Markus C. Kerber, Gastautor / 05.09.2024 / 14:00 / Foto: Kremlin.ru / 10 / Seite ausdrucken

Gefangene, Gewaltenteilung und Souveränität – Ein Nachtrag

Beim Gefangenenaustausch des Tiergartenmörders wurde die Moral ausgeblendet.

Als Präsident Biden stolz die Geschicke der amerikanischen Diplomatie nach dem Gefangenenaustausch zwischen Russland und den USA verkündete, hatten die Geheimdienste beider Länder echte Arbeit geleistet.

Für Kanzler Scholz war auf dem Flughafen Bonn-Wahn nur noch das Zugeständnis übrig, dass der Bundesregierung die Entscheidung über die Freilassung des Tiergartenmörders schwergefallen sei. In Deutschland wurde in den Medien vor allem problematisiert, dass die Bundesregierung einen zur lebenslangen Haft verurteilten staatlichen Auftragsmörder für die Freilassung amerikanischer Bürger hatte ziehen lassen müssen.

Wie häufig in der deutschen Politik wird die Moral in den Vordergrund geschoben. Es geht den Leitmedien um die Werte der deutschen Republik. Damit sind vor allem moralische Ansprüche an sich selbst gemeint.

Die BRD liefert Mörder aus

Wenig wurde indessen thematisiert, dass eine ausländische Macht, der wichtigste Verbündete der Bundesrepublik Deutschland, die USA, zur Befreiung von unrechtmäßig in Russland inhaftierten US-Staatsbürgern, aber auch zur Freilassung von russischen Dissidenten in die Strafvollstreckung der deutschen Justiz interveniert hatte. Noch bevor es eine große Debatte hierüber geben konnte, hatte Justizminister Buschmann, um den Tiergartenmörder wieder in Freiheit zu lassen, dem Generalbundesanwalt die Weisung erteilt, die weitere Strafvollstreckung aufzugeben.

Dies wirft nicht nur ein zweifelhaftes Licht auf die Unabhängigkeit der Justiz und insbesondere der Staatsanwaltschaft gegenüber dem Bundesjustizminister, sondern auch auf die Unabhängigkeit Deutschlands gegenüber den Vereinigten Staaten von Amerika.

Diese Gewaltendurchbrechung auf Geheiß des großen Bruders ist eine institutionelle Innovation. Wahrscheinlich hielt der FDP-Liberale Buschmann dies für das kleinste Übel, kleiner jedenfalls als einen Gnadenakt des Bundespräsidenten, der zu einer Diskreditierung des Werteverständnisses der Bundesrepublik Deutschland geführt hätte. Dass die Bundesregierung Mörder ausliefert und damit den Strafvollstreckungsanspruch dem Gutdünken einer fremden Macht unterwirft, ist in der Tat eine institutionell-normative Neuerung. Genauso schlimm ist es, dass die Bundesrepublik Deutschland über ihre Geheimdienste nur peripher in den Deal, der dem Gefangenenaustausch zugrunde lag, eingeweiht war.

Gefährliche politische Naivität

Dass weder Geheimdienst noch Diplomatie in Deutschland ein Niveau haben, welches derartige Transaktionen erfolgreich durchzuführen erlaubt, war kurz vor dem Tod von Nawalny deutlich geworden:

Putin lag daran, den Tiergartenmörder, nunmehr amtlich bestätigt als ein Mitarbeiter des russischen Auslandsgeheimdienstes FSB, so schnell wie möglich aus dem deutschen Gefängnis frei zu bekommen. Denn hätte die deutsche Justiz gegenüber diesem Mann jene Methoden angewandt, die in Russland üblich sind, wäre der Mörder zu einer für Putin ggf. gefährlichen Informationsquelle der deutschen Geheimdienste geworden. Doch Auswärtiges Amt und BND fielen auf die Finte Putins herein, als er wegen eines Austausches von Nawalny gegen den Tiergartenmörder anfragen ließ. Statt kategorisch nein zu sagen, gab die Bundesregierung eine Austauschbereitschaft zu erkennen. Damit war für Putin klar, dass er seinen gedungenen Mörder frei bekommt, ohne dafür seinen Feind Nawalny in den Westen ziehen zu lassen. Er wog ab und wenig später starb Nawalny unter ungeklärten Umständen.

Die Geschichte wird das Auswärtige Amt mit seiner gefährlichen politischen Naivität hoffentlich gebührend richten.

Dr. jur. Markus C. Kerber ist Professor für Finanzwissenschaft und Wirtschaftspolitik an der Technischen Universität Berlin. Er gründete das Institut für Verteidigungstechnologie, Militärökonomik und Geopolitik (www.ivsg.de) und den Thinktank Europolis.

Der Verfasser ist Autor der Schrift „Führung und Verantwortung: Das Strategiedefizit Deutschlands und seine Überwindung“, die hier im Achgut-Shop erworben werden kann.

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Leserpost

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Sam Lowry / 05.09.2024

@maciste rufus: Auch im deuschen Knast bzw. Forensik stirbt man natürlichen Todes… “Haldol” te salutant… (aus erster Hand)

Walter Weimar / 05.09.2024

Tiergartenmörder, ein gutes Beispeile welche Rolle Deutschland spielt. Keine. Nur als Lakaie der USA wird parriert. Die Einzelheiten hat Röper vor einiger Zeit erklärt.

maciste rufus / 05.09.2024

maciste grüßt euch. geopolitik ist machtpolitik und herr nawalny starb eines natürlichen todes, wie selbst die ukrainer zähneknirschend erklärt haben. battle on.

