Im „Deutschen Ärzteblatt“ wird Deutschlands Gesundheitswesen als Hort des Rassismus dargestellt – handfeste Belege braucht diese steile Behauptung natürlich nicht.
Wer im Hauptstrom von bestimmten politischen, kulturellen oder auch wissenschaftlichen Gewässern schwimmt oder auch nur planscht, hat es in vielerlei Hinsicht leichter, kommt er doch in den Genuss eines – oft großzügig bemessenen – Gesinnungsrabatts. Von den Rabatt-Profiteuren wird dann weder eine detaillierte Kenntnis ihres Themengebietes erwartet noch die Fähigkeit zu stringenter, nachvollziehbarer, gut belegter und vielleicht gar noch abwägender Argumentation. Innerhalb des medizinischen Bereichs trifft man überzufällig häufig im Deutschen Ärzteblatt (DÄ) auf Protagonisten dieser Art, vor allem dann, wenn es um Themen wie Klimawandel oder Rassismus geht. Jüngst (Heft 17/2022) quälte das DÄ seine Leser gleich mit zwei Artikeln zum Schwerpunktthema „Rassismus in der Medizin“. Der erste aus der Hardcore-Antirassismus-Abteilung, der zweite eine Spur sozialverträglicher.
Argumentativer Sub-Standard
Gäbe es in Deutschlands Gesundheitssystem tatsächlich eine überzeugend nachgewiesene systematische Benachteiligung etwa von Subsahara-Afrikanern, spräche selbstverständlich nichts dagegen, das auch im DÄ angemessen zu thematisieren. Nach meiner Einschätzung sind solche Probleme aber auf Einzelfälle beschränkt. Aussagefähige Untersuchungen zu dieser Thematik liegen allerdings nicht vor. Das wiederum hindert die Autorin des ersten Themen-Beitrags, K. Gießelmann, nicht daran, vollmundig im Titel das Gegenteil zu behaupten: „Rassismus im Gesundheitswesen: kein Einzelfall“. In ihrer selbst auferlegten argumentativen Not verweist sie dazu auf US-amerikanische und britische Studien, deren Ergebnisse allerdings, ganz kleines Forschungs-Einmaleins, nicht auf deutsche Verhältnisse übertragbar sind. Und falls teils doch, dann immer nur mit dezidierter Begründung, die allerdings unterbleibt.
Aber, bei der Redakteurin keimt Hoffnung auf: „Erstmals soll es jetzt (!) auch repräsentative Daten aus Deutschland geben“. Gemeint ist eine groß (n=6.500) angelegte, repräsentative Kontrollgruppen-Studie des Nationalen Diskriminierungs- und Rassismusmonitors (NaDiRa) am DeZIM, die im März 2023 erscheinen soll, derzeit allerdings noch in Planung sei. Abgesehen von der zu erwartenden ideologischen Schlagseite dieser Erhebung, bei der es ja wahrscheinlich nicht um objektivierbare, sondern ganz vorrangig oder ausschließlich um gefühlte oder gar suggerierte und konstruierte Wahrheiten gehen wird, bleiben vielleicht selbst solche Bemühungen angesichts der bisherigen, hochgradig dilettantischen Arbeitsnachweise des NaDiRa ein frommer Wunsch. Hinzu kommt, dass es sich bei dem „Rassismus-Monitor“ um eine dieser Einrichtungen handelt, deren weitere Existenz gefährdet wäre, wenn das zu bearbeitende Thema sich in toto oder in einzelnen gesellschaftlichen Bereichen als nicht relevant oder stark rückläufig erweisen würde.
Schwarzen Aktivisten muss man glauben
Was also tun, wenn die Recherche eigentlich nichts Einschlägiges zu Tage fördert? Auch hier hilft der DÄ-Redakteurin ihr Gesinnungsrabatt, der problemlos die Metamorphose bloßer Aktivisten zu bedeutsamen wissenschaftlichen Experten erlaubt. Eine solche Expertin ist die schwarze Psychiaterin Dr. Amma Yeboah, die bei ihrem Auftritt auf dem Afrika-Festival 2021 das deutsche Gesundheitssystem dergestalt kritisiert habe, dass „Schwarze Menschen“ in Deutschland nicht entsprechend den Medizinischen Leitlinien versorgt würden. Starker Tobak! Nur, woher sie über dieses Geheimwissen verfügt, bleibt offen und ist auch für die DÄ-Redakteurin kein Thema. Offenbar sind die Verhältnisse im deutschen Gesundheitssystem so untragbar, dass es die Kollegin Yeboah mittlerweile vorgezogen hat, nicht mehr als Psychiaterin tätig zu sein, sondern ihren Broterwerb durch antirassische Aktivitäten im weiteren Sinne zu sichern.
