„Wer dann nicht mehr weiter weiß, der gründet einen Arbeitskreis“, reimt der Volksmund. Ein Höhepunkt des Nicht-mehr-weiter-Wissens ist erreicht, wenn man selbigen „Krisengipfel“ nennen muss.
Zu einem solchen hat Bundeskanzler Olaf Scholz heute bekanntlich geladen. Er steht einer Regierung vor, die ihrer Gefolgschaft erfolgreich viele ideologische Lieblingsmahlzeiten serviert, wie zuletzt das sogenannte Selbstbestimmungsgesetz, nach dem man sich alle Jahre wieder für ein neues Geschlecht entscheiden kann, und das als Fortschritt verkauft. Nur mit der Organisation der Kernaufgaben des Staates, dem sie vorstehen, hapert es erheblich. Ob Energie, Verkehr, Bildung, innere und äußere Sicherheit, ja selbst bei den wichtigsten Schlüsselindustrien und beim Nährstand schafft es Deutschland kaum noch, die nötige Infrastruktur aufrechtzuerhalten, um das bislang gewohnte Lebensniveau der Bürger halbwegs zu gewährleisten.
Stattdessen wurden bis dato etliche ideologische Bastionen eisern verteidigt. Der Atomstrom soll trotz Energiemangels zum Jahresende abgestellt werden. Trotz explodierender Getreidepreise soll kein bisheriges Brachland zusätzlich unter den Pflug eines konventionell arbeitenden Landwirts kommen, um mehr Getreide anbauen zu können. Derweil wird aber das Verbot zentraler Produkte der heimischen Industrie, wie beispielsweise Kraftfahrzeuge mit Verbrennungsmotor, freudig vorangetrieben.
Zu dem in großen Teilen von der deutschen Politik selbstgemachten Notstand durch Energiewende ohne geklärte Grundlastversorgung und Störung der Wirtschaftskreisläufe durch Corona-Maßnahmen kam nun auch noch der Ukraine-Krieg hinzu, der von den hiesigen politischen Verantwortungsträgern immerhin als vorzeigbare Ursache allen Übels angenommen wurde. Dass er die bereits zuvor angelaufene Krise inklusive einer lange unbekannten Inflation dramatisch verschärft, ist unstrittig. Aber die hiesigen Regierungspolitiker der letzten Jahre für den Krisen-Kurs wollen ihre Verantwortung dafür verständlicherweise gern hinter Putins Krieg verstecken.
Irgendwie wird es schon gehen
Dummerweise sind die realen Probleme mit einer entlastenden Schuldzuschreibung nicht erledigt. Dramatisch steigende Energie- und Erzeugerpreise, Versorgungsengpässe und galoppierende Inflation und vor allem der drohende Ausfall zuverlässiger Energieversorgung, die für wichtige Teile der Wirtschaft existenziell ist, kündigen eine Krise an, wie sie kaum einer der jetzigen Deutschen aus eigenem Erleben kennt oder hierzulande für möglich gehalten hat. Und die Bundesregierung weiß nicht, was sie tun soll.
Seit etlichen Jahren schon kümmerten sich deutsche Regierungen weniger um die praktischen staatlichen Kernaufgaben, sondern lieber um vermeintlich Größeres, wie die Steuerung des Klimas. Was die Umsetzung hochmoralisch begründeter Politik für das Gemeinwesen praktisch bedeutet, war seltener Gegenstand der Diskussion, wie beispielsweise in der sogenannten Flüchtlingskrise ab 2015. Viel mehr als Sätze wie „Wir sind so ein reiches Land“ und „Wir schaffen das“ hielten die meisten deutschen Regierungspolitiker nicht für nötig, um ihre Politik zu begründen. Die Frage, wie man „so ein reiches Land“ wird bzw. bleibt, stellten sich immer weniger politische Verantwortungsträger. Die Erfüllung ideologischer Kriterien, wie der schnellstmögliche Ausstieg aus Atom- und Kohlekraftwerken gleichzeitig, war wichtiger. Die Regierenden schienen beseelt von der Überzeugung: Irgendwie wird es schon gehen, denn es ist ja immer gegangen.
Der Gedanke, dass eine Regierung sich auch um die Bedingungen für die Wertschöpfung im Lande zu sorgen hat, schien bei vielen der Menschen in Regierungsverantwortung immer mehr zu verblassen. Es funktionierte ja auch: Die Politik stellte Regelwerke auf und die Gesellschaft organisierte sich danach. So konnte es doch weitergehen. Und wenn es Probleme gab, dann beherrschten deutsche Regierende vor allem zwei Instrumente: Geld und gute Worte.