Horst Jungsbluth / 05.09.2024

Die Amerikaner haben doch ein Druckmittel gegenüber Deutschland,  das von allen vollkommen ausgeblendet wird und das sind nicht etwa die Verbrechen der NSDAP,-Diktatur,  sondern es ist die schlimme Rolle, die unser Staat und hier insbesondere der rot-grüne Hamburger Senat bei den offenkundig jahrelang vorbereiteten furchtbaren Verbrechen vom 11. September 2001 gespielt haben. Es ist auch deshalb so erschreckend und entlarvend, weil zuvor ein Senat in gleicher Zusammensetzung in Berlin schwerste Verbrechen an Teilen der eigenen Bevölkerung begangen und noch schlimmere geplant hatte. Eigenartigerweise waren alle nicht “Rechts” und so könnte man auf den Gedanken kommen, dass deshalb gegen “Rechts” demonstriert wird und Brandmauern errichtet werden, um damit vor wirklichen Verbrechen abzulenken. Ach so, ich habe es bereits erwähnt, der Liebling der Justiz und der Medien IM Notar wollte noch 18. Mai 1990 den sowjetischen Funktionär Falin dazu ermuntern, die Einigung der beiden deutschen Staaten durch militärisches Eingreifen zu verhindern. Da hat Gysi aber Glück, dass er nicht “rechts” ist und so konnten es Grüne und SPD gar nicht abwarten, um freudestrahlend mit der zigMal umbenannten SED ins Koalitions-Lotterbett zu steigen.

Jochen Lindt / 05.09.2024

So wie ich es verstanden habe, hatte Putin seinen Killer geschickt, damit der einen der Organisatoren des Massakers von Beslan tötet, der sich nach D abgesetzt hatte.  Daran kann man durchaus erkennen wie moralisch bankrott unser Asylsystem ist. Wir wissen seit Jugoslawien dass Massenmörder hierzulande plötzlich zu Schutzbefohlenen werden, für deren Wohlergehen der Steuerzahler aufkommt.  Geht alles gar nicht, Putin hin oder her.

Rainer Niersberger / 05.09.2024

Und wieder eine “Ueberraschung.” .... Aber nur fuer die, die glauben. Zum Beispiel an Recht und Gesetz oder an Souveraenitaet. Ich hege den dringenden Verdacht, dass den meisten Micheln die Macht des Hegemon auf die hier Regierenden nicht einmal im Ansatz klar ist. Nicht wenige finden es allerdings sogar ganz toll, wegen Westbindung, Demokratie, Befreiung, Freundschaft, Atlantikbrücke usw…. Die kleinen Nachteile wie den Wokismus, Genderismus und andere ismen, alles natuerlich Petitessen, nimmt man da gerne in Kauf. Hin und wieder wird auch mal was gesprengt. So what. Der Feind sitzt im Osten. Da war er schon immer.  Und da lassen wir uns auch mal gar nichts anderes einreden.

Manfred Hildebrandt / 05.09.2024

Der Islam gehört nicht zu Deutschland. ______ Dass in Deutschland die Staatsanwälte befehlsgebunden gegenüber dem jeweiligen Justizminister sind, ist ja nur die Spitze des Eisberges. Das Hauptproblem ist die Art und Weise, wie in Deutschland Richter und Staatsanwälte “berufen” werden. Dies geschieht durch sog. “Wahlausschüsse”, die, wer hätte es gedacht, “natürlich”  hauptsächlich von Parteipolitikern besetzt sind. Was da für Gestalten “berufen” werden, sehen wir jeden Tag bei vielen Gerichtsentscheidungen. Wem wird wohl die Loyalität dieser Richter und Staatsanwälten gehören? Um das zu wissen, bedarf es wohl keiner großen Phantasie, und jedem muss klar sein, dass eine unabhängige Justiz in Deutschland ein Traum ist. Dass die Medien dieses “Wahlverfahren” nicht thematisieren, macht Sinn, die Parteien haben natürlich kein Interesse daran, dass in der Öffentlichkeit darüber diskutiert wird. Und siehe da, ein Fingerschnuppern des Bundesjustizministers, und ein Generalichbinschonhier, lässt einen Mörder frei. Vielleicht noch kurz: Freiheit für Fr. Dr. Witzschel, der Richter der das Urteil gesprochen hat,sollte sich die RKI-Files durchlesen, und sein Urteil revidieren. Die Zeit politischer Gerichtsurteile muss zu Ende gehen. Fr. Dr. Witzschel gilt hier natürlich nur als Beispiel für Viele, die wegen sog. Coronavergehen, in Haft waren, oder es noch sind.

Tom Walter / 05.09.2024

“Er wog ab und wenig später starb Nawalny unter ungeklärten Umständen.” Ungeklärt ist auch die Frage, ob der Tod des Märtyrers vorteilhafter für Putin oder dessen Gegner im Wertewesten war. Die Möglichkeit, jetzt so herumzuraunen, hat doch was!?

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