Rainer Grell / 27.05.2017 / 08:27 / Foto: Jesus Solana / 2 / Seite ausdrucken

Gott, die Kirche und ich (3)

Eines Tages teilte mir meine Frau überraschend mit, sie habe es übernommen, das Kirchenblättchen in der Nachbargemeinde vier Mal im Jahr auszutragen. Natürlich begleite ich sie seit Jahren in ehelicher Solidarität und amüsiere mich insgeheim, dass keiner der Empfänger ahnt, dass ihm die frohe Botschaft durch eine Konvertitin und einen Abtrünnigen in den Briefkasten gesteckt wurde.

Und dann entschloss ich mich, der außer den Christlichen Pfadfindern nie einer Organisation oder gar Partei angehört hatte, dem von Udo Ulfkotte (am 13. Januar 2017 gestorben) gegründeten islamkritischen Verein Pax Europa (heute Bürgerbewegung Pax Europa, BPE) beizutreten. Bei der Gründungsversammlung des Landesverbandes Baden-Württemberg am 13. Juli 2007 in Filderstadt-Bernhausen bei Stuttgart saß ich zwischen dem jüngsten Teilnehmer (einem 17Jährigen von der Jungen Union) und der ältesten Teilnehmerin (der 85jährigen Susanne Zeller-Hirzel, gestorben am 4. Dezember 2012, einer Freundin von Sophie Scholl, Verfasserin des Buches „Vom Ja zum Nein“). Nachdem ich mich als Verfasser des „Muslim-Tests“ geoutet hatte, wurde ich bei der späteren Ämtervergabe ohne weiteres zum Pressesprecher gewählt. Gesprochen habe ich in dieser Eigenschaft allerdings nie, wohl aber bis Ende des Jahres 16 Pressemitteilungen verfasst (im Januar 2008 bin ich dann wieder ausgetreten aus Gründen, die hier unerwähnt bleiben sollen).

Zwei dieser Presseerklärungen möchte ich in diesem Zusammenhang hier wiedergeben:

Gelebte Integration?

„Gelebte Integration“ überschreibt das Stuttgarter Wochenblatt vom 15. November 2007 einen Artikel, der darüber informiert, dass die SPD Degerloch [das ist der Stadtbezirk, in dem ich wohne] bereits zum siebten Mal zu einem Fastenbrechen eingeladen hat. „Der Ortsvereinsvorsitzende und Stadtrat Ergun Can – heißt es in der Meldung weiter – freute sich über ein volles Haus, denn der Versammlungsraum im Naturfreundehaus Roßhau war bis auf den letzten Platz belegt.“ Dass der Fastenmonat Ramadan, den das Fest des Fastenbrechens (auch Zuckerfest, großer Bayram oder id al-fitr) beschließt, bereits am 12. Oktober zu Ende gegangen ist, erfährt man allerdings nicht.

Die SPD Degerloch veranstalte jährlich das Fastenbrechen, um den Dialog zwischen den unterschiedlichen Kulturen und Religionen im Stadtteil zu fördern.

Pax Europa begrüßt diese Initiative ausdrücklich, erlaubt sich jedoch die Anmerkung, dass „Dialog“ laut Fremdwörter-Duden ein Gespräch bedeutet, „das zwischen zwei Gruppierungen geführt wird, um sich u. die gegenseitigen Standpunkte kennenzulernen“. Wir werden also die stellvertretende Ortsvereinsvorsitzende und Bezirksbeirätin Ursula Wolf, die sich für einen „Dialog der Weltreligionen“ einsetzt, zu gegebener Zeit fragen, wie es denn mit gemeinsamen Weihnachtsfeiern zwischen Christen und Muslimen im Stadtteil aussieht. [Anmerkung: Die Anfrage blieb natürlich ohne Antwort, wozu ich ebenfalls eine Pressemitteilung herausgegeben habe.]

Für alle, die uns jetzt Miesmacherei oder gar bösen Willen unterstellen, sei an den Offenen Brief der 138 muslimischen Gelehrten und Geistlichen vom 13. Oktober 2007 an den Papst und die Verantwortlichen aller christlichen Kirchen erinnert („In der 1400-jährigen Geschichte der muslimisch-christlichen Beziehungen hat es eine solche Initiative noch nicht gegeben“, so der Jesuit und Islamwissenschaftler Professor Christian W. Troll), dessen Verfasser sich von dem Islamkenner Bischof Dr Michael Nazir-Ali von Rochester sagen lassen mussten, dass: “ein Dialog unter Partnern im vollständigen Verständnis des jeweils anderen Glaubens geführt werden sollte. Es kann nicht sein, dass einer der Partner die Regeln des Dialoges diktiert.“

Alle Jahre wieder?