Damit nicht genug. K. Gießelmann hat noch eine weitere Expertin auf Lager, die angehende Allgemeinmedizinerin Ngozi Odenigbo, ebenfalls eine schwarze schwere Bescheidwisserin zum Thema „Rassismus in Deutschlands Gesundheitssystem“, die indirekt folgendermaßen zitiert wird: „Auffällig oft berichteten Schwarze Menschen davon, im Bereich der Psychotherapie nicht adäquat behandelt zu werden“. Auch hier wiederum bleibt völlig offen, was das genau heißt und worauf sich diese vollmundige Einschätzung genau stützt.
Alter Wein in neuen Schläuchen
Im Internet-Auftritt des von Odenigbo gegründeten Vereins Black in Medicine findet sich dazu ein scheinbar passendes, tatsächlich aber kontraproduktives Beispiel: Ein (schwarzer) Psychotherapie-Patient erhob gegenüber seinem (weißen) Therapeuten schwere Vorwürfe, weil der seine Sichtweise von ausschließlich durch rassistische Diskriminierung verursachten psychischen Problemen nicht habe teilen wollen.
Aus fachpsychiatrischer Sicht ist das bloß alter Wein in neuen Schläuchen: Auch die eng verwandte Gruppe der sich als Mobbing-Opfer definierenden Psycho-Patienten kommt bekanntlich nicht auf den grünen Zweig, wenn in der Therapie vorrangig die mobbenden Kollegen thematisiert werden. Ganz abgesehen davon, dass bei den allermeisten Mobbing-Opfern dem einschlägig Erfahrenen rasch klar wird, dass Mobbing hier nicht wirklich das Hauptproblem ist. Aber fachliche Überlegungen spielen im DÄ bei solchen Problemen offenbar keine Rolle mehr. Wenn eine schwarzafrikanische Ärztin eine Behauptung zum Thema Rassismus in der deutschen Medizin aufstellt, dann verhält es sich genauso wie sie sagt. Da gibt es keinen Diskussionsbedarf, schon gar keinen kritischen.
Generalverdacht gegen Nicht-Schwarze
Indem sich die DÄ-Redakteurin Gießelmann die Einlassungen der beiden Anti-Rassismus-Aktivistinnen unkommentiert zu eigen macht und das DÄ auf jede Relativierung – etwa in Form eines Editorials – verzichtet, stellt diese offizielle Publikation der Bundesärztekammer jeden nicht-schwarzen in Deutschland tätigen Mediziner unter Rassismus-Verdacht. Es sei denn, es wurden bereits die von aktivistischer Seite geforderten Exerzitien ausgeführt, also sich mit den eigenen „Stereotypien“ gegenüber „Schwarzen Menschen“ auseinandergesetzt und, ganz wichtig, diese dann korrigiert.
Praktischerweise bietet das DÄ gleich einen Einstieg in diesen Prozess von Auseinandersetzung und Selbstkritik, die jetzt – es sollen ja keine Assoziationen an Stalin oder Mao entstehen – Selbstkorrektur heißt: ein Glossar mit „antirassistischen Bezeichnungen“. Denn: „Unsicherheit besteht oft bei der Bezeichnung nicht privilegierter Menschen, zu denen auch die Vielfalt der People of Color zählen“. Hat der Arzt die korrekten Bezeichnungen gelernt, „kolonialhistorisch bedingte Vorannahmen“ abgebaut, sich den „Perspektiven“ der „Schwarzen Menschen“ geöffnet und auch bestimmte fachliche Lücken in Bezug auf medizinische Besonderheiten dunkelhäutiger Patienten geschlossen, dann: ja, was hätten wir dann? Das gerechte diverse Paradies? Die innere Logik der Critical Race Theory, der hier vom DÄ, wenn auch nicht beim Namen genannt, eindeutig gehuldigt wird, führt doch wohl eher zu einem neuen Totalitarismus. Salopp formuliert: einmal Zwang, immer Zwang.
Eine Plattform zum Denunzieren
Für diejenigen, die immer noch am allgegenwärtigen Rassismus in Deutschlands Gesundheitswesen zweifeln, hat Gießelmann noch einen Pfeil im Köcher: „Forschende“ der Uni Oldenburg hätten nämlich Folgendes ermittelt: „In Gruppendiskussionen mit 32 (!) Medizinstudierenden von 13 (!) Fakultäten zeigte sich, dass Rassismus unabhängig von Standort und Fachrichtung erlebt wird.“ Donnerwetter! Offensichtlich befürchtet die DÄ-Redakteurin, dass Lesende an der Existenz einer solchen Hammer-Studie zweifeln könnten und versichert, dass die noch nicht publizierten Daten dem DÄ vorliegen würden. Aber wer publiziert solchen Wissenschafts-Schrott?
