Giorgia Meloni, die vor kurzem noch Verfemte, hat eine Autobiografie geschrieben, die tiefe Einblicke in einen kuriosen Werdegang eröffnet. So konnte die Italienerin zur derzeit wichtigsten und schillernsten Politikerin Europas aufsteigen. Selbstbewusst und konsequent konservativ: Ich bin Giorgia – Meine Wurzeln, meine Ideen.
„Ich habe zu viele Menschen über mich und meine Vorstellungen reden hören, um mir nicht darüber im Klaren zu sein, wie sehr ich und mein Leben in Wirklichkeit verschieden sind von dem, was man sich über mich erzählt.“
Mit dieser Erkenntnis wuchs in Giorgia Meloni der Wunsch, ein Buch zu schreiben, das weniger Rechtfertigungen als eine Fülle von Bekenntnissen bietet, die sie als Frau, Mutter, Italienerin und Ministerpräsidentin darstellen und darüber hinaus als ernst zu nehmende europäische Konservative.
Als Giorgia Meloni 2022 zur Ministerpräsidentin Italiens gewählt wurde, war die Reaktion vieler deutscher Medien von Skepsis, Sorge und teils offener Ablehnung geprägt. Ihre politischen Wurzeln in der „postfaschistischen“ Rechten Italiens, ihre scharfe Rhetorik gegen Migration und den EU-Apparat sowie ihre Betonung traditioneller Werte ließen manche Kommentatoren das Schlimmste befürchten: eine Rückkehr autoritärer Tendenzen in einem Gründungsstaat der EU.
Gefragte Gesprächspartnerin in Brüssel, Paris und Washington
Zum stereotypen medialen Framing gegen die aufstrebende Italienerin gehörten Begriffe wie „Postfaschistin“ oder „Rechtsextreme“. Doch heute, fast zwei Jahre später, ist Meloni nicht nur Regierungschefin Italiens, sondern auch eine gefragte Gesprächspartnerin in Brüssel, Paris und Washington. Die Konrad-Adenauer-Stiftung in Rom bezeichnete Melonis EU-Politik ein Jahr nach ihrem Amtsantritt bereits als "ausnehmend gemäßigt". Sie habe sich in die europäische Politik eingereiht. In der Migrationsfrage sucht die italienische Regierungschefin europäische Lösungen, im Ukrainekrieg steht sie fest an der Seite des Westens, und in der Haushalts- und Stabilitätspolitik zeigt sie pragmatische Härte. Die Panik der Anfangszeit erscheint rückblickend übertrieben – was sich in ihrem Buch „Ich bin Giorgia – Meine Wurzeln, meine Ideen“ deutlich zeigt.
In ihrer Autobiografie entwirft Meloni ein politisches Selbstbild, das mehr ist als nur konservativ: Es ist emotional, identitätsstiftend und tief im persönlichen Erleben verankert. Der Titel spielt bewusst auf ihren viel zitierten Auftritt bei einer Kundgebung im Jahr 2019 an, in dem sie in fast trotzigem Tonfall sagte:
„Ich bin Giorgia, ich bin eine Frau, ich bin eine Mutter, ich bin Christin, ich bin Italienerin.“
Diese Selbstbeschreibung durchzieht ihr Leben, ihre Karriere und folglich wie ein roter Faden das gesamte Buch, das in der Ich-Form geschrieben ist. Dabei vermischt Meloni Anekdotisches aus ihrem Privatleben mit den politischen Erkenntnissen und Entscheidungen, die für sie stets in Wechselwirkung miteinander stehen.
Weite Strecken des Buches nehmen die Schilderungen ihrer Kindheit und Jugend ein. Meloni wuchs im römischen Stadtteil Garbatella auf, einem Arbeiterbezirk mit sozial prekärer Gemengelage. Ihr Vater verließ die Familie früh, und so waren ihre Mutter Anna und Schwester Arianna die wichtigsten Bezugspunkte ihrer Jugend. Diese Phase beschreibt sie als prägend – sie hatte früh lernen müssen, dass man nicht auf Andere warten kann, um sich selbst zu retten. Das Fehlen eines Vaters und das Erleben der Mühen ihrer Mutter deutet Meloni zwar als bedrückende Erfahrungen, dennoch haben sie ihr zu Eigenverantwortung, Unabhängigkeit und Stärke verholfen.
