Giordano Bruno: Ein gequältes Genie 

Am 17. Februar des Jahres 1600 – der Jahrestag war am vergangenen Wochenende – haben sie Dich verbrannt. Wegen „Ketzerei“ – und Deinem Widerspruch gegen das Dogma einer herrschenden Ideologie.

Auf einem Scheiterhaufen, mitten in Rom, vor den Augen der jubelnden Meute, haben Dich die „Würdenträger“ gefesselt, erniedrigt, beschimpft und schließlich angezündet. Zu klug, zu rebellisch, zu fortschrittlich waren Deine Gedanken. Zu weit voraus waren sie Deiner noch dunklen Zeit und ihren noch finsteren Bewahrern. Nur um Augenblicke wurdest Du zu früh hineingeboren, in eine gerade erst beginnende Epoche der Aufklärung. Heute, nach fast einem halben Jahrtausend, stellen Deine damaligen Gedanken ein nahezu vollständig etabliertes Grundverständnis dar. Doch was genau hast Du eigentlich gesagt?

  • Die Kopernikanische Lehre, nach der die Erde die Sonne umkreist und nicht die Sonne die Erde, ist die Wahrheit.
  • Die Sterne, die wir am Himmel sehen, sind entfernte Sonnen, so wie die unsrige.
  • Diese Sonnen besitzen möglicherweise eigene Planeten.
  • Diese Planeten beherbergen möglicherweise Leben.
  • Der Kosmos ist unendlich, und es gibt vermutlich unendlich viele Lebewesen auf anderen Planeten im Universum.
  • Reisen zum Mond und anderen Gestirnen sind möglich, und begrenzte Horizonte können dereinst überwunden werden.
  • Der christliche Gottesbegriff sowie „Dreifaltigkeit“, „Jungfrauengeburt“ und die „Gottessohn“-Theorie“ sind mit einem rationalen, wissenschaftlichen Weltbild unvereinbar.
  • Natur, Kosmos und Gott sind eins.
  • Hehres Ziel ist es, die Wissenschaft und die Kenntnis der natürlichen Dinge zu verbessern und eine Philosophie zu erreichen, die die Vervollkommnung des menschlichen Intellekts am leichtesten und vorzüglichsten herbeiführt und der Wahrheit der Natur am meisten entspricht.

Was würde ich darum geben, Dir heute sagen zu können, wie weise, wie klug und wie fortschrittlich Du warst, Giordano Bruno – und wie dankbar wir heute auf den Schultern von Riesen wie Dir stehen dürfen.

Neudenker, Querdenker, Umdenker und Groß-Denker

Doch wer warst Du eigentlich – Du wissbegieriger, unruhiger Neudenker, Querdenker, Umdenker und Groß-Denker? Im italienischen Neapel des Jahres 1548 wurdest Du geboren, als schmächtiger Sohn einfacher Leute. Schon als „Teenager“ warst Du wissenschaftlich interessiert, fandest Dich allerdings, von Sinnsuche geprägt, alsbald in einer Priesterausbildung des Dominikanerordens wieder, um vor allem Philosophie studieren zu können, was unter anderen Umständen kaum oder gar nicht möglich war. Innerhalb des Mönchsordens fielst Du umgehend durch Fehlverhalten auf, als Dich die stumpf-dogmatische Heiligenverehrung anwiderte. 

Als 28-Jähriger gerietst Du in seinem Heimatland Italien zum ersten Mal unter Verdacht der Ketzerei, weil Du immer größere Zweifel an den grotesken und logisch wie wissenschaftlich nicht haltbaren Kirchenlehren hegtest und diese Bedenken auch offen äußertest. Nach Deinem Austritt aus dem Mönchsorden lehrtest Du in privatem Unterricht endlich Astronomie – wozu Du Dich innerlich berufen fühltest. Dennoch geriet Dein Leben zur ständigen Flucht vor dem Arm der Kirchenfaust. Weder in Italien, der Schweiz, Frankreich noch England konntest Du lange Fuß fassen. Selbst der neu aufkommende calvinistische Protestantismus bot Dir rational denkendem Genius keine Zuflucht und Du musstest, um einer Inhaftierung durch jene neue, ebenso fanatisch agierende Religionsdoktrin zu entgehen, aus der Schweiz flüchten. 

