Kolumne von Maxeiner & Miersch, erschienen in DIE WELT am 16.03.2007:
Eine neue Wortschöpfung macht Karriere: Der ökologische Fußabdruck. Der ist umso größer, je mehr Ressourcen ein Land pro Kopf seiner Bewohner verbraucht. Wenn man beispielsweise den Energiekonsum betrachtet, haben die Amerikaner die größten Füße, Europäer und Japaner liegen im Mittelfeld. Die kleinsten Füße haben die Bewohner der Entwicklungsländer.
Doch künftig sollen alle gleich große Füße haben. Hans Joachim Schellnhuber, Klimaberater der Bundeskanzlerin, sagt: „Jeder Erdenbürger und jede Erdenbürgerin hat exakt den gleichen Anspruch auf die Belastung der Atmosphäre.“ Er errechnet eine „magische Zahl von 5500 Kilogramm Kohlendioxid auf tolerierbare Klimaschädigung.“ Lutz Wicke, ehemaliger Präsident des Bundesumweltamtes, empfiehlt: „Mit diesem Verteilungsschlüssel erhalten die bevölkerungsreichen Entwicklungsländer Überschuss-Zertifikate, die sie verkaufen können.“
Das klingt bestechend einfach und äußerst gerecht. Doch drängen sich rasch Fragen auf: Menschen in kalten Ländern müssen heizen und haben deshalb einen viel höheren Energieverbrauch als die Bewohner warmer Regionen. Darf man Sibirien und die Südsee einfach gleichsetzen? Außerdem: Haben die Menschen in einem armen Land demokratischen Zugang zu Wohlstand und Ressourcen oder profitiert nur eine kleine Oberschicht? Denn jeder hinzukommende Mensch am Existenz-Minimum verbessert rein rechnerisch die Kohlenstoff-Bilanz eines Landes. Das ist dann wohl doch nicht im Sinne des Erfinders.
Welche Blüten die Sache mittlerweile treibt, mag ein Aufsatz verdeutlichen, den die Wissenschaftszeitschrift „Climatic Change“ veröffentlichte. Jedes Baby, so die Forscher, werde Treibhausgase produzieren und damit zum Klimawandel und in der Folge zur Schädigung der Gesellschaft beitragen. Für Industrieländer taxieren sie die Kosten eines kleinen Klima-Schädlings auf 28 200 Dollar, in einem Entwicklungsland auf 4 400 Dollar. Sollten also nur noch Kinder unterhalb der Armutsgrenze geboren werden?
Die Waren- und Energieströme einer globalisierten Welt entziehen sich einfachen Aufrechnungen. Die Ressourcen, die da in den reichen Nationen verbraucht und verfeuert werden, sind ja oft Rohstoffe, auf deren Export die Entwicklungsländer dringend angewiesen sind. Selbst Bananen, werden nicht zu uns gezaubert, sondern mit Schiffen und Lastwagen transportiert. Verzichten die Europäer zugunsten des Apfels, bleiben Südamerika oder Afrika auf ihren Bananen sitzen. Umgekehrt mag ein europäischer Pharmaforscher mit seiner Arbeit einen großen ökologischen Fußabdruck hinterlassen, das Ergebnis - etwa ein neues Medikament - kommt aber Menschen in aller Welt zu Gute.
Auch das Ende des Ferntourismus wäre für viele arme Länder eine Katastrophe. Genau wie die vagabundierenden Kapitalströme gibt es auch immer mehr vagabundierende Energie, die sich nicht so ohne weiteres einem Land zuordnen lässt. Das beste Beispiel ist der Flugverkehr. Nach dem Konzept des ökologischen Fußabdruckes schädigt ein indischer Geschäftsmann, der nach Deutschland fliegt, die Umwelt erheblich weniger, als ein Deutscher Geschäftsmann, der nach Indien fliegt. Versteht das irgendjemand?
Es ist wohl nur eine Frage der Zeit bis auch Privatleuten ihr persönliches Kohlendioxid-Kontingent zugeteilt wird. Eine Rationierungsmaßnahme wie einst Lebensmittelmarken - mit denen ja auch gehandelt wurde. Die britische Regierung hat bereits Entwürfe für persönliche „Carbon-Cards“ in der Schublade, die jeder Bürger wie eine Geld- oder Kreditkarte etwa beim Tanken oder beim Buchen eines Fluges vorzeigen muss.
Endlich hat der Staat die totale Kontrolle über das Leben des einzelnen Bürgers. Dabei werden alle gleich und ein paar noch gleicher sein. Bekommt ein Kind genauso viel Emissionsrechte wie ein Erwachsener? Ist ein Flug privat oder im Dienste der Allgemeinheit? Darf ein Landarzt mehr Auto fahren als ein Handelsvertreter? Sicher ist dabei nur eins: Politiker und Bürokraten haben freie Fahrt.