Christoph Lövenich, Gastautor / 31.05.2015 / 12:00 / 0 / Seite ausdrucken

Glücksspielverordnung: Die Freiheit hat schlechte Karten

Von Christoph Lövenich

„Spielerschutz“ und „Suchtprävention“ sind überwiegend vorgeschobene Argumente, die finanziellen Interessen moralisch bemänteln. Staatlichen Lotto-Toto-Anbieter und Spielbanken sollen vor Konkurrenz geschützt werden.

Man stelle sich vor, es gibt ein Gesetz, und keiner hält sich daran. Jedenfalls nicht die Betroffenen. Geschätzt mehr als 20 Milliarden Euro Umsatz erzielen Online-Glücksspiele und -Sportwetten in Deutschland (Siehe hier). Dass sie untersagt sind, hält die Spieler nicht vom virtuellen Poker- oder Roulettetisch fern. Das Grenzen überschreitende Internet lässt sich nicht so einfach ins Korsett der deutschen Rechtsordnung pressen, wie manche Länderpolitiker offenbar wirklich geglaubt haben.

Für Online-Glücksspiele gilt hierzulande ein Totalverbot, das nicht nur die – zumeist im Ausland ansässigen – Veranstalter betrifft, sondern theoretisch auch die Spieler, die es mit einem Klick umgehen können. Dabei haben wir es nicht mit einer kleinen Ordnungswidrigkeit zu tun: Es drohen für die Teilnahme an einem unerlaubten Glücksspiel bis zu sechs Monate hinter Gittern (§ 285 StGB). Zwar ist das Verfolgungsrisiko gering, rechtliche Probleme für die Beteiligten können aber sehr wohl auftreten. (Siehe hier). Das absolute Verbot dieser verbreiteten Tätigkeit beruht auf dem 2011 neu gefassten Glücksspielstaatsvertrag der Bundesländer, dem Schleswig-Holstein erst mit mehrmonatiger Verspätung nach einem Regierungswechsel beitrat; die alte CDU-FDP-Regierung hatte einen eigenen, liberalen Weg beschritten und einige Lizenzen ausgestellt. Begründet wird die bundesweite Prohibition mit dem „Schutz der Bürger vor ‚schnellen, suchtfördernden Spielformen‘”, wie es der bayerische Innenminister Hermann ausgedrückt hat.  „Die Verhältnismäßigkeit […] von Online-Verboten für Glücksspiele“, hält der Bonner Juraprofessor Christian Koenig dagegen, „ist aber nach weltweit gefestigten wissenschaftlichen Erkenntnissen zur Suchtprävention, zur Schwarzmarkt- und Geldwäschebekämpfung gerade nicht gegeben.“

„Hinter ‚Schutz‘ und ‚Prävention‘ verbirgt sich immer auch etwas anderes“

Warum verweigern sich die Bundesländer dieser Erkenntnis? Weil sich hinter „Schutz“ und „Prävention“ als modischen, behaupteten Zielen staatlicher Regulierung immer auch etwas anderes verbirgt. In diesem Fall neben einem paternalistischen Menschenbild vom unmündigen Bürger handfestes finanzielles Interesse: Die staatlichen Lotto-Toto-Anbieter und die Großteils ebenfalls den Bundesländern gehörenden Spielbanken sollen vor Konkurrenz geschützt werden. Es geht um Einnahmen der Finanzminister, es geht um hochdotierte Jobs an den Spitzen der Landeslottogesellschaften, mit denen nicht selten verdiente Parteifreunde ver- und entsorgt werden.

Um dieses Quasi-Monopol vor dem EU-Recht bestehen zu lassen, muss man die „Suchtprävention“ und den „Spielerschutz“ vorschieben, die angeblich dem Allgemeinwohl dienen sollen, mit Sicherheit aber „einer therapeutisch-prohibitionistischen Lobby“.  von großem Nutzen sind. Verfassungs- und europarechtliche Fragezeichen sind damit übrigens nicht vom Tisch, nicht nur beim Bundesgerichtshof und beim EuGH kommt es immer wieder zu Verfahren. „Solange Glücksspielformen, denen keine höhere Gefährlichkeit als dem gewerblichen Automatenglücksspiel attestiert werden kann, trotzdem Totalverboten unterworfen werden“, betont Wettbewerbsrechtler Koenig, „ist die vom EuGH geforderte Verhältnismäßigkeit der Glücksspielregulierung unerreichbar.“

Bei den Sportwetten immerhin sieht der seit Mitte 2012 geltende Staatsvertrag eine Liberalisierung in Form der willkürlichen Zahl von 20 Konzessionen vor, die privaten Anbietern zukommen soll. Drei Jahre nach Inkrafttreten dieses Vorhabens sind sie immer noch nicht vergeben, man verstrickt sich in endlosen Gerichtsverfahren. Trotzdem agieren private Sportwettenanbieter erfolgreich auf dem Markt, entweder mit Lizenzen aus der DDR des Jahres 1990 oder anderen EU-Mitgliedsstaaten, was zu einem großen Graumarkt führt. (Siehe hier) Zuständig ist das sogenannte Glücksspielkollegium der Länder, ein Gremium aus Bürokraten der 16 Landesministerien.  Dessen neunköpfiger Sportbeirat aus Vertretern namhafter Sportverbände ist kürzlich geschlossen aus Protest gegen diese Verschleppung zurückgetreten. „Dieses Vollzugsdefizit ist unerträglich“ empört sich der Vorstandvorsitzende des Deutschen Olympischen Sportbundes, Michael Vesper, „es führt die von den Ländern beschlossene Öffnung des Sportwettenmarktes innerhalb geregelter Leitplanken ad absurdum“. (Siehe hier) Rien ne va plus.

Diese ganzen Vorgänge rauschten jüngst lautstark durch den Blätterwald. „Für die Länder immer peinlicher“ urteilt Jan Willmroth in der SZ und fordert, dass „das völlig intransparente Glücksspielkollegium neu geordnet oder aufgelöst wird, Verbot von Online-Glücksspiel infrage gestellt und die Regulierung wieder allein vom Verbraucherschutz her gedacht wird.“ In der F.A.Z. kritisiert Michael Ashelm die abgeschottete und damit nicht kontrollierbare Arbeit des Glücksspielkollegiums, dessen Vorsitzender, der bayerische Ministerialrat Thomas Größl, in Insiderkreisen „aufgrund seines fundamentalistischen Eifers gegen die Öffnung des Wettmarktes auch als ‚Ajatollah‘ oder ‚Diktator‘ bezeichnet“ werde und Neutralitätspflichten verletzt habe. (Michael Ashelm: „Kampf um die Befreiung vom ‚Glücksspiel-Diktator‘“, F.A.Z., 11.05.2015)

An der Grundgesetzkonformität des Glücksspielkollegiums bestehen jedenfalls erhebliche Zweifel, die z.B. das Verwaltungsgericht Wiesbaden zum Ausdruck gebracht hat.

„An der Grundgesetzkonformität des Glücksspielkollegiums bestehen erhebliche Zweifel“

Mit der Annahme von privaten Lizenzanträgen ist ausgerechnet die Kölner Anwaltskanzlei CBH, die schon lange für staatliche Lotto- und Totogesellschaften tätig ist, beauftragt worden – was ebenfalls für Irritationen sorgt. Dass Ashelms Artikel nicht mehr im originalen Wortlaut bei der F.A.Z. abruf- oder bestellbar ist, hat nach Novo-Informationen mit einer Reaktion dieser Kanzlei zu tun. Die Debatte scheint sich immer mehr zum Minenfeld zu entwickeln.

Den sich mehrenden Stimmen in Politik, Wissenschaft und Medien, die einen offenen Umgang mit dem Online-Glücksspiel fordern, geht es zumeist um Geldmittel für staatliche Haushalte und Sportvereine, vor allem aber um das Prinzip ‚legalisieren, um zu regulieren‘. Staatsaufgabe sei es, „den natürlichen Spieltrieb der Bevölkerung in geordnete und überwachte Bahnen zu lenken“ sowie „Glücksspielsucht und Wettsucht zu verhindern“ (siehe hier), wie es im Staatsvertrag heißt. Trieb und Sucht riefen schon immer jene Instanzen auf den Plan, die sich zur Kontrolle freier Menschen berufen sehen.

Umso schmerzlicher fehlen in der aktuellen Debatte liberale Stimmen, die auf die Eigenverantwortung der Bürger setzen. Denn welche Regulierung unter den gegenwärtigen politischen Voraussetzungen einer Legalisierung folgen würde, kann man sich anhand der bestehenden und geplanten Einschränkungen des Offline-Glücksspiels ausmalen, die ja gerade immer mehr Spieler ins Internet treiben. Begrenzung der Spielautomaten, der Gewinne, der Spiel- und Wetteinsätze, datenschutzrechtlich problematische Spielerüberwachung – und -sperrungen, Werbebeschränkungen, verdeckte Testkäufe usw. Nur das Rauchverbot in Spielkasinos und -hallen kann man nicht auf direktem Wege übertragen.
Die Diskussion über die Regulierung des Onlineglücksspiels und der Sportwetten strotzt vor Weltfremdheit und Heuchelei. Dabei dient die kleine Gruppe von pathologischen Spielern als Vorwand, um die Allgemeinheit zu bestrafen. Die staatliche Politik verweigert sich der Realität weitverbreiteter Internetkasinos und hat sich so verfahren, dass sie nicht einmal ein paar Sportwettlizenzen zeitnah vergeben kann. Wenn es nach diesen Spielverderbern geht, hat das mündige Individuum ausgespielt.

Christoph Lövenich ist Politologe, freiberuflicher Sozialwissenschaftler und Autor in Bonn. Dieser Beitrag erschien zuerst auf Novo-Argumente.

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