass im Tagungsband einmal mehr die „Kommunikation“ der „Transformationspolitik“ im Mittelpunkt steht. Dabei spielt das „Werben um gesellschaftliche Mehrheiten“ eine entscheidende Rolle.
Im Vorwort von Bundesminister Wolfgang Schmidt ist vom „Übergang ins postfossile Zeitalter“ die Rede, für den „das Fundament unserer Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung“ von Grund auf erneuert werden müsse. Und zwar nicht irgendwann, sondern jetzt. Deutschland müsse bis 2045 klimaneutral werden. Dafür müssten bereits bis 2030 die Emissionen um 65 Prozent gegenüber 1990 sinken. Allein bis 2030 seien Investitionen in Höhe von mehreren hundert Milliarden Euro erforderlich. Jeden Tag müssten Photovoltaikanlagen entsprechend einer Fläche von 43 Fußballfeldern installiert und auf dem Festland vier bis fünf Windräder aufgestellt werden. Zudem müssten die technologischen Entwicklungen und Innovationen im Bereich der Digitalisierung und Künstlichen Intelligenz in den Dienst der Transformation gestellt werden.
Wen überrascht es da noch, dass die Grünen soeben neben insgesamt 100 Milliarden Euro für den Klima- und Transformationsfonds aus dem „Sondervermögen für Infrastruktur“ ausgehandelt haben, dass auch das Ziel der Klimaneutralität bis 2045 im Grundgesetz verankert werden soll! Neben gigantischen Schulden droht nun noch ein kompletter Stillstand, weil künftig Klimaschützer gegen nahezu alle Investitionen klagen könnten. In der Einleitung des Tagungsbandes steht zur Transformation in Richtung Klimaneutralität bis 2045 entsprechend:
„Schließlich geht es um nicht mehr und nicht weniger als den Abschied von einer fossilen Wirtschafts- und Lebensweise, die über viele Jahrzehnte unseren Wohlstand gesichert, unser Alltagsleben geprägt und sich tief in unser kollektives Bewusstsein eingegraben hat.“
Deutschland sei jedoch gut aufgestellt für diese Transformation. Allerdings sei es nötig, dass alle Bürger mitmachen.
„Verlustwut“ bei den „Leistungsindividualisten"
Und hier kommen dann wieder die Soziologen als Experten für Nudging und Manipulation ins Spiel. Bude hält in seinem Tagungs-Beitrag „Transformationen ohne 'Transformation' – Plädoyer für einen semantischen Schnitt“ zunächst fest: „Man trifft bei den verschiedensten gesellschaftlichen Gruppen auf eine sich verfestigende Abwehr gegenüber großen Veränderungen mit unbestimmtem Ausgang.“ Das gilt es aus seiner Sicht natürlich zu ändern. Außerdem provoziere die Tatsache, dass „effektive Maßnahmen zur Erreichung der politisch vereinbarten Klimaziele Auswirkungen auf die persönliche Lebensführung haben werden“, bei „tonangebenden Gruppen“ massive Gegenreaktionen.
Je schlagender die Argumente für eine Reduktion der Wohlstandserwartungen seien, desto stärker artikuliere sich die Verteidigung des Erreichten und Erworbenen. Auffällig sei zudem die „Verlustwut“ bei den „Leistungsindividualisten aus dem unternehmerischen Mittelstand“, die bereits eine politische Stimme in „antisystemischen Parteien von rechts“ erhalten habe. Dass Bude keinerlei „Verlustwut“ empfindet, könnte daran liegen, dass er selbst finanziell mehr als üppig abgesichert ist.