Die Linke will nicht debattieren, sie will die Opposition delegitimieren
Als Heranwachsende schließt sich Meloni der Jugendorganisation des als neofaschistisch bezeichneten Movimento Sociale Italiano (MSI) an. Sie bekennt: „Ich war nicht mehr bereit, mich ohnmächtig zu fühlen, ich wollte einfach nicht mehr nur zusehen. Ich musste etwas tun, und das konnte nur bedeuten, dass ich mich denen anschließen musste, die ich als Alternative und Vorbild ansah, und mehr aus Instinkt als aufgrund einer rational abgewogenen Entscheidung wandte ich mich der Jugendfront des Movimento Sociale Italiano zu.“ (Wenn man sich fragt, welche Reflexe viele deutsche Jugendliche heute dazu bringen, die AfD zu wählen, wird man wohl auf ähnliche Erklärungen und Muster stoßen.)
Giorgia Meloni beschreibt diesen Einstieg ins Politische dennoch als nicht ideologisch motiviert, sondern als Ausdruck einer Suche. In ihrem Buch spricht sie von einer Art Drang nach Wahrheit und einer Rebellion gegen ein Establishment, das sie (noch immer) als elitär und abgehoben empfindet. Rückblickend verteidigt sie ihre Herkunft. Sie schäme sich ihrer Wurzeln nicht, diese hätten ihr Mut gemacht, sie selbst zu sein. Den Lesern ihres Buches verspricht sie für die Lektüre: „Also: keine Tricks, keine Täuschungsmanöver.“
Ein zentrales Motiv in Melonis Denken ist der ideologische Konflikt mit der linken kulturellen Hegemonie. Sie erhebt häufig den Vorwurf, dass konservative Meinungen systematisch diffamiert werden. Die Linke wolle nicht debattieren, sie wolle die Opposition schlicht delegitimieren. Besonders kritisch sieht sie Bildungs- und Medieninstitutionen, die eine einseitige Weltsicht verbreiten würden. Der Kampf um Sprache, Familie, Religion und nationale Identität erscheint ihr als essenziell, um Italien „sich selbst zurückzugeben“. Dabei nimmt sie kein Blatt vor den Mund.
Sprechen aus dem Stegreif, alle Zeit zum Argumentieren
Wenn Meloni ihre Rolle als Frau in der Politik beschreibt, grenzt sie sich von patriarchalen Rollenbildern genauso wie vom modernen Feminismus ab, den sie für zwanghaft und überheblich hält.
„Es passiert mir sehr oft, dass ich für das, was ich sage, von einer gewissen 'Intelligenzija' belächelt oder ausgegrenzt werde, unabhängig davon, wie und warum ich es sage, so als wenn der Kern einer Sache nicht von Interesse wäre.“
Um in Italien voranzukommen, bedarf es ihrer Ansicht nach der Besinnung auf „nicht verhandelbare Werte“, die nicht automatisch auf Mussolini zurückgingen, wie es ihr gern unterstellt würde, nur damit der Diskussion über das Wesentliche aus dem Weg gegangen werden kann.
Selbstbewusst kann sie feststellen, dass sie keine Feministin ist, weil sie sich jenseits der Rollenzuschreibungen des Feminismus bereits durchgesetzt hat. Die Mutterrolle hat dabei für sie zentralen Stellenwert. Ihre Tochter sei keine Einschränkung, sie sei ihr Antrieb. Das sind Ansichten, mit denen sie im linken Lager auf ganzer Linie aneckt. Sie beansprucht ein konsequent konservatives, aber selbstbewusst weibliches Selbstverständnis und verfängt sich erst gar nicht in den misogynen Abwertungen ihrer Gegner, die traditionell denkende Frauen gern verächtlich machen. Ihre Sicht auf Familie und Kinder als Garanten italienischer Lebensart und nationaler Identität sind Verortungen, die für sie nicht verhandelbar sind.