Du lehrtest an der Universität von Toulouse und galtest dort aufgrund Deines phänomenalen Gedächtnisses als Genie. Über Paris und Oxford gelangtest Du schließlich 1584, als 36-Jähriger, nach London, wo Du die dortige geistig und wissenschaftlich rückständige Professorenelite kritisiertest und karikiertest – was Dir zwar auf unnachahmliche Art gelang, Dir in der Folge allerdings jegliche Unterstützung versagte. Wieder nach Paris zurückgekehrt musstest Du nach der dortigen Aufruhr, die Deine 120 Thesen gegen die aristotelische Naturlehre erregten, Frankreich verlassen und Dich schließlich im deutschen Wittenberg niederlassen, wo Du an der dortigen Universität freie Vorträge über Philosophie, die Fehler des Aristoteles, Mathematik und Metaphysik hieltest.

Aufgrund von massiven Diskrepanzen mit der herrschenden Lehrmeinung war Dir auch dort kein Bleiben vergönnt, und Du flohst zunächst nach Prag, von dort jedoch wieder zurück in deutsche Lande. Auch aus Frankfurt am Main wurdest Du schließlich 1591, nach nur einem Jahr Aufenthalt, von den Stadtherren verbannt, da Du Dir in der theologisch-philosophischen Schlangengrube der damaligen Zeit nahezu alle alteingesessenen Lehrkräfte mit Deiner beißenden Religionskritik zu Feinden machtest.

Inspiration für geistig unabhängige und wissenschaftlich denkende Menschen

Aus Heimweh – wie Du schriebst – in Dein Geburtsland Italien zurückgekehrt, wurdest Du 1592 schließlich von der kirchlichen Inquisition verhaftet. In fast acht Jahren elender Kerkerhaft wollte man Deinen Geist und Willen brechen, und die Kirche verlangte von Dir den Widerruf Deiner Thesen. Am 8. Februar 1600 wurdest Du wegen „Ketzerei und Magie“ aus der Kirche ausgeschlossen. Alle Deine Schriften wurden verboten, und die Kleriker befahlen, Deine gesamten Werke öffentlich zu zerreißen und zu verbrennen. Deine Bücher wurden von der Kirche auf den Index der verbotenen Schriften gesetzt – wo sie (man mag es kaum glauben) bis zu dessen Abschaffung im Jahr 1966 (!) verblieben. 

Schließlich hat man Dich brillanten Philosophen und Astronomen zum qualvollen Tod auf dem Scheiterhaufen verurteilt. Von den Jahren der barbarischen Kerkerhaft körperlich gebrochen, wurdest Du großer Vordenker Deiner Zeit vor 424 Jahren, am 17. Februar 1600 in Rom lebendig verbrannt. Dich geistig zu brechen, war Deinen Folterknechten nicht möglich. Denn nach der Urteilsverkündung sprachst Du die Worte: „Mit größerer Furcht verkündet ihr vielleicht das Urteil gegen mich, als ich es entgegennehme“. Dein letzter Satz hat die Jahrhunderte überdauert – die Namen seiner Peiniger haben es nicht. 

Mein Dank gilt Dir, dass es Dich gab, Giordano Bruno. Du wirst nicht nur mir ein Vorbild bleiben, sondern für alle Zeiten eine Inspiration sein für geistig unabhängige und wissenschaftlich denkende Menschen, die sich für die Werte des Humanismus, der Aufklärung, der kritischen Rationalität, der Selbstbestimmung, der Freiheit und der sozialen Gerechtigkeit einsetzen. Für Menschen, die den Kosmos als einen komplexen, natürlichen Ort erkennen, in den wir keine Götter, Dämonen, Hexen oder Teufel hinein erfinden müssen, um dessen Existenz zu begründen. Ein Vorbild für alle Menschen, die auf der Suche nach Erkenntnis und Wahrheit sind. 

