Es gibt weiß Gott vieles, was den Bürger an der Bundesregierung aufregen kann. Die Debatte um das Betreuungsgeld setzt in diesen Tagen indes allem die Krone auf. Europäischer Stabilitätsmechanismus, Energiewende, bei allem wird viel falsch gemacht, viele dumme Argumente sind im Spiel, und es geht um sehr, sehr viel Geld, um Lobbyinteressen. Beim Betreuungsgeld mag es „nur“ um zwei Milliarden gehen (bis auf Weiteres), aber was hier fehlt, sind überhaupt irgendwelche positiven Argumente. Spielen sie in der augenblicklichen Debatte irgendwo eine Rolle? Ich höre nichts. Und auch was anderes fehlt.
Wo war eigentlich die Lobby, die diesen unsäglichen Topf gefordert hat, wo der gesellschaftliche Diskurs, aus dem er gekeimt wäre? Wer will es denn überhaupt? Das Betreuungsgeld ist das typische Beispiel des ungeschriebenen aber dafür umso wirksameren Gesetzes, dass jede Planstelle in der Verwaltung, zumal in den oberen Ministerialebenen, ein Vielfaches seines Gehaltes kostet. Einfach und allein weil jeder, der dort sitzt, tagein, tagaus seine Legitimation beweisen muss und heraus kommen dabei Projekte, die viele Millionen kosten.
Bildung und Erziehung scheinen da ein besonders lukratives Feld zu sein. An der – nominellen – Kompetenz für Pädagogik und Geisteswissenschaft scheint es dabei auf jenen Etagen am wenigsten zu fehlen. Was allein in Berlin in den letzten zehn Jahren an katastrophal fehlgeschlagenen und teuren Experimenten in der Schulpolitik über die politische Bühne ging, kann sich außerhalb der Stadt niemand vorstellen. Fixe Ideen, Kopfgeburten, Sandkastenspiele aus den Senatsstuben, wo man sich sonst wohl langweilen würde, oder manche Stelle vielleicht sogar überflüssig würde.
Scheinbar färbt die Berliner Landespolitik mehr und mehr auf die benachbarte Bundesebene ab. Das Selbe sehen wir jetzt dort nämlich beim Betreuungsgeld. Es mag ja sein, dass sich in Bayern ein paar ohnedies nicht gerade arme Familien freuen, zusätzlich zum Kindergeld aus dem neuen Topf weitere Gelder zu erhalten, und ihr Ministerpräsident Seehofer sie jetzt nicht enttäuschen möchte. Viel gehört hat man von denen in den letzten Auseinandersetzungen nicht zum Thema. Es gibt keine nennenswerte gesellschaftliche Gruppe, die in letzter Zeit nennenswert dafür geworben hätte. Nichts dagegen, wenn die Kindererziehung in der Familie bleibt, wo sie ja eigentlich hingehört. Aber diejenigen, die dies leisten wollen und können, sind in den allermeisten Fällen nicht auf das Geld angewiesen, und bei denjenigen, die durch das Betreuungsgeld erst dazu veranlasst werden, wäre es um das Wohl des Kindes (und damit auch der Gesellschaft) besser, die Kita würde sich weiter darum kümmern.
Umso stärker wurden mit der Zeit die sachlichen Argumente gegen die Auszahlung des Betreuungsgeldes, inhaltlich haben allein sie die Debatte bestimmt, in inzwischen eigentlich erdrückender Kraft. Es wäre müßig, sie hier nochmal und nochmal aufzuzählen. Integrationspolitisch, bildungspolitisch, sozialpolitisch, bevölkerungspolitisch – darüber ist sich die Republik weitgehend einig – wäre die Einführung des Betreuungsgeldes eine einzige Katastrophe.
Es hat alles nichts genutzt. Das Ganze ist verkommen zu einer politischen Rechthaberei, in der Seehofer und seine CSU allein aus Gründen der Gesichtswahrung wie ein kleines Kind auf der unsinnigen Idee beharrt, immer schön im Beißkrampf auf die FDP fixiert wie weiland Strauß. Die CDU hat sich innerlich auch längst von der Idee verabschiedet, hält aber still, um den Fraktionsfrieden nicht zu gefährden. Einer nach dem anderen ist eingeknickt.
Und jetzt?
Jetzt kam doch tatsächlich noch mal ein wenig Hoffnung auf, als die FDP ihren Widerstand ankündigte. Allerdings nur für ein paar Minuten. Bis sich nämlich mehr und mehr herauskristallisiert, dass sie sich ihre dann letztlich doch kommende Zustimmung abkaufen lassen will. Das ist der Gipfel des Possenspiels. Den Wahnsinn der Unvernunft nur aus dem einen Grund ganz groß anzuprangern, um ihn dann doch durchgehen zu lassen, aber vorher schnell noch in eigene politische Münze zu verwandeln.
Politische Marktwirtschaft, oder was soll das werden? Vor den Augen des entsetzten Bürgers? Wenn das mal gut geht…
Die ganz große Münze wäre eine andere: Beim Nein zu bleiben und den Koalitionsfrieden zu riskieren. Warum denn nicht? Parteifreund Lindner hat in Nordrhein-Westfalen vorgemacht, wie ein solches Stück Glaubwürdigkeit sich beim Wähler auszahlt, wenige Wochen später schon bei den Neuwahlen. Das Nein zum Betreuungsgeld, darauf könnte sich Rösler und seien Freunde verlassen, würde ihm im Land niemand übel nehmen. Niemand will es. Wann kapiert ihr das endlich?
Die Debatte um das Betreuungsgeld ist ein Tiefpunkt der politischen Kultur im Lande. Ein regelrechter GAU (“Größter anzunehmender Unfug”)!
Zuerst erschienen auf Ulli Kulkes Blog bei der WELT.