In der Bevölkerung gehe die Einsicht über die Bedeutung einer konsequenten Politik des Klimawandels jedoch keineswegs zurück, so versichert Bude weiter. Der Klimawandel werde allerdings nur als Teil eines größeren Szenarios von Herausforderungen wahrgenommen. Daher plädiert Bude dafür, den Begriff der „Großen Transformation“ schlichtweg aus dem Verkehr zu ziehen. Dadurch würde der Horizont für eine neue ideenpolitische Orientierung geöffnet, die die „Staatsbedürftigkeit“ der Zivilgesellschaft, die Notwendigkeit öffentlicher Investitionen und nicht nur konsumtiver Verausgabungen und eine neue Verbindung von Wirtschaft, Wissenschaft und Politik denkbar mache. Kurzum: Bude will die gigantischen Probleme, die durch den Klimawahn verursacht worden sind, mit semantischen Mitteln lösen und die Transformation kurzerhand nicht mehr als solche bezeichnen.
„Die Deutungshoheit in der Hand behalten“
Eine gewisse Weltfremdheit ist Bude, der sich übrigens auch dafür aussprach, dass „Impfgegner“ fühlbar Nachteile haben müssten, schon in früheren Publikationen zu attestieren. Seiner Begeisterung für null Treibhausgasemissionen war sein Engagement für die im Februar 2021 gestartete Initiative „No-COVID“ vorangegangen. Und in seinem Artikel „Aus dem Maschinenraum der Beratung in Zeiten der Pandemie“ berief sich Bude ausgerechnet auf Antonio Gramsci, um zu begründen, dass es darum gehe, „Zwänge zu verordnen und Zustimmung zu gewinnen und dabei die Deutungshoheit in der Hand zu behalten“.
Dabei müsse man die Zwänge allerdings mit Anreizen und die Zustimmung mit Zielen in Verbindung bringen. Immerhin brachte ihm dieser Artikel eine Replik seines Grazer Kollegen Klaus Kraemer ein, der ebenfalls Teilnehmer an besagter Diskussionsveranstaltung an der Universität Graz im Januar 2024 war. Kraemer, der dort seit 2010 eine Professur innehat, kritisiert Bude scharf und argumentiert, dass die Aufgabe der Soziologie nicht darin bestehen sollte, Zustimmung in der Bevölkerung zu staatlichen Maßnahmen zu organisieren, sondern eine sozialwissenschaftliche Beobachterrolle einzunehmen, um die blinden Flecke staatlicher Akteure und Expertenstäbe gerade auch unter Krisenbedingungen sichtbar zu machen.
Kraemer weist zudem auf die unzureichende Datenpolitik des Robert-Koch-Instituts (RKI) hin und auf eine ganz andere Maßnahmen-Realität etwa in Schweden. Es sei ein soziologisches Rätsel und zugleich eine offene Forschungsfrage, warum die maßgeblichen staatlichen Institutionen in Deutschland die einschlägigen Methoden der sozialwissenschaftlichen Statistik ignoriert und keine validen, repräsentativen Daten zur Pandemie produziert hätten, kein evidenzbasiertes Maßnahmenmonitoring betrieben worden sei und man sich stattdessen auf spekulative mathematisch-physikalische Computermodellierungen verlassen habe. Beruhigend, dass es im Wissenschaftsbestrieb doch noch vernünftige Stimmen gibt. Leider erhalten offenbar Ideologen, die sich der Regierung anbiedern, mehr Beachtung und Einfluss.
Noch eine alte Bekannte
Und so taucht im aktuellen Tagungs-Band des Bundeskanzleramts noch eine weitere alte Bekannte aus Corona-Zeiten auf: Cornelia Betsch. Die Direktorin des Institute for Planetary Health Behaviour (zu deutsch: Institut für klimagesundes Verhalten) an der Universität Erfurt, die auch in den Deutschen Ethikrat berufen worden ist, hatte schon 2017 den deutschlandweit ersten Masterstudiengang Gesundheitskommunikation ins Leben gerufen.
