Im „Klima Buch“ von Greta Thunberg stehe, so wird auf der ersten Textseite versprochen, „alles, was man wissen muss zum wichtigsten Thema unserer Zeit“. Ein hoher Anspruch. Und um es vorwegzunehmen: Das Buch wird diesem Anspruch nicht gerecht.
Abgesehen davon, dass zu hinterfragen wäre, ob „Klima“ tatsächlich das derzeit wichtigste Thema der Menschheit ist, wird im Buch äußerst selektiv vorgegangen. Wissenschaftlichen Ansprüchen genügt es nicht. Doch eben das wird suggeriert. So heißt es in der Einleitung:
„Greta Thunberg sammelt für ihr einzigartiges Projekt eines umfassenden Klima-Buches alles relevante Wissen, um die Klimakrise verstehen zu können. Sie hat die wichtigsten Wissenschaftler:innen der Welt gebeten, in kurzen Texten den Stand ihrer jeweiligen Forschung klar und verständlich darzulegen.“
Nun spricht selbstverständlich nichts dagegen, beispielsweise darauf hinzuweisen, dass mit endlichen Ressourcen verantwortungsbewusst umgegangen werden sollte. Ganz im Gegenteil. Doch den meisten Autoren, denen in dem Buch Raum gegeben wird, und auch Greta selbst geht es um mehr. Um viel mehr. Nämlich letztlich um die Abschaffung des Kapitalismus und um die Rückabwicklung der Industrialisierung, also um einen radikalen Systemwechsel. Der Begriff „Systemwechsel“ fällt mehrfach in dem Buch. Und auch Sätze wie: „Nicht der Mensch als solcher hat das Problem verursacht, sondern ein bestimmtes Wirtschaftssystem, der Kapitalismus, der auf einem beständigen Wirtschaftswachstum basiert und darauf angewiesen ist.“ Gretas lapidarer Kommentar in ihrer Schlussbetrachtung lautet dazu: „Die Klimakrise lässt sich nicht im Rahmen der heutigen Systeme bewältigen. Das darf uns aber nicht daran hindern, jetzt alles zu tun, was wir können.“ Inwiefern Greta, die am Asperger-Syndrom erkrankt ist, selbst an die Klima-Apokalypse glaubt und daran, dass sie mit solchen Aussagen zur Rettung der Welt beiträgt, muss hier ebenso offenbleiben wie die Frage nach dem Einfluss, den Personen in ihrem Umfeld auf sie ausüben.
„1,2°C mehr seit vorindustriellen Zeiten“
Zur Person Greta werden nur knappe Angaben gemacht: „Greta Thunberg wurde 2003 geboren. Im August 2018 begann sie vor dem schwedischen Parlamentsgebäude mit einem Schulstreik, der sich inzwischen über die gesamte Erde ausgebreitet hat. Sie ist Aktivistin der Bewegung Fridays for Future und hat auf zahlreichen Klimademonstrationen in aller Welt gesprochen wie auch vor dem Weltwirtschaftsforum in Davos, dem US-Kongress und den Vereinten Nationen.“ Bei der Aufzählung der Institutionen, vor denen Greta gesprochen hat, sticht ins Auge, dass an erster Stelle das Weltwirtschaftsforum (WEF) genannt wird.
Nach dieser Kurzbiographie geht es sofort in medias res: „Die globale Durchschnittstemperatur ist seit vorindustriellen Zeiten um etwa 1,2°C gestiegen“. Fragt sich, was mit „vorindustriellen Zeiten“ gemeint ist. Der beigefügten Grafik und dem Abbildungsnachweis im Anhang ist zu entnehmen, dass lediglich Messungen seit 1850 als Beleg für dieser Aussage verwendet werden. Immerhin wird in Fußnote 1 ausgeführt:
„Experten nennen gelegentlich unterschiedliche Zahlen für den Anstieg der globalen Temperaturen; diese Unterschiede bewegen sich in einem Bereich von 1–1,3°C. Die Gründe: Manche datieren den Beginn der Industriellen Revolution auf andere Jahre; manche berechnen die Zahlen aus der Durchschnittstemperatur des letzten Jahrzehnts; und es gibt für die einzelnen Jahre geringfügige Unterschiede in den Temperaturangaben.“
Lieber Ängste schüren als seriös informieren
Doch dann geht es weiter: Im 2021 herausgegebenen Bericht des Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC – kurz auch Weltklimarat genannt) über die „aktuellen Befunde der physikalischen Wissenschaft des Klimawandels“ sei eine Gruppe von 234 führenden Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern aus 66 Ländern zu dem Schluss gelangt, dass menschliche Einflüsse Atmosphäre, Meer und Land weitreichend und rasch erwärmt hätten. Und:
„Die Konzentration aus menschlichen Aktivitäten stammender Treibhausgase – darunter Kohlendioxid, Methan, Stickoxide und Fluorkohlenwasserstoffe – hat in der Atmosphäre ein Ausmaß erreicht, wie es seit Millionen Jahren nicht zu finden war, seit einer Zeit, als am Südpol Bäume wuchsen und der Meeresspiegel 20 Meter höher lag.“
Spätestens hier wird deutlich, dass das Buch eher Ängste schüren als seriös informieren will, denn es werden darin sowohl etwa die mittelalterliche Warmphase als auch das Römische Klimaoptimum vor 2.000 Jahren verschwiegen, in dem auf der britischen Insel Weinreben und Olivenbäume angepflanzt werden konnten.