 

Jörg Schneidereit, geb. 1968 in Jena, ist seit rund 25 Jahren freiberuflich als Schmuckdesigner, Fotograf sowie Restaurator ehrwürdiger, historischer Gebäude in Irland und Deutschland tätig. Nach 15 Jahren auf der grünen Insel lebt er nun auf einem 600 Jahre alten, selbst restaurierten Hof nahe Jena.

Foto: Montage Achgut.com/Jastrow via Wikimedia Commons

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Hans-Peter Dollhopf / 19.02.2024

Menschen lebendig verbrennen ist ... krass ...  Am 7. Oktober 2023 verbrannten Hamasmoslembrüder Juden lebendig in deren Dörfern und Städten. Man muss kein verhinderter Nobelpreisträger des 16. Jahrhunderts sein, lebend verbrannt zu werden. Jude sein in meiner Zeit ist Anlass.

Sean Magner / 19.02.2024

Mit Giordano Bruno vehält es sich schon ein wenig anders. Bitte das historische Standardwerk von Prof. Arnold Angenendt “Toleranz und Gewalt” nutzen! Wie Galilei war Bruno ebenfalls eine illustre, unstete, psychisch auffällige Persönlichkeit, die zuvorderst Aufmerksamkeit wollte. Quer durch Europa legte er sich mit allen und allem an, hielt es nie länger aus: nachdem er mit 17 Dominikaner wurde, verließ er mit 28 den Orden wieder und begann ein “Wanderleben”. In Genf wurde er Protestant und legte sich mit den Calvinisten an, wurde exkommuniziert und eingekerkert. Stationen waren Toulouse, Paris, Oxford, wo man ihm wegen Plagiatsvorwürfen und skurrilen Ideen einen Lehrstuhl versagte. Er rächte sich mit hemmungsloser Polemik am Oxforder Gelehrtenstand und ging wieder nach Paris. Dort provozierte er die Aristoteliker und in seiner Rechthaberei verfasste er eine Schmähschrift gegen einen Mathematiker. Es folgten Marburg, Wittenberg, Prag, Helmstedt, wo ihn die Lutheraner exkomminizierten. Der Frankfurter Stadtrat verwies ihn der Stadt. Über Zürich gelangte er wieder zurück nach Italien, wo er sich in Venedig mit seinem Gönner anlegte, der ihn schließlich an die Inqusition verriet. Er leugnete kath. Glaubenswahrheiten, wobei es nicht so sehr um das was ging, sondern um das wie! Er verspotte jahrundetelanges Ringen der Geistlichkeit unter Anrufung des Hl. Geistes. Im Wissen um Bruno’s psychische Auffälligkeit, zögerte die Inquisition sehr lange.  Schließlich überstellte man ihn der weltlichen(!) Gerichtsbarkeit mit der ausdrücklichen Bitte, Milde walten zu lassen und KEINE(!) Strafen gegen Leib oder Leben zu verhängen. Das weltliche Gericht des Gouverneurs der Stadt Rom kam dieser Bitte nicht nach und entschied anders. Sein Schicksal wurde dann in der Folge von antipäpstlichen und atheistischen Kräften hochstilisiert, was bis heute seine Wirkung zeigt. Anders als die weltliche Macht, hat die Kirche ihre Schuld an dem Vorgang, wenn auch viel zu spät, immerhin eingestanden

gerhard giesemann / 19.02.2024

@Johannes Sch.: Whataboutism vom Feinsten. Habe ich auch mal so gelesen; man wollte dem offenbar das große Maul stopfen, @Mathias H. Wobei ein paar Maulschellen auch gereicht hätten ... . Aber das Volk wollte ebend auch seinen Spaß haben, nicht wahr?

Heinrich Moser / 19.02.2024

Kann es sein, dass er die Bibel in die Vitrine warf und deshalb aus Neapel nach Rom floh, dort den Papst belog und anschließend, obwohl hochgeehrt, vor sämtlichen Dienstgebern in Europa fliehen musste, weil jeder, der mit ihm zu tun hatte, ihn umbringen wollte? Kann es sein, dass die Inquisition ausdrücklich darum bat, ihn an Leib und Leben zu schonen? Die linke Wikipedia ist ein Füllhorn an Differenzierung gegen diesen Artikel. Seit ich Achgut lese, ist mir kein so schlechter Artikel untergekommen.