Ihr Spezialgebiet ist das Nudging, also das Schubsen in Richtung einer bestimmten Verhaltensweise. Betsch forscht unter anderem zur Handlungsbereitschaft gegen die Klimakrise und zum Impfverhalten. Sie wurde mit der Arbeit „Die Rolle von Risikowahrnehmung und Risikokommunikation bei Präventionsentscheidungen am Beispiel der Impfentscheidung“ habilitiert.
Während der Coronakrise war Betsch Mitglied im Corona-Expertenrat des Bundeskanzleramts und initiierte das COVID-19 Snapshot Monitoring (COSMO): eine Bürgerbefragung, die Aufschluss darüber geben sollte, wie Informationsangebote die Risikowahrnehmung der Bürger beeinflussen und wie sie gestaltet werden können. In einem Artikel, den sie bereits 2019 unter anderem zusammen mit Eckart von Hirschhausen im Ärzteblatt veröffentlichte, gibt sie Tipps gegen die „Impfmüdigkeit“.
Selbstverständlich wirkte sie 2021 dann auch am „Kommunikationshandbuch zum COVID-19-Impfstoff“ mit, das als „praktischer Leitfaden zur Verbesserung der Impfstoff-Kommunikation und Bekämpfung von Falschinformationen“ dienen sollte. Und im März 2022 sprach sich Betsch dafür aus, dass die allgemeine Impfpflicht eingeführt werden müsse, um die Impfquote weiter zu erhöhen. Sie schlug vor, ein Impfregister oder einen ähnlichen Mechanismus einzusetzen – ihn aber erst dann „scharf“ zu stellen, wenn er benötigt wird.
Weg aus der „Individualisierungsfalle“ hinein in „kollektive Lösungen“
Betschs Beitrag im Tagungsband, den sie gemeinsam mit der „Entscheidungsforscherin, Wissenschaftskommunikatorin und wissenschaftlichen Geschäftsführerin des Institute for Planetary Health Behaviour“ Mirjam Jenny verfasst hat, trägt den Titel: „Wie kommen wir aus der Individualisierungsfalle ins kollektive Handeln? Ein Plädoyer für verhaltenswissenschaftliche Ansätze“.
Laut Betsch halten die Deutschen ihren eigenen Beitrag zum Klimaschutz nämlich für wirksamer als er ist. Tatsächlich seien Lösungen auf Systemebene wie etwa das „Verbrenner-Aus“ ab 2030 häufig effektiver als individueller Klimaschutz. Zwar seien 60 bis 70 Prozent der Bürger davon überzeugt, dass sich das Klima verändert und dass diese Veränderungen menschengemacht sind, doch die Mehrheit wisse nicht, dass sie die Mehrheit ist.
Um zu handeln, müssten sich Menschen aber in guter Gesellschaft wähnen. So sei knapp die Hälfte der Menschen bereit, sich zu verändern und zum Beispiel weniger Tiere und mehr Pflanzen zu essen, unterschätze jedoch deutlich, wie viele andere das auch sind. Entscheidend sei auch, klimafreundliches Verhalten zu vereinfachen. Das fange bei dem Angebot von Speisen in Gemeinschaftseinrichtungen an und gehe bis hin zur Vereinfachung von Verwaltungsvorgängen für klimafreundliche Investitionen. Zudem müsse der Angst vor der Verliererseite begegnet werden.
Wer die Klimapolitik ablehne, zeige nämlich eine besonders hohe Besorgnis, durch gesellschaftliche Entwicklungen mehr auf der Verliererseite zu stehen. Diese Angst müsse durch flankierende Maßnahmen wie wirtschaftliche Anreize und gute Kommunikation entkräftet werden – so Betsch –, zumal sie auch ein einfaches Einfalltor für populistische Ansätze sei. In Politik und Verwaltung brauche es also Strukturen und Ressourcen, um „wirksame strategische Kommunikation und Beteiligungsprozesse“ zu schaffen.