Wer lediglich Gretas Klimabuch liest, muss sich darüber im Klaren sein, dass er denkbar einseitig informiert wird. Tatsächlich mündet die Argumentationskette schon auf den einleitenden Seiten, die dem Inhaltsverzeichnis vorangestellt sind, in eine gezielte Schuldzuweisung. Das Kohlenstoffbudget, also die maximale Menge CO2, die noch emittiert werden dürfe, um die Erderwärmung auf 1,5 oder 2°C zu begrenzen, werde schon vor 2030 ausgeschöpft sein. Belegt wird diese Behauptung lediglich mit Schätzungen des IPCC. Fett gedruckt ist hervorgehoben: „Manche Länder tragen historisch eine erheblich größere Verantwortung für die Emissionen als andere.“ Dabei stehe Deutschland an vierter Stelle nach den USA, China und Russland.
Raunen von „unserer zunehmend gefährlichen Zukunft“
Nun interessiert, welche „wichtigsten Wissenschaftler:innen“ Greta zu Rate gezogen hat, um an das schlechte Gewissen der Leser zu appellieren. Das Buch ist insgesamt in fünf Teile gegliedert: 1. „Wie das Klima funktioniert“, 2. „Wie unser Planet verändert wird“, 3. „Die Folgen für uns“, 4. „Was wir dagegen unternommen haben“ und 5. „Was wir jetzt tun müssen“. Greta gibt zu jedem Kapitel eine Einführung und überlässt dann den „Wissenschaftler:innen“ das Wort. Der erste Teil ist mit dem Motto überschrieben: „Hört auf die Wissenschaft, bevor es zu spät ist!“ Da ist sie wieder: die angeblich einvernehmliche Wissenschaft, die gemeinsam an einem einzigen Strang zieht. Und Greta beginnt ihre Einführung mit dem Satz: „Die Klima- und Ökologiekrise ist die größte Bedrohung, mit der die Menschheit je konfrontiert war.“
In diesem Warnmodus fährt sie fort, um letztlich die rhetorische Frage zu stellen: „Ist es unser Ziel, die Bedingungen für ein Leben auf der Erde jetzt und für die Zukunft zu bewahren oder an einer auf hohem Konsum basierenden Lebensweise festzuhalten?“ Gerade jetzt bräuchten wir Hoffnung: „Aber was ist Hoffnung? Hoffnung für wen? Hoffnung für diejenigen von uns, die das Problem geschaffen haben, oder für diejenigen, die schon jetzt unter dessen Folgen leiden?“ Mit anderen Worten: Es geht ums Ganze, und gefragt sind diejenigen, die das Problem geschaffen haben, also reiche Länder wie Deutschland.
Noch immer fehle es in der breiten Öffentlichkeit an grundlegendem Wissen, das notwendig sei, um die Notlage zu begreifen, in der wir uns befänden. Daher habe sie, Greta, beschlossen, ihre Plattform zu nutzen, um ein Buch zu den besten verfügbaren wissenschaftlichen Erkenntnissen zusammenzustellen – ein Buch, das die Klima-, Ökologie- und Nachhaltigkeitskrise ganzheitlich behandele. Der erste Wissenschaftler, der in die Arena treten darf, ist Peter Brannen. Er wird als Wissenschaftsjournalist, der u.a. für „The Atlantic“ schreibt, sowie als Autor von „The Ends of the World“ (New York 2017) vorgestellt und legt die „umfassende Geschichte des Kohlendioxids“ dar. Auf der Webseite von „The Atlantic“ sind Brannens Artikel, die Titel tragen wie „Die erschreckende Warnung, die in den uralten Gesteinsaufzeichnungen der Erde lauert“, frei verfügbar, und im Klappentext zu seinem Buch steht: „Der preisgekrönte Wissenschaftsjournalist Peter Brannen nimmt uns mit auf einen wilden Ritt durch die fünf Massenaussterben auf unserem Planeten und gibt uns dabei einen Einblick in unsere zunehmend gefährliche Zukunft“.
