Roger Letsch / 06.11.2016 / 15:00 / Foto: Raimond Spekking / 9 / Seite ausdrucken

Gestatten Lindenberg, Abteilung Inneres und Sensibilisierung

Wer oder was brachte eigentlich die Berliner Mauer zu Fall? Kommt ganz drauf an, wen man fragt. David Hasselhoff würde sicher sagen, dass er sie mit Hilfe eines albernen Songs eingerissen hat und die blöden Ossis dank ihm endlich begriffen, dass es sich tatsächlich lohne, „for freedom“ zu „looken“. Udo Lindenberg war aber sicher auch ganz wichtig und vorn dabei, wollte er doch unbedingt im „Sonderzug nach Pankow“ zu Honecker fahren – während die meisten seiner Fans viel lieber in die andere Richtung unterwegs gewesen wären. Schwamm drüber, die Mauer ist ja nun weg. Aber Udo ist noch da und gibt der Rheinischen Post ein Interview.

Das ist an sich nichts Ungewöhnliches, schließlich leben Künstler von wie auch immer hergestellter Öffentlichkeit. Udo singt, Udo malt, Udo lebt und diesmal spricht er eben. Über sich, das Leben und den ganzen Scheiß, klar Mann! Und über die fürchterlich unpolitischen Kollegen aus der Schlagerzunft, speziell über Helene Fischer, die es sträflich versäumt, den ihr zu Füßen liegenden Massen in angemessener Art politische Erziehung angedeihen zu lassen, anstatt das Publikum einfach nur zu unterhalten.

„In den vergangenen drei Jahren waren 800.000 Menschen bei unseren Konzerten, die können wir sensibilisieren, das ist auch innenpolitische Arbeit. Und Sinnkrisen, das hat ja jeder manchmal, Fußpilz und Sinnkrisen.“…

Udo Lindenberg als Ressortleiter Inneres, Psychologie und Dermatologie. Zuständig für Befindlichkeit, große Gefühle und politische Bildung und das Panik-Orchester als Einpeitscher der Political Correctness. Dafür kann man dann auch noch Eintritt verlangen. Udos Busenfreund Siggi Gabriel würde vor Neid erblassen!

„Mehr fände ich besser, wenn mehr Leute was machen, sich positionieren würden, auch aus der Schlagerecke. Wenn von Helene Fischer auch mal ein Statement käme gegen Rechtspopulismus. Aber es gibt viele, die äußern sich prinzipiell gar nicht, die sagen, wir sind reine Entertainer, wir machen nur Unterhaltung nach dem Motto: Mach dir ein paar schöne Stunden, geh ins Kino, vergiss die Welt da draußen. Fände ich besser, wenn mehr Leute einsteigen würden.“

Bei Preisverleihungen immer schön Politikerhände schütteln

Ich finde politische Belehrungen von Künstlern, deren Expertise um keinen Deut größer ist als die jeder Handleserin mit zwei Wochen Jahrmarkt-Erfahrung, verdächtig und anmaßend. Verdächtig besonders dann, wenn dieselben Künstler bei jeder Gelegenheit Politikerhände bei Preisverleihungen schütteln und bei Wahlkampfveranstaltungen zustimmend nicken. Wenn Udo bei seinen Konzerten Statements gegen Rechtspopulismus absondert, handelt es sich dabei logischerweise um lupenreinen Populismus. Aber eben der Gute, der von links! Das hält Udo nicht nur für angebracht und richtig, sondern für Schlagersängers Bürgerpflicht!

Denn was den Udo an der Helene wirklich stört, ist natürlich nicht, dass sie sich politisch nicht äußert. Es wäre ihm nämlich überhaupt nicht recht, wenn sie sich zwar engagieren würde, aber auf der (seiner Meinung nach) „falschen Seite“ stünde. Aber vielleicht trägt der Udo ja nicht nur Hut, sondern hat ihn auch im übertragenen Sinne auf und ist von Elvis höchstselbst berufen, alle Berufskollegen politisch in die richtige Richtung zu schubsen. Vielleicht gehen dem Meister aber auch nur die Ideen für neue Konzerte aus und wenn man die Fans auch zu einer politischen Demo zusammenrufen kann, umso einfacher.