In knapp drei Wochen ist Heiligabend. Jetzt ab dem Nikolaustag (6. Dezember) ist die Zeit der Weihnachtsfeiern in Betrieben und Behörden, Schulen und Kindergärten. Das ist alte Tradition, auch wenn der vorweihnachtliche Konsumflitter bereits seit den letzten Novembertagen das Straßenbild bestimmt und der Rummel den Sinn des christlichen Festes überdeckt hat. Was machen eigentlich unsere muslimischen Mitbürgerinnen und Mitbürger in dieser Zeit? Feiern sie mit – so wie viele Einheimische mit ihnen das Opferfest oder das Fest des Fastenbrechens (die beiden höchsten muslimischen Feiertage) feiern?

Sicher wird es diesen oder jenen aufgeklärten Muslim geben, für den es kein Problem darstellt, die Weihnachtsfeier in seinem Betrieb mitzumachen, zumal es dabei in der Regel weder weihnachtlich noch christlich zugeht. Es wird aber auch die Fälle geben, in denen Kindergartenkinder vergeblich auf den Besuch des Nikolaus’ warten, weil sich die Leitung dem Druck der Eltern muslimischer Kinder gebeugt hat und die Weihnachtsfeier ausfallen lässt – wie seit Jahren der evangelische Kindergarten in Stuttgart-Gablenberg.

Nachdem außerdem zu lesen war, dass der Nikolaus auch in Wien Hausverbot hat (selbst in den 150 katholischen Kindergärten), wollte Pax Europa es genau wissen und hat eine Umfrage bei den evangelischen und katholischen Kindergärten der Landeshauptstadt Stuttgart gemacht. Angeschrieben wurden 60 Träger von insgesamt rund 100 evangelischen Kindergärten und 50 katholische Kindergärten und um Antwort bis Ende November gebeten. Geantwortet haben bis dahin sechs: vier katholische und zwei evangelische. Schaut man genau hin, so sind es allerdings nur vier: Denn eine katholische Kirchengemeinde teilte lediglich mit, dass der angeschriebene Kindergarten seit August dieses Jahres geschlossen sei, eine andere forderte uns erkennbar verärgert auf, „an Kindergärten die unserer Kirchengemeinde angehören keine Briefe mehr zu schreiben“. Immerhin hatte sich der Absender die Mühe gemacht, die Website von Pax Europa zu lesen, spürte irgendeine Absicht und war verstimmt.

In den verbleibenden vier Antworten (schön paritätisch: zwei evangelische, zwei katholische) wird u. a. versichert, „dass das Beten, die Erzählung biblischer Geschichten sowie die Beteiligung an Gottesdiensten und Festen der Gemeinde … bei uns … Teil der erzieherischen Arbeit und obligatorisch“ sind, wobei sogar ein Teil der muslimischen Kinder an den Nikolaus- und Weihnachtsfeiern teilnimmt.

So erfreulich das ist: Der ganz überwiegende Teil der angeschriebenen Institutionen hat geschwiegen. Was kann man daraus schließen? Alles und nichts. Vielleicht hielt man Pax Europa einer Antwort nicht für würdig. Wer ist überhaupt Pax Europa? Wir hatten uns natürlich vorgestellt. Trotzdem. Vielleicht hatte man keine Zeit, weil eben besagte Feiern und vieles andere vorbereitet werden mussten. Vielleicht hatte man auch etwas zu verschweigen. Wir wissen es nicht.

Schade eigentlich, denn wir hatten keineswegs vor, jemanden „in die Pfanne zu hauen“, hatten insgeheim sogar gehofft, dass Gablenberg sich als Einzelfall herausstellt und wir ein Loblied auf die große Mehrheit singen könnten. Und jetzt das.

Jesus sprach bekanntlich auch mit den Sündern und predigte die Feindesliebe. Warum christliche Kindergärten und deren Träger nicht auch mit Pax Europa sprechen, selbst wenn sie uns als Sünder oder gar Feinde betrachten (warum auch immer), ist uns bisher verborgen geblieben. Nehmen wir also einfach an, dass es Zeitmangel und Arbeitsüberlastung waren, und wünschen allen Kindern dieser Stadt, christlichen wie muslimischen, zusammen mit ihren Betreuerinnen und Betreuern eine fröhliche Adventszeit.