In Gretas Kreisen weltbekannter Experte
Es handelt sich bei Brannen demnach um einen echten Spezialisten für Weltuntergangsszenarien. Einen Wikipedia-Eintrag zu ihm gibt es übrigens nicht. Das verwundert: Einer der wichtigsten „Wissenschaftler:innen“, die zum „wichtigsten Thema unserer Zeit“ schreiben, hat keinen Wiki-Eintrag?
Diesem offensichtlich in Gretas Kreisen weltbekannten Brannen kommt es nun also zu, die Grundlage für das Buch zu schaffen, indem er den Fokus auf CO2 lenkt. Brannen beginnt mit der Aussage, dass alles Leben „aus CO2 hervorgezaubert“ werde, der Kohlenstoffkreislauf allerdings im Lauf der Erdgeschichte in äußerst seltenen und dabei äußerst katastrophalen Episoden außer Kontrolle geraten sei ‒ etwa durch massive Vulkanausbrüche. Die Folge sei dann stets ein Massenaussterben gewesen.
Daraus leitet er die Frage ab: „Was wäre nun, wenn eine Abstammungslinie des Primaten Homo versuchte, genau dasselbe zu tun wie einst jene Vulkane vor mehreren hundert Millionen Jahren?“ Dem Klima sei es egal, ob das überschüssige Kohlendioxid in der Atmosphäre auf ein vulkanisches Ereignis zurückgehe oder auf eine Industrielle Revolution. Die gute Nachricht laute jedoch, „dass wir immer noch weit von den grauenhaften Höhepunkten dieser Katastrophen der Vergangenheit entfernt sind.“ Und es gebe „keinen Grund, weshalb wir unseren Namen auf die schimpfliche Liste der schlimmsten Ereignisse in der Erdgeschichte setzen sollten.“ Dass der Einfluss des Kohlenstoffkreislaufes auf Klimaänderungen wissenschaftlich durchaus unterschiedlich bewertet wird, erfährt der Leser nicht.
Der Mensch ist schuld – immer schon
Mit Brannens Beitrag ist die Richtung des Buchs vorgezeichnet: Die Industrielle Revolution ist die Ursache für den drohenden Klimakollaps der Erde. Daher ist es die moralische Verpflichtung der Menschen, vor allem des globalen Nordens, die Folgen der Industrialisierung rückgängig zu machen. In diesem Tenor geht es weiter. Der promovierten Ökologin Beth Shapiro obliegt es, aus evolutionsbiologischer Perspektive darauf hinzuweisen, dass das Verhalten von Menschen schon in grauer Vorzeit zum Aussterben von Tierarten geführt habe: „Auf allen Kontinenten außer Afrika fällt in den fossilen Funden das Aussterben der Großtierarten mit dem erstmaligen Erscheinen des Menschen zusammen.“ Demnach hat der Mensch also nicht erst seit der Industriellen Revolution Schuld auf sich geladen, sondern vom Beginn seines Erscheinens an.
Auch die amerikanische Journalistin Elizabeth Kolbert bekräftigt, dass das Eintreffen des Menschen stets das Aussterben anderer Lebewesen bedeutet habe ‒ seien es die Neandertaler oder die australischen Beutellöwen gewesen. Doch als die gefährlichste Waffe des Menschen habe sich der Spätkapitalismus im 20. Jahrhundert erwiesen, durch den die Bevölkerung und der Konsum exponentiell gewachsen seien. Greta selbst betont allerdings:
„Zu behaupten, die gesamte Menschheit sei dafür verantwortlich, ist jedoch sehr weit von der Wahrheit entfernt. Die meisten Menschen leben gegenwärtig durchaus innerhalb der von der Erde gesetzten Grenzen. Lediglich eine Minderheit von uns hat diese Krise verursacht und treibt sie weiter voran. Aus diesem Grund ist die gängige Behauptung: `Es gibt zu viele Menschen´, äußerst irreführend. Die Weltbevölkerung spielt zwar eine Rolle, aber nicht alle Menschen verursachen Emissionen und verbrauchen die Ressourcen der Erde, sondern nur manche Menschen – es sind die Gewohnheiten und das Verhalten mancher Menschen in Verbindung mit unseren Wirtschaftsstrukturen, die diese Katastrophe verursachen.“ Und weiter: „Die Industrielle Revolution, angetrieben von Sklaverei und Kolonialisierung, brachte dem globalen Norden unvorstellbaren Reichtum, besonders einer kleinen Minderheit der dort lebenden Menschen. Diese extreme Ungerechtigkeit ist die Grundlage, auf der unsere modernen Gesellschaften aufgebaut sind.“
„Pandemie“ als Testlauf für Klima-Einschränkungen?