Prisca Kawubke / 19.02.2024

Danke für den Artikel und die Erinnerung an diesen Menschen. Für mich war es sowieso immer völlig unvorstellbar, was die (katholische) Kirche alles mit Menschen gemacht hat, die ihr nicht nach dem Mund geredet haben. Und als Kontrast dazu die moralisierende Selbstgerechtigkeit, die aus tiefstem Herzen kommende Überzeugung, Recht zu haben und alles nur zum Guten zu tun. Das haben die ernst gemeint. Für mich war das immer alles weit weg: zeitlich und auch geographisch. Nun haben wir eine reale Bedrohung, nein, nicht vor der Haustür, sondern schon im Haus drin. Glaubt doch wohl selbst keiner, dass der Islam uns unsere Freiheiten lassen wird, wenn er erst so mächtig geworden sein wird, dass wir nur noch weglaufen oder uns unterwerfen können. Keine äußeren Freiheiten, keine inneren Freiheiten. Das wird dann mal gewesen sein! Und da werden sich dann einige ganz dumm fragen, wie es wohl so weit kommen konnte…? Wenn man nur ein bisschen Realitätssinn und gleichzeitig Phantasie hat, weiß man, dass wir wieder so ähnlich leben werden wie damals in Giordano Brunos Zeiten. Und dann wird man selbstverständliche Dinge nicht mehr sagen können, nicht mehr schreiben können, am Ende nicht mehr denken können. Und diese Religionspolizei wird noch viel schlimmer werden. Denkt mal an die Frau in Afghanistan, die vor vielen Jahren in Kabul in der Öffentlichkeit gelyncht und am Ende vom Mob verbrannt wurde, weil jemand dachte, sie hätte den Koran öffentlich geschändet. Davon gibt es Videos im Internet - ich habe mir das angesehen, es ist fürchterlich! Aber leider ist das menschliche Gehirn nicht dafür gemacht, weit in die Zukunft zu denken oder auch nur 200 Kilometer weiter. So wie die meisten nie den Zinseszins verstehen werden, werden sie nicht begreifen, dass wir wieder ein Gottesstaat werden, nur diesmal kein katholischer, sondern ein islamischer, vielleicht sogar mit Hilfe so mancher Katholiken, wer weiß.

Wilfried Janssen / 19.02.2024

„ Selbst der neu aufkommende calvinistische Protestantismus bot Dir rational denkendem Genius keine Zuflucht und Du musstest, um einer Inhaftierung durch jene neue, ebenso fanatisch agierende Religionsdoktrin zu entgehen, aus der Schweiz flüchten.“ ### Warum sollten ausgerechnet die Calvinisten in ihrem totalitären Gottesstaat für einen Menschen wie Giordano Bruno interessant sein? Es ist doch eher klar, daß er von genau dort ebenso fliehen mußte!

Sam Lowry / 19.02.2024

“Dieses Europa (2024) ist eine Kloake voll mit dämlichem Getue.” Dieser Satz sollte in die Geschichtsbücher eingehen. So wahr!

Mathias Hartmann / 19.02.2024

Man muß bei historischen Bewertungen vorsichtig sein und genau nachlesen. Bruno wurde nicht für seine naturwissenschaftlichen Auffassungen zum Tode verurteilt, sondern für seine religiösen. Die Idee eines unendlichen, mit Sternen gefüllten Universums veröffentlichte vor ihm schon Thomas Digges (der die Sterne aber noch nicht für Sonnen hielt). Außerdem hatte er einen schwierigen Charakter. Zitat Wikipedia: Dem Historiker Mordechai Feingold zufolge „sind sich Bewunderer und Kritiker Giordano Brunos im Grunde darin einig, dass er aufgeblasen und arrogant war, seine Meinungen hoch bewertete und wenig Geduld mit jedem zeigte, der ihm auch nur ansatzweise widersprach”. Hochmut galt als schwere Sünde.

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