Meloni ist extrovertiert, sie liebt das Bad in der Menge und die freie Rede. So gesteht sie:
„Wahlveranstaltungen sind die Welt, in der ich mich am wohlsten fühle, aus zwei Gründen: Erstens, die Begeisterung der Menschen ist mein Antrieb. Und zweitens ist es das Sprechen aus dem Stegreif, auf Wahlveranstaltungen habe ich alle Zeit zum Argumentieren.“
Jedes Volk hat das Recht, sich zu schützen
Viel Raum nimmt ihre Skepsis gegenüber supranationalen Institutionen, insbesondere der EU, ein. So stellt sie fest:
„Italien ist bereits Teil Europas und der NATO. Die Frage, die diejenigen, die uns in den letzten Jahren regiert haben, nicht beantworten konnten, ist vielmehr, wie Italien sich innerhalb dieser supranationalen Organisationen verhalten soll. Entweder mit dem Stolz und der Kraft, die einer Weltmacht angemessen sind, oder als Kolonie, die die Weisungen der Partner und Konkurrenten sklavisch befolgt.“
Sie sieht in der Globalisierung eine Bedrohung für nationale Souveränität und kulturelle Identität: Ein Volk, das seine Grenzen nicht sichern könne, gäbe sich selbst auf. Die EU kritisiert sie als technokratisch und demokratisch entkoppelt. Dennoch lehnt sie einen Austritt ab und plädiert für eine Reform nach nationalstaatlich-konservativem Zuschnitt: „Europa als Vaterland der Vaterländer, nicht als Superstaat.“
Bei aller gegebenen Schärfe ihrer Standpunkte gegenüber illegaler Migration und den Maßnahmen zu ihrer Verhinderung bleibt Giorgia Meloni mitfühlend:
„Wie die Geschichten so vieler, zu vieler Fälle von Schiffbruch, die sich seit Jahren bei den Überfahrten ereignen, die man Überfahrten ,der Hoffnung‘ nennt. Bei solchen herzzerreißenden Szenen muss man keine Mutter sein, um Empathie zu empfinden und völlig entsetzt und erschüttert zu sein. Wer gleichgültig bleibt gegenüber Tragödien dieser Art, ist kein Mensch.“
Die Themen Migration, Sicherheit und nationale Zugehörigkeit sind zentrale Pfeiler ihrer politischen Agenda. Unkontrollierbare Migration beschreibt sie als Gefahr für soziale Stabilität und kulturelle Identität. Ihre Position ist klar: „Jedes Volk hat das Recht, sich zu schützen.“ Zwar warnte Meloni in der Vergangenheit vor einem „großen Austausch“ – gleichzeitig zeigt sich die italienische Regierung heute für reguläre Zuwanderung aufgeschlossener als zuvor. Melonis Ton ist konzilianter geworden, es geht ihr um Kultur und Ordnung.
„Weil ich gegen Barbarei kämpfe.“
Die Italienerin bezieht sich wiederholt auf ihren christlichen Glauben, den sie als moralisches Fundament versteht. Der Glaube ist für sie Teil der europäischen Identität, die sie gegen Relativismus und kulturelle Entwurzelung verteidigen will. Religion erscheint ihr nicht nur als individuelle Haltung, sondern als kulturelles Bindeglied für (christliche) Gesellschaften. Meloni nimmt hier klassisch konservative Haltungen ein, die sich für „progressiv“ denkende Italiener wie Rückschritte anfühlen. Für Meloni ist die Rückbesinnung auf ein traditionelles Familienbild und der Schutz des ungeborenen Lebens Ausdruck christlicher Werte.
