Der Vergeltungsschlag der Israelis kam als völlige Überraschung für die Hamas im Gaza. Normalerweise taucht die Führung der Hamas bei Spannungen in den Untergrund ab, doch am Samstag war sogar Taufik Jaber, der Hamas-Polizeikommandant, im Hauptquartier in Gaza erschienen. Er wohnte einer Abschlusszeremonie neuer Kadetten bei. Das wurde ihm zum Verhängnis: Die israelische Luftwaffe brauchte Samstagvormittag nur 3 Minuten und 40 Sekunden, um mehr als 100 Installationen der Hamas in Schutt und Asche zu legen. Polizeistationen, Waffendepots, Ausbildungslager, Kommunikations- und Kommandozentralen wurden in einem koordinierten Angriff von 110 Flugzeugen mit mehr als 100 Tonnen Sprengstoff dem Erdboden gleichgemacht. Generalleutnant Jaber und rund 80 Kadetten fanden dabei den Tod, etwa 270 Palästinenser sollen in den Angriffswellen, die Gaza seither an mehr als 250 Stellen heimsuchten, getötet, an die 800 verletzt worden sein: „Wir werden die Infrastruktur der Macht der Hamas im Gazastreifen vernichten”, erklärte ein hochrangiger Militär.
Dabei hätte die Hamas nicht überrascht sein dürfen. Schließlich hatte sie vor neun Tagen einseitig den sechsmonatigen Waffenstillstand mit Israel aufgekündigt und damit begonnen, israelische Städte täglich mit Granaten und Raketen zu beschießen. Mehr als 300 Projektile gingen in der vergangenen Woche in Israel nieder. Premierminister Ehud Olmert fuhr eine untypisch zurückhaltende Politik: nur einmal, im Golfkrieg 1991, hat Israel einen so intensiven Beschuss stillschweigend über sich ergehen lassen. Bis zuletzt hatte Olmert die Palästinenser gewarnt: „Das ist unser letzter Aufruf: Stellt das Feuer ein. Wir sind stärker als ihr, es wird bei euch viel Blut geben”, sagte Olmert in einem Interview im arabischen Satellitenfernsehen.
Die Hamas antwortete in der Nacht mit 25 Granaten und zwei Raketen. Selbst Warnungen aus Kairo schlug sie in den Wind. Als am Mittwoch mehr als 80 Raketen an einem Tag explodierten, fiel in Israel die Entscheidung:„Wir wollen im Süden die Spielregeln von Grund auf verändern”, erklärte Verteidigungsminister Ehud Barak das Hauptziel der Angriffe.
Nun sind Hamas und Israel in einen Abnutzungskrieg verwickelt. Die Leichenhäuser in Gaza quellen über, Tote müssen bis zur Bestattung in ungekühlten Räumen aufbewahrt werden. Die Identität der meisten Toten ist noch ungewiss: „Es sind fast nur Kinder, Frauen und alte Männer”, behauptete Hamassprecher Fauzi Barhum aus seinem Unterschlupf, den er aus Angst vor israelischen Bomben aufgesucht hat. „Wir werden Israel nie anerkennen, sondern bis zum letzten Blutstropfen widerstehen. Wir haben das Recht, gegen die Besatzung zu kämpfen”, so Barhum.
Medizinische Quellen aus Gaza zeichneten ein anderes Bild. Sie sprachen von „mindestens 15 Zivilisten”, die sich unter den Toten befänden. Israelische Kampfpiloten berichteten von „Alpha-Treffern”, der genauen Zerstörung ihrer Ziele. In Israel glaubt man, die meisten Opfer seien Kämpfer der Hamas. Nachdem die Überraschung im ersten Angriff erzielt worden war, erhielten die Bewohner Gazas in automatisierten Anrufen der Armee die Warnung, sich von Hamasinstallationen zu entfernen. Darunter befinden sich zum Beispiel auch unterirdische Waffendepots, die die Hamas inmitten von Wohngegenden angelegt hat. Sie waren das Ziel der zweiten Angriffswelle.
Die Hamas hielt ihrerseits den Beschuss israelischer Städte weiter aufrecht. Am Samstag gingen mehr als 100 Raketen auf Israel nieder, heute wurde erstmals die Stadt Aschdod, fast 40 Kilometer nördlich von Gaza, Ziel zweier Raketen. Auch in der Stadt Beer Scheva, die viertgrößte Stadt Israels, wurden die Bewohner dazu angehalten, sich in der Nähe der Bunker aufzuhalten, die Schulferien im Süden des Landes wurden unbegrenzt verlängert. In den Einkaufszentren von Tel Aviv wird man seit Samstag wieder auf Bomben untersucht: die Hamas hatte mit Selbstmordattentaten gedroht.
Verteidigungsminister Ehud Barak erklärte, die Militäraktion werde „lange andauern”. Das Kabinett genehmigte der Armee am Sonntag die Einberufung von 6500 Reservisten, große Truppenverbände sind an der Grenze zu Gaza bereits zusammengezogen worden. Israel scheint entschlossen, die Hamas in die Knie zu ringen. „Wir werden es nicht wieder hinnehmen, dass jeder fünfte Israeli zu einer Geisel der Raketen der Hamas wird. Wir werden so lange kämpfen, bis die Islamisten einsehen, dass der Beschuss Israels sich nicht lohnt”, sagte eine hochrangige Quelle im israelischen Außenministerium.