Gestern „Juda verrecke!“, heute „Free Palestine!“

Worte haben manchmal Folgen. „Free Palestine“ rufen auch bei uns Studenten, die wohlbehütet dort aufgewachsen sind, wo es Lego und Playmobil gab und keine Verfolgung.

Vor genau einer Woche, am vergangenen Mittwochabend, hat ein Mann zwei Menschen, die er für Juden hielt, auf offener Straße in Washington erschossen. Yaron Lischinksy und Sarah Milgrim. Die beiden arbeiteten für die israelische Botschaft, wo sie sich kennen und lieben gelernt hatten. Sie waren ein Paar. Noch vor wenigen Tagen hatte Yaron einen Verlobungsring gekauft, um ihr einen Heiratsantrag zu machen, doch vorher wollte er sie seinen Eltern vorstellen, weswegen die beiden planten, nächste Woche nach Jerusalem zu fliegen. Yaron war 30 Jahre alt, sie 26. Entgegen der Annahme seines mutmaßlichen Mörders war er ein Christ.

Geboren als Sohn eines israelischen Vaters und einer deutschen Mutter war er zunächst in Deutschland aufgewachsen und wanderte erst als Teenager nach Israel ein. Sein Freund, ein koptischer Christ, der in Ägypten geboren worden war, erzählte der Free Press, einem amerikanischen Online-Magazin: „Yaron war ein gütiger und grosszügiger Freund, ein gläubiger Christ und ein Verteidiger Israels. Wir sassen jeweils stundenlang bei einem Gin Tonic zusammen und unterhielten uns über frühchristliche Theologie. Wenn es wieder zu einem Angriff auf Christen in Ägypten kam, rief er mich jedes Mal an und erkundigte sich, wie es mir ging.“ Yaron könnte man als einen weltgewandten Menschen bezeichnen, er sprach Deutsch, Hebräisch, Englisch und Japanisch.

Wenn sie Gutes tat, dann meinte sie es ernst

Sarah war Amerikanerin und Jüdin. Sie hatte ihre Kindheit in Kansas verbracht, also im Mittleren Westen, wo es flach ist, und die übrige Welt weit weg liegt. Sie hatte gleich zwei Studien mit dem Master abgeschlossen, einen davon in Umweltwissenschaften, sie war eine Idealistin, vielleicht eine Träumerin. Wenn sie Gutes tat, dann meinte sie es ernst: Freiwillig war sie für eine israelisch-palästinensische NGO tätig gewesen, die sich für den Frieden zwischen den beiden Völkern einsetzt. Einen Monat nach dem Massaker vom 7. Oktober, wo die Hamas 1.200 Juden wahllos abgeschlachtet hatte, bewarb sie sich um einen Job bei der israelischen Botschaft. Wohl aus Überzeugung, bestimmt im Glauben, auch hier Gutes zu tun.

Als die beiden jungen Leute am Mittwochabend auf ihren Mörder trafen, der sie nicht kannte und dem sie vorher nie begegnet waren, kamen sie gerade von einem Event, den eine jüdische Organisation in einem jüdischen Museum veranstaltet hatte: Es ging darum, humanitäre Hilfe zu beschaffen, die auch den Palästinensern in Gaza hätte zugutekommen sollen.

Der Täter, dessen Namen ich nicht nenne, stand vor dem Museum auf der Lauer, weil er mit gutem Grund davon ausging, hier Juden zu finden. So wie ein Nazi sich früher vor die Synagoge stellte. Als man ihn verhaftete, schrie er „Free Palestine“. Er hätte auch „Juda verrecke!“ sagen können, das wäre ehrlicher gewesen. Offenbar eigens aus Chicago angereist, wo er wohnt, gehört er einer sozialistischen Partei an, wobei diese Partei nun versichert, man habe ihn schon lange nicht mehr gesehen. Wer weiß? Jedenfalls ist er ein Linker.

Sind die Juden nicht selber schuld?

