Wolfram Weimer / 12.12.2019 / 06:15 / Foto: Pixabay / 39 / Seite ausdrucken

Großbritannien: “Rechte Gummiente” auf Höhenflug

Das Pfund steigt mit den Umfragewerten von Boris Johnson. Gegenüber dem Euro erreicht die britische Währung nun sogar ein 30-Monats-Hoch. Der Grund: Die Devisenmärkte erwarten am Donnerstag einen klaren Wahlsieg Johnsons. In den Umfragen liegen seine Konservativen im Durchschnitt um 10 Prozentpunkte vor Labour. Bei 43 Prozent wird Johnsons Partei kurz vor dem Wahlgang taxiert. Das ist verblüffend viel, denn vor nur einem halben Jahr, als er Premierminister wurde, lagen die Konservativen gerade noch bei 20 Prozent. Johnson hat seine Gefolgschaft binnen kurzer Zeit glattweg verdoppelt.

Dabei hat der Premierminister die links-liberalen Medien massiv gegen sich, ebenso das alte Polit-Establishment. So warnen die Ex-Premierminister John Major (Konservative) und Tony Blair (Labour) gar gemeinsam vor der Wahl Johnsons. Und Schauspielstar Hugh Grant macht in umkämpften Wahlkreisen aktiven Häuserwahlkampf gegen Johnson. Grant pöbelt den Regierungschef auf Twitter regelrecht an: “Du wirst die Zukunft meiner Kinder nicht versauen. Du wirst die Freiheiten nicht zerstören, die mein Großvater in zwei Weltkriegen verteidigt hat”, schreibt sich Grant mit der derben Pointe in Rage: “Fuck off, du aufgeblasene Gummiente”.

Ausgerechnet die rechte Gummi-Ente wird nun aber von einer Woge der Zustimmung getragen. Der Grund dafür liegt weniger in seiner Sympathie als in seiner Autorität. Johnson wird nach den quälenden Monaten der EU-Ausstiegs-Wirren als der Politiker gesehen, der den Brexit-Knoten endlich zerschlagen wird. Der Premierminister profiliert sich als Macher und trifft mit seinem Wahlslogan “Get Brexit Done” den britischen Nerv der Zeit.

Der politisch noch weiter rechts stehenden Bewegung von Nigel Farage gräbt er damit das Wasser völlig ab. Dessen Brexit-Partei, die im Mai bei den Europawahlen noch auf einen Stimmenanteil von 32 Prozent kam, ist jetzt nur noch eine Splitterpartei. Das gesamte Brexit-Lager wählt nun Johnson. Und der konzentriert seine Kommunikation auch auf dieses eine Thema. Selbst auf die Frage eines Radiosenders, was er denn seiner Freundin Carrie zu Weihnachten schenke, antwortet Boris Johnson: “Den Brexit!”

Corbyn punktet mit scharflinker Leidenschaft

Umgekehrt ist es der Opposition nie gelungen, sich zu einer Pro-Europa-Bewegung zu formieren. Die Labour-Partei verfolgt beim Brexit einen unsicheren Zickzackkurs. “Jeremy Corbyn kann uns noch nicht einmal sagen, welche Haltung er zum Brexit hat”, verhöhnt Johnson den Wankelmut der Sozialisten. Immerhin punktet Corbyn in der Schlussphase des Wahlkampfs mit scharflinker Leidenschaft und findet mit der Kritik an der maroden Gesundheitsversorgung einigen Widerhall. Johnson kontert das mit gezieltem Themenwechsel und verspricht den Wählern, mithilfe eines Punktesystems nach australischem Vorbild die Zahl der Einwanderer zu senken.

Doch am Ende überlagert die Brexit-Frage bei diesem Wahlgang alles andere. Johnsons Aufstieg in den Umfragen hat auch damit zu tun, dass die veröffentliche Meinung – wie beim Gummienten-Fall – so einseitig und übertrieben gegen ihn ist. Ähnlich wie bei Donald Trump formiert sich seine trotzige Gefolgschaft umso dichter, je heftiger er aus links-liberalen Milieus attackiert wird. Der Solidarisierungseffekt funktioniert, weil viele sich einerseits nicht bevormunden lassen wollen und andererseits Johnson plötzlich wie eine Projektionsfläche für das von ganz Europa gescholtene Brexit-Großbritannien dasteht. Je mehr der Brexit kritisiert wird, desto mehr bäumt sich eine Pro-Johnson-jetzt-erst-recht-Stimmung auf.

