Gerd Buurmann / 07.08.2020 / 16:00 / Foto: Tim Maxeiner / 34 / Seite ausdrucken

Glanz statt Hetze

Die Kölner Oberbürgermeisterin, Henriette Reker, ruft die Kölner Bevölkerung auf, an der Aktion „Glanz statt Hetze“ teilzunehmen.

Vom 11. bis zum 17. August 2020 sollen Kölner Bürgerinnen und Bürger die sogenannten Stolpersteine putzen. Die „Stolpersteine“ sind ein Projekt des Künstlers Gunter Demnig, das im Jahr 1992 begann. Mit im Boden verlegten kleinen Gedenktafeln soll an das Schicksal der Menschen erinnert werden, die in der Zeit des Nationalsozialismus verfolgt, ermordet, deportiert, vertrieben oder in den Suizid getrieben wurden.

Für die Organisatoren der Aktion „Glanz gegen Hetze“ ist das Putzen der Stolpersteine, „nicht nur ein Akt des Gedenkens, sondern eine Aktion, die politisch ausgerichtet ist. Es ist ein Zeichen gegen die sich verstärkenden rechten Tendenzen in unserer Gesellschaft. Gerade nach Halle und Hanau ist es wichtig, dass wir alle aktiv werden. Immer glänzende Stolpersteine sollen ein deutlich sichtbares Zeichen gegen Hetze, Hass, Rassismus, Diskriminierung, Fremdenfeindlichkeit und Antisemitismus sein und durch ihren Glanz allen zeigen, dass braunes Gedankengut in unserer Nachbarschaft, in Köln und anderswo keinen Platz hat.

So sehr ich die Intention dieser Sätze verstehe, so unwohl wird mir, wenn ich den Wortlaut höre. 

Es gibt keinen Glanz im Holocaust!

Es ist wichtig, gegen Hetze, Hass, Rassismus, Diskriminierung, Fremdenfeindlichkeit und Antisemitismus zu streiten. Dafür braucht es aber keine glänzende Erinnerung an den Holocaust.

Wenn ich das Wort „Glanz“ höre, denke ich sofort an die deutsche Nationalhymne: „Einigkeit und Recht und Freiheit für das deutsche Vaterland! Danach lasst uns alle streben, brüderlich mit Herz und Hand! Einigkeit und Recht und Freiheit sind des Glückes Unterpfand: Blüh im Glanze“ der toten Juden.

Nein! Tote Juden glänzen nicht. Nein! Deutschland ist nicht besser geworden durch die Vergangenheit und auch nicht durch die deutsche Art der Bewältigung dieser Vergangenheit. Nein! Deutschland hat nichts aus der Vergangenheit gelernt. Deutschland darf nämlich nichts aus dem Massenmord lernen, weil es nichts Gutes aus dem Holocaust gibt.

Es gibt keine gute Erinnerung an das Böse. Es gibt nichts aus dem Holocaust zu lernen. Was soll es denn auch aus dem Holocaust zu lernen geben? Dass Menschen zu grausamen Ungeheuerlichkeiten in der Lage sind? Dass man Menschen nicht millionenfach vergast? Dass Juden auch Menschen sind? Dass man lieb zueinander sein sollte, egal wie man aussieht? Dass man sich wehren darf, wenn man verfolgt wird? Dass man Menschen, die andere Menschen vergasen, den Krieg erklärt? Dass man wahnsinnige Menschen mit allen Mitteln entwaffnet? All das kann man auch ohne Holocaust wissen! Der Holocaust ist keine Nachhilfe für moralisch Sitzengebliebene, sondern schlicht ein unvergessbares und unverzeihliches Verbrechen, aus dem es nichts zu lernen gibt. Unter keinen Umständen versprüht die Erinnerung an den Horror irgendeinen „Glanz“.

Das jüdische Leben kann glänzen, nicht das jüdische Leid

In Deutschland findet Judentum fast nur noch in Gedenkstunden statt. In Schulen taucht das Judentum deutlich öfter im Geschichtsunterricht auf als im Philosophie-, Ethik-, Religions- oder Gesellschaftskundeunterricht. Juden sind Gespenster von damals. Sie werden als Opfer der Vergangenen bewältigt und immer dann aus der Schublade geholt, wenn sie benötigt werden.

Jüdische Gemeinden werden oft und gerne kontaktiert, wenn ein Zeichen gegen Hass, Rassismus und Fremdenfeindlichkeit gesetzt werden soll, aber erstaunlich selten, um einfach nur zu feiern oder grundlos glücklich zu sein. Die toten Juden werden poliert und auf Hochglanz gebracht. Für die lebendigen Juden bleibt da kaum noch Zeit. 

