Gastautor / 24.08.2012 / 14:01 / 0 / Seite ausdrucken

Grober Unfug

Hans Erler

Das Amüsanteste an der öffentlichen und privaten Diskussion über Sinn und Unsinn der Beschneidung ist zweifellos die Tatsache, dass jeder Mann, der sich daran beteiligt, öffentlich, privat oder auch nur in Gedanken über die Funktionsweise, Ästhetik und Hygiene seines Sexualorgans sinniert, eine Tätigkeit, die bislang allenfalls Ärzten hinter geschlossenen Türen zufiel. Noch amüsanter ist die Tatsache, dass auch Frauen es sich nicht nehmen lassen, die ansonsten rein männliche Problematik, von der sie in der Wirklichkeit nur am Rande gestreift werden, zu ihrer eigenen zu machen.

Wir wollen hier über die Gründe der bedeutungsschwangeren Diskussion zwischen Menschenrechtlern, Rabbinern, islamischen Geistlichen, Ethikern, Medizinern und schließlich Politikern nachdenken. Eines steht fest: Für die Beschneidung kann es nur medizinische Gründe geben, sie sind selten genug und benötigen und rechtfertigen keine öffentliche Diskussion. Vor die Wahl gestellt, mir einen Zahn ziehen zu lassen oder unabsehbar lange unerträgliche Schmerzen erdulden zu müssen, an einer Blutvergiftung zu sterben oder mir ein Bein amputieren zu lassen, gibt es keine Diskussion. Kurz: die Diskussion über die Beschneidung ist grober Unfug.

Aber warum findet sie überhaupt statt? Sind die zahllosen Verstümmelungen und Morde in Syrien, wie sie von den Aufständischen, Rebellen, Freiheitskämpfern und von einer so genannten Regierung in voller Absicht vorgenommen werden, befeuert von den Regierungen des Westens, des Ostens und islamischer Staaten (um nur diesen aktuellen und dramatischen Problembereich zu erwähnen), nicht Thema genug, um die Unverletzlichkeit des menschlichen Körpers und seiner Seele einzuklagen? Offenbar nicht. 

Die Diskussion über die Beschneidung vernebelt die wirklichen Fragen der Vermeidung von Leid, Schmerz und tödlicher Zerstörung. Und nicht nur das: Die, die sie führen, führen sie mit Lust, brechen sie doch ein Tabu, das – jenseits des Judentums - über aller religiös vernebelter Sexualität liegt, trotz der scheinbaren Sexualisierung der (westlichen) kulturellen und medialen Öffentlichkeit. Dieser Tabubruch gibt ihnen eine Wichtigkeit, die sich allein aus der geäußerten Meinung über die Stellung und Bedeutung ihres Sexualorgans im Kosmos und im Universum der Zukunft der Gattung Mensch ergibt. Die Diskussion über die Beschneidung gibt den beteiligten Männern die Möglichkeit, sich gattungsmäßig und kosmisch aufzublasen.

Das Judentum täte gut daran, sich für Männer etwas anderes als Zeichen der Zugehörigkeit zum Judentum auszuwählen. Die Beschneidung ist historisch und kulturell derart willkürlich, dass ihr keinerlei Aura anhaftet – und bestimmt nicht diejenige, die von einem besonders innigen Bezug zur Humanität im Umgang mit dem anderen Menschen, mit Tieren oder der Natur Zeugnis ablegen würde.

Viel zentraler für das Judentum ist sein Optimismus, sein Erkenntniswille und seine Bindung der Liebe an die Erkenntnis des Anderen - ob Mensch, Tier oder Natur. Darin hebt sich das jüdische Denken von allem anderen Denken ab und zeichnet sich vor aller anderen Religiosität aus. Darin besteht sein fundamentaler herrschaftskritischer Beitrag zur humanen Entwicklung der Menschheit, kurz: sein Ungehorsam gegenüber allem Handeln, das dem Leben keinen Wert beimisst.

In diesem Ungehorsam liegt auch die Ursache allen Antijudaismus und allen Antisemitismus. Die Ablehnung des Judentums beruht auf nichts anderem als der unser Leben bestimmenden Idee des Gehorsams und der damit verbundenen Angst vor dem Ungehorsam.

Judentum ist der Wille zum Leben. Judentum glaubt nicht: – Judentum weiß: dass das Leben nur durch das Tun des Menschen Bestand hat. Auschwitz sagt ‘nur’, dass die Menschen, die Auschwitz gestern, heute und morgen zu verantworten haben, jüdischem Leben keinen Wert zugestanden, dass dem Leben des Menschen, der Tiere und der Natur kein Wert zuzumessen war, ist und zugemessen werden soll.

Wir leben in einer Welt, in der Auschwitz allgegenwärtig ist. Die Existenz des Judentums ist der einzige Indikator für den Willen zum Leben, für den Willen zu einer menschenfreundlichen Zukunft.

Siehe auch:
Der israelische Präsident Schimon Peres hat Bundespräsident Joachim Gauck gebeten, sich für das Recht auf Beschneidungen aus religiösen Gründen einzusetzen.
http://www.welt.de/politik/ausland/article108769707/Beschneidungsdebatte-Peres-bittet-Gauck-um-Hilfe.html

 

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