Ich denke ein Grund für die mangelnde Selbstwahrnehmung hinsichtlich längerfritig wirkender Effekte auf die Gesellschaft ist die schlichte Tatsache, dass die Werbung höchst verzerrt ist und kein zuverlässiges Gesamtbild der Gegenwart hergibt. Denn es ist die Werbung, die uns ständig umgibt und beeinflusst, ob über Fotos, Filme oder Radio. Werbung will in uns eindringen und in uns ein bestimmtes Bild formen, das uns am Ende dann zum kauf von etwas bringt. Deshalb ist sie auch so gut in ihrer Beeinflussung. Nimmt man den Zweck von Werbung mal raus und schaut sie sich nur das Trägermittel an, dann erkennt man, dass unsere subjelktive gesellschaftliche Realität zu einem Grossteil aus eben den Werbebotschaften und Bildern zusammensetzt. Etwas anderes, Politik, Kultur kommt hinzu, ist aber auch durch die “Verkaufsmode” bestimmt und dahingehend verzerrt. Die Verzerrung selbst widerum wird bestimmt über die Umsätze, die generiert werden können. So gibt es erheblich mehr Werbung für teure Produkte, als für billige Massenware. Rewe macht Werbung, Aldi braucht keine. Für andere Produktkategorien, die mehr kosten (und höhere Profite versprechen) gilt das noch viel mehr. Wir sitzen geistig eher im Porsche als im Lada. Und wer kauft einen Porsche? Es sind idR Wohlhabende! Leute mit guter Bildung, Geschmack, Autorität und Weltläufigkeit etc. Es ist nicht der Schichtarbeiter und es ist auch nicht der Sozialhilfeempfänger oder Asylant. Von denen gibt es zwar mehr, aber sie finden zusammen weniger statt, weil wir seltener tangiert werden, wenn sie als Zielgruppe angesprochen werden. Das bedeutet, wenn in einer Zeit die zahlungskräftig(st)e Personengruppe sehr stark von der (zukünftigen) Mehrheitspersonengruppe abweicht, dann wird uns eine stark verzerrte Realitätsprojektion geliefert. Denn ein Abteilungsleitereinkommen ist mehr wert als 10 Alg2 Einkommen und durchschnittliche Einkommen (zb. von der Mehrheit der einheimischen Christen) sind noch immer etwa 3x so viel wert, wie Alg2 Einkommen (zb. von Einwanderern). Und Kinder als zukünftige Einkommensbezieher haben gar kein eigenes Einkommen. Letztlich bedeutet das für uns, die gesellschaftliche Werbewahrnehmung ist so stark verzerrt, dass die gefühlte glaubenskulturelle Verschiebung um mehrere Faktoren geringer ausfällt als die tatsächliche Verschiebung. Ich schätze, der Faktor bewegt sich derzeit um 1:5 herum. Erst wenn die Einkommen der “neukulturellen” Einwanderer steigen wird es nennenswerte Selbstwahrnehmungsverschiebungen geben. Sollten diese gering bleiben wird auch die Wahrnehmung weit hinter der tatsächlichen Proportion zurückbleiben.
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