Sollte jemand die Auseinandersetzung mit (seinen) weißen Stereotypien über Schwarze, das Auswendiglernen der einschlägigen Nomenklatur und die Selbstkorrektur nicht mit dem notwendigen Ernst und der erforderlichen Sorgfalt betreiben, hört der Spaß allerdings endgültig auf. Dann müssen andere Seiten aufgezogen werden, wie etwa an der Uni Freiburg. Dort gibt es eine Online-Plattform, um rassistische Diskriminierung „sichtbar“ zu machen. Es können dann, was Gießelmann bzw. das DÄ offenbar ganz toll und fortschrittlich finden, „rassistische Floskeln, die Dozierende in Lehrveranstaltungen geäußert haben, (…) gemeldet“ werden. Über das, was anschließend passiert oder passieren sollte, schweigt das DÄ sich allerdings noch aus.
Rassismus-Hölle
Für den ob dieser Rassismus-Hölle in Deutschlands Gesundheitswesen geschockten Leser drängt sich doch wohl eine Frage auf: Warum warnen die beiden schwarzen Aktivistinnen – vielleicht zusammen mit dem DÄ – nicht zumindest ihre ärztlichen Kollegen in Afrika davor, nach Deutschland rüberzumachen? Laut Ärztestatistik riskierten 2021 immerhin 350 Kollegen diesen Schritt, während sich lediglich 18 Mediziner entschieden, in den Schoß von Mutter Afrika zurückzukehren.
Abgerundet wird das DÄ-Schwerpunkt-Thema durch einen im Vergleich etwas friedlicher daherkommenden Artikel – „Eigene Perspektiven hinterfragen“ – von Dr. Solmaz Golsabahi-Broclawaski, die ausweislich ihres Internet-Auftritts neben einer psychiatrisch-psychotherapeutischen Praxis in Bielefeld noch ein „Medizinisches Institut für transkulturelle Kompetenz“ betreibt. Ihr Text ist eigentlich nur deshalb der Erwähnung wert, weil es sich ebenfalls um ein schönes Beispiel von großzügig gewährtem Gesinnungsrabatt handelt.
Ahnungslos
Denn wie ideologisch voreingenommen und gleichzeitig ahnungslos muss man als Fachärztin sein, um folgende Vorstellung über ein bestimmtes Kapitel der Medizingeschichte zu entwickeln?
„Die Medizin löst sich nur langsam vom Bild des weißen männlichen Kranken mittleren Alters. Mit der Etablierung der Fachbereiche Pädiatrie, Geriatrie und Gendermedizin hat sie sich in der Vergangenheit den Unterschieden in der Diagnostik geöffnet.“
Dieser ganz überwiegend frei erfundene Unsinn ist einer Auseinandersetzung nicht wert, abgesehen von einer Anmerkung, die sich mir als Geriater aufdrängt: Hat die Medizin mit der vor etwa 40 Jahren einsetzenden Etablierung der Geriatrie in Deutschland nicht lediglich begonnen, den Blick vom weißen männlichen Kranken mittleren Alters auf den hohen Alters zu richten?
Mal was Positives
Um auch einmal etwas Positives zu sagen: Die Autorin äußert wenigstens ein gewisses Verständnis für die Umerziehungs-Kandidaten, also für diejenigen, die noch nicht den Gipfel der anti-rassistischen Erleuchtung erklommen haben. Denn: „Rassistische Denk- und Verhaltensweisen sind den Verursachenden oft nicht bewusst, weil ihnen die nötigen Informations- und Fachkenntnisse fehlen“. Zum Glück gibt es dafür dann ja ihr Institut für transkulturelle Kompetenz, um diese, einer „mangelnde(n) Aufmerksamkeit“ geschuldeten „Informationslücken“ zu schließen – Antirassismus als Kampf gegen Aufmerksamkeitsstörungen. Mal was Neues. Spannend könnte auch sein, wie die Autorin den Fortzubildenden die – leider nicht existente – „darwinistische Krankheitslehre“ nahebringt, bei der es sich um eine „Subform der Diskriminierung“ handeln soll.
Auch diese Autorin klassifiziert mit großer Selbstverständlichkeit lückenhafte spezielle medizinische Kenntnisse über dunkelhäutige Patienten – zu deren Häufigkeit und Relevanz sie keinerlei Angaben macht – als Ausdruck von Rassismus. Das ist genauso abwegig, als würde ein Mediziner mit Wissenslücken in der Behandlung hochbetagter Patienten als notorischer Altenhasser geschmäht werden. In aller Regel handelt es sich bloß um einen fachlich nicht so guten, vielleicht gar schlechten oder überforderten oder auch unzureichend angeleiteten Arzt. Ich mache mir allerdings eher Sorgen um die Qualifikation z. B. der 350 im vergangenen Jahr eingewanderten afrikanischen Ärzte – angesichts der im internationalen Vergleich weiterhin sehr niedrigen Zulassungshürden in Deutschland.