Wolfram Weimer / 19.09.2009 / 14:45 / 0 / Seite ausdrucken

Gewinner des Wahlkampfs

In Wahlkämpfen werden Karrieren gemacht und vernichtet. Sie sind „defining moments“ ihrer Parteien. Wer sich in diesen Schlachten gut schlägt, der wird häufig mit künftiger Macht belohnt. Und umgekehrt. Darum lohnt eine personelle Bilanz des Bundestagswahlkampfes 2009. Verlierer gibt es viele, schillernd-peinliche wie Ulla Schmidt, Pechvögel wie Franz-Josef Jung, tragisch-tapfere wie Frank-Walter Steinmeier und still-entmachtete wie Wolfgang Schäuble.
Interessanter ist der Blick zu den Gewinnern, denn sie verkörpern die Zukunft. Der große Durchstarter auf Seiten der geprügelten SPD heißt Sigmar Gabriel. Er hat sich als mit Abstand bester Wahlkämpfer seiner Partei entpuppt. Er ist zwar kein Sympath, neigt zur Polemik und in Berlin schwankt sein Image zwischen „dem Lothar Mathäus der deutschen Politik“, „der letzten roten Dampframme“ und „der Roland Koch der SPD“. Doch anerkennen alle seine Mobilisierungskraft und seine rhetorische Wucht. Er hat der verzweifelt defensiven SPD mit der Atomkraft-Debatte das einzige Offensivthema beschert und es mit diabolischer Lust geschickt platziert. In jedem Fall hat Gabriel seine Position im anstehenden Machtkampf um die SPD-Spitze deutlich verbessert. Seine Konkurrenten Nahles, Wowereit und Scholz sind dagegen allesamt blass geblieben.
Der große Wahlkampfgewinner der Union heißt Karl-Theodor zu Guttenberg. Da sein spektakulärer Aufstieg in den Sympathierankings nicht nur etwas mit Stil und Rhetorik, sondern vor allem mit Haltung zu tun hat, ist er auch perspektivisch zu einer Schlüsselfigur des bürgerlichen Lagers geworden. Er wird neben Angela Merkel am häufigsten zitiert wie plakatiert und ist nach dem Abtritt von Friedrich Merz ins ordnungspolitische Vakuum der Union vorgestoßen. Heute gilt er als die klare Nummer zwei der CSU, als der logische Nachfolger von Horst Seehofer in dessen Ämtern.
Bei der FDP heißt der Sieger Guido Westerwelle, denn erst jetzt akzeptieren auch die hartnäckigsten Kritiker seine Leistung. Der große Neu-Aufsteiger der Liberalen aber ist Otto Fricke. Der Krefelder Rechtsanwalt war bislang nur den Politprofis in Berlin bekannt. In diesem Sommer aber erlebte der Blitzgescheite seinen politischen Durchbruch. Als Vorsitzender des Haushaltsausschusses wurde er zu einer Schlüsselfigur nicht nur der Dienstwagenaffäre. Er beeindruckte vor allem in einer fulminanten Serie von TV-Auftritten durch seine seltene Kombination aus verbindlicher Sachkenntnis und warmer Rhetorik. Zuweilen wirkt er noch wie der bebrillte Ethik-Fachreferent auf evangelischen Kirchentagen. Aber seine junge Seriosität hat ihn zum ernsten Ministerkandidaten werden lassen. Fricke könnte in einer schwarz-gelben Kabinettsbildung sogar dem altgedienten Otto Solms als künftiger Finanzminister gefährlich werden.
Bei den Grünen trägt der Sommersieger Kotelleten. Cem Özdemir hat mit einem deutlich konzilianteren Duktus als Trittin, Roth und Künast gepunktet. Er war wie ein Außenseiter seiner eigenen Partei gestartet und verkörpert jetzt ein Gutteil seiner Zukunft. Denn die Generation Roth -Trittin ahnt, dass ihre Tage altersbedingt, aber auch ideologisch gezählt sein könnten. Özdemir ist hingegen ein Mann mit Perspektive, vor allem wenn es künftig häufiger darum geht, auch schwarz-grüne Optionen zu entfalten.
Bei den Linken kommt der große Wahlsommergewinner aus der Provinz: Bodo Ramelow. Ihm wird nicht nur der Sturz von Dieter Althaus zugeschrieben, er verkörpert vor allem eine unbelastetete Zukunftsoption für die Post-Kommunisten. Dort ist der Generationenwechsel von den betagten Stasi-Freundeskreisen besonders dringlich. Auf das Demagogendoppel Gysi-Lafontaine könnte Bodo Ramelow als starker Mann einer neuen Linke folgen. Oskar Lafontaine hingegen droht vom gefühlten Gewinner zum großen Verlierer werden, denn hinter seinem Rücken wetzen die Ostdeutschen bei den Linken schon die Messer für einen Königsmord. Diesmal ist es nach der Wahl genauso spannend wie davor.

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