So wurde hierzulande lange Politik gemacht. Als dann vor gut zwei Jahren viele Staaten angesichts eines neuen Corona-Virus der chinesischen Idee folgten, Ausnahmezustand und Ausgangssperren zu Mitteln der Gesundheitspolitik zu machen, gefielen sich deutsche Politiker im Verhängen immer neuer gängelnder Verbote und Regeln. Dass sie dabei beinahe wie Putschisten die Freiheits- und Grundrechte der Bürger aushebelten, bekümmerte sie scheinbar wenig. Umso mehr würden sie gern etlliche Elemente des Maßnahmenstaats erhalten.
Mit Geld und guten Worten ruhigstellen
Die meisten Bürger und Unternehmen ließen sich mit Geld, viel Geld, ruhigstellen. Schwindelerregende Summen konnten deutsche Politiker plötzlich generieren und mobilisieren. Solange das Geld floss und man dafür auch auskömmlich Waren bekam, blieben die Fragen danach, ob man diese wundersame Geldvermehrung nicht irgendwann mit einer dramatischen Inflation bezahlen würde, leise und verhalten.
Doch jetzt ist sie da und obendrein eine Energiekrise. Jetzt plötzlich muss sich die Regierung zwingend um die staatlichen Kernaufgaben kümmern, weil das Gemeinwesen sonst nachhaltig gegen die Wand gefahren wird. Und das immerhin scheinen die meisten Regierungsmitglieder auch verstanden zu haben. Sie wissen nur nicht, wie sie darauf reagieren sollen. Geld und gute Worte reichen nicht mehr, beides ist im Übermaß verbraucht worden. Aber viele Regierende kennen hierzulande kaum noch etwas anderes, außer vielleicht noch eine ausgefeilte Maßnahmen-Gängelei. Aber auch die ist in dieser Energie-, Finanz- und Wirtschaftskrise wenig zielführend. Was also tun? Vielleicht findet sich ja was in den eingemotteten Werkzeugkisten der Vorfahren.
Und so gibt es heute einen Krisengipfel mit dem Bundeskanzler, einigen Ministern und Vertetern von Arbeitgeberverbänden und Gewerkschaften unter dem schönen Etikett „konzertierte Aktion“. Die selbsternannte Fortschrittskoalition konnte sich nicht einmal ein eigenes Label ausdenken, sondern hat einfach auf ein jahrzehntealtes zurückgegriffen. Die Jüngeren merken es gar nicht, und die älteren Eingeborenen der Bundesrepublik stören sich nicht daran, weil sie zumeist ohnehin kaum Erwartungen an diesen Gipfel der Hilflosigkeit haben.
Die erste „konzertierte Aktion“ gab es 1967. Es ging auch damals darum, Lohnsteigerungen möglichst moderat zu halten, um eine ständige Lohn-Preis-Spirale zu vermeiden. Diese blieb erfolglos, die seinerzeitigen wirtschaftlichen Probleme lösten sich in einem Aufschwung auf. Es folgten in Krisenjahren weitere ähnliche Versuche, die gleichfalls erfolglos blieben. Insofern ist auch von dem Krisengipfel heute nichts zu erwarten, außer, dass vielleicht über ein paar neue Maßnahmen und Regularien gesprochen wird. Das heißt, es wird wohl wieder bei Geld und guten Worten bleiben.
Welcher Gipfel wäre denn sinnvoll?
Aber was soll die Bundesregierung auch machen? Währungspolitisch kann nur die Europäische Zentralbank handeln, da ist Deutschland machtlos. Und die tatsächlich möglichen Schritte fallen allesamt aus dem ideologischen Rahmen, dem sich SPD und Grüne verpflichtet fühlen. So wäre statt eines Krisengipfels a la „konzertierte Aktion“ beispielsweise ein Kernkraftwerks-Erhaltungsgipfel, der ganz praktisch daran arbeitet, die Energielücken zu verkleinern, viel sinnvoller. Es steht allerdings zu befürchten, dass die seit Corona im Fach Maßnahmen-Gängelei erfahrenen deutschen Regierungspolitiker lieber in eine Notstands-Planwirtschaft der Rationierungen und Zuteilungen flüchten. Es steht ebenso zu befürchten, dass sie auf Gipfeln wie dem heutigen damit nicht auf den nötigen Widerstand stoßen.