Ulli Kulke / 26.09.2012 / 22:24 / 0 / Seite ausdrucken

Größter anzunehmender Unfug

Es gibt weiß Gott vieles, was den Bürger an der Bundesregierung aufregen kann. Die Debatte um das Betreuungsgeld setzt in diesen Tagen indes allem die Krone auf. Europäischer Stabilitätsmechanismus, Energiewende, bei allem wird viel falsch gemacht, viele dumme Argumente sind im Spiel, und es geht um sehr, sehr viel Geld, um Lobbyinteressen. Beim Betreuungsgeld mag es „nur“ um zwei Milliarden gehen (bis auf Weiteres), aber was hier fehlt, sind überhaupt irgendwelche positiven Argumente. Spielen sie in der augenblicklichen Debatte irgendwo eine Rolle? Ich höre nichts. Und auch was anderes fehlt.

Wo war eigentlich die Lobby, die diesen unsäglichen Topf gefordert hat, wo der gesellschaftliche Diskurs, aus dem er gekeimt wäre? Wer will es denn überhaupt? Das Betreuungsgeld ist das typische Beispiel des ungeschriebenen aber dafür umso wirksameren Gesetzes, dass jede Planstelle in der Verwaltung, zumal in den oberen Ministerialebenen, ein Vielfaches seines Gehaltes kostet. Einfach und allein weil jeder, der dort sitzt, tagein, tagaus seine Legitimation beweisen muss und heraus kommen dabei Projekte, die viele Millionen kosten.

Bildung und Erziehung scheinen da ein besonders lukratives Feld zu sein. An der – nominellen – Kompetenz für Pädagogik und Geisteswissenschaft scheint es dabei auf jenen Etagen am wenigsten zu fehlen. Was allein in Berlin in den letzten zehn Jahren an katastrophal fehlgeschlagenen und teuren Experimenten in der Schulpolitik über die politische Bühne ging, kann sich außerhalb der Stadt niemand vorstellen. Fixe Ideen, Kopfgeburten, Sandkastenspiele aus den Senatsstuben, wo man sich sonst wohl langweilen würde, oder manche Stelle vielleicht sogar überflüssig würde.

Scheinbar färbt die Berliner Landespolitik mehr und mehr auf die benachbarte Bundesebene ab. Das Selbe sehen wir jetzt dort nämlich beim Betreuungsgeld. Es mag ja sein, dass sich in Bayern ein paar ohnedies nicht gerade arme Familien freuen, zusätzlich zum Kindergeld aus dem neuen Topf weitere Gelder zu erhalten, und ihr Ministerpräsident Seehofer sie jetzt nicht enttäuschen möchte. Viel gehört hat man von denen in den letzten Auseinandersetzungen nicht zum Thema. Es gibt keine nennenswerte gesellschaftliche Gruppe, die in letzter Zeit nennenswert dafür geworben hätte. Nichts dagegen, wenn die Kindererziehung in der Familie bleibt, wo sie ja eigentlich hingehört. Aber diejenigen, die dies leisten wollen und können, sind in den allermeisten Fällen nicht auf das Geld angewiesen, und bei denjenigen, die durch das Betreuungsgeld erst dazu veranlasst werden, wäre es um das Wohl des Kindes (und damit auch der Gesellschaft) besser, die Kita würde sich weiter darum kümmern.

Umso stärker wurden mit der Zeit die sachlichen Argumente gegen die Auszahlung des Betreuungsgeldes, inhaltlich haben allein sie die Debatte bestimmt, in inzwischen eigentlich erdrückender Kraft. Es wäre müßig, sie hier nochmal und nochmal aufzuzählen. Integrationspolitisch, bildungspolitisch, sozialpolitisch, bevölkerungspolitisch – darüber ist sich die Republik weitgehend einig – wäre die Einführung des Betreuungsgeldes eine einzige Katastrophe.

Es hat alles nichts genutzt. Das Ganze ist verkommen zu einer politischen Rechthaberei, in der Seehofer und seine CSU allein aus Gründen der Gesichtswahrung wie ein kleines Kind auf der unsinnigen Idee beharrt, immer schön im Beißkrampf auf die FDP fixiert wie weiland Strauß. Die CDU hat sich innerlich auch längst von der Idee verabschiedet, hält aber still, um den Fraktionsfrieden nicht zu gefährden. Einer nach dem anderen ist eingeknickt.

Und jetzt?

Jetzt kam doch tatsächlich noch mal ein wenig Hoffnung auf, als die FDP ihren Widerstand ankündigte. Allerdings nur für ein paar Minuten. Bis sich nämlich mehr und mehr herauskristallisiert, dass sie sich ihre dann letztlich doch kommende Zustimmung abkaufen lassen will. Das ist der Gipfel des Possenspiels. Den Wahnsinn der Unvernunft nur aus dem einen Grund ganz groß anzuprangern, um ihn dann doch durchgehen zu lassen, aber vorher schnell noch in eigene politische Münze zu verwandeln.