Wie peinlich diese Weltretter-Attitüde werden kann, zeigt der Welt beispielhaft seit Jahren der U2-Frontmann Bono, dessen Vermögen nicht zuletzt aufgrund günstiger Niederländischer Steuergesetzgebung und einer 2,3%-igen Beteiligung an Facebook im Milliardenbereich liegt, während er die Steuerzahler der westlichen Welt auffordert, Afrika pauschal die Schulden zu erlassen. Zu seinem Glück hat er selbst Afrika kein Geld geliehen. Ergo: Populär, medial präsent, unglaubwürdig – aber seine Musik mag ich. Trotz, nicht wegen seiner fiskalischen Heuchelei.

Ob und wie sich ein Schauspieler oder Musiker politisch äußert, muss ihm natürlich vollkommen selbst überlassen bleiben. Leider ist es aber häufig so, dass Künstler ihre öffentliche Wirkung von ihrer Kunst wie selbstverständlich auf andere Bereiche übertragbar glauben und es einfach nicht wahr haben wollen, dass ihr Engagement im Politischen oft nur aus Oberflächlichkeiten ohne Substanz besteht und sie sich von Politikern nur allzu oft manipulieren und instrumentalisieren lassen. Das Medieninteresse ist ihnen aufgrund ihres Namens sicher, selbst wenn sie jenseits ihrer Kunst nichts zu sagen haben, das von besonderem Belang wäre. Es ist aber ein Fehler zu glauben, aus dem Interesse an der Person Udo Lindenberg würde sich Wirkungskapital schlagen lassen.

Der Antifaschismus gedeiht dort besonders gut, wo es keine Faschisten gibt

Als Udo Lindenberg zum Beispiel 2011 in Jena seine Fans zum Konzert „gegen rechts“ in bester Batman-Manier zusammenrief – „Es musste leider sein“, Gotham City hatte zum „Zeichen setzen“ gerufen – konnte er sicher sein, dass sich im jubelnden Publikum aber auch nicht ein einziger Nazi versteckt hatte, gegen den Udos Armee die Reihen fest geschlossen hatte. Der Antifaschismus gedeiht dort besonders gut, wo es keine Faschisten gibt. Auf Udo-Lindenberg-Konzerten zum Beispiel.

Bob Dylan’s Songs sind politisch, Konstantin Weckers Lieder auch, bei Udo Lindenberg ist es zumindest Attitüde. Aber Dylan betätigte sich nie als Propagandist und liess sich nie vor einen politischen Karren spannen – unter anderem deshalb kommt Wecker nie für einen Literaturnobelpreis in Frage und Lindenberg nicht als glaubhafter Minister für Volksaufklärung.

Wer Pommes liebt, ist der natürliche Feind der Kartoffelfäule, ob ihm das klar ist oder nicht. Ein Demokrat muss nicht lautstark „gegen Nazis“ rufen, weil er kein Demokrat wäre, wenn er für Nazis eintritt – das sollte langsam auch dem letzten Mundharmonikaspieler klar sein. Mir genügt auch schon, Lindenberg immer wieder an der Seite von Siggi Gabriel zu sehen um zu erkennen, dass im Udo eine unangenehme Affinität zur Macht steckt.

Also Udo, male, singe, tu‘ was gegen Sinnkrisen und Fußpilz und rufe Dein Publikum weiter gegen Rechtspopulismus auf – aber verschone uns zumindest mit politischen Belehrungen an Deine Kollegen. Ich würde es nämlich sehr begrüßen, mir nicht auch noch die politischen Empfehlungen von Helene Fischer anhören zu müssen.

Dieser Beitrag erschien zuerst auf Roger Letschs Blog Unbesorgt hier.

Foto: Raimond Spekking CC-BY-SA 4.0, via Wikimedia

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Leserpost

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Brigitte Mittelsdorf / 06.11.2016

Diesen nuschelnden alten Knaben kann ich schon lange nicht mehr ernst nehmen. Der Tod rückt näher, und einmal, wenistens ein einziges Mal, will auch Udo zu den ganz Guten gehören. Solange jemand ihm zuhört, wird er weiterplappern. Schwamm drüber.

Sean Stahl / 06.11.2016

Wenn Helene öffentlich sagen würde, dass ihr die Zuwanderung auch große Sorgen bereitet und sie jeden AD-Wähler verstehen kann, würde ich mir sofort eine CD von ihr kaufen.