Da haben wir es: Die Kolonialisierung ist eine historische Schuld, die wir nur wiedergutmachen können, wenn wir Verzicht üben und die Industrielle Revolution rückabwickeln. Und es kommt noch besser:
„Das Problem ist, dass sich die derzeit besten verfügbaren wissenschaftlichen Erkenntnisse nach sämtlichen Belegen auf einem Kollisionskurs zu unserem gegenwärtigen Wirtschaftssystem und zu der Lebensweise befinden, auf die viele Menschen im globalen Norden einen Anspruch zu haben glauben. Beschränkungen und Restriktionen stehen nicht gerade in Einklang mit Neoliberalismus oder moderner westlicher Kultur. Man braucht sich nur anzusehen, wie manche Teile der Welt auf die Einschränkungen während der Covid-19-Pandemie reagierten.“
Jetzt also auch noch Covid! Was will Greta uns damit sagen? Sieht sie etwa „die Einschränkungen während der Covid-19-Pandemie“ als Blaupause für etwaige zur Klimarettung nötigen Einschränkungen an? Und wie soll dann ihrer Meinung nach mit Maßnahmen-Kritikern umgegangen werden? Darüber schweigt sie sich wohlweislich aus. Vergeblich sucht man in Gretas Buch wissenschaftlich seriöse Stimmen, die das komplexe Thema Klima differenziert betrachten. Neben Journalisten kommen zwar auch Wissenschaftler zu Wort; sie sind jedoch keineswegs repräsentativ ausgewählt, sondern sie verbindet eine ideologische Voreingenommenheit wie etwa Michael Oppenheimer, Professor für Geowissenschaften und internationale Angelegenheiten an der Princeton School of Public and International Affairs: Oppenheimer wirkte an allen sechs Klimaberichten des IPCC als Autor mit und nennt als Motivation für sein Engagement seine Angst vor dem Treibhauseffekt.
Naomi Oreskes, Professorin für Wissenschaftsgeschichte an der Harvard University, sieht den Klimawandel ebenfalls als Folge eines Marktversagens sowie eines zerrütteten Wirtschaftssystems und beschuldigt insbesondere die „Branche der auf Kohle, Erdgas oder Erdöl spezialisierten Unternehmen“, gezielt „Desinformation, Irreführung und Lobbyarbeit“ zu betreiben. Schließlich versteigt sie sich zu der Aussage: „Der gegenwärtige Kapitalismus gefährdet die Existenz von Millionen Arten auf der ganzen Erde wie auch die Gesundheit und das Wohlergehen von Milliarden Menschen.“ Die Frage, wie viele Menschenleben eine vollständige Dekarbonisierung der Wirtschaft kosten würde, stellt sie selbstredend nicht.
Die mögliche Erlösung naht – durch Verzicht!
Der schwedische Resilienzforscher Johan Rockström, einer der beiden wissenschaftlichen Direktoren des Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung e.V., betont, dass es darum gehe, „die Überschreitung jener Kipppunkte innerhalb des Erdsystems zu vermeiden, die den Zustand des Klimas und der lebenden Biosphäre regulieren“. Noch ist der Untergang der Menschheit also nicht entschieden. Und Greta bricht in geradezu religiöse Verzückung aus, wenn sie die mögliche Erlösung beschreibt:
„Aber nun liegt es in eurer und meiner historischen Verantwortung, die Dinge ins rechte Lot zu bringen. Wir haben die unvorstellbar großartige Chance, im entscheidendsten Augenblick der Menschheitsgeschichte zu leben. Es ist Zeit, dass wir diese Geschichte erzählen und vielleicht sogar ihren Ausgang verändern. Gemeinsam können wir die schlimmsten Folgen noch abwenden. Wir können die Katastrophe immer noch verhindern und anfangen, die Wunden, die wir zugefügt haben, zu heilen. Gemeinsam können wir das scheinbar Unmögliche schaffen. Aber täuschen wir uns nicht: Niemand anderes wird es für uns tun. Es ist unsere Aufgabe. Hier und jetzt. Eure und meine.“
Unwillkürlich möchte man als Leser ein Amen hinzufügen.