Johnson hilft dabei, dass er seine persönlichen Schwächen nicht verbirgt und eine zerknitterte, verwuschelte Clownerie kultiviert, dass er im Denken und Sprechen souveräne Freiheit demonstriert, wo viele andere in politischer Korrektheit gefangen bleiben. Johnson ist vielseitig belesen, verfügt über Selbstironie und setzt – ganz im Gegensatz zu Trump – auf Understatement in seiner Paraderolle als clever gespielter Tollpatsch. Sieht man vom Brexit einmal ab, dann ist Johnson eher ein weltoffener Liberaler denn ein knarzender Konservativer.

Im Multikulti-London wurde er von 2008 bis 2016 zum beliebten Bürgermeister gewählt und wiedergewählt. Er ist eher verspielt als reaktionär, eher tolerant als verkniffen, er verachtet Ideologien, linke wie rechte, auch apokalyptisch-grüne. Und so könnte Johnson nach einem Wahlsieg und dem dann rasch vollzogenen Brexit den Rest Europas noch mit Konzilianz und Kooperationswillen überraschen. Denn entgegen manchen Beschimpfungen als “Europas Trump” passt Johnson nicht wirklich in die internationale Galerie der dumpfen Rechtsnationalisten.

Schon am Donnerstag wird er mit seinem Brexit-Deal Millionen von Wählern, die bei der Europawahl dem anti-europäischen Demagogen Nigel Farage gefolgt sind, wieder zu den Tories zurückholen. Und womöglich einem zivilisierten Neo-Konservativismus einen Weg bahnen. Denn der Rechtsruck Europas kann sich entweder in aggressive, nationalistische Wutbürger-Ideologien entladen oder in einen kulturell gefassten, heiteren Konservativismus münden. Johnson steht für Letzteres. Er ist besser als sein Ruf als aufgeblasene Rechts-Ente.

Dieser Beitrag erschien zuerst auf The European

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Marc Stark / 12.12.2019

Abgesehen vom Brexit schein Johnson ein Kraft etabliert zu haben, die es in D nicht gibt. Eine Partei zwischen der linken CDUFDP und der etwas rechten AFD. Also die MItte-Partei. Würden sich Werteunion und Alternative Mitte der AFD zusammentun, zusätzlich paar enttäuschte FDPler/Freie Wähler und andere einsammeln, hätten sie in Rekordzeit eine Partei, die Zeug zum Senkrechtstarter hat, weil sie perfekt ein derzeitiges Vakuum besetzen würde. Diese Partei wäre im Rekordtempo die neue Volkspartei. Solange es diese Partei nicht gibt, gilt weiterhin AFD wählen, selbst wenn man sie nicht sonderlich mag. Damit die Anderen irgendwann mal etwas begreifen, dazu braucht es eine starke AFD. Die bisherigen Wahlklatschen waren ganz offensichtlich noch nicht schmerzhaft genug! Good Luck Boris!

Hans-Peter Dollhopf / 12.12.2019

Herr Weimer, ich sehe hier, dass Ihnen Ihre Attribuierung von Nigel Farage als einen sogenannten anti-europäischen Demagogen keine Anführungszeichen Wert waren. In den Feinheiten merkt man die Unterschiede. Ich würde um den Ausdruck stalinismus-affine Despoten zur Bezeichnung der VdL-Gang ja auch keine Gänsefüßchen setzen! Nigel Paul Farage hat für die Demokratie und die Freiheit seiner britischen Mitbürger gegen die Herrschaft des Moloches einen lebenslangen Kampf geführt. Die freiwillige Aufgabe der Wahlkreise in den vergangenen Wochen an die Tories aus strategischer Notwendigkeit heraus zeigte den wahren Staatsmann in seiner wahren Größe! erst das Land dann die partei dann die person

beat schaller / 12.12.2019

Ich hoffe, er schafft das! So gäbe es dann vielleicht eine echte Alternative zum Auswandern aus diesem EU- Irrenhaus.  Vielleicht sogar ein Angelpunkt für all die Sparer, die in den EU-Ländern ihr Erspartes denn Bach runter gehen sehen?? Die Enteignungspolitik der EU Diktatur wäre ja eigentlich offensichtlich und müsste ein richtiger Treibstoff für den Brexit sein? Wir werden sehen. Ich wünsche es mir zu -Weihnachten und zum Überleben im Irrenhaus. Den Engländern wird es sicher besser gehen danach! b.schaller