Dr. Kari Köster-Lösche, Autorin / 06.11.2016

Öffentliche Aufmerksamkeit genießt als Künstler, wer die Meinung des politischen Mainstreams vertritt. Mit anderen Worten: bestimmte Berufsgruppen (z.B. Sänger, Autoren, Fußballer) transportieren die gewünschte politische Meinung und werden dafür von der Regierung, von regierungsnahen Organisationen und anderen, die sich andienen wollen, belohnt. Chancenlos bleibt in dieser Diktatur, die sich Demokratie nennt, derjenige, der einfach eine andere politische Meinung vertritt. Die Gemeinschaft der Opportunisten, die Kritiker mundtot machen, arbeiten auf allen Ebenen.

Heiner Bargel / 06.11.2016

Ach herrjeh! Das erinnert mich an meine DDR-Schulzeit, muß irgendwie 1983/84 gewesen sein. Das Schuljahr begann wie immer am 1. September mit einer Stunde rund um den Weltfriedenstag. In diesem Jahr war es üblich, daß die Lehrer uns mit Udo Lindenberg “Wozu sind Kriege da” überraschten, wo der doch bis dahin einer vom BBKF (BitterBöser KlassenFeind) war. Nun stand er auf der Seite des Sozialismus - zumindest so halb. Irgendwie muss der Udo sich davon nicht erholt haben oder Honnis Schalmei “sang” ihm ein wunderlich Lied.

Stefan Fischer / 06.11.2016

Lindenberg wird damit wohl nicht erfolgreich sein. Die Leute hören Lindenberg nicht weil sie erzogen werden wollen, sie flüchten mittels der Künstler für kurze Momente aus der Realität. Auf einem Konzert wollen die Leute einfach ein paar Stunden in einer rosaroten Blase verbringen, den ganzen Mist mal eine Zeit lang vergessen. Da passt der Kampf gegen irgendwas nicht so hin. Es gibt nicht sehr viele Künstler die erfolgreich damit sind ihre Kunst mit politischen Inhalten aufzuladen. Das hat auch einen einfachen Grund, der Markt für seichte Unterhaltung ist sehr viel größer als der Markt für politische Kunst. Lindenberg meint vom Entertainer zum politischen Aktivisten mutieren zu müssen, na gut, wenn die Leute ihn dafür bezahlen dann soll er doch.

Hartmut Amann / 06.11.2016

Hach, das ging ja runter wie Riesling-Jahrgangs-Sekt.  Ich weiß ja nicht, welcher Jahrgang der olle Udo ist, aber er könnte schon so ungefähr an meine Jahrgangs-Klasse herankommen: 1942. Genau: 3.12.42. Genau wie die olle Schwarzer, mit dem märchenhaften Vornamen Alice. Ja, das nenne ich Glück. Denn ohne diese Gleichheit der Geburtsstunde wäre mein Name so belanglos wie der oft zitierte Sack Reis in China. Ich lebte ja lange Zeit in Hamburg und begegnete drum diesem selbstverliebten Schlapphut mehr als mir lieb war. Überall setzte er seine Duftnoten und ich kann heute mit ein wenig Stolz sagen, dass ich ihn gleich als Schleimscheißer erkannt habe.

Jürgen Althoff / 06.11.2016

Was für Entertainer gilt, das gilt aus meiner Sicht genauso z.B. für Nobelpreisträger, denen von interessierter Seite besondere Sachkompetenz auf Gebieten weitab von dem Forschungsgebiet zugeschrieben wird, auf dem sie erfolgreich waren. Wenn z.B. eine Versammlung von Biochemikern, Medizinern, Physikern und anderen Experten auf Orchideen-Fachgebieten auf Versammlungen von der Klimakirche gerne gehörte Statements zum Klimawandel absondern, dann ist das aus meiner Sicht nicht qualifizierter als ein Statement eines Udo Lindenberg “gegen Rechts”. Wenn manche ob ihrer “Nobilitierung” abheben und sich ernsthaft als Experten für alles und jedes auf dieser Welt betrachten, dann entspricht das der Abgehobenheit von Pop- und Filmstars.

Andreas Rochow / 06.11.2016

George Harrison hat sich dezidiert kritisch über Bonos politische Attitüde geäußert, allein, es blieb ohne jeden Effekt. Sie gehört nämlich zu einer derzeit erfolgreichen Geschäftsidee von Popmusikern, die gern mal den Linkspopulisten heraushängen lassen. Die DDR hatte davon jede Menge, an die sich heute kaum noch jemand erinnern kann. Udo L., vom Sonderzug bis zu Helene Fischer, eine traurige Karriere…

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