In vielen deutschen Städten gibt es mittlerweile mehr Stolpersteine als lebendige Juden. Eine deutliche Mehrheit aller Deutschen trifft im Alltag öfter auf tote Juden als auf lebendige. Die Mehrheit der deutschen Schüler war in KZ-Gedenkstätten und weiß, wo in ihrer Nachbarschaft Stolpersteine liegen, aber sie haben keine jüdischen Freunde.

Was würden Sie über Ihre Nachbarn denken, wenn sie immer wieder zu Beerdigungen und Trauerfeiern kommen, aber nie zu Geburtstagen und Feiertagen? Im August 2020 sollen die Stolpersteine auf Hochglanz poliert werden. Dabei erfahren wir auf diesen Steinen nicht, was diese Juden erreicht haben oder wen sie geliebt und worüber sie sich gefreut haben. Wir erfahren lediglich, wann, wo und wie sie ermordet wurden. Wer Menschen auf ihren Status als Opfer reduziert, erwartet irgendwann auch von ihnen, Opfer zu sein. Der Schritt, sie zu Opfern zu machen, ist dann nicht mehr weit.

Ein Begriff wie „Glanz“ vollkommen unangemessen

Solange in Deutschland die toten Juden mehr glänzen als die lebendigen, werden es Juden in diesem Land schwer haben. Die Toten, denen wir gedenken, sind nicht mehr unter uns, um uns zu sagen, ob ihnen die Form des Gedenkens gefällt oder ob sie es gar als unwürdig erachten. Eine Instrumentalisierung der Toten für eigene Interessen und Gefühligkeiten ist unmoralisch. 

Wenn wir sagen, wir dürfen nicht vergessen, müssen wir an die Nachfahren und Verwandten der Opfer denken, also an jene, die nicht vergessen können, weil das Unvergessliche und Unverzeihliche Teil ihres Lebens ist. Sobald wir gedenken, weil wir gedenken wollen und nicht, weil wir nicht vergessen können, ist es unsere Pflicht, aufgrund des puren Vorhandenseins unseres Interesses, gedenken zu wollen, Bescheidenheit zu üben gegenüber jenen, die nicht vergessen können. Ein Begriff wie „Glanz“ ist daher in diesem Zusammenhang vollkommen unangemessen.

Juden können den Holocaust nicht vergessen. Er ist brutaler Teil der eigenen Familiengeschichte. Damit umzugehen, ist schon schwer genug. Rassismus und Fremdenfeindlichkeit sind unerträglich. Warum aber muss dafür immer wieder zwanghaft die Erinnerung an den Holocaust aufpoliert werden? 

Das jüdische Volk lebt!

Statt jüdische Organisationen nur zu kontaktieren, um gegen Rassismus und Fremdenfeindlichkeit ein Zeichen zu setzen, wie wäre es damit, jüdische Organisationen die kommenden Jahre vermehrt zu kontaktieren, um das lebendige Judentum zu feiern und zum Glänzen zu bringen? Jüdischen Organisationen brauchen keine Dramaturgen aus der Politik, die erklären, wie Nächstenliebe funktioniert. Juden brauchen mehr Nachbarn, die das Leben feiern und helfen, dass das jüdische Leben glänzen und sicher gedeihen kann. 

Wie wäre es daher damit, vom 11. bis zum 17. August 2020 nicht nur tote Juden zu polieren, sondern lebendigen Juden etwas zu schenken?

Gehen Sie auf die Homepage einer jüdischen Gemeinde oder einer jüdischen Organisation, suchen Sie nach einem Spendenkonto und überweisen Sie einen Betrag Ihrer Wahl, am besten mit dem Verwendungszweck: „Das jüdische Volk lebt!“

Das ist wahrer Glanz statt Hetze. 

Dieser Beitrag erschien zuerst auf Gerd Buurmanns Blog Tapfer im Nirgendwo“.

Foto: Tim Maxeiner

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John Spartan / 07.08.2020

Lieber Herr Buurmann: So sehr ich mit Ihrem Text sympathisiere, missfällt mir der Wortbegriff des „Holocaust“. Es ist das aus dem Altgriechischen stammende Wort, das die völlige Verbrennung von Gottesopfern (zumeist Tieren) bezeichnet. Die Juden waren aber keine Gottesopfer, sondern wurden ermordet! Ich halte es für ein Zeichen von Respekt, die Sprache der Opfer zu übernehmen und es als „Schoah“ (auch in anderer Schreibweise) zu bezeichnen. Das ist mir wichtiger, als zur eigenen Beweihräucherung so kurz vor den OB-Wahlen in NRW (was für ein Zufall

Rolf Lindner / 07.08.2020

Richtig muss es heißen: Immer glänzende Stolpersteine sollen ein deutlich sichtbares Zeichen des Missbrauchs der Moralkeulen Hetze, Hass, Rassismus, Diskriminierung, Fremdenfeindlichkeit und Antisemitismus gegen die Meinungsfreiheit sein.

