Gastautor / 16.06.2012 / 14:51 / 0 / Seite ausdrucken

Goethe vs Crocodile Dundee

Jens Schroeder

Michael Miersch stellte kürzlich den Text eines Plakates aus den 20. Jahren auf achgut.com. Zwei Interessenverbände von Artisten und Musikern protestierten damit gegen die Einführung des Tonfilms.  Siehe:
http://www.achgut.com/dadgdx/index.php/dadgd/article/gegen_den_tonfilm/

Hier ein paar Bemerkungen dazu aus australischer Sicht:

Das deutsche “Tonfilm Panikorchester” spielt nun seit mehr als 80 Jahren seinen verlässlichen Ton. Die Melodie mag sich ändern, aber letzten Endes ist es eine Variation des gleichen apokalyptisch angehauchten Themas.

Dies wird besonders deutlich, vergleicht man es mit jüngeren, schwungvolleren Orchestern. Nehmen wir zum Beispiel Australien und den letzten größeren Umbruch in Sachen massenmedial vermittelter Unterhaltung: das digital Spiel.

Die Unterschiede in seiner Wahrnehmung werden besonders deutlich, packt man sie in einen größeren historischen Rahmen, der die gesamte Geschichte populärer Unterhaltung sowie die mit ihr verbundenen Technologien berücksichtigt (Film, Radio, Fernsehen) und das Ganze in Relation zu den jeweiligen sozio-kulturellen Traditionen der beiden Länder und ihre Auswirkungen auf Formen von Distinktion – also die bewusste Abgrenzung von anderen Gruppen durch Stil – setzt.

Denn: Im Grunde kann man feststellen, warum Deutschland sich mit dem Medium so schwer tut (Stichwort “Killerspiele”), wenn man schaut, warum es in Down Under anders lief. Es gibt genügend Anhaltspunkte dafür, dass Games seit jeher von allen Gesellschaftsgruppen der Antipoden begeistert aufgenommen wurden. Auch konnten die Reiter der Kulturapokalpyse ihre Pferde im Stall lassen, wenn Spielen überhaupt negative Auswirkungen zugeschrieben wurden, dann dass sie Kinder davon abhielten Sport zu treiben (in Australien höchst problematisch!).

Australien dient somit als Spiegel, welcher Deutschland hilft, sich besser zu erkennen (und andersrum). In einem Land wie Deutschland dessen nationale Selbstwahrnehmung eng an soziale Gruppen gebunden war welche eine idealistische Auffassung von Kultur perpetuierten und sie in ein rigides Klassensystem integrierten, herrschte eine andere Form von Distinktion als in Australien – ein Land, dessen nationaler Archetyp auf dem Mythos des egalitären Bushman basiert.

Es gibt kaum eine westliche Demokratie, welche sich in geschichtlicher Hinsicht so von Deutschland unterscheidet wie Australien. Goethe vs Crocodile Dundee sozusagen, und während das natürlich ein Klischee ist, steckt in ihm eine Menge Wahrheit. Eine Wahrheit, die hilft, die Identitäten beider Ländern besser festzulegen – dafür kann man durchaus so etwas “Triviales” wie Videospiele bemühen.

Doch nicht nur games wurden begeistert aufgenommen. Film war ein egalitäres Spektakel,  der erste Spielfilm der Welt wurde in Australien gedreht, die australische Filmindustrie für (eine sehr) kurze Zeit eine der aktivsten der Welt. Dasselbe Muster fand sich bei Radio und Fernsehen. Im Verhältnis zur Einwohnerzahl wurden weltweite Besucher- und Verkaufsrekorde gebrochen. Es waren Straßenfeger die man reuelos genießen konnte ohne für etwaige Kulturlosigkeit geächtet zu werden.

Deutschland hingegen: Kulturpessimismus aller Orten! Weltuntergangsstimmung! Ausverkauf heiliger Werte! Profane kapitalistische Verwertungslogik! Niedere Instinkte! Die Kultur stirbt, der Film/ Kabelfernsehen/ der Computer, eine Maschine ohne Seele, ein Werkzeug, sie alle schaufeln ihr Grab. Die Muster der Argumentation ähneln sich frappierend, in 80 Jahren hat sich wenig verändert.

Ein kleines vergleichendes Beispiel soll an dieser Stelle genügen: das Programm des australischen öffentlich-rechtlichen ABC Radio bestand, trotz allen Bemühungen die kulturell hochwertige BBC zu nachzuahmen, zu etwas 10 Prozent aus Sport (Pferderennen, Cricket etc.). Was für die Aussies kein Problem war, ganz im Gegenteil:

“[T]he ABC staff feared that if politicians could not hear the races on the ABC they might think of reducing its share of the wireless license fee. It might even be said that as the art of calling a race was practised so cleverly in Australia, the national system had an obligation to foster it”

In Deutschland hingegen belief sich Sport Anteil im Weimarer Staatsfunk in etwa auf ein Prozent. Und selbst das war zuviel!

“Sport was individualistic, achievement-orientated and competitive, it advocated a vulgar, unrestrained physicalness and was connected with the worst excesses of capitalistic speculation and the uncontrollable emotions of the masses (…) The meagre amount of sports coverage was still too much for Willi Steinkopf, member of the Reichstag for the SPD. In a letter to the Post Minister he complained that sport newscasts had to be shortened to a minimum. This sentiment was shared by other listeners.”

Diese Liste ließe sich endlos bis ins 21. Jahrhundert fortsetzen. Manche Dinge ändern sich nie. So wohne ich denn mittlerweile auch in Australien.

Dr. Jens Schröder ist Manager des SAE/ QANTM Colleges in Sydney. Er hat über die Wahrnehmung von Massenmedien in beiden Ländern promoviert. Das Buch kann hier bezogen werden: http://www.amazon.de/Killer-Games-Versus-Will-Violence/dp/3631606117/ref=sr_1_1?ie=UTF8&qid=1339830007&sr=8-1

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