Verhaltenswissenschaftlich fundierte Politikgestaltung erfordere neben entsprechendem Fachwissen vor allem den Zugang zu Verhaltensdaten. Fakten müssten „proaktiv und zielgruppengerecht“ kommuniziert werden, um „Falsch- und Desinformation“ entgegenzuhalten und bestenfalls zu verhindern. Ein engerer Austausch zwischen Wissenschaft, Politik/Verwaltung und Medien sei dafür unumgänglich. Als Fazit fasst Betsch zusammen, dass „klug gesetzte, evidenzbasierte und von der Bevölkerung gut verstandene und akzeptierte Rahmenbedingungen für Verhalten“ den Weg aus der „Individualisierungsfalle“ ebnen könnten, hinein in „wirksame, kollektive Lösungen“.
Gefälligkeitswissenschaftler wie Betsch und Bude haben viel zu tun
Mit anderen Worten: Der Sinn oder Unsinn beispielsweise des „Verbrenner-Aus“ soll nicht mehr wissenschaftlich diskutiert werden, sondern es geht nur noch um Kommunikation und Nudging, damit die Bürger bei allen noch so fatalen Regierungsvorhaben mitspielen. Außerdem sollen sich die Bürger nicht mehr in erster Linie als selbstverantwortliche Individuen verstehen, sondern als Teil eines Kollektivs. Das weckt direkt Erinnerungen an das oben zitierte Strategiepapier des Bundesinnenministeriums von März 2020. Darin heißt es wörtlich:
„Neben umfassender Information und Aufklärung von Seiten staatlicher Behörden, ist der Staat in besonderer Weise auf die zivilgesellschaftliche Solidarität angewiesen. Dieses 'Zusammen' muss mitgedacht und mitkommuniziert werden. Dazu braucht es ein gemeinsames Narrativ (#wirbleibenzuhause, oder „gemeinsam distanziert“ – „physische Distanz – gesellschaftliche Solidarität“) und im besten Fall viele Gesichter (Prominente, Politikerinnen und Politiker, Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler), die sich mit der Kampagne identifizieren.“
Außerdem wurde in dem Papier bereits eine „koordinierte fiskalische Strategie auf europäischer Ebene“ gefordert und auf „eine aktive Rolle der EU“ gedrängt. Damals war es der „Kampf gegen das Virus“, der nicht von einzelnen Ländern, sondern nur gemeinsam auf EU- oder globaler Ebene gewonnen werden könne. Wobei allerdings Deutschland nicht nur politisch, sondern auch organisatorisch und industriell eine Vorreiterrolle übernehmen sollte. Jetzt ist es der Klimawandel und natürlich ganz aktuell die Aufrüstung, die nur durch gemeinschaftliche Verschuldung bewältigt werden kann.
Was 2020 der Ruf nach „COVID-19-Gemeinschaftsanleihen“ war, ist nunmehr das neue Verteidigungsinstrument, das die EU-Kommission in Form einer gemeinsamen Kreditaufnahme plant. Außerdem will die Kommission eine Europäische Spar- und Investitionsunion einrichten, um die Kapitalströme innerhalb der EU zu fördern.
Schließlich sparen die Europäer jährlich 1,4 Billionen Euro an, verglichen mit nur 800 Milliarden Euro in den USA. Ganze 300 Milliarden Euro der europäischen Sparguthaben fließen jedoch jedes Jahr in Märkte außerhalb der EU. Gefälligkeitswissenschaftler wie Betsch und Bude haben also viel zu tun: Sie müssen den Deutschen nicht nur schmackhaft machen, dass sie für den Kampf gegen den Klimawandel verarmen werden, sondern sie müssen sie nun auch noch davon überzeugen, dass sie ihre Ersparnisse für die Aufrüstung der EU zur Verfügung stellen.
Martina Binnig lebt in Köln und arbeitet u.a. als Musikwissenschaftlerin (Historische Musikwissenschaft). Außerdem ist sie als freie Journalistin tätig.