Karla Kuhn / 07.08.2020

Von Anfang an habe ich diese Stolpersteine abgelehnt. Es wurden SECHS Millionen Juden auf übelste Weise hingerichtet, sehr viele Juden mußten ihre Heimat verlassen oder sich verstecken und wurden gedemütigt etc. Und nun laufen täglich wahrscheinlich TAUSENDE Menschen über diese Steine, viele wahrscheinlich OHNE Emotionen und völlig gedankenlos. In meinen Augen werden alle jüdischen Menschen, die dem mörderischen Hitlerregime zum Opfer gefallen sind damit ein zweites Mal gedemütigt. Diese Steine noch zum “GLÄNZEN” zu bringen ist für mich an Perversität nicht zu überbieten. Der Vater meiner Oma war Jude, die Mutter nicht, so konnte mein Vater gerade noch eine “arische Abstammung” in Dritten Reich erhalten, weil meine Mutter auch keine Jüdin war. Meine Oma hat nach dem Tod ihres ersten Mannes 1918,  einen Juden geheiratet, der am 17. JULI 1944 Suizid begangen hat, weil er von einem Lumpen denunziert wurde.  Eine Mitarbeiterin meines Vaters war Jüdin, unsere Kaufmannsfamilie Halbjuden, die sollten Anfang 1945 auch noch ausgerottet werden. Meine Eltern und Freunde von ihnen haben diese Menschen bis Kriegsende versteckt. Ich wurde mit dem Satz, der größte Lump im ganzen Land, das ist und bleibt der Denunziant, groß. Das ist meine persönliche Meinung und es ist mir egal, ob sich jemand daran stößt, ich ändre sie nicht. Zumal ich noch im Unrechtsstaat DDR bis 1975 gelebt habe, ist meine POLITISCHE SICHT auf viele Dinge wahrscheinlich schärfer als bei vielen “Wessis.”

Emmanuel Precht / 07.08.2020

Ein Zeichen, ein Zeichen, ein Zeichen. Hurra! Wieder ein Zeichen! Wohlan…

Karl-Heinz Vonderstein / 07.08.2020

Ich glaub, wenn man die Juden historisch gesehen immer als Opfer sieht und die Deutschen als die Angehörigen bzw. Nachfahren des Tätervolks sieht, darf man sich nicht wundern, dass so viele hierzulande es leid sind, “immer ein Schuldgefühl gegenüber Juden haben zu müssen” und es kommt denen dann wohl sehr gelegen, dass man ganz offiziell Israel als unmoralisch handelnd betrachten darf (ohne ein schlechtes Gewissen haben zu müssen), was den Konflikt mit den Palästinensern betrifft.  

Jörg Reuse / 07.08.2020

Ein interessanter Artikel - vielen Dank. Unabhängig davon, davon dass ich dem Konzept der Stolpersteine eher ambivalent gegenüber stehe - wir trampeln auf den Namen unserer ermordeten Mitbürger herum - finde ich es absolut ekelhaft wie die Opfer der Vergangenheit für aktuelle politische Zwecke instrumentalisiert werden.

Joerg Machan / 07.08.2020

Volltreffer, super Artikel, vielen lieben Dank. Wenn man sich mal die Mühe macht, und sich mal klarmacht was wir alles den Juden verdanken, dann kann man sich nur wundern, wie ein so kleines Volk soviel Wirkung erzielen konnte. Nur ein paar Beispiele und dazu immer die Frage “wer hat’s erfunden?” Die Siebentagewoche, Feiertage für alle, den Tierschutz, die Musik, das Verbot von Verstümmelung als Strafe, den Schutz privaten Eigentums, das Verbot des Opferns und vieles mehr ...

Reinhard Max / 07.08.2020

Wenn ich sehe wie der Staat mit den Toten und den lebenden Juden umgeht könnte einem der Verdacht kommen, es gilt das Motto „Nur tote Juden sind gute Juden“. So traurig es ist, aber wir haben vermehrt wirklich nichts aus dem Massenmord mit den schmissigen Namen Holocaust gelernt. Evtl. sollte man einen Massenmord oder versuchten Völkermord einfach beim Namen nennen und nicht in Begrifflichkeiten zur leichteren Verdauung kleiden. Aber darin sind wir Deutschen ja wirklich gut. Heute beginnt es wieder mit Partys, wie es endet ? Keine Ahnung aber Holocaust ist ja schon vergeben. Helfen wird’s wohl nicht.

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