Wenn Sie den „Fortschrittsgedanken“ sogenannter progressiver, linker Politik verurteilt, sieht sie sich moralisch verpflichtet. Sie sagt:
„Wobei unter ,Fortschritt‘ unter anderem die Gender-Theorie, die Leihmutterschaft und die Abtreibung im neunten Monat verstanden werden. Oh ja, ich kämpfe gegen diese Praktiken. Aber nicht, weil ich gegen den Fortschritt wäre, sondern aus einem diametral entgegengesetzten Grund: weil ich gegen Barbarei kämpfe.“
„Ich bin Giorgia“ ist mehr als nur eine Autobiografie – es ist ein strategisch formuliertes Selbstporträt, das persönliche Erfahrungen mit politischen Botschaften verwebt. Meloni nutzt ihre Lebensgeschichte, um eine konservative Vision Italiens zu entwerfen: stark, wertebewusst, optimistisch – für Unterstützer ein identitätsstiftendes Manifest, für Kritiker ein Dokument kultureller Polarisierung – in jedem Fall ein aufschlussreiches Zeitzeugnis für den Wandel rechter Politik in Europa.
Ermutigung an ermattete Politiker und die schweigende Mehrheit
„Von einem Tag auf den anderen wurde ich […] von einer langweiligen Politikerin zu einer Art Pop-Ikone“, bemerkt die Autorin. Heute stellt sich Giorgia Meloni als „Role Model“ für eine mehrheitsfähige bürgerliche Politik dar, die von einem proaktiven, konservativen Habitus geprägt ist. Während in Deutschland die größte Oppositionspartei glaubt, nahezu im Schlafwagen zur Macht zu fahren, indem sie das unabwendbare Scheitern der anderen Parteien nur abzuwarten brauche und sich der eigene Machtanspruch quasi von selbst ergäbe, gelingt es der italienischen Regierungschefin, Kritiker eines Besseren zu belehren und die gegnerischen Parteien mit vernünftigem Handeln und freundlicher Wesensart in die Defensive zu bringen. Es ist schwer, dieser Frau beizukommen, finden selbst ihre Kritiker.
Nicht nur für Italien, auch für Deutschland eröffnet Melonis Buch eine Perspektive auf einen frischen Typus konservativer Politik. Ihre Biografie beschreibt, wie sich standhafte Werte, kulturelle Identität und politischer Gestaltungswille zu einem modernen, glaubwürdigen konservativen Profil verbinden lassen – ohne in ideologische Härte oder extreme Rhetorik abzurutschen.
Für die bürgerliche Mitte in Deutschland bietet Giorgia Melonis Werdegang Anknüpfungspunkte und Ideen, wie konservative Politik jenseits technokratischer Verwaltung und radikaler Vereinfachung wieder lebendig werden kann: wertebasiert, emotional verankert und politisch anschlussfähig. Ihre Haltung – „Ich bin eine Mutter, ich bin Christin, ich bin Italienerin“ – spricht auch in Deutschland viele an, die sich von der angeblichen „politischen Mitte“ nicht mehr repräsentiert fühlen. In diesem Sinne kann ihr politischer Stil helfen, radikale Positionen wieder in klassische, konservative Wertemodelle zu integrieren – nicht durch Abgrenzung, sondern durch klares, selbstbewusstes Handeln.
„Ich bin Giorgia“ möchte eine strategische Ermutigung an ermattete Politiker und jene schweigende Mehrheit sein, die (auch in Deutschland) endlich ihr gesellschaftliches Gewicht wiederfinden möchte.
Das Buch erscheint am 06.06.2025 auf Deutsch. Sie können es hier im Achgut-Shop vorbestellen:
Giorgia Meloni / „Ich bin Giorgia – Meine Wurzeln, meine Ideen.“
Europa Verlag / Hardcover / 21.0 x 13.0 cm / ISBN 978-3-95890-654-9 / 26,00 €
Fabian Nicolay ist Gesellschafter und Herausgeber von Achgut.com.