Es würde zu weit führen, sämtliche Kapitel des Buches zu besprechen, zumal es vor Wiederholungen nur so strotzt, doch sollen noch einige Autoren genannt werden, die Greta zu den „wichtigsten Wissenschaftler:innen der Welt“ zählt. Ob diese Einschätzung zutrifft, ist fraglich bei Namen wie etwa Katharine Hayhoe: Hayhoe ist eine kanadische Klimawissenschaftlerin, die ihr Masterstudium der Atmosphärenwissenschaft in Illinois absolviert hat und laut Wikipedia den evangelikalen Christen zugerechnet wird. Ihr Ansatz ist durchaus karitativ, wobei sich der Eindruck aufdrängt, dass sie durch ihr Engagement ihr eigenes schlechtes Gewissen beruhigen will, wenn sie etwa sagt:
„Wir alle sind betroffen, aber die Hauptlast tragen die Ärmsten und am stärksten Marginalisierten. Dazu gehören Menschen, die in bereits stark verschmutzten Regionen leben oder keine andere Wahl haben, als bei extremer Hitze im Freien zu arbeiten. Sie haben möglicherweise schon jetzt keinen ausreichenden Zugang zu Nahrung und Wasser oder müssen ihre Familien mit dem von ihnen selbst Angebauten ernähren. Auch haben sie oft keinen Zugang zu einer elementaren Gesundheitsversorgung oder zu Klimaanlagen oder, falls doch, können sie die Rechnung nicht bezahlen, wenn die Temperaturen Spitzenwerte erreichen. Das weltweit verrücktspielende Klima trifft vor allem die Menschen, die am wenigsten zu diesem Problem beigetragen haben, und das ist nicht gerecht.“
Wirtschaftswachstum, ein „bösartiger Tumor“
Vielleicht gehört ja Zeke Hausfather vom „Breakthrough Institute“ zu den „wichtigsten Wissenschaftler:innen der Welt“? Es existiert zwar wiederum kein Wikipedia-Artikel zu ihm, doch er bringt immerhin noch andere Gase wie Methan ins Spiel. Auch Bjørn H. Samset, der sich mit Aerosolen beschäftigt, ist auf Wiki unbekannt. Paulo Ceppi (hallo Wiki...?) darf sich der Wolkenbildung annehmen, Jennifer Francis vom Woodwell Climate Research Center der Arktis und des Jetstreams. Friederike Otto, die Wiki endlich einmal kennt, ist Klimatologin am Imperial College London sowie Autorin des Buchs „Wütendes Wetter – Auf der Suche nach den Schuldigen für Hitzewellen, Hochwasser und Stürme“ und trägt etwas zum „gefährlichen Wetter“ bei. Katherine Drew „Kate“ Marvel, Klimawissenschaftlerin und Kolumnistin, die an der Columbia University und am Goddard Institute for Space Studies tätig ist, knüpft mit Dürren und Überschwemmungen an. Ihr Fazit: „Eine wärmere Welt wird unter Dürre leiden, doch aufgrund der grausamen Logik des Wasserkreislaufs wird es auch Überschwemmungen geben.“
Ricarda Winkelmann, Professorin an der Universität Potsdam, die über „The Future Sea-Level Contribution from Antarctica – Projections of Solid Ice Discharge” promoviert hat, berichtet über ihre Forschungsreise in die Antarktis im Jahr 2010, wobei sie ebenso am menschengemachten Klimawandel festhält wie Stefan Rahmstorf, der zu den Leitautoren des 2007 veröffentlichten Vierten Sachstandsberichtes des Weltklimarates gehörte und über den Anstieg des Meeresspiegels schreibt. Rahmstorf tritt für die Reduzierung der Treibhausgasemissionen auf null ein, wobei er sich lediglich auf Klimamodelle beruft. Ebenfalls für den IPPC arbeitet Hans-Otto Pörtner, der vor der Versauerung der Ozeane warnt. Weitere Themen des Buches sind etwa Mikroplastik, Waldbrände, Biodiversität, Insekten, erneuerbareEnergien, Geoengineering, Boden, Verkehrsmittel und Reisen, Konsumverhalten, Müll, Luftverschmutzung, Hitze und Krankheit, Frauen und die Klimakrise, Klima-Reparationen, Antibiotikaresistenz sowie vektorübertragene und zoonotische Krankheiten. Hier wird Michael J. Ryan, Exekutivdirektor des Health Emergencies Programme der Weltgesundheitsorganisation, wie folgt zitiert:
„Wir schaffen die Bedingungen, in denen Epidemien gedeihen, wir zwingen und drängen Menschen, wegen Klimabelastungen ihre Heimat zu verlassen. Wir tun so viel, und wir tun es im Namen der Globalisierung und in einem gewissen Gefühl, jenem wunderbaren Ding nachzujagen, das man Wirtschaftswachstum nennt. Nun ja, meiner Ansicht nach ist das ein bösartiger Tumor, kein Wachstum, denn was es bewirkt, ist, dass es unhaltbare Praktiken antreibt in Bezug darauf, wie wir Gemeinden verwalten, Entwicklung verwalten, Wohlstand verwalten; wir stellen Schecks aus, die wir als Zivilisation in der Zukunft nicht einlösen können, und sie werden platzen. Meine Sorge ist, dass unsere Kinder diesen Preis bezahlen werden. Eines Tages, wenn wir nicht mehr da sind, werden unsere Kinder in einer Welt mit einer Pandemie aufwachen, die eine wesentlich höhere fallbezogene Fatalitätsrate hat, und das könnte unsere Zivilisation in die Knie zwingen. Wir brauchen eine Welt, die nachhaltiger ist, in der Profit nicht vor Gemeinschaften geht. Wo das nicht der Kernpunkt ist, wo das sklavische Festhalten an Wirtschaftswachstum aus der Gleichung herausgenommen wird.“
Klage über „Umweltrassismus“ von Weißen
Daher darf sich sogar WHO-Chef Tedros Adhanom Ghebreyesus in Gretas Buch über „Gesundheitliche Argumente für ein Handeln gegen den Klimawandel“ auslassen und spricht von „unserer Sucht nach fossilen Brennstoffen.“ Der bangladeschische, in London lebende Klimawissenschaftler Saleemul Huq denkt über die „globale Ungerechtigkeit“ nach, nämlich insofern, als „Verschmutzer – weitgehend reiche Menschen in aller Welt, die für den größten Teil der Kohlenstoffemissionen und Umweltschäden verantwortlich sind – armen Menschen Schaden zufügen.“
Auch Jacqueline Patterson, Gründerin und Direktorin des Chisholm Legacy Project, einer zentralen Anlaufstelle für People of Colour, die für Klimagerechtigkeit eintreten, führt den Umweltrassismus ins Feld. Quelle allen Übels seien das globale kapitalistische System und eine von Weißen beherrschte Wirtschaft. Der Umweltreporter Abraham Lustgarten stimmt darauf ein, dass zukünftig mit einer immensen Zahl von Klimaflüchtlingen zu rechnen sei.
Und Taikan Oki, Professor an der Graduate School of Engineering in Tokio, warnt: „Bei den gegenwärtigen Trends der Erderwärmung könnten bis 2050 insgesamt 1,2 Milliarden Menschen zur Migration gezwungen sein.“ Und es könnte, so Marshall Burke, Co-Autor des Buchs „Climate Change and Food Security: Adapting Agriculture to a Warmer World“, zu kriegerischen Klimakonflikten kommen. Beispielsweise vergrößere sich die Gefahr schädlicher Konflikte auf Gruppenebene mit jedem Grad Celsius Temperaturerhöhung um 10 bis 20 Prozent. Auch der Themenkomplex „Nahrung und Ernährung“ wird abgehandelt. In diesem Zusammenhang gibt Solomon Hsiang, Leiter des Global Policy Laboratory an University of California in Berkeley, zu bedenken: „Wenn reichere Gesellschaften durch den Klimawandel ärmer und ärmere Gesellschaften reicher würden, könnte der Klimawandel die globale Ungleichheit verringern.“
Kampf gegen den Klimawandel ist „Kampf gegen den Faschismus“, hört, hört!