Albert Pflüger / 12.12.2019

“Denn entgegen manchen Beschimpfungen als “Europas Trump” passt Johnson nicht wirklich in die internationale Galerie der dumpfen Rechtsnationalisten.” Dieser Satz hat mich geärgert. Befindet sich Trump in dieser “internationalen Galerie”? Weil er die desaströsen Demokraten entschieden bekämpft, die ganz offen den Sozialismus in den USA einführen wollen? Weil er nicht amerikanische Truppen überall auf der Welt einsetzen will? Es tut mir sehr leid, daß das UK die EU verlassen will. Aber viel schlimmer für uns alle fände ich es, wenn erneut eine Volksabstimmung ignoriert würde und sich die EU als ein Club erwiese, in den man zwar ein- , aber aus dem man nicht austreten kann. Feinde der Freiheit werden das nicht verstehen. Die EU verfolgt schon lange nicht mehr die Ziele, die einst zur Gründung von Montanunion und EWG geführt haben. Sie ist von einem freiwilligen Zusammenschluß souveräner Staaten zu einem Vergemeinschaftungsmoloch geworden, der die Interessen der europäischen Völker verrät und sie einer undemokratischen Bürokratie unterworfen hat. Der Gedanke der Subsidiarität ist ihr inzwischen wesensfremd, “mehr Zentralismus” lautet ihr bürokratisches Credo. Dazu passt es, daß eine Unperson zu ihrer Präsidentin gemacht wurde, die sich nicht mal zur Wahl gestellt hatte und es als Erfolg feiert, daß 1.000.000.000.000 € aus Steuergeldern für die dadurch erhoffte Verbesserung des Wetters ausgegeben werden sollen. Das ist an Lächerlichkeit nicht mehr zu überbieten. Wer vor 20 Jahren mit einem solchen Vorschlag gekommen wäre, wäre vermutlich in der Klapsmühle gelandet. Leider versprechen auch die Tories, diesbezüglich ambitionierte Ziele anzusteuern, ob EU oder nicht. Immerhin lassen sich Seegrenzen gut schützen, das britische Migrationsproblem hat andere Ursachen als fehlenden Grenzschutz.

Ilse Polifka / 12.12.2019

Wirklich interessant, was so wichtige Leute wie ein Hugh Irgendwer so machen und sagen. Das sollte doch zu denken geben.

dr. michael kubina / 12.12.2019

“Denn der Rechtsruck Europas kann sich entweder in aggressive, nationalistische Wutbürger-Ideologien entladen oder in einen kulturell gefassten, heiteren Konservativismus münden.” Hört sich plausibel an, ist aber Blödsinn. Wieso entweder / oder? Der Rechtsruck in Europa kann und wird viele Facetten haben.

Andreas Rühl / 12.12.2019

So sehe ich das auch und man darf durchaus mal darüber nachsinnen, warum es einen entspannten, Ideologie freien, liberalen konservativismus in unserem Land nicht gibt oder er kein Gesicht hat und keine Stimme. Denn letzteres trifft wohl zu. Bei allen derzeit großen Themen, sei es eu, sei es Migration, sei es Umweltschutz, sei es sicherheitspolitik, sehe ich eine dominanz des Fanatismus, des entweder-oder in den Medien, die verteufelung des politischen Gegners in wahlweise wohlstandsvernichter oder welt- und menschheitszerstoerer. Die Wahrheit ist doch, daß die ganz große Mehrheit der deutschen so nicht denken. Aber denen bietet sich derzeit keine wählbare Alternative. Wer Schuld hat? Sicherlich eine Kanzlerin, die dem konservatismus gezielt den Boden weggezogen hat, um mit den Fanatikern gemeinsame Sache zu machen zwecks machterhalt. Die Medien, die durch Geschrei und lueckenberichterstattung angeblich den Hass bekaempfen wollen, aber in Wahrheit schueren. Parteien, die von karrieristen ohne rueckgrat, tiefere Bildung, Weisheit und Weitsicht geführt werden oder von polithasadeuren und Spinnern wie die afd. Die deutschen verwechseln Politik mit Religion, überschätzen den Staat und seine möglichkeiten grotesk und schwanken zwischen Todes er achtung, weltrettungsimpetus, selbstmitleid und Angst. Ironie, Gelassenheit, Pragmatismus sind Fehlanzeige. Dabei sehnen sich die Menschen danach. Nicht nach einem führer, sondern nach einer Politik, die ihren Wohlstand sichert durch Augenmaß und vernunft. Die CDU war diese partei für das buergertum, die SPD für die Arbeiter und kleinen Angestellten. Beide haben ihre Klientel verraten. Eine rueckkehr zu mehr Sachlichkeit ist nicht zu erwarten. Erst in einer Stunde Null, die die EU jetzt auf das Jahr 2050 festlegen will, aber bis dahin haben die Fanatiker das Schiff schon längst versenkt. Kein johnson weit und breit, nur Ideologen und verrueckte.

Hubert Bauer / 12.12.2019

Ich wünsche Boris Johnson viel Glück. Sozialistische Judenhasser, die blind gegenüber den Gefahren der ungeregelten Massenzuwanderung und dem Islam sind, haben wir in Europa schon genug.

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