Weltweit viel Entsetzen. Zu Recht, und doch vermute ich, dass manche insgeheim denken, dass auch dafür Israel zuständig ist. Führt es nicht einen brutalen Krieg, sind die Juden nicht selber schuld? Schon diese Fragen riechen nach Antisemitismus. Seit 2.000 Jahren sind die Juden selber schuld, dass sie Jesus ans Kreuz genagelt haben, auch wenn das die Römer taten. Gewiss, man kann Israel kritisieren, wie jedes Land, doch kurios ist nur, dass alle anderen kriegführenden Länder nie so getadelt werden, geschweige denn diesen Hass auf sich ziehen: Oder wann genau wurde zum letzten Mal ein junges russisches Paar auf offener Straße niedergeschossen, weil es russisch sprach? Wenn es um Israel, wenn es um Juden geht, wenden viele Menschen plötzlich ganz andere Maßstäbe an, die sie für sich selbst und alle anderen nie anwenden.

Worte haben manchmal Folgen. „Free Palestine“» rufen auch bei uns Studenten, die am Zürichberg in sicheren Villen aufgewachsen sind, wo es Lego und Playmobil gab, keine Verfolgung. Mag sein, dass ihnen nicht bewusst ist, dass sie Hass und Tod verbreiten, – bis es ihnen bewusst wird, weil sie selber töten. Auch die Mordlust der RAF, der deutschen Terroristen, fand zuerst im Kopf statt.

Als sich die beiden auf der Botschaft verliebten, so hört man, hielten sie das lange geheim, auch dann noch, als es allen klar war. Schließlich gab es keine Minute, die die beiden nicht zusammen verbrachten. Nach der Arbeit spazierten sie zu Fuß nach Hause, jeden Lunch nahmen sie zusammen ein. Am Mittwoch sind sie zusammen gestorben.

 

Markus Somm ist Chefredaktor beim schweizerischen „Nebelspalter“, wo dieser Beitrag zuerst erschienen ist.

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Leserpost

netiquette:

Wilfried Düring / 28.05.2025

Für Sarah: ‘Wenn ich tot bin, sollt ihr gar nicht trauern. Meine Liebe wird mich überdauern. Und in FREMDEN Menschen Euch begegnen. Und - Euch segnen.’ (Joachim Ringelnatz)

S.Buch / 28.05.2025

„…daß sich der linke moralische Furor derzeit so ausschließlich auf die Palästinenser fokussiert, …“ -> Nennt sich Aufmerksamkeitsökonomie.

Martin Detmer / 28.05.2025

Je mehr ich über diese Tat und ihre Opfer lese, desto fassungsloser und wütender werde ich. Sie schreit zum Himmel aus so vielen Gründen. Wegen der Dummheit, Feigheit und Rücksichtslosigkeit des Täters. Wegen dem Kontrast zwischen der menschlichen und professionellen Exzellenz seiner Opfer, die traurigerweise zur falschen Zeit am richtigen Ort waren, und der dummdreisten Ruchlosigkeit des Täters. Wegen der Ironie, die darin besteht, daß eine Tat, die einem herausgebrüllten Slogan gewidmet wurde, Opfer traf, deren Wirken der Verständigung und dem Brückenbauen gegolten hatte, die sogar an diesem Abend von einer Veranstaltung kamen, die Wegen und Möglichkeiten der humanitären Hilfeleistung im dem Täter vorgeblich so wichtigen Bereich gegolten hatte. Vor allem wegen des privaten Leides für die Opfer, ihre Familien, Freunde und Kollegen, die anstelle einer zu erwartenden Verlobung und Eheschließung des ermordeten Paares nun das leidvolle Fehlen zweier über alle Maßen geliebter und geschätzter Menschen ertragen müssen. Schließlich wegen der Örtlichkeit des Mordes, verübt nicht in von Kriegsgeschehen betroffenem Gebiet, sondern in der Hauptstadt des Westens an einem Frühlingsabend, und nicht etwa von einem Opfer des Gazakrieges, welcher seinerseits die Antwort auf einen bestialischen Pogrom an israelischer Zivilbevölkerung ist und der Ausmerzung eines Todeskultes gilt, der noch immer zahlreiche Geiseln in menschenunwürdigen Verhältnissen gefangen hält, sondern von einem radikalisierten Linksextremen des Westens, der mit einem kaltblütigen und feigen Mord - er feuerte 21 Schüsse auf seine wehrlosen und arglosen Opfer ab - aus den lügengesättigten Parolen seines Milieus die verbrecherische Konsequenz gezogen hatte. – Zum Teufel mit den Antisemiten! Zum Teufel mit den linksextremen Zersetzern des Westens!

Lutz Liebezeit / 28.05.2025

“Woke” sollte man doch mal bei Wikipedia nachschlagen, damit man weiß, worüber man spricht.

Lutz Liebezeit / 28.05.2025

Gestern Juda verrecke, heute Deutschland verrecke, Bomber Harris do ist again, gegen Deutschland, Nazis töten. Der letzte Völkermord wird damit zur Begründung für den nächsten.

Harald Hotz / 28.05.2025

Ich bin kein Psychologe, aber mir erscheint es seltsam, daß sich der linke moralische Furor derzeit so ausschließlich auf die Palästinenser fokussiert, schließlich gibt es auch noch andere Volksgruppen wie die Uiguren, die Rohingya und viele andere, die drangsaliert werden. Der Gaza Streifen ist auch nicht das Warschauer Ghetto, die Ägypter müßten einfach nur die Grenze aufmachen, aber die muslimischen Brüder schauen lieber nur zu, und sie und die Moralweltmeister aus Europa deuten mit dem Finger auf Israel, das ist bequem, denn da weiß man alle Antisemiten auf der Welt und die UN auf seiner Seite.- Ich stelle mir die Frage, warum Menschen speziell aus dem westlichen Wohlstandsmilieu immer ein Opfer brauchen, für das sie sich einsetzen können. Mit den Sorgen ist es wohl wie mit den Lastern, die Summe bleibt immer gleich, anscheinend kompensiert ein Teil der Menschen den Mangel an Alltagssorgen durch die Besorgtheit in Verbindung mit dem medial jeweils am stärksten propagierten Thema. Affektierte Besorgtheit ist vielleicht die letzte Möglichkeit für Wohlstandsverwahrloste, noch mal sich selbst und Intensität spüren zu können, nachdem man schon alles ausprobiert, alles gesehen hat, jeden Kick, jede Droge, jede Urlaubsdestination, die worldtour nach dem Abi und mehrere Studienfächer…und alles ist öde…Allerdings, wenn sich Otto Normalverbraucher Sorgen um seinen Arbeitsplatz macht und die Sicherheit seiner Tochter, wenn sie abends ausgeht, dann ist immer er der erste, dessen reale Sorgen ins Lächerliche gezogen werden dürfen.

H. Berger / 28.05.2025

Ein herzliches Dankeschön an die Achse-Redaktion für diese überfällige Würdigung Lischinskys und Milgrams, dafür gibts demnächst eine weitere Patenschaft. Das bleierne Schweigen der deutschen Regimepresse vor allem zu Lischinsky ist ja fast ein zweiter Mord. Die Mordbuben des ´global empire of palestine´ sind auch ´unter uns´, wieder mal, werden gemästet mit deutschen Steuergeldern und deutschen Ideologieprodukten. Von den geistigen wie leiblichen Nachkommen der Mörderbande von vorgestern, den Vonderweizens und Vonleysäckers, von den alten deutschen Erbakademikerclans bis zu den Politdorfschulzen und -merklern jeder couleur. Der brandgefährliche Neoantisemitismus ist ohne den hinterhältigen Revisionismus deutscher Vergangenheitspolitik und deren placet schlichtweg nicht denkbar. Um hier umzusteuern braucht es keine staatlich geweihten Antisemitismusmanager, sondern eine Politik, die durchgreift, die den illegal angesiedelten Antisemitismus konsequent deportiert, antisemitische Akademiesümpfe durch Entzug der Finanzierung austrocknet und den verbleibenden autochthonen Antisemitismus mit empfindlichen Geld- und Haftstrafen niederhält, ganz unten, da wo er hingehört.

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