Im Kampf gegen die Klimaapokalypse geht es demnach auch gleich noch um die Abschaffung der „globalen Ungleichheit“. Immerhin bekennt sich Greta eindeutig zur Demokratie, die sie offenbar als irgendwie vereinbar mit einem radikalen Systemwechsel hält:
„Demokratie ist das wertvollste Instrument, das wir haben, und es steht außer Zweifel, dass wir ohne sie keine Chance haben, die vor uns liegenden Probleme zu bewältigen. Man braucht sich nur vorzustellen, in einer Diktatur beunruhigende wissenschaftliche Ergebnisse zu kommunizieren oder Machthabenden die Wahrheit zu sagen. Es ist keine Frage, dass ein destabilisiertes Klima zu einer destabilisierten Welt führen wird und dass diese Lage letztlich alles in unseren Gesellschaften gefährden wird, auch die Demokratie.“
Und sie befürchtet:
„In dem Maße, wie die Lage schlimmer wird – und das wird sie –, werden wir erleben, dass immer mehr autoritäre Politiker auftreten und als Reaktion auf immer komplexere Probleme einfache Lösungen und Sündenböcke anbieten. Das ist gewöhnlich der Zeitpunkt, an dem Faschismus entsteht und eskaliert.“
Wer gegen den Klimawandel kämpft, kämpft also gleichzeitig gegen den Faschismus? Und Greta fordert:
„Wir brauchen Milliarden Klimaaktivistinnen und -aktivisten. Gewaltlose friedliche Demonstrationen und ziviler Ungehorsam, der die Sicherheit anderer nicht gefährdet; Streiks, Boykotts, Protestmärsche und so fort. Der Menschheit ist es schon viele Male gelungen, unsere Gesellschaften zu verändern, und das können wir definitiv erneut schaffen.“
Eine weltweite Armee aus Klimaaktivisten?
Im nachhaltigen Leben ist Schmalhans Küchenmeister
Im vierten Teil des Buchs, der mit „Was wir dagegen unternommen haben“ überschrieben ist, wird konstatiert, dass bislang noch viel zu wenige Maßnahmen gegen den Klimawandel ergriffen worden seien. Dabei zeichnet Greta noch einmal das Feindbild der „weißen, privilegierten, heterosexuellen Cis-Männer mittleren Alters“ und des Kapitalismus: „Kapitalistischem Konsumismus und Marktwirtschaft überwiegend die Verwaltung der einzigen bekannten Zivilisation im Universum zu überlassen, wird sich rückblickend höchstwahrscheinlich als furchtbare Idee erweisen.“ Außerdem werden „Klimaleugner“ gebrandmarkt, und Greta klagt die Politiker an: „Unsere Regierenden haben also nicht nur ,etwas falsch gemacht‘ – sie haben völlig versagt.“ Daher müsse es „unsere erste Priorität sein, unsere verbliebenen Kohlenstoffbudgets gerecht und ganzheitlich in der Welt zu verteilen, um unsere enormen historischen Schulden zu begleichen. Das bedeutet, dass diejenigen, die für diese Krise am meisten Verantwortung tragen, ihre Emissionen sofort drastisch reduzieren müssen.“
Und sie gibt sich einer utopischen Träumerei hin, die angesichts dessen, was tatsächlich passieren würde, wenn eine weitreichende Deindustrialisierung eine Massenarmut auslösen würde, ausgesprochen realitätsfern klingt: „Ich bin der festen Überzeugung, wenn wir es schaffen, es richtig anzugehen, wird unser Leben mehr Sinn bekommen, als überzogener Konsum, Egoismus, Oberflächlichkeit und Gier uns je geben können. Stattdessen können wir Raum und Zeit für Gemeinschaft, Solidarität und Liebe schaffen.“ Greta setzt auf Rückbau, nicht auf technische Innovationen: „Es gibt keine effektiven politischen Maßnahmen. Und es ist keine Patentlösung und keine technologische Wunderlösung in Sicht.“ Damit zeigt sie sich auffällig rückwärtsgewandt statt offen für zukünftige Entwicklungen und Erfindungen.