Politische Marktwirtschaft, oder was soll das werden? Vor den Augen des entsetzten Bürgers? Wenn das mal gut geht…

Die ganz große Münze wäre eine andere: Beim Nein zu bleiben und den Koalitionsfrieden zu riskieren. Warum denn nicht? Parteifreund Lindner hat in Nordrhein-Westfalen vorgemacht, wie ein solches Stück Glaubwürdigkeit sich beim Wähler auszahlt, wenige Wochen später schon bei den Neuwahlen. Das Nein zum Betreuungsgeld, darauf könnte sich Rösler und seien Freunde verlassen, würde ihm im Land niemand übel nehmen. Niemand will es. Wann kapiert ihr das endlich?

Die Debatte um das Betreuungsgeld ist ein Tiefpunkt der politischen Kultur im Lande. Ein regelrechter GAU (“Größter anzunehmender Unfug”)!

Zuerst erschienen auf Ulli Kulkes Blog bei der WELT.

Sie lesen gern Achgut.com?
Zeigen Sie Ihre Wertschätzung!

via Paypal via Direktüberweisung
Leserpost

netiquette:

Leserbrief schreiben

Leserbriefe können nur am Erscheinungstag des Artikel eingereicht werden. Die Zahl der veröffentlichten Leserzuschriften ist auf 50 pro Artikel begrenzt. An Wochenenden kann es zu Verzögerungen beim Erscheinen von Leserbriefen kommen. Wir bitten um Ihr Verständnis.

Verwandte Themen
Ulli Kulke / 24.02.2024 / 06:05 / 119

Herr Fratzscher fühlt sich nicht wohl

Marcel Fratzscher, Chef des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung, hat ein Interview gegeben und erzählt zum Thema Migration unglaublich dummes Zeug. Präsident Marcel Fratzscher und sein…/ mehr

Ulli Kulke / 20.02.2024 / 06:00 / 77

Als die Grünen jenseits der Brandmauer saßen

Der neueste Hit gegen die AfD heißt: Zielführendes Regierungshandeln, etwa in der Migrationspolitik, nutze nur der radikalen Opposition! Hätte man sich früher daran gehalten, gäbe…/ mehr

Ulli Kulke / 23.01.2024 / 06:00 / 208

Wem helfen die Massen-Demonstrationen?

Es gibt Massendemonstrationen „gegen rechts". „Wir sind mehr“, stand auf den hochgehaltenen Spruchbändern. Aber repräsentieren sie alle wirklich die Mehrheit der 81 Millionen Deutschen? Was erreichen…/ mehr

Ulli Kulke / 30.11.2023 / 12:00 / 45

Beim Thema Klimawandel kühlen Kopf bewahren

Heute beginnt die Weltklimakonferenz in Dubai. Ein guter Anlass, das Buch „Der Mensch-Klima-Komplex“ vorzustellen. Der Autor Hans von Storch ist Insider, hat selbst an Berichten des UN-Klimarates IPCC…/ mehr

Ulli Kulke / 27.09.2023 / 06:15 / 59

Gendern in Thüringen: Große Mehrheit dagegen, CDU traut sich selbst nicht

Demokratie Paradox in Thüringen, mal wieder. Was zählt Volkes Stimme, was soll sie zählen? Vor allem aber: Was darf sie zählen – und was darf…/ mehr

Ulli Kulke / 16.09.2023 / 06:15 / 81

Die Sirenen der Brandmauer-Profiteure

Warum reagieren die linken Parteien so hysterisch auf ein mit CDU, AfD und FDP-Mehrheit beschlossenes Gesetz in Thüringen? Ganz einfach: Sie – vor allem die Grünen…/ mehr

Ulli Kulke / 19.07.2023 / 14:00 / 88

Kurzkommentar: Wie Rotrotgrün von einer starken AfD profitiert

Eines sollten wir im tagesaktuellen politischen Diskurs nicht vergessen: Das rotrotgrüne Lager profitiert unmittelbar von einer starken AfD. Durch sie wird – in Kombination mit der…/ mehr

Ulli Kulke / 07.07.2023 / 06:25 / 75

Es geschah, was nicht geschehen durfte

Die AfD-Parteivorsitzende Alice Weidel twitterte nach dem Urteil gegen das parlamentarische Prozedere zum Heizungsgesetz: „Ein Eilverfahren, dem sich auch Abgeordnete der AfD als Kläger anschlossen,…/ mehr

Unsere Liste der Guten

Ob als Klimaleugner, Klugscheißer oder Betonköpfe tituliert, die Autoren der Achse des Guten lassen sich nicht darin beirren, mit unabhängigem Denken dem Mainstream der Angepassten etwas entgegenzusetzen. Wer macht mit? Hier
Autoren

Unerhört!

Warum senken so viele Menschen die Stimme, wenn sie ihre Meinung sagen? Wo darf in unserer bunten Republik noch bunt gedacht werden? Hier
Achgut.com