Erst später hat mir eine wohlmeinende Bekannte den Brief eines evangelischen, nun ja, sagen wir Verantwortlichen zugespielt, aus dem sich ergab, warum wir zumindest von evangelischer Seite keine Antworten bekommen haben. Ich gebe den Brief hier im vollen Wortlaut wieder:

„Liebe Kolleginnen und Kollegen,

Herr Rainer Grell, Leitender Ministerialrat a. D. Im Innenministerium und damals zuständig für den höchst kontrovers diskutierten Einbürgerungsfragenkatalog, hat unter der Firmierung ‚Pax Europa, Landesverband Baden-Württemberg (Pressesprecher) Felix-Dahn-Str. 90, 70597 Stuttgart‘ an eines unserer Pfarrämter geschrieben und um folgende Information gebeten: Höhe des Anteils muslimischer und nicht christlicher Kinder in dem örtlichen Kindergarten, Veranstaltung einer Nikolaus- oder Weihnachtsfeier und für den Fall, dass eine solche Feier nicht stattfindet, ‚Mitteilung der Gründe dafür‘. Weiter schreibt er: ‚Interessant wäre auch die Information, ob muslimische Eltern verlangt haben, dass Kreuze aus den jeweiligen Räumen entfernt werden und wie diesem Verlangen ggf. begegnet wurde.‘

Pax Europa hat sich ‚zum Ziel gesetzt, Politik und Öffentlichkeit über die zunehmende Islamisierung unserer Gesellschaft aufzuklären.‘

Ich bitte Sie dringend, Herrn Grell keine Auskünfte zu erteilen, weder schriftlich noch mündlich. Ich vermute hier eine gezielte Kampagne, die nur Irritationen der Öffentlichkeit erzeugen kann.“

Nach der Lektüre dieses Briefes musste ich wieder an den Satz von Chabrol denken und beglückwünschte ich mich einmal mehr, aus diesem Verein ausgetreten zu sein.

Obwohl ich das für zwecklos hielt, habe ich den Verfasser telefonisch zur Rede gestellt, erhielt aber nur die Ausflüchte, die ich erwartet hatte.

Zu meinen Korrespondenzpartnern gehören auch drei pensionierte evangelische Pfarrer, von denen mir einer kürzlich mitgeteilt hat, er würde ebenfalls gerne aus der Kirche austreten. Aber das könne er sich nicht leisten, weil er dann seine Pensionsansprüche verlöre und auf Hartz IV angewiesen wäre. Trotzdem: Wenn ich auf eine einsame Insel nur ein Buch mitnehmen dürfte, wäre das zweifellos die Bibel. Wenn Jesus allerdings sähe, was die Kirchen aus seiner Lehre gemacht haben, würde er sicher den Kopf schütteln und in Tränen ausbrechen.

Gott selbst hat das allerdings wahrgenommen und die Konsequenzen gezogen, wie Erich Kästner in einem meiner Lieblingsgedichte ausgeführt hat:

Da hilft kein Zorn. Da hilft kein Spott.
Da hilft kein Weinen, hilft kein Beten.
Die Nachricht stimmt! Der Liebe Gott
ist aus der Kirche ausgetreten.

Teil 1 hier, Teil 2 hier

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Karla Kuhn / 27.05.2017

“Da hilft kein Zorn. Da hilft kein Spott. Da hilft kein Weinen, hilft kein Beten. Die Nachricht stimmt! Der Liebe Gott ist aus der Kirche ausgetreten.”  Erich Kästner war eben genial, herrlich !!! “Ich bitte Sie dringend, Herrn Grell keine Auskünfte zu erteilen, weder schriftlich noch mündlich. Ich vermute hier eine gezielte Kampagne, die nur Irritationen der Öffentlichkeit erzeugen kann.“  Ja, ja Wasser predigen und Wein trinken, die Kirche sollte ihre schlimme Vergangenheit endlich mal aufarbeiten, bis zu den jüngst bekannt gewordenen vielen Fällen von sexuellen Übergriffen auf Buben und junge Männer.

Hubert Bauer / 27.05.2017

Jesus war doch nur ein Zimmermann, also ein Abgehängter, jemand der heute AfD wählen würde. Und wenn er in Gleichnissen geredet hat, er auch nur von anderen Proleten geredet (Hirten und Sämänner). Und dann erst sein Umgang (Fischer und Huren). Da erfahren wir doch heute von Intellektuellen wie Obama (der schwarze Messias) ganz andere Sachen. Aber im Ernst: Die Kirchen machen sich sorgen, weil ihnen die Gläubigen davonlaufen; ich mache mir Sorgen, weil die Kirchen vor Gott weglaufen und falschen Propheten nachlaufen.

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