Der fünfte und letzte Teil des Buchs kreist schließlich um das Thema, „was wir jetzt tun müssen“. Neue Aspekte kommen hier nicht zur Sprache, doch die Formulierungen werden deutlicher. Um sowohl das individuelle Handeln als auch die Transformation der globalen Gesellschaft zu beeinflussen, sei eine „starke staatliche Reaktion“ gefragt, so Greta. Und die britische Wirtschaftswissenschaftlerin Kate Raworth fordert unverhohlen, dass die reichsten 10 Prozent der Menschen ihre konsumbedingten Emissionen innerhalb der nächsten zehn Jahre auf nur ein Zehntel des Standes von 2015 reduzieren müssten. Die Politik könne dabei „weitaus stärker auf Regulierung, Besteuerung und Anreize setzen, um schädliche, mit dem 1,5°C-Ziel nicht vereinbare Konsumoptionen auszusondern.“ Dazu müsse allerdings eine staatliche Grundversorgung mit Gütern und Dienstleistungen eingerichtet werden. Als konkrete Handlungsanweisungen gibt sie an:
„1. Vermeide Müll: Behalte deine elektronischen Geräte mindestens sieben Jahre lang. 2. Mache deinen Urlaub in der Nähe: Beschränke deine Kurzstreckenflüge auf einen innerhalb von drei Jahren. 3. Iss grün: Wechsle zu einer pflanzlichen Ernährung, und vermeide Abfälle. 4. Kleide dich im Retrolook: Kaufe höchstens drei neue Kleidungsstücke im Jahr. 5. Fahre auf die neue Art: Benutze möglichst keinen privaten Pkw. 6. Verändere das System: Tu etwas, um das größere System zu verändern.“
Gefühlte Oppositionelle schwimmen längst im Mainstream
Dabei komme den Medien in Hinblick auf die globale Transformation eine entscheidende Rolle zu, betont Greta. Während der Corona-Krise sei ein gesellschaftlicher Wandel dadurch möglich gewesen, dass die Medien „einfach objektiv über die Realität berichtet haben, wie sie war.“ Auch George Monbiot, britischer Journalist und Umweltaktivist, fordert, dass das Medien-Narrativ verändert werden müsse. Und er beklagt: „Weltweit räumte man Klimawandelleugnern jahrelang einen ebenso großen oder größeren Stellenwert ein als Klimaforscher:innen.“
Der US-amerikanischer Klimatologe Michael E. Mann sekundiert ihm im Kapitel „Dem neuen Leugnen entgegenwirken“ und weist darauf hin, dass die von ihm vorgestellte Hockeyschläger-Kurve, die die beispiellose Erwärmung des vergangenen Jahrhunderts dokumentiere, mittlerweile der Sense des Gevatters Tod ähnele. Als Star-Gäste äußern sich noch die Autorinnen Margaret Atwood und Naomi Klein zu „praktischen Utopien“ und „einem gerechten Wandel“. Doch es läuft immer auf dasselbe hinaus: Es gilt, „Jahrhunderte der Verfehlungen zuzugeben und wiedergutzumachen“ (Greta), also die Dekarbonisierung und die Umverteilung voranzutreiben. Die Klima-Krise als ultimativer moralischer Test. Nicole „Nicki“ Becker, sozusagen die argentinische Greta, bringt diesen Anspruch auf den Punkt: „Bei der Klimagerechtigkeit geht es nicht nur darum, eine Klimakatastrophe zu verhindern, es geht darum, eine Welt aufzubauen, die gerecht ist und auf Gleichheit beruht. Wir wollen die Welt nicht ,bewahren‘, wie sie gegenwärtig ist, sondern eine gerechtere Welt schaffen.“
Insgesamt erstaunt die hier zum Ausdruck kommende Attitüde, denn längst schon gehört der Kampf gegen den menschengemachten Klimawandel zum Mainstream in Politik, Medien und Konzernen. Es wirkt geradezu absurd, wenn Greta ausgerechnet António Guterres, den Generalsekretär der Vereinten Nationen, mit den Worten zitiert: „Jetzt ist die Zeit, Wut in Handeln umzusetzen. Jeder Bruchteil eines Grades spielt eine Rolle. Jede Stimme kann einen Unterschied bewirken. Und jede Sekunde zählt.“
Gretas Reset zeigt auch auffällige Gemeinsamkeiten mit dem Great Reset eines Klaus Schwab und ist im Kern menschenfeindlich, da er vor allem der Jugend im globalen Norden ein immenses Schuldgefühl einimpft. Ob die idealistischen jungen Menschen, die hüpfen und kleben und glauben, dass sie damit die Menschheit retten, irgendwann einmal bemerken werden, dass sie damit im Grunde der Agenda der größten global agierenden Konzerne zugespielt haben? Zu bedauern sind sie allemal, denn wer als junger Mensch tatsächlich davon überzeugt ist, zur letzten Generation zu gehören, wird sich nicht mehr um sein eigenes Leben, um seine berufliche Ausbildung und seine Interessen kümmern, sondern nur noch auf den Untergang warten. Oder eben hüpfen und kleben.
Das „Klima Buch“ von Greta Thunberg ist 2022 im S. Fischer Verlag erschienen. Hier bestellbar.