Gastautor / 29.02.2016 / 18:00 / 3 / Seite ausdrucken

Gestern war es noch Humor, heute ist es Hetze

Von Peter Grimm

Über die Missdeutung eines kleinen Bildes

Es ist ein im deutschen Volksmund fest verankertes Goethe-Zitat: „Sage mir, mit wem du umgehst, so sage ich dir, wer du bist“. Wenn ich das ernst nehme, muss ich mir wohl Sorgen machen, erfahre ich heute. Ich habe einen sehr engen Freund und ich hätte es nicht geglaubt, aber die Parteivorsitzende von Bündnis 90/Die Grünen, Simone Peter, sagt mir, er hätte „widerlich, rassistisch, hetzerisch“ gehandelt. „Geschmackloser geht’s nicht“ kommentierte Grünen-Fraktionschefin Katrin Göring-Eckardt sein Tun. Er hat „die feine Grenze von Rechtspopulismus zum Rassismus überschritten“, erfahre ich von Ulrich Kelber (SPD), dem Parlamentarischen Staatssekretär im Bundesjustizministerium. Mir wird angst und bange, was ich da für Freunde habe.

Zu meiner Entlastung kann ich nur sagen, dass ich seine Tat, die so „widerlich, rassistisch, hetzerisch“ war, damals, als er sie beging, noch für Humor statt für Hetze hielt. Ich glaubte zu dieser Zeit noch, Satire dürfe alles. Ich muss es vielleicht erklären: Jener enge Freund neigt dazu, gelegentlich humorige Fundstücke an seine Freunde per E-Mail zu versenden. Manchmal sind es Karikaturen, manchmal Collagen, manchmal nur Witze und Sprüche. Sie sind gelegentlich von feiner Ironie, manchmal auch eher derb und sie zielen in alle Richtungen. Manchmal lacht man, manchmal nicht. So sah ich das damals, bevor ich erfuhr, welch einen Tabubruch mein enger Freund da mit dem Versenden eines bestimmten Bildchens begangen hat.

Es war im Spätsommer des letzten Jahres, da fand ich jenes Foto in meiner Mailbox, das kürzlich auch Erika Steinbach getwittert hat. Das hätte ich ohne die oben zitierten empörten Reaktionen sicher gar nicht mitbekommen, denn ich gehöre weder zu den Followern noch zu den Anhängern von Erika Steinbach. Natürlich bezogen sich die eingangs zitierten Äußerungen auch nicht auf die Verfehlung meines Freundes, sondern auf den Tweet der CDU-Bundestagsabgeordneten und früheren Frontfrau der Vertriebenenverbände. Vielleicht hätte ich deshalb auch beinahe die hysterischen Reaktionen überhört, schließlich sorgt die Frau immer mal wieder für Erregung. Doch ich erinnerte mich an das Foto mit dem blonden weißen Kind, das von dunklerhäutigen Kindern – vermutlich aus Indien stammend – umringt und bestaunt wird. Sie fragen: „Woher kommst Du denn?“ und überschrieben ist die Szene bekanntermaßen mit „Deutschland 2030“.

Ohne Erika Steinbach hätte ich bestimmt nie wieder an das Bildchen gedacht

Als es mir mein enger Freund zuschickte, im Spätsommer 2015, herrschte noch von Tirol bis nach Norwegen allüberall „Willkommenskultur“. Im Fernsehen sah man täglich die Bilder riesiger Gruppen von Asylbewerbern, die wie Heerscharen über die Balkanroute nach Norden zogen um irgendwann, von einigen Einheimischen bejubelt, einen deutschen Hauptbahnhof zu erreichen. In dieser Zeit wurde auch das inkriminierte Bild häufig versandt. Vielleicht hatte ich seinerzeit sogar kurz darüber geschmunzelt, ich will die Möglichkeit nicht leugnen, auf jeden Fall hatte ich aber schnell weitergeklickt und hätte ohne Erika Steinbach bestimmt nie wieder an das Bildchen gedacht.

Aber dass ich es für Humor hielt, für Satire, die doch alles darf, kann mich und meinen Freund offenbar nicht von der Diagnose befreien, nach der wir uns mit rechtsextremem Gedankengut infiziert haben. Schon damals hätte ich schließlich wissen können, ja wissen müssen, in welche Gesellschaft einen dieses Foto führen musste. So hat die „Zeit“ herausgefunden: „Das Foto kursiert seit Längerem im Netz – unter anderem findet man es auf der Seite der rechtsradikalen Plattform volksbetrug.net.“

Warum habe ich nicht erkannt, wie hetzerisch das ist?

Was mache ich jetzt? Muss ich in meinem engen Freund nun den widerlichen, rassistischen Hetzer erkennen? Warum habe ich im Sommer noch nicht erkannt, wie „widerlich, rassistisch, hetzerisch“ das Bild ist? Wie konnte ich es nur für Humor halten? War das politische Klima damals etwa noch ein anderes? War man gegenüber solchen Bildchen vielleicht noch toleranter?

Wer weiß, ob ich all diese Fragen richtig beantworten kann. Vielleicht ist das ja – wie am Anfang – ein Blick in die Literatur hilfreich. Wie geht eigentlich das eingangs begonnene Goethe-Zitat weiter?  „Weiß ich, womit du dich beschäftigst, so weiß ich, was aus dir werden kann.“ Um das jetzt richtig zu interpretieren, würde ich normalerweise einen engen Freund fragen, der Goethe-Kenner und auch Mitglied der Goethe-Gesellschaft ist. Dummerweise ist es ausgerechnet jener, der mir im Sommer das böse Bildchen gemailt hatte.

Nein, ich darf mich jetzt nicht von dem ketzerischen Gedanken anstecken lassen, dass etwas weniger Hysterie und etwas mehr Toleranz und Gelassenheit einer freiheitlichen Gesellschaft angemessener wären, selbst wenn es um Erika Steinbach geht. Sonst zweifle ich noch daran, dass wir im Interesse des neuen gesellschaftlichen Zusammenlebens von der einen oder anderen freiheitlichen Gewohnheit Abschied nehmen müssen.

Peter Grimm unterhält den Blog sichtplatz.de, auf dem dieser Beitrag zuerst erschien.

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Leserpost

netiquette:

Raphael Muenster / 02.03.2016

Rassismusdefinitionen gibt es wie Sand am Meer. Einige sind eher strikt und andere verallgemeinern das Konzept so, dass auch Dinge als Rassismus angesehen werden können, von denen man es nie vermutet hätte, wenn man eine intuitive Definition von Rassismus zugrunde legt. Aber ich habe bisher noch keine Definition gesehen, mit der dieses Bild als rassistisch angesehen kann. Es sollten diejenigen, die dort ständig “Rassismus” ausrufen anhand der Definitionen versuchen nachzuweisen, dass das Bild rassistisch ist. Sie werden in starke Erklärungsschwierigkeiten kommen.

Thomas Krefeld / 01.03.2016

Deutschland 2016: Alles, was ne Kerbe bietet, wird mit Kampfbereitschaft angesprungen. Ein Fehler reicht. Wer weder Opferstatus noch Migrationshintergrund vorweisen kann, für den sind Witz, Ironie, Provokation tabu. Ein Song wie “Jeanny” von Falco aus dem Jahr 1985 ist heute nicht mehr denkbar - die Moralisten würden schießen, bis Falco zur Persona non grata gezeichnet das Land verlassen hätte. Oder ein frecher Song wie “Polizisten” von Extrabreit aus dem Jahre 1981: Im Jahre 2016 wär die Hölle los, da politisch unkorrekt. Wer den Song (als Neuigkeit) in seiner Kneipe spielen würde, dem flögen heute die Farbbeutel ins Haus. Im Jahre 2016 geht gar nichts mehr. An jeder Ecke lauern aufrechte Gerneempörte mit der Moralkeule im Anschlag.

Rainer Kaufmann / 01.03.2016

Eine bildhafte satirische Zuspitzung. In der Machart durchaus zu vergleichen mit den Werken von Klaus Staeck. Über dessen künstlerisches Niveau kann man streiten wie über die des Schöpfers des “Steinbach- Fotos”. Aber insgesamt - was soll die Aufregung?

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