Von Roger Schelske.
Das Neue Jahr ist gute Gelegenheit, einmal danke zu sagen, danke an alle, die arbeiten und Steuern bezahlen. An alle, die sich für die Hälfte meines eigenen Gehaltes morgens um sechs an die Ladentheke, ans Fließband oder an den Bahnsteig stellen, die sich hinters LKW-Steuer setzen oder ihre Frühschicht auf der Krankenstation beginnen. Bei mir beginnt die Arbeit eher so gegen neun. Nicht, dass ich unterbeschäftigt wäre, aber ich kann es mir selbst einteilen und niemand schaut mir auf die Finger. Was ich erwähnen sollte: Ich bin Sozialwissenschaftler mit einer unkündbaren, gut bezahlten Stelle an der Uni. Meine Arbeit besteht vorwiegend aus Dingen, die mich interessieren und mir Spaß machen. Mein Dank gilt deshalb denjenigen, die nicht nur all die anderen, weniger spannenden Dinge erledigen, die eben getan werden müssen, sondern auch noch mit ihren Steuern meine Stelle finanzieren.
Zu den Annehmlichkeiten meines Jobs gehören neben den flexiblen Arbeitszeiten die regelmäßigen Konferenzreisen (ok. durch Corona vorübergehend ausgesetzt), mal nach Toronto, mal nach San Francisco. Auch Rio war schon dabei, Stockholm, Wien und Madrid sowieso. Man trifft dort Leute, mit denen man sich austauschen kann, und es bleibt auch genug Zeit, um sich ein bisschen umzusehen. Abends trifft man sich mit den Kollegen zum gepflegten Plausch und zum Networking beim Italiener oder im Steakhouse.
Zu den Highlights solcher Reisen gehören die Partys, die fester Bestandteil aller Konferenzen sind – wie bei grünen Parteitagen, die ich auch recht gerne besuche. Als Sozialwissenschaftler ist man natürlich bei den GRÜNEN, das versteht sich von selbst. Bei der letzten Parteitagsparty gab es reichlich Freibier, und die Musik war wirklich super. Ska Keller mit ihren Mädels gab ordentlich Gas, Annalena stand lässig an der Bar und Robert mischte die Tanzfläche auf. Bei den sozialwissenschaftlichen Konferenzen ist die Musik nicht ganz so toll und auch die Mädels sind nicht so spannend, aber dafür sind die Locations besser: mal ein bekanntes Opernhaus, mal das Hilton, mal ein Club mit leckerem Caipirinha.
Die Arbeit tun die anderen
Das Beste an meinem Job ist aber, dass ich zur Kaste der Intellektuellen (im weiteren Sinne) gehöre. Das heißt, ich verdiene nicht nur überdurchschnittlich gutes Geld, sondern ich genieße auch gesellschaftliche Anerkennung. Wir Intellektuellen produzieren nämlich keine schnöden Güter oder triviale Dienstleistungen, sondern Sinn – oder zumindest erwecken wir den Anschein. Wir sind die Priester der Gegenwart, die dem Rest der Gesellschaft erklären, wo es lang geht.
Wir, das sind die Geistes- und Sozialwissenschaftler, die Journalisten, insbesondere die öffentlich-rechtlichen, und die gehobenen Chargen in der Verwaltung, in Think Tanks, bei der EU und im NGO-Sektor. Kurz, der staatlich-mediale Komplex. Unseren Aufstieg zur dominanten gesellschaftlichen Schicht hat der Soziologe Helmut Schelsky schon in den 1970er Jahren als die einschneidendste soziale Umwälzung der Nachkriegszeit beschrieben. Im Zuge dieser Umwälzung sind, nach und nach, unsere Werte und unser Lebensstil für alle anderen zum verbindlichen Maßstab geworden.
Damit haben sich die gesellschaftlichen Kräfteverhältnisse umgekehrt. Früher galt praktisches Geschick als vorbildlich, während Intellektuelle als linkisch und weltfremd belächelt wurden. Produktive Arbeit verschaffte Anerkennung. Nun gilt sie als inferior, als ausbeuterisch, als umweltverschmutzend, klimaschädlich oder schlicht stupide. Als Ergebnis dieser Werteverschiebung bezahlt die arbeitende Bevölkerung nun nicht nur Steuern, die den Laden am Laufen halten, sondern sie bewundert diejenigen, die auf ihre Kosten leben. Nun fragt Ihr, liebe Leserinnen und Leser, sicherlich, wie es dazu kommen konnte und wie uns das gelungen ist.
Systematische Entwertung produktiver Tätigkeit
Der Schlüssel unseres Aufstiegs lag, wie Schelsky es beschrieben hat, in der systematischen Entwertung produktiver Tätigkeit: „Die Rücksicht auf materielle Bedürfnisbefriedigung und auf Produktion von Gütern des Alltags, auf produktive Arbeit und Leistung, wurde in ihrer stets ungenügenden Alltagsbemühung als inferior bewertet gegenüber dem geistlichen Vorgriff auf das Ganze der Lebenserfüllung.“ Was er damit sagt ist: Ihr, das steuerzahlende Fußvolk, seid gegenüber uns, den Intellektuellen und Sinnproduzenten, in Euren Werten und in Eurer Lebensweise minderwertig. Unsere Werte setzten sich durch, Eure wurden verdrängt.
Kreativität statt Fleiß, Spontanität statt Verlässlichkeit, Sinnproduktion statt Güterproduktion, Geistiges statt Materielles, Individualität statt Anpassung, Sein statt Haben. Schelsky hat all das präzise beschrieben, aber er wurde ignoriert, weil wir an den Universitäten und in den Medien längst auf dem Vormarsch waren. Wir haben dafür gesorgt, dass Soziologen, die gesellschaftliche Machtstrukturen offenlegen, auf dem Abstellgleis landeten. Bejubelt wurden solche, die sich wie Habermas dem neuen Hegemon andienten und die tatsächlichen Machtverhältnisse in den Nebel neomarxistischen Geschwurbels hüllten.
Ich würde sagen, der Coup ist perfekt gelungen. Inzwischen wollen alle so sein wie wir. Alle wollen so schön reden, so tiefgründig schreiben und so locker daher kommen wie Robert Habeck. Selbst ein Markus Söder erweist den neuen Herren seine Reverenz, ungeachtet der Größenunterschiede zwischen CSU und GRÜNEN, und fühlt sich geschmeichelt, wenn er von Habeck ein freundliches Lob zurück bekommt. Umfragen und Prozentanteile sind zweitrangig, denn wir verkörpern den Zeitgeist, an dem sich alle anderen orientieren müssen.
Niemand ist moderner, niemand sieht besser aus. Den fröhlich plappernden Kathas und Annalenas mit ihrer naiven Begeisterung kauft man alles ab, den fahlen Krawattenträgern mit ihrem langweiligen Realismus nichts. Wenn man so will, ist Habeck der neue Dutschke, das Role Model für die Aufgeklärten und Progressiven, die das schnöde Kleinklein verachten und den Blick auf die wirklich wichtigen Dinge richten. Erinnert Ihr Euch an das Foto beim Bügeln auf dem Boden mit den heraushängenden Kabeln im Hintergrund?
Genau, als Intellektueller, Sinnstifter und Weltverbesserer kümmert man sich eben nicht um irgendwelche Trivialitäten. Man foutiert sich um Materielles und Alltägliches und sieht dabei noch richtig gut und locker aus. Wir können es uns leisten – dank Euch, liebe Paketzusteller, Krankenpfleger, LKW-Fahrer, Handwerker, Lageristen, Friseurinnen, Kassiererinnen, und wer Ihr alle seid, die ihr die Arbeit macht, für die wir uns zu gut sind, und die Steuern zahlt, von denen wir leben.
Wir bestimmen die Spielregeln
Monotone, körperliche Arbeit? Wer macht so was denn noch? Unsereins, den GRÜNEN und Intellektuellen, würde das nicht einfallen. Unsere Lebenszeit, die Entfaltung unserer Kreativität und unserer Individualität, sind uns viel zu wichtig, das würden wir doch nicht opfern für einen tristen Broterwerb. Überhaupt sollte jeder ein Recht auf erfüllende Arbeit haben! Wir brauchen ein bedingungsloses Grundeinkommen für alle, damit alle so kreativ und individualistisch sein können wie wir! Steht in unserem Programm. Ist natürlich nicht ernst gemeint, nur Spaß. Soll nur zeigen, dass wir es gut mit Euch meinen und Eure Bemühungen zu schätzen wissen. Außerdem sind solche Forderungen ziemlich nützlich, wenn es darum geht, von den eigentlichen Machtverhältnissen abzulenken. Schließlich geht es uns vor allem um eines: Unseren Status und unsere Privilegien so weit wie möglich abzusichern.
Dämmert es langsam? Klimarettung, Verkehrswende, Energiewende, Einwanderung? Na? Richtig, das alles dient vor allem diesem einen Zweck: Den produktiven Sektoren der Gesellschaft unsere Wahrheit, unsere Werte und unsere Weltdeutung überzustülpen und sie so weit wie möglich zu schwächen, damit niemand auf die Idee kommt, unseren Status infrage zu stellen. Mit dem Klimagetöse sorgen wir dafür, dass Eure Mobilität und Eure Lebensgewohnheiten immer teurer werden – und generieren nebenbei Einnahmen, mit denen wir unsere Machtbasis, den staatlich-medialen Komplex, weiter ausbauen können.
Wir setzen Euch Migranten vor die Nase, die Eure Lebensweise genauso verachten wie wir, die Euch Konkurrenz um Arbeit und Wohnraum machen, und die Ihr obendrein noch alimentieren müsst. Wir zerstören die sozialen Strukturen, in denen sich noch Reste von Bodenständigkeit, von muffiger Tradition und biederer Bürgerlichkeit erhalten haben. Ihr müsst einsehen, es gibt keine Sicherheit mehr für Euch in Eurer kleinen, behaglichen Welt. Das gilt auch für Eure Jobs. Dank „Verkehrswende“, Fahrverboten und Grenzwerten (ein Dank an Brüssel, an dieser Stelle) steht die Autoindustrie, ehemals eine heilige Kuh, Perle der Deutschland AG, Rückgrat ökonomischer Macht im Land, mit dem Rücken zur Wand. Sichere Arbeitsplätze gibt es in der Industrie bald nicht mehr, sondern nur noch beim Staat, also bei uns. Damit sollte allen klar sein: Wir sind es, die den Ton angeben.
Bisher klappt das ausgezeichnet. Rekordhohe Strompreise für Euch, EEG-Subventionen für uns. CO2-Steuer für Euch, Kaufprämien für uns. Armutsrenten für Euch, Luxuspensionen für uns. Steigende Mieten für Euch, Vermögenszuwächse und Erbschaften für uns. Verödende Landstriche für Euch, boomende urbane Zentren für uns. Und das Beste daran: Niemand beklagt sich. Falls doch, haben wir vorgesorgt. Wir haben uns moralisch immunisiert und es damit geschafft, dass sich jeder verdächtig macht, der unsere politischen Ziele in Zweifel zieht.
Gegen Kinder und Eisbären kommt Ihr mit Euren Fakten nicht an. Wollt Ihr wirklich als verbohrte alte Männer da stehen, die sich an den treuherzigen Gretas und Luisas abarbeiten? Dabei könnt Ihr nur verlieren. Wer den Kinderkreuzzug gegen den Klimawandel kritisiert, stellt sich damit auf eine Stufe mit Robbenjägern oder Schlimmerem. Auch über die Massenimmigration solltet Ihr Euch besser nicht beklagen. Oder wollt Ihr, dass wir Euch Rassisten nennen? Und Nazis? Eben. Aber solange Ihr Euch über Migranten aufregt, kommt Ihr wenigstens nicht auf die Idee, mit dem Finger auf uns zu zeigen.
Solltet Ihr geglaubt haben, das Leistungsprinzip würde sich früher oder später durchsetzen, dann habt Ihr Euch getäuscht. Dort, wo wir nicht direkt Unseresgleichen durchbefördern, wie in grünen Ministerien, sorgen wir mit Quoten dafür, dass die Richtigen an die Fleischtöpfe kommen. Den Zugang zu den lukrativen Posten im Bildungssystem, in der Verwaltung und im öffentlich-rechtlichen Rundfunk gibt es nur gegen den passenden Gesinnungsausweis, darüber solltet Ihr Euch keine Illusionen machen. Wenn Ihr ein Problem damit habt, nehmt das: Transphobie! Heteronormativität! Struktureller Rassismus! Diskriminierung! Ableismus! Reicht das? Also, haltet besser den Mund und macht Euer Gendersternchen.
Wir geben uns als Eure Freunde aus – und Ihr fallt darauf herein
Aber jetzt kommt es: Während wir Euch moralisch erpressen, wirtschaftlich strangulieren und politisch mundtot machen, inszenieren wir weiterhin den klassischen Klassenkampf. Schließlich müsst Ihr ja beschäftigt werden und Euren Frust an irgendjemandem auslassen. Die Bösen, das sind natürlich die Banken. Wie sagte Habeck kürzlich? Dispo-Abzocker! Die bereichern sich an Euch, diese schäbigen Kapitalisten, versteht Ihr? Und natürlich die Konzerne. Amazon, diese Ausbeuter. Man braucht sich ja nur diesen Bezos anzuschauen, um zu wissen, wo das Geld geblieben ist, das Ihr nicht habt.
Und überhaupt, die wachsende Ungleichheit, die unfairen Handelsbeziehungen, der Gender-Pay-Gap, die Steuerbetrüger. Also, Ihr wisst wem Ihr die Schuld an Eurer Lage zu geben habt: den wirtschaftlichen Eliten, den „Konzernen“, den Milliardären. Das sind die Feindbilder, auf die Ihr Euch konzentrieren sollt. Wir sind an Eurer Seite. Wir gemeinsam bekämpfen die Abzocker, die Absahner, die Kapitalisten. Uns könnt Ihr vertrauen, wir fahren keine Porsches und verdienen keine Millionen. Wir sind die Guten.
Wir, die Ihr mit Eurer Arbeit finanziert und die sich über Euch erheben, die nicht nur von Euren Steuern leben, sondern auch noch Eure Lebensweise zerstören und Eure Werte verachten, wir geben uns als Eure Freunde aus, Eure Verbündeten. Und Ihr fallt darauf herein. Alle fallen darauf herein, gerade auch die Konservativen und Liberalen, die uns, den linken Intellektuellen, zwar noch nie über den Weg getraut haben, denen es aber wegen ihres anti-marxistischen Reflexes nicht in den Sinn kommt, unseren Status als das zu deuten, was es ist, nämlich als Ausdruck eines Klassengegensatzes. Für diejenigen, die uns noch am ehesten gefährlich werden könnten, ist das Thema Klassenkampf tabu. Es ist zum Brüllen: Die ideologische Brille der Konservativen und Liberalen arbeitet für unsere Zwecke und für die Interessen unserer Intellektuellen-Kaste. Wahrscheinlich deshalb kapitulieren immer mehr von ihnen und konvertieren zu unserem Dogma.
Aber warum erzähle ich Euch das alles? Nun, zum einen deshalb, weil Ihr ja sowieso nichts dagegen tun könnt. Und zum anderen deshalb, weil sich die Zeiten geändert haben. Bisher haben wir uns noch bemüht, Euch etwas vorzumachen, weil wir Euch gebraucht haben. Irgendwer musste unsere Party ja bezahlen. Nun brauchen wir Euch nicht mehr, weil das Geld viel einfacher von der EZB zu bekommen ist. Die Finanzpolitik hat die Fiskalpolitik ersetzt. Nun brauchen wir nicht mehr Geduld und Verständnis heucheln, sondern können die Verhältnisse richtig stellen: Wir bestimmen, was gesagt und geglaubt zu werden hat, Punkt. Ihr habt Euch anzupassen und den Tribut zu entrichten, den wir von Euch fordern: Kämpft gegen Rechts, macht das Gendersternchen und verzichtet auf Flugreisen. Vielleicht, irgendwann, gehört Ihr dann auch zu uns. Seht es ein, es ist das Beste für Euch. Denkt nach. Wollt Ihr die Party bezahlen und trotzdem vor der Tür stehen? Oder wollt Ihr mitfeiern? Also kommt auf unsere Seite und unterwerft Euch. Wir haben gewonnen.
Roger Schelske ist Politikwissenschaftler.