Der palästinensische Bürgerkrieg erreicht neue Höhen. Schwarze Rauchwolken zogen gestern über Gaza Stadt, während im Hintergrund unaufhörlich Schüsse aus Maschinenpistolen durch die menschenleeren Straßen peitschten. Dumpfe Explosionen von Mörsergranaten und Raketeneinschlägen wurden vom tiefen Rattern schwerer Maschinengewehre begleitet, als bewaffnete Anhänger der oppositionellen Fatah und der islamistischen Hamas sich in der bisher schwersten Runde der Bruderkämpfe bekriegten. Dem Roten Halbmond gingen die Blutkonserven aus. Er rief die Bevölkerung dringend dazu auf, Blut zu spenden, nachdem seit der Nacht zum Freitag bis gestern Nachmittag mindestens 17 Menschen in den Zusammenstößen getötet und mehr als 185 verletzt wurden. Die lokalen Radiostationen sendeten Kriegslieder, die die Anhänger der verschiedenen Parteien aufforderten, Rache zu verüben. Selbst hartgesottene Bewohner Gazas verließen gestern ihre Häuser nicht mehr, Bewaffnete errichteten aus Schutt und Müll allerorts Straßensperren. Nachdem eine Frau von einer irregeleiteten Kugel in ihrem Haus getötet wurde “halten wir großen Abstand zu allen Fenstern”, so ein Reporter aus Gaza im Gespräch mit unserer Zeitung.
Der wacklige Waffenstillstand zwischen Hamas und Fatah brach nach kaum zwei Tagen zusammen, als ein aus Ägypten einreisender Konvoi der Fatah-nahen Präsidentengarde in einem Hinterhalt der Hamas angegriffen wurde. Laut Angaben der Hamas handelte es sich um eine Waffenlieferung an die Fatah, was von israelischen und ägyptischen Quellen bestritten wurde. Bei dem Angriff mit Panzerfäusten und Maschinengewehren kamen fünf Mitglieder der Garde ums Leben. Später flammten allerorts in Gaza die Kämpfe auf. Nachdem der Amtssitz des Präsidenten Machmud Abbas mit Granaten beschossen wurde, griff ein Kontingent der Präsidentengarde gestern die Islamische Universität in Gaza, eine Hochburg der Hamas, an. Dabei will sie laut anonymen Quellen sieben iranische Militärberater, samt iranischen Pässen, festgenommen und neun Hamaskämpfer getötet haben. Ein Berater soll sich vor seiner Festnahme das Leben genommen haben. Wie Quellen in der Fatah weiterhin berichteten, soll der ranghöchste Iraner, angeblich ein General und Experte der Chemie, Hamasaktivisten beim Bau von Raketen und Granaten geholfen haben. Offizielle Sprecher der Fatah nahmen zu den Berichten keine Stellung, die Hamas stritt die Präsenz iranischer Berater kategorisch ab.
Israelische Geheimdienstquellen sagten dieser Zeitung, dass sie bisher keine Hinweise zur physischen Präsenz iranischer Revolutionswächter in Gaza hätten, hochrangige Offiziere bestätigten aber, dass der Iran der Hamas seit Monaten zumindest indirekt finanzielle und militärische Hilfe leiste. Da die Präsidentengarde bis zum Abend keine Beweise ihres “Fangs” präsentierte, äußerten sich die meisten Beobachter in Gaza skeptisch über den Bericht. Die Kämpfer der Präsidentengarde verließen den Campus nach mehreren Stunden, nachdem sie laut eigenen Angaben mehr als 1000 Sturmgewehre, Panzerfäuste und Granaten beschlagnahmt hatte.
Im Chaos Gazas gab es keinen sicheren Zufluchtsort mehr. Eine Radiostation wurde von Hamasaktivisten gesprengt. Aktivisten beider Seiten versuchen seit Tagen, die Krankenhäuser in ihre Gewalt zu bringen, um die medizinische Versorgung der eigenen Kämpfer und den Tod ihrer Gegner sicher zu stellen. Ein Krankenhaus wurde im Laufe eines Gefechts durchlöchert. Polizeistationen und Ministerien wurden ebenfalls zu Zielen der Angriffe. Dabei machten laut manchen Berichten die Angreifer auch von schwerem Gerät wie Planierraupen Gebrauch. Vor diesem Hintergrund erscheinen die zahlreichen Berichte über eine baldige Bildung einer Einheitsregierung unwahrscheinlich. Abbas soll trotzdem nächste Woche in Saudi Arabien zu Gesprächen mit Hamasführer Khaled Maschal zusammenkommen.
Siehe auch:
http://english.aljazeera.net/NR/exeres/5F3DA36D-DC51-4DFE-8DFE-DFBD7B79FE41.htm
“Hamas has accused Washington of trying to provoke a Palestinian civil war by granting $86 million to bolster Fatah security forces.”