Wer noch Tage nach der Iranreise der EU-Außenbeauftragten Federica Mogherini deren Namen und den jenes Landes, dessen Präsidenten sie ihre Aufwartung machte, bei Google eingab, bekam als Suchergebnis auf der ersten Seite nur ein Thema angezeigt – nämlich die „Selfies“, die zahlreiche iranische Abgeordnete im Parlamentssaal mit der Italienerin aufgenommen hatten. Mit einem „eleganten Auftritt“ habe Mogherini die Herrschaften „betört“ und ihnen „den Kopf verdreht“, schwärmte Welt Online, während andere Medien die Verärgerung iranischer Politiker in den Mittelpunkt stellten, die es wegen dieses gröblichen Verstoßes gegen die islamischen Moralvorstellungen und der angeblichen Unterwürfigkeit dem Westen gegenüber gegeben hatte.
Dass die Devotion eher auf Mogherinis Seite zu finden war, schrieb niemand, dabei kritisieren iranische Feministinnen schon seit langem westliche Politikerinnen dafür, dass diese bei öffentlichen Auftritten im Iran den Hijab oder ein Kopftuch tragen. Auch diesmal protestierten sie in einem offenen Brief, der an die EU-Außenbeauftragte gerichtet war: „Sie haben sich dieser diskriminierenden Regelung“ – gemeint ist der Schleierzwang – „während Ihres gesamten Besuchs im Iran widerspruchlos gefügt“, heißt es darin. Mit dieser Gefügigkeit unterstütze Mogherini „nicht das iranische Volk, sondern die Islamische Republik“, also das Regime.
Die Geschichte mit den „Selfies“ derart in den Mittelpunkt zu rücken, bedeutete eine bezeichnende mediale Vernachlässigung oder gar Ausblendung anderer Dinge, die im Zuge der Vereidigung des unlängst wiedergewählten iranischen Präsidenten Hassan Rouhani deutlich wichtiger waren. Nicht nur Federica Mogherini hatte die Inauguration zum Anlass genommen, den Mullahs einen Besuch abzustatten, auch andere europäische Politiker – etwa der zweite österreichische Nationalratspräsident Karlheinz Kopf und der deutsche Europa-Staatsminister Michael Roth – waren bei der Amtseinführung anwesend und trafen sich auch mit weiteren Vertretern des Regimes.
Herr Kopf und Herr Roth weisen den Weg
Liest man die Verlautbarungen, die anschließend veröffentlicht wurden, so herrschte bei den Gesprächen große Übereinstimmung hinsichtlich der Ziele: Stärkung der bilateralen Beziehungen, Umsetzung des Nuklearabkommens, Intensivierung des kulturellen Austauschs, Ausbau der wirtschaftlichen Kooperation. Alles eitel Sonnenschein also?
Für Karlheinz Kopf offensichtlich schon – er hatte jedenfalls so gar keine Kritikpunkte, pries im Gegenteil noch einmal den Atomvertrag als „historischen Wendepunkt in der Weltdiplomatie“ und bezeichnete die Aktivitäten der amerikanischen Organisation United Against Nuclear Iran (UANI) – die das Abkommen vom Sommer 2015 kritisch sieht und auch österreichische Firmen vor Geschäften im Iran warnt – empört als „Einschüchterungsversuche“ und „Drohgebärden“.
Michael Roth dagegen habe „deutlich die Einhaltung der Menschenrechte“ sowie „den Schutz von ethnischen und religiösen Minderheiten wie den Christen und den Baha’i“ angemahnt, schrieb das deutsche Auswärtige Amt. Auf die via Twitter gestellte Frage des Jungen Forums der Deutsch-Israelischen Gesellschaft, ob er den Regimevertretern auch klar gemacht habe, dass ihre Vernichtungsdrohungen gegenüber Israel inakzeptabel sind, antwortete Roth nur knapp: „Ja.“
Besonders wichtig scheint ihm das allerdings nicht gewesen zu sein, im Kommuniqué des Außenministeriums und anderen Stellungnahmen findet sich dazu jedenfalls kein Wort. Auf eine darauf Bezug nehmende und ebenfalls via Twitter gestellte Nachfrage von Mena Watch wollte Roth dann gar nicht mehr antworten.
Es gibt keine rote Linie
Es ist auch nicht zu erwarten, dass der iranische Außenminister Javad Zarif, mit dem der deutsche Staatsminister sprach, von seiner Forderung, den jüdischen Staat zu vernichten, abrücken wird. Eine rote Linie scheint das für die Bundesregierung jedoch nicht darzustellen. Auch am Plan, im Rahmen des Kulturabkommens mit dem Regime die Ausstellung des Teheraner Museum of Contemporary Art in Berlin zu zeigen, hält Roth ausdrücklich fest.
Der Leiter dieses Museums – der gleichzeitig der Vertragspartner der Deutschen war, bis ihn der stellvertretende Kulturminister Abbas Salehi in dieser Funktion ablöste – heißt Majid Moullanourouzi. Seine Einrichtung veranstaltete 2016 einen Karikaturenwettbewerb, bei dem Cartoons ausgestellt wurden, in denen die Shoa geleugnet wird. Moullanourouzi zeichnete die Preisträger persönlich aus. Zum ursprünglich geplanten Termin Ende des vergangenen Jahres kam die Ausstellung in der deutschen Hauptstadt nicht zustande, nun soll ein neuer Anlauf unternommen werden.
Mogherini, Kopf und Roth befanden sich bei Rouhanis Angelobung übrigens in der illustren Gesellschaft von allerlei Diktatoren, Autokraten und Terrorfürsten. So war beispielsweise auch der simbabwische Präsident Robert Mugabe zugegen, dem die Einreise in die Europäische Union seit 2002 aufgrund seiner systematischen Verstöße gegen die Menschenrechte untersagt ist. Ebenfalls anwesend war der Vorsitzende des Präsidiums der Obersten Volksversammlung Nordkoreas, Kim Yong-nam, einer der engsten Mitarbeiter des Diktators Kim Jong-Un. Auch Shaikh Naim Qassem, der stellvertretende Generalsekretär der Hisbollah, ließ es sich nicht nehmen, dem iranischen Präsidenten zu gratulieren. Nicht fehlen wollten zudem hochrangige Vertreter der Hamas.
Selfies mit Federica
Und während Federica Mogherini lächelnd mit allerlei Regimevertretern für „Selfies“ bereitstand, veröffentlichte Amnesty International einen Bericht, aus dem noch einmal deutlich hervorgeht, was keineswegs eine Neuigkeit ist: Unter dem im Westen als „moderat“ gehandelten Hassan Rouhani hat sich die Menschenrechtslage im Iran weiter dramatisch verschlechtert. Die Verfolgung von Menschenrechtsaktivisten hat erheblich zugenommen, die Zahl der Hinrichtungen ist gestiegen.
Besonders von den Repressionen betroffen sind Amnesty zufolge Frauenrechtler, Aktivisten gegen die Todesstrafe und Menschenrechtler, die sich für die Aufarbeitung der Massenhinrichtungen in den Gefängnissen im Sommer 1988 einsetzen. Was sagt der deutsche Staatsminister Michael Roth dazu? Dies: „Eine große Mehrheit der Menschen in Iran wünscht sich, dass Präsident Rouhani Kurs halten kann, den Ankündigungen im Wahlkampf Taten folgen und seine zweite Amtszeit mehr Öffnung im Inneren und nach außen bringt.“ Ein Statement wie aus einem Paralleluniversum, um es freundlich zu formulieren.
Kritik an Mogherinis Teilnahme an Rouhanis Inauguration kam unterdessen vom ehemaligen Präsidenten des Europaparlaments, Alejo Vidal-Quadras. Er sagte, der Auftritt der EU-Außenbeauftragten zeuge von „moralischer und politischer Gewissenlosigkeit“. Das Gleiche darf man auch mit Blick auf Kopf und Roth festhalten. Der angebliche „kritische Dialog“ mit dem Iran ist nichts als eine Schimäre, eine Irreführung der Öffentlichkeit, eine Schutzbehauptung ohne jede Substanz. Was die Europäer veranstalten, stärkt das Regime in Teheran und trägt mitnichten zur Öffnung des Iran bei, ganz im Gegenteil. Anderslautende Beteuerungen müssen vor allem in den Ohren der Verfolgten, Inhaftierten und Todeskandidaten wie blanker Hohn klingen. Aber Hauptsache, Federica Mogherini hat für ein paar schöne Erinnerungsfotos gesorgt.
Zuerst erschienen auf der Seite mena-watch.com, wo Sie auch andere Beiträge zur Lage im Nahen Osten finden.