Michael Miersch / 17.03.2007 / 11:04 / 0 / Seite ausdrucken

Gleich große Füße für alle!

Kolumne von Maxeiner & Miersch, erschienen in DIE WELT am 16.03.2007:

Eine neue Wortschöpfung macht Karriere: Der ökologische Fußabdruck. Der ist umso größer, je mehr Ressourcen ein Land pro Kopf seiner Bewohner verbraucht. Wenn man beispielsweise den Energiekonsum betrachtet, haben die Amerikaner die größten Füße, Europäer und Japaner liegen im Mittelfeld. Die kleinsten Füße haben die Bewohner der Entwicklungsländer.

Doch künftig sollen alle gleich große Füße haben. Hans Joachim Schellnhuber, Klimaberater der Bundeskanzlerin, sagt: „Jeder Erdenbürger und jede Erdenbürgerin hat exakt den gleichen Anspruch auf die Belastung der Atmosphäre.“ Er errechnet eine „magische Zahl von 5500 Kilogramm Kohlendioxid auf tolerierbare Klimaschädigung.“ Lutz Wicke, ehemaliger Präsident des Bundesumweltamtes, empfiehlt: „Mit diesem Verteilungsschlüssel erhalten die bevölkerungsreichen Entwicklungsländer Überschuss-Zertifikate, die sie verkaufen können.“

Das klingt bestechend einfach und äußerst gerecht. Doch drängen sich rasch Fragen auf: Menschen in kalten Ländern müssen heizen und haben deshalb einen viel höheren Energieverbrauch als die Bewohner warmer Regionen. Darf man Sibirien und die Südsee einfach gleichsetzen? Außerdem: Haben die Menschen in einem armen Land demokratischen Zugang zu Wohlstand und Ressourcen oder profitiert nur eine kleine Oberschicht? Denn jeder hinzukommende Mensch am Existenz-Minimum verbessert rein rechnerisch die Kohlenstoff-Bilanz eines Landes. Das ist dann wohl doch nicht im Sinne des Erfinders.

Welche Blüten die Sache mittlerweile treibt, mag ein Aufsatz verdeutlichen, den die Wissenschaftszeitschrift „Climatic Change“ veröffentlichte. Jedes Baby, so die Forscher, werde Treibhausgase produzieren und damit zum Klimawandel und in der Folge zur Schädigung der Gesellschaft beitragen. Für Industrieländer taxieren sie die Kosten eines kleinen Klima-Schädlings auf 28 200 Dollar, in einem Entwicklungsland auf 4 400 Dollar. Sollten also nur noch Kinder unterhalb der Armutsgrenze geboren werden?

Die Waren- und Energieströme einer globalisierten Welt entziehen sich einfachen Aufrechnungen. Die Ressourcen, die da in den reichen Nationen verbraucht und verfeuert werden, sind ja oft Rohstoffe, auf deren Export die Entwicklungsländer dringend angewiesen sind. Selbst Bananen, werden nicht zu uns gezaubert, sondern mit Schiffen und Lastwagen transportiert. Verzichten die Europäer zugunsten des Apfels, bleiben Südamerika oder Afrika auf ihren Bananen sitzen. Umgekehrt mag ein europäischer Pharmaforscher mit seiner Arbeit einen großen ökologischen Fußabdruck hinterlassen, das Ergebnis - etwa ein neues Medikament - kommt aber Menschen in aller Welt zu Gute.

Auch das Ende des Ferntourismus wäre für viele arme Länder eine Katastrophe. Genau wie die vagabundierenden Kapitalströme gibt es auch immer mehr vagabundierende Energie, die sich nicht so ohne weiteres einem Land zuordnen lässt. Das beste Beispiel ist der Flugverkehr. Nach dem Konzept des ökologischen Fußabdruckes schädigt ein indischer Geschäftsmann, der nach Deutschland fliegt, die Umwelt erheblich weniger, als ein Deutscher Geschäftsmann, der nach Indien fliegt. Versteht das irgendjemand?

Es ist wohl nur eine Frage der Zeit bis auch Privatleuten ihr persönliches Kohlendioxid-Kontingent zugeteilt wird. Eine Rationierungsmaßnahme wie einst Lebensmittelmarken - mit denen ja auch gehandelt wurde. Die britische Regierung hat bereits Entwürfe für persönliche „Carbon-Cards“ in der Schublade,  die jeder Bürger wie eine Geld- oder Kreditkarte etwa beim Tanken oder beim Buchen eines Fluges vorzeigen muss.

Endlich hat der Staat die totale Kontrolle über das Leben des einzelnen Bürgers. Dabei werden alle gleich und ein paar noch gleicher sein. Bekommt ein Kind genauso viel Emissionsrechte wie ein Erwachsener? Ist ein Flug privat oder im Dienste der Allgemeinheit? Darf ein Landarzt mehr Auto fahren als ein Handelsvertreter? Sicher ist dabei nur eins: Politiker und Bürokraten haben freie Fahrt.

Sie lesen gern Achgut.com?
Zeigen Sie Ihre Wertschätzung!

via Paypal via Direktüberweisung
Leserpost

netiquette:

Leserbrief schreiben

Leserbriefe können nur am Erscheinungstag des Artikel eingereicht werden. Die Zahl der veröffentlichten Leserzuschriften ist auf 50 pro Artikel begrenzt. An Wochenenden kann es zu Verzögerungen beim Erscheinen von Leserbriefen kommen. Wir bitten um Ihr Verständnis.

Verwandte Themen
Michael Miersch / 03.01.2015 / 21:17 / 1

Höchst hörenswertes Interview über Reproduktionsmedizin

Heute habe ich ein Interview auf RBB-Info Radio (zu Gast bei Ingo Kahle) mit dem Kulturwissenschaftler Andreas Bernard über Reproduktionsmedizin und ihre gesellschaftlichen Folgen gehört.…/ mehr

Michael Miersch / 30.11.2014 / 11:44 / 0

PR-Plattform “Huffington Post”

Dass die deutsche “Huffington Post” ihre Seiten mit PR-Mitteilungen von Firmen und Interessengruppen füllt, ist bekannt. Hier ein besonders schönes Beispiel, ein PETA-Text aufgemacht wie…/ mehr

Michael Miersch / 11.11.2014 / 19:21 / 4

Es war einmal ein Energiekonzern, der wollte gaaanz, gaaanz lieb sein…

…und das kam dabei heraus: Pressemitteilung 11. November 2014 Mit Kuscheln Geld sparen Deutschland ist eine Kuschel-Nation. Hierzulande kuscheln rund 70 Prozent mindestens einmal pro…/ mehr

Michael Miersch / 11.11.2014 / 18:39 / 1

Windkraft immer! Tierwelt nimmer!

PRESSEMITTEILUNG Die Energiewende braucht eine Wende zugunsten der Natur! Die Deutsche Wildtier Stiftung stellt in Berlin die wissenschaftliche Studie „Windenergie im Lebensraum Wald“ vor Hamburg,…/ mehr

Michael Miersch / 10.11.2014 / 10:50 / 5

Windenergie im Lebensraum Wald

FÜR JOURNALISTEN: Morgen (Di., 11.11.2014) Pressekonferenz in Berlin zum Thema “Windkraft und Wald” Wissenschaftliche Studie belegt: Windkraftanlagen schaden der Wald-Ökologie! Im Zuge der Energiewende wird…/ mehr

Michael Miersch / 04.10.2014 / 01:17 / 6

Wachstumskritik ist ein Luxusphänomen

Wachstumskritiker gleichen Restaurantkritikern. Man darf nicht hungrig sein, um sich auf die Mängel einer Speise zu konzentrieren. Deshalb findet man in den Slums von Mumbai…/ mehr

Michael Miersch / 29.07.2014 / 18:10 / 2

Greenpeace will uns vor bösen Wissenschaftlern beschützen

Zum Stab des EU-Kommissionspräsidenten gehört auch ein Chief Scientific Adviser (CSA). Dieses Amt wird derzeit von der britischen Biologin Anne Glover vertreten. Sie vertritt, was…/ mehr

Michael Miersch / 15.07.2014 / 09:37 / 0

Gulag? Gab’s nicht

2013 besuchte ich die einzigen Gedenkstätte für ein stalinistisches Gefangenenlager, die es im weiten Russland gibt: „Perm 36“. Wie der Deutschlandfunk berichtet, ist jetzt dieser…/ mehr

Unsere Liste der Guten

Ob als Klimaleugner, Klugscheißer oder Betonköpfe tituliert, die Autoren der Achse des Guten lassen sich nicht darin beirren, mit unabhängigem Denken dem Mainstream der Angepassten etwas entgegenzusetzen. Wer macht mit? Hier
Autoren

Unerhört!

Warum senken so viele Menschen die Stimme, wenn sie ihre Meinung sagen? Wo darf in unserer bunten Republik noch bunt gedacht